Dienstag, 17. Januar 2012

Das Selbst und das Mitleid

Auf der Türschwelle.
„Möchtest noch du etwas sagen?“
„Nein.“
„Ich würde mir wünschen, dass du etwas sagst.“
„Warum?“
„Ich weiß nicht, sag irgendwas. Sag, dass ich nerve, dass ich ein weinerliches Opfer bin, dass dich mein Selbstmitleid anödet, dass ich dich in Ruhe lassen soll, dass du dich verliebt hast, dass du von jemanden schwanger bist, dass du schwanger warst, … was weiß ich.“

Wenn es ein Gesicht gibt, das keinen Ausdruck hat, dann war es ihres in diesem Moment.

„Verstehst du denn gar nicht, was das hier ist?“
„Ich glaube nicht, ich bin mir nicht sicher.“
„Ich will doch nur irgendwie das Gefühl haben, dass ich irgendeinen Einfluss auf dein Leben hatte, dass nach mir einfach nicht alles so weitergeht wie vor mir.“
„Warum ist dir das so wichtig?“

Die Frage brachte ihn aus dem Rhythmus. Er verstand sie nicht mal richtig. Aber sie klang eben auch nach leichtem Interesse, was ihm einen winzigen Moment der Wärme schenkte.

„Eitelkeit?“ Er hatte sich den Reflex antrainiert, in Momenten der Schwäche mit entwaffnender Ehrlichkeit zu reagieren. Die, ob seiner hängenden Schultern, mit der er sie meist vortrug, nur selten so wirkte, wie erhofft. Eigentlich funktionierte sie nie.

„Das 'Jetzt' ist doch bei uns völlig egal.“ Sie klang noch mitleidiger als sonst schon. Er hingegen wollte einfach nicht so tun, als ob er stark oder gar der stärkere von ihnen beiden sei. Ein solches Armdrücken verliert man gegen Frauen immer. Da sprach er aus Erfahrung zu sich.

„Ich will das einfach. Ich will etwas sein! Und ich werde nur etwas, wenn ich es in anderen bin. Alleine Lachen ist scheiße! Ich will, ich… scheiße!“ Es wurde kurz ruhig, aber beide sahen, nicht nur an seiner Mimik, die nach neuen Worten drang, dass er gleich weiterreden würde: „… ich hab dir doch Mixtapes nur aus zwei Gründen gebrannt. Entweder sollst du an mich denken, wenn du sie hörst. Oder du sollst sie nicht anhören, weil du sonst an mich denkst. Verstehst du? Ich muss nicht in dein Leben zurück. Ich muss auch nicht hören, dass du wegen mir unglücklich bist. Hör das Tape und mag es, erinnere dich, gut oder schlecht, aber erinnere dich, bitte.“
„Ich höre dein Tape nicht.“
„Aber nicht weil du sie nicht hören willst, sondern weil sie dir nicht in die Sinn kommt.“
„Mag sein.“
„Und das ist scheiße!“

Sie zog, etwas verlegen, die Augenbraun auf. Ein treffende Geste fand sie nicht. Sie war überfordert, für sich einen gelungenen Tonfall zu definieren. Sie wusste nicht viel über die Situation. Sie wusste nur, dass sie – genauso banal wie das klingt – keine Lust mehr auf sie hatte.

„Ich kann nichts für dich tun, befürchte ich.“
„Ja…“ Er überlegte zu gehen, hatte dann aber noch einen Gedanken, der seiner Ansicht nach zu ehrlich klang, um nicht ausgesprochen zu werden: „Ich glaube, wir beide, wir waren zu gut. Wir waren zu sauber. Alles war sauber zwischen uns, bis zum eben gar nicht bitteren Ende. Und das nervt.“
„Was sollte einen daran nerven?“
„Liebe… ok… Beziehungen sind nicht sauber. Nie. Verdammt, sie sind immer tragisch. Wenn Hoffnung erlischt ist das immer tragisch. Und wenn du nichts Tragisches an oder in dir hast, wenn du zu allem souverän bist, verletzt du mich damit mehr, als wenn du mich hassen würdest. Du gibst mir das Gefühl, dass ich ein Nichts bin. Für dich. Du …“ Er wusste nicht, was er noch sagen wollte. Er trat einen Schritt zurück. Hatte er gerade wirklich den Begriff 'Erlöschen' benutzt? Oh, verdammt!


„Es tut mir leid, aber … es tut mir leid, dass ich dich mit meinem Verhalten verletzte.“ Dieser Satz war ihr zu bürokratisch. Aber es war ok. Nochmal: „Es tut mir leid.“
„Nein, tut es eben nicht.“ Er drehte sich um, so schnell er konnte.

Das Geräusch der Tür, die bestimmt ins Schloss fiel, trieb ihm das Leid der Einsamkeit durch die Glieder. Auf dem Bordstein angekommen, begleitete "Damian Rice" mittlerweile die Szenerie. Er steckte die Hände in die Taschen seiner Markenjeans und den Kopf zwischen seine Schultern. Er merkte, wie er sich selbst in dieser Haltung beobachtete. Da gab es ihn, sein Selbstmitleid und sein Unglück. Und es gab ihn, seine Rechtfertigung, seine Unsicherheit. Die bittere Frage, ob er überhaupt ein Recht zu dieser Haltung habe. Er stand immer noch auf dem Bordstein, das Auftreten kaum verändert und fragte sich also, ob er diese Haltung nun annehme, weil sie ihm entsprach oder ob er sie nur annehme, um sich selbst zu zeigen, dass sie ihm entsprach. Dann sah er vor seinem geistigen Auge, sie das Fenster öffnen und ´zu ihm etwas versöhnliches auf die Straße zu rufen. Es war also beantwortet: Er nahm diese Haltung an, um sich selbst zu zeigen, was er da wieder mache.

„Wie lange habe ich eigentlich nicht mehr geheult?“ fragte er sich plötzlich selbst - laut. „Kein Mensch ist absichtlich traurig“ antwortete es von der Metaebene: „Wirklich, kein Mensch ist absichtlich traurig.“ Es war das Klügste, was er in der letzten Zeit von sich gegeben hatte. Kein Mensch ist absichtlich traurig. Als er begann, einen Fuß vor den anderen zu setzen, sah er vor seinem geistigen Auge die Haltung seiner Schultern.

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