Vor
mir hat meine Mutter 2 Fehlgeburten.
Wegen
des Zwischenfalls in Tschernobyl ist sie während der Schwangerschaft
mit mir nur selten draußen.
Meine
Mutter führt ein Schwangerschaftstagebuch. Mein Vater hat einen
Gasteintrag. Er beginnt mit den Worten „Ich muss ja schon sagen,
ich bin ziemlich neidisch, wie viel Aufmerksamkeit zu bekommst.“
Ich komme 2 Wochen zu früh als Sohn zweier Lehrer zur Welt, die sich
in der politischen Arbeit kennengelernt haben und verbringe die
ersten Tage meines Lebens in einem Brutkasten.
Man
sagt mir, ich sei ein entspanntes Kind mit viel Freude an Essen und
Bewegung.
Meine Eltern bringen mir bei, sie beim Vornamen zu nennen. Sie wollen mir damit auf Augenhöhe begegnen.
Als
ich um die 4 Jahre alt bin, sitze ich in meinem Zimmer und höre wie
meine Eltern über etwas streiten. Sie streiten viel und auch die
Lautstärke ihrer Auseinandersetzungen ist dabei meist sehr hoch.
Diesmal jedoch, nehme ich den großen Blumentopf von meiner
Fensterbank, stürme damit in den Flur und stelle ihn zwischen meinen
Eltern auf einer Holzbank ab, die mein Vater selbst angefertigt hat.
Das Geschrei meiner Eltern verstummt und ich erhalte von meiner
Mutter ein verlegenes Lächeln, das aber nur von kurzer Dauer ist.
Meine Eltern setzen ihren Streit fort. Ich gehe zurück in mein
Zimmer.
Kurze
Zeit später kommt mein Bruder Patrick zu uns. Er ist ein halbes Jahr
alt, als meine Eltern ihn adoptieren. Seine Mutter ist Alkoholikerin
und er hatte die ersten Monate seines Lebens vor allem damit
verbracht, im Krankenhausbett Mozart zu hören.
Ich
habe meine erste Kommunion und lege meine erste und bislang einzige
Beichte ab, in der ich, wie auch in meinen Gebeten, viel über meinen
Bruder rede und gelobe, ihn gut zu behandeln.
In
der Grundschule gehöre ich zu den klügsten, ehrgeizigsten Kindern
und immer wenn ich verliere, ob im Diktat oder beim Völkerball,
fange ich an zu weinen.
Es
ist die gleiche Zeit, in der meine Eltern auf unterschiedlichen
Etagen leben. Morgens muss ich mich entscheiden, ob ich mit meinem
Vater im Erdgeschoss oder meiner Mutter im ersten Stock frühstücke.
Ich entscheide mich fast ausnahmslos für meine Mutter.
Lange
Zeit sitzt meine Mutter in ihrem abgedunkelten Arbeitszimmer, hört
Musik ihrer Jugend und weint. Mein Vater schickt mich oft noch oben,
um sie zum Essen zu rufen. Sie erscheint nur sehr selten.
Im
Sommer vor der 4. Klasse machen wir Urlaub in Spanien. Im
Fernsehen laufen die olympischen Spiele in Atlanta. Nach einem
Ruderlauf gehe ich hinunter zum Pool, wo mein Vater ein Nickerchen
macht. Ich finde meinen Bruder kopfüber im Wasser treiben. Stumm
renne ich hinunter, setze mich an den Beckenrand und versuche Patrick
mit meinen Füßen aus dem Wasser zu fischen. Erst als dies misslingt
rufe ich nach meinen Eltern. Ich weiß nicht wie viel Zeit vergeht,
zwischen meinem Versuch einer Rettung und dem Sprung meines Vaters
ins Becken. Nach einem kurzen Versuch der Wiederbelebung rasen wir
hinunter ins Dorf. Ich bemerke, dass meine Eltern nicht angeschnallt
sind, sage aber nichts. In einer kleinen Arztpraxis wird mein Bruder
wenig später für tot erklärt. Ich liege währenddessen bei
Freunden auf einer Couch und umklammere ein fremdes Kuscheltier.
Ich
bin kein Messdiener mehr und betrete fortan Kirchen nur noch aus
Gefälligkeit für andere. Wann immer seitdem Menschen von der Liebe Gottes
reden, kann ich sie nicht mehr ernst nehmen.
