Vom
großartigsten Monat aller Zeiten.
Ein
Anfang.
„Am Ende hat man
nur drei wirkliche Freunde im Leben!“ Der Typ von Frittenbude ist stämmiger als
erwartet. Er trägt Camouflage und wirft immer wieder solch melancholische
Sentenzen in die Menge. Kein Hänfling mit
Notizbuch, kein Tocotronic mit Mac unter den dünnen
Ärmchen. Gut so.
Nach dem
ekstatischen Abschluss „Das ist Kunst“ steht der Staub über der Blue-Stage, wie
eine nächtliche Korona der Seligkeit, von den Neonstrahlern der Masse um die
sandigen Frisuren gelegt. „Ein gutes Leben noch“, ruft es abschließend von der Bühne.
Wiebke freut sich darüber, mit gespitzten Lippen, wie sie es häufig tut.
Kathleen lächelt mit wachen Augen. Stefan nickt ostwestfälisch. So geht es zur
Nachbarbühne, die Beatsteaks haben dort bereits mit ihrer Ausrast-Routine
begonnen. Den Endorphinen, den Stimmbändern, dem Schweiß ist derlei
Wiederholung routiniert egal.
Also, warum
dieser Anfang? Warum nicht London, Hockeyfinale, Olympia-Atmosphäre oder die Beachvolleyball-Regenschlacht? Zwischen Köln, London, Köln, Bielefeld,
Leipzig, Highfield und Leipzig gab es viel, die letzten Wochen. Warum nicht der
Inder, der mich für einen Italiener hielt; der Engländer, mit dem ich mich beim
Volleyball über die Hässlichkeit von Duisburg und die Schmerzlichkeit eines mit
Vollspeed geschlagenen Hockeyballs unterhielt; oder nicht der walisische
Volunteer, der mich mit glühendem Interesse nach der Eröffnungsfeier fragte und
dessen Nationalismus, wie bei vielen seiner Landsleute, ganz knapp davor war,
unsympathisch zu werden? Warum nicht?
Die Antwort
liegt in dem Allgemeinplätzchen, dass Schreiben nichts anderes als Selektion
und gesetzter Präferenzen ist und meiner konkreten Anwendung dieser Annahme.
Warum dieser
Anfang? Weil er der gefühlte Kern ist. Das Wesen, das Wesen der letzten Wochen,
das alle losen Enden dieses Augusts zusammenhält und -fügt. Dieses Ding, das
man manchmal glaubt in den Händen zu halten. Bis es einem in Gedanken an den
dazugehörigen Facebook-Post oder in der Vorformulierung dieses Blogeintrag
wieder durch die Hände rinnt. In einem sanften, friedlichen Rieseln, wenn die
Suche nach Reinheit neustartet. Ja, es sind die kurzen Momente, die das Leben
ausmachen. Lachen, Sex, Livemusik. Olympiasiege, Auswärtssiege, Derbysiege. Man
bestreitet das Leben rückwärts, den Blick immer dem Gewesenen zugewandt. Nur
manchmal, schaut man sich selbst über die Schulter und sieht, was ist. Während
ein Blogeintrag nichts anderes ist, als der Versuch, diesen kurzen Blick
festzuhalten, ihn ein Wenig in die Länge zu ziehen. Auch jetzt, beim Lesen und
Schreiben, nochmal da zu sein. Bei dem 2:1 fünf Minuten vor Schluss gegen
Holland, der anschließenden Siegerehrung und ihrer leisen, stolzen
Nationalhymne und wie Anna vergnügt und belustigt bemerkte, wie sie nach dem
Ausklingen auf der Anzeigetafel immer noch um „Applaus“ bitten. Als ob dies
nötig wäre; oder beim 2. Zehnkampftag, als es der Deutsche irgendwie schaffte,
seine persönliche Stabhochsprung-Bestmarke mit dem Rücken zur Latte zu
verbessern; oder später – die Session war da schon über sieben Stunden alt – ein
Chilene und ein Japaner ihm diese Leistung gleichtaten. Gleichzeitig, auf den beiden nebeneinander liegenden Sprunganlagen, innerhalb von zwei Sekunden. Die Journalisten waren da schon längst beim Mittag; oder als mich die hübsche, bisher zurückhaltende Engländerin nach
einen grandiosen Volleyball-Ballwechsel abklatschte. Oder auf dem Weg zum
Highfield, als Hanna und ich das Abteil unterhielten, in dem wir auf dem Ipod
des anderen, die jeweils größte Jugendsünde suchten (und fanden!); oder als wir
mit Philip müde im Gras lagen, abseits der Massen, die Augen geschlossen, das
dumpfe Geschrammel von Placebo über unseren Köpfen; oder als wir wenige Stunden
später wieder bei Kräften waren und Philip im Shuttlebus nach Leipzig die
(weiße!) Gitarre raus holte und der ganze Bus sich heiser durch die Hits
schmiss, von „Lemon Tree“ bis „Wonderwall“; oder die Wasserschlachten, Buddy
Ogün, stundenlang Simpsons-Zitate oder oder oder.