An
Weihnachten des gleichen Jahres ist meine Mutter erneut schwanger,
hat aber eine weitere Fehlgeburt, wegen derer sie die Feiertage im
Krankenhaus verbringt. Mein Vater bleibt mit mir allein zuhause.
Ich
darf nach einer Vorauswahl selbst entscheiden auf welche Schule ich
gehe und entscheide mich für eine Gesamtschule, auf die auch meine
Grundschulliebe gehen wird. Vor meinen Eltern begründe ich die Wahl
mit der hervorragenden Ausstattung des Werkraums.
Als
ich 11 Jahre und in der 5. Klasse bin, zieht meine Mutter mit mir
aus.
Bereits
zuvor hatte mein Vater mit einer Frau aus der Nachbarschaft zu Abend
gegessen, die mir kurze Zeit später als seine neue Freundin
vorgestellt wird. Ich verbringe in der Folgezeit jedes 2. Wochenende
entweder in meinem Elternhaus mit beiden oder in ihrer Wohnung. Sie
hat eine Tochter in meinem Alter. Sie knallt viele Türen und wir
haben uns wenig zu sagen.
Meine
Mutter deutet einige Fehltritte meines Vaters an, sagt aber sie hätte
ihm versprochen, dass er mir diese Dinge erzählt. Ich vermute, er
hat sie geschlagen.
Mein
Verhältnis zu meiner Stiefmutter ist von Anfang an schwierig. Ich erlebe sie als kontrollsüchtig, unreflektiert und ohne jeden Humor,
noch aber denke ich, dass sich unser Verhältnis daraus erklärt,
dass ich ödipal meine Mutter verteidige. Ich bin ungern bei der
neuen Familie meines Vaters, aber ich hätte ein schlechtes Gewissen,
wenn ich nicht mehr kommen würde.
Meine
Schwester wird geboren, als ich 12 bin. Wir haben den gleichen Vater
und das gleiche Kinn. Sie bekommt mein Zimmer. Ich soll anfangs auf
der Couch schlafen, aber meine Mutter erstreitet mir, wie ich Jahre
später erfahre, ein eigens Zimmer im Keller.
In
der Schule habe ich großes Interesse, den Lehrern zu gefallen. Ich
weiß viel über den Kosovokrieg und sonne mich in ihrem Erstaunen
darüber. Auf Partys bin ich ein Nachzügler, ich werde immer nur
dann eingeladen, wenn jemand anderes absagt.
Meine Schwester nennt ihre Eltern Mama und Papa.
Meine
Mutter verbietet mir, dass ich meine Sportklamotten übers Wochenende
mit zu meinem Vater mitnehme. Mein Vater hingegen will nicht alles
doppelt besitzen. Als eine Art Kompromiss fahre ich jeden 2. Freitag
mit Fußballschuhen und Sporthosen aber ohne Schienbeinschoner und
T-Shirts in die Schule und von dort zu meinem Vater. Einmal bin ich
Samstags zum Schwimmen verabredet, habe aber meine Badehose
vergessen. Bei einer hektischen Übergabe auf dem Seitenstreifen, in
der wenige, fiese Worte fallen, bleibe ich im Wagen.
Im
Fußballverein machen sich meine Mitspieler über meine Klamotten
lustig, und darüber dass ich immer über Taktik reden will. Ein paar
Mal merken sie nicht, dass ich hinter ihnen stehe und ich nehme
möglichst ungesehen Abstand von der Gruppe, um zu weinen.
In
der Mittelstufe habe ich 3 Beziehungen. Sie bestehen allesamt aus
Händchenhalten und dauern, 2 Wochen, 2,5 Wochen sowie 3 Stunden. Ich
bin neidisch auf die anderen Jungs, die 6 Monate eine Freundin haben
und fühle mich einsam.
Mein
Vater und meine Stiefmutter stehen mit mir vor der Schule meiner
Stiefschwester, um sie abzuholen. Meiner Stiefmutter fällt auf, dass
die Jugendlichen heute alle schwarz tragen. Ich bin nicht Teil der
Unterhaltung. An Weihnachten bekomme ich ein schwarzes T-Shirt.
Beim
4-0 gegen den SV Brackwede erziele ich 2 Treffer selbst und bereite
die weiteren 2 vor. Mein erster Treffer ist ein 22-Meter-Dropkick in
den Winkel von der Strafraumecke. Selbst mein Jubel ist lässig.
Das
Mobbing in der Schule und im Fußballverein wird mehr und intensiver.
Ich werde dafür ausgelacht, dass ich zu lange Fingernägel und zu
kurze Hosen habe. Auch meine Art zu Reden ist Ziel der Angriffe. Als
ich an der Bushaltestelle ein weiteres Mal Schwuchtel genannt werde,
beginne ich eine Prügelei, von der ich das Gefühl habe, sie zu
gewinnen. Ein Mitarbeiter des Schnell-Imbisses trennt uns. Ich renne
nach Hause und erzähle es weinend meiner Mutter, die mich sofort ins
Auto lädt und zu der Familie des anderen Kindes fährt. Am Esstisch
sind alle sehr einsichtig und nicken viel.
Mehrere
von meiner Mutter erbetenen Schüler-Lehrer-Gespräche laufen ähnlich
ab. Meine Mitschüler drehen den Spieß um und prangern meine
Arroganz ihnen gegenüber an. Meine Lehrer verstehen das. Meine
Mutter sagt, nicht zum ersten Mal, dass ich nur mich selbst ändern
kann, nicht die anderen.
In
den Osterferien sind mein Vater und ich in München. Wir bekommen
Schwarzmarktkarten für Bayern gegen Real Madrid. Ich sehe Zidane.
Während
der Fußballweltmeisterschaft in Japan und Korea habe ich eine
Telefonat mit einer Mitschülerin. Sie sagt mir, dass die Klasse
nicht mag, wie ich rede und dass sie genauso wenig mag, wenn ich mich
zum Lesen oder Musik hören wegsetze. Ihr finaler Vorschlag: Setz'
dich zu uns und sag nichts. Als ich meiner Mutter davon berichte, erlaubt
sie mir zum einzigen Mal in meinem Leben zuhause zu bleiben. Kroatien
schlägt Italien mit Hilfe eines gekauften Schiedsrichters, es gibt Nudeln und Cola und die Wohnung ist warm.
Nach
einem 4-1 im entscheidenden Spiel steigen wir in die Bezirksliga auf.
Ich spiele durch und werde später über dieses Spiel eine
Kurzgeschichte schreiben.
Am
Ende der 9. Klasse willigt mein Mutter schließlich ein und ich
wechsle auf ein konservatives Gymnasium. In
meiner zweiten Schulwoche geht es auf Klassenfahrt. Ich bin nicht
mehr der Klügste und ein paar Mädchen haben Interesse. Nach unserer
Rückkehr geht es vom Bahnhof sofort weiter. Mein Vater und meine
Stiefmutter haben am Morgen geheiratet und die Feier ist im vollen
Gange. Ich betrinke mich mit Ramazzotti und kotze zuhause.
Auf
dem Heimweg vom Fußballtraining schreibe ich mein erstes Gedicht.
Ich tippe und speichere es in mein Handy. Es reimt sich und handelt
vom Tod meines Bruders.
Ich
habe meine erste richtige Freundin, meinen ersten Kuss, meinen ersten
Sex, meinen ersten Streit. Ich sage ihr, dass ich alles machen will,
um nicht so zu streiten wie meine Eltern und fühle mich erwachsen.
Ich
schreibe meine erste Kurzgeschichte. Sie handelt davon, jemanden auf
dem Friedhof zu besuchen, als wäre er ein alter Bekannter.
Die
10. Klasse endet und von meinen 9 neuen Freunden wechseln 7 auf
liberale Gymnasien und 2 gehen ins Ausland. Ich habe es nach meinem
spontanen Schulwechsel nicht geschafft mir einen solchen zu
organisieren.
Meine
Freundin und ich trennen uns, kommen wieder zusammen, trennen uns und
kommen wieder zusammen. Sie manipuliert mich und nutzt häufig den
Vorwurf der Arroganz gegen mich. Kurz nachdem endgültig Schluss
ist, knutscht sie in einer Disko vor meinen Augen mit jemanden, den
sie nicht kennt. Ich gehe, setze mich auf eine Parkbank und weine.