Es ist einfach
zu viel passiert, in diesem Monat, um den Glauben aufrecht zu erhalten, man
werde dieser Reizüberflutung in einem Text Herr werden. Also, ein Überthema.
Drei Freunde, behaupten Frittenbude. Mehr nicht. Zuvor spielten auf derselben
Bühne die Wohlstandsopfer von Kettcar. Ich sehe sie zum vierten Mal, zum ersten Mal gut gelaunt. Nach ihrem „Danke der Academy“ läuft wieder diese Tonspur aus
Fight Club. Von den portionierten Freunden, die man in Flugzeugen oder an
Hotelbars trifft, ist in dem Film die Rede. So wie stolze Volunteers beim
Beachvolleyball und gutgelaunte Bikini-Mädchen am Eingang zum Badesee des
Highfields. Es ist die Sichtweise auf diesen Zustand, der entscheidet. Und die
Umstände. Denn, um mal in dem Rollfeld-Bild von Fight-Club zu bleiben,
portionierte Freunde sind bereichernd, solange da noch jemand hinter der Gepäckausgabe
auf einen wartet, der es wert ist. One-Night-Stands sind super, solange sie nicht für Nähe
gehalten werden. Spaß mit vorbei gelaufenen Animateuren ist großartig, solange
man es nicht als Betrug erlebt, wie die Launemacher, die gleichen Gags im
Rucksack, zum nächsten Zelt aufbrechen. Olympia, London, Festivals sind
besonders, Außnahmen. Aber wirkliche Größe erhält die Besonderheit doch immer
erst im Trott, in der Gewissheit, dass man sie teilt, teilen kann. Oder schlicht in dem Bewusstesein ihrer Seltenheit.
Natürlich
ist der Facebook-Post nicht das Glück und es besteht auch eine Gefahr, ihn
dafür zu halten. Aber erst im Ausdruck von Glück kommt man ihm näher. Olympia
ist nur alle vier Jahre. Und es wird auch wieder Monate geben, in denen es in
den falschen Momenten regnet, eine Bewerbung nicht erfolgreich ist oder Arminia
mal wieder ein Spiel verliert (unvorstellbar, ich weiß...), aber dann ist es
gut, dass da Leute sind, mit denen ich diesen August 2012 oder sonst etwas
zurückholen kann. Indem man sich von diesen Momenten erzählt, in denen man an
nichts dachte, nicht mal kurz, nicht mal an die Möglichkeit, anderen von diesem
Moment zu erzählen.
Letzte Woche
schrieb mir Marko, er habe nun Prometheus gesehen. Er machte einen
feinen Insider darüber und lud zum Gedankenaustausch. Auf Zwischenstation in Köln
schob ich den Film noch schnell dazwischen, nachmittags, vor einem
Feierabendbier mit Michaela. Die Aussicht auf eine baldige Diskussion als
Antrieb. Am selben Tage rief mich Mittags Patrick an und fragte, ob ich mit auf
eine WG-Party wolle. Man denkt aneinander.
Jetzt sitze ich
im ICE nach München und freue mich auf mein eigens Bett und einen Briefkasten
voller Orga-Scheiß. Und eben auf das nächste Bier im GAP. Arminia spielt bald in Unterhaching. Ende des selben Monats trifft sich die Gang aus Geburtstagsgründen wiedermal in
Bielefeld. Und im November in Leipzig. Immer auf der Suche nach der gesunden Mischung aus ungebrochenen
Momenten der Euphorie und dem freudigen, naiven Versuch, ihrem Naturgesetz der
Vergänglichkeit seine Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit entgegen
zuwerfen.
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