Auf
einer familiären Weihnachtsfeier zerstreiten sich mein Vater und
seine 2 Brüder. In der lauten Auseinandersetzung, in die auch die
Ehefrauen, meine Mutter, mein Großvater und ich mehr oder weniger
verwickelt sind, holt meine Stiefmutter meine bereits schlafende
Schwester Rieke an den Tisch und benutzt sie als Schutzschild. Ich
identifiziere mich mit ihr. Als mein Vater mit Frau und Kind abreist,
ist mein Laptop noch in seinem Wagen.
Ich
habe eine neue Freundin, die sehr hübsch ist, die ich sehr mag und
die mir intellektuell überlegen ist. Sie nennt mich „Kommunenkind“,
ich sie „FDP-Wählerin“. Sie ist der erste Mensch,der mir
ein Mixtape
brennt. Ich rede mir ein, sie nur um mich zu haben, um nicht allein
zu sein. Einmal sagt sie mir: „Du wirst dich nie umbringen. Du
bist viel zu sozial dafür“. Sie meint das tröstend. Heute schätze
ich sie deutlich mehr als damals, aber es ist zu spät. Sie ist etwas
langweiliger und etwas glücklicher aus früher, was ich ihr neide,
wie so vieles.
Ein Diskoabend mit 10 Leute, die Hälfte davon noch Minderjährig. Der Türsteher will nur meinen Ausweis sehen, die Gruppe merkt das, geht aber auch ohne mich hinein. Ich gehe ins Kino nebenan und schaue alleine Kill Bill 2 - der Film ist ab 18.
Im
Abi muss ich in Deutsch in die Nachprüfung. Ich bin bis heute fest
davon überzeugt, dass mein Deutschlehrer mich verschaukelt hat.
Ich
übernehme während meines Zivis, der völlig in die Hose geht, eine
C-Jugend. Ich stehe jeden Tag auf dem Fußballplatz. In der Rückrunde
schneiden wir gegen jede Mannschaft besser ab als in der Vorrunde.
Mit allem was ich seitdem tue, versuche ich dieses Jahr zu
wiederholen.
Mein
Großvater zieht nach langem hin und her zwischen meinem Vater und
seinen Brüdern um das Thema Geld, in mein Elternhaus. Wenige Monate
nach seinem Einzug stirbt er. Zuvor liegt er kurz im Koma. Ich mache
mich von meinem Studienort auf in die Heimat. „Opa ist gerade
gestorben“, steht in der SMS meines Vaters. Zuhause heißt es
später, er habe sich von allen verabschiedet.
Das
Studium hat weit weniger Sex zu bieten als erhofft und ich verbringe
die meisten Wochen mit schlechtem Essen vor dem Fernseher. An guten
Tagen gehe ich vor einer spätnächtlichen Sportübertragung ins
Fitnessstudio.
Ich
verkrache mich mit einem Mitbewohner. 2 gemeinsame Freunde, darunter
meine engste Vertraute im Bachelor, entscheiden sich für ihn und
gegen mich. Auf einer WG-Party in meiner eigenen Wohnung schließe
ich mich in meinem Zimmer ein und weine.
Im
5. Semester spiele ich Theater und habe so viel Sex wie nie. Jeden
Donnerstag treffe ich eine Sexfreundin und wir gucken Heidi Klum. Sie
mag es nicht, wenn und wie ich die Show analysiere, schläft
anschließend aber trotzdem mit mir. Sie ist nicht mein Typ und wir
haben uns wenig zu sagen. Als ich sie einmal mit einem
Billigfliegerangebot in Spanien besuche, haben wir keinen Sex, weil
ihr die Wände der WG zu dünn sind.
Ich
schließe meinen Bachelor genauso unmotiviert-mittelmäßig wie mein
Abitur ab. Zur Zeugnisvergabe bin ich schon längst nicht in der
Stadt.
Das
Aufnahmeverfahren zum Master dauert 3 Tage. Als ich mit Champagner
mitgeteilt bekomme, aufgenommen zu sein, habe ich zum ersten und
bislang einzigen Mal das Gefühl, mehr zu sein als Mittelmaß.
In
der großen Stadt und im Master fühle ich mich privilegiert. Das
Studium führt mich mit spannenden Menschen zusammen, bringt mich auf
Festivals und ich bin so kreativ wie noch nie. Mein Blog wird immer
mehr gelesen.
Ich
fahre kaum noch heim.
Ich
schreibe den 4-seitigen Aufmacher unserer Studentenzeitung und bin
sehr stolz auf ihn.
Ich
habe meinen ersten klassischen One-Night-Stand. In der Billardkneipe
steht sie eigentlich auf meinen guten Freund Patrick, der aber frisch
verliebt ist. Auf dem Weg zur U-Bahn sage ich ihr: „Du könntest
aber mit zu mir kommen“. Am nächsten Morgen geht sie ohne
Frühstück oder dass wir uns unsere Namen gesagt haben.
Mein
SZ-Praktikum geht völlig in die Hose, weil ich mich in den mit
äußerst viel Ellenbogen geführten Redaktionskonferenzen nicht
traue zu reden, in meinem Einzelbüro isoliert bin und kein Redakteur
Zeit oder Interesse an mir hat. Weil während des Praktikums Harald
Schmidt zu Sky geht, sowie Markus Lanz als Gottschalk-Nachfolger
gehandelt wird, fallen 4 (!) meiner Texte eine Stunde vor
Redaktionsschluss durchs Sieb. Nach den 3 Monaten habe ich keine
einzige Veröffentlichung. Der Gedanke, schlicht nicht für die
Arbeitswelt gemacht zu sein, keimt.
Ich
schleppe mich durch meine mündliche Abschlussprüfung. Das Lernen
fiel dem Münchner Filmfest zum Opfer. Bei der Zeugnisvergabe gibt es
Sekt und Erdbeeren.
Nach
dem Studium finde ich nach oberflächlicher Suche keinen Job. Ein
Praktikum in der Werbeagentur geht völlig in die Hose. Ich bin fremd
und allein. Mein Chef ist ein Arschloch und meine Kollegen Huren. Auf
einer Postkarte steht „Wer lacht, hat noch Reserven.“ Meine
Psychotherapeutin – meinen Kollegen sage ich, ich besuche in der
Mittagspause die Physiotherapie – verschreibt mir zunächst ein
pflanzliches und später ein chemisches Antidepressivum. Ich kündige,
gehe mit den ersten 75 Seiten meines Romans und komme für Wochen
nicht aus dem Bett. In mein Notizbuch schreibe ich „Selbstmord hat
wenig mit Hilflosigkeit zu tun. Es ist die letzte Möglichkeit, die
Kontrolle zu behalten.“
Ich
habe meine erste Freundin seit 6 Jahren. Unsere Kennenlerngeschichte
ist grandios, reicht aber nur für ein Jahr. Sie handelt davon, dass
ich bis in mein Hotelzimmer bekomme, sie dort küssen will, sie mich
aber nicht. Dann bringe ich sie Heim und das findet sie schließlich
gut. Ein halbes Jahr später laufen wir bis 6 Uhr morgens durch Parks
und sitzen rauchend auf Mülltonnen. Sie ist sehr gut zu mir und das
halte ich letztlich nicht aus.
Ich
übernehme ein paar freiberufliche, mies bezahlte Arbeiten
verschiedener Art. Mein Vater stellt die Zahlungen an mich ein, meine
Mutter nicht. Wenn ich gefragt werde, was ich berufliche mache,
mache ich mit „hast du ein Flipchart dabei“ den immer gleichen
Witz. Manchmal variiere ich ihn zu „hast du 30 Minuten“.
Mit
Standardschreiben lehnen Literaturagenturen mein Manuskript ab und
mich verlässt schnell der Mut und der Optimismus, dass ich meinen
Roman einmal beenden werde. Das ist mir unangenehmer als die
Ablehnungen selbst. Wodurch sich alle anderen Arbeiten mieser
anfühlen, denn ich weiß nicht mehr wofür ich sie mache.
Meine
Schwester wird immer trauriger und hört auf zu essen. Ich schreibe
ihr einen Brief und beschließe Weihnachten nicht mehr zuhause zu
feiern.
Und
ich werde das Gefühl nicht los, will ich endlich einmal etwas von
Bedeutung machen oder schreiben, muss ich erst einmal das alles hier
zu den Akten legen.