Es gibt wahrlich komische Menschen. Und mit „komisch“ ist nicht dieses liebevolle „ich-kanns-nicht-beschreiben-aber-es-ist-irgendwie-süüüüß“-Ding gemeint, was ungebildete Frauen oft nutzen. Ja,... ich sagte „ungebildet“. Genauso wenig auch kein „komisch“, als Synonym für ein „interessant“ an dieser Stelle. Ein „interessant“ dieser diplomatischen „kleiner-scheiße-Bruder-sogar-im-StudiVZ-verbreitet“-Ding-Kategorie. Es ist schlicht weg komisch, verwirrend, seltsam. Ich könnte jetzt schreiben, komisch, wie das Leben selbst. Aber aus aktuellen Anlass will ich Marcel „Macher“ Reich-Ranicki, wie nur Freunde ihn nenne dürfen, nicht die Möglichkeit geben, dies für Blödsinn zu erklären. Dann hätte er sich die Chance verbaut mich nach meinem Tod, in den Himmel zu loben. Literarisch, als auch theologisch gesprochen. Ich wette er wäre zu beiden im Stande, der Macher. Aber weg von Ranicki, hin zum Leben, hin zum Menschen.
Da ist beispielsweise dieser Typ aus dem Wettbüro, der jeden Tag da zu sein scheint. Das weiße Haupthaar geht ihm bis zur Wange und sein Gesicht hat Risse, die aber noch keine Narben sind. Es sind Linien wie in der Handinnenfläche aber zu deutlich dafür dass es nur Falten sind. Während alle anderen ihre weniger oder noch weniger anspruchsvollen Meinungen zum Spiel in die verqualmte Luft des mit Fachbildschirmen zu gepflasterten Saals rotzen, sitzt er nur da. Sitzt da und sagt alle paar Minuten den Namen des ein und selben Spielers. Wenn Arsenal spielt: „Adebayor, ... Adebayor,... Adebayor“. Oder bei München: „Toni,... Toni,... Luca Toni“. Manchmal, in der Konferenzschaltung wiederholt er den Mann im Fernsehen. Wenn es also „Tor in Kiew“ heißt, sitzt der Herr da und murmelt wie der strebsamste Papagei: „Kiew... Kiew.... Dynamo Kiew“.
Oder da wäre die dürre Ausdauersportlerin im Fitnessstudio, die immer da zu sein scheint. Sie rennt. Sie rennt immer und immer und immer. Sie stellt jeden Tag ihr bisschen Haut und Haar was von ihr noch übrig ist, auf immer das gleiche Laufband vor dem geöffneten Fenster. Und rennt. 12.8KmH bei 0.5% Steigung rennt sie. Immer. Und wenn sie Pause macht, hält sie das Laufband an, rennt in die Umkleide und rennt nach wenigen Sekunden zurück durch die Halle aufs Laufband. Dann bleibt sie für ganz kurz stehen, stellt ihren Mp3-Player ein und rennt weiter. Letztens hab ich sie in der Uni gesehen; keine Farbe im Gesicht, keine Arsch in der Hose, keinen Freund an der Seite und mit einer Zigarette in der Hand. Sie sah traurig aus.
Fast genauso wie die Damen, die im gläsernen Häuschen vor der Mensa sitzt, wo sie Essensmarken im Akkord an den hungrigen Akademiker bringt. Ihr Arbeitstag besteht aus dem drücken von 3 Tasten (Eintopf, Stammessen, Menü) und dem Ansagen von dem dann jeweils fälligen Geldbetrag. Jeder dritte meckert über ihre Unfreundlichkeit, die ohne Zweifel da ist. Jeder zweite merkt ihre neue Frisur – ohne sie darauf anzusprechen. Sie hat kein Geld, kein Aussehen, keinen Grund, warum man über sich reden sollte. Auf der Treppe, in die Mensa hinab ist zu wählende Beilage wichtiger. Und das ist hier keine Sozialkritik. Ihre Zuflucht besteht darin zu Boden zu schauen und sich dem Aufmacher der immer vor ihr liegenden „Neuen Post“ oder was auch immer sie da liest zu wittmen. Dort in ihrem Häuschen, jeden Tag von 11 bis 14Uhr. Jeden Tag. Jeden Tag.
Auch die Dame in der Innenstadt ist immer da. Sie heißt Frau Priel und hat einen polnischen Akzent. Immer an der selben Stelle, dort wo sich der Jahnplatz eröffnet sitzt sie und wünscht jedem der ihr etwas gibt einen schönen Tag. Und jedem der ihr nichts gibt auch. Es ist nicht diese neue „Pennerfreundlichkeit“, die sich einen Fragen lässt was auf einmal los ist in diesem Land. Wenn schon die Penner freundlich grüßen, in Dienstleister-Deutschland. Diese Dame, die da auf ihren Tüchern kniet als würden die Fließen darunter nichts ausmachen, ist so unglaublich lebensbejahend, so stark und groß, dass es einen wundern lässt wozu der Mensch alles fähig ist. Letztens traf ich sie in der Nähe des Friedhofs. Frau Priel erzählte, dass ihr Sohn vor Jahren verstorben ist und auch sonst niemand mehr leben würde aus ihrer Familie. Dann lächelte sie leicht dafür aber ehrlich, segnete mich und ging ihres Weges – aufrecht, mit der Gießkanne in der Hand. Sie ging als Vorbild für den Rest des Tages.
Ich mache mir nichts vor; wären diese Menschen nicht da, ich würde es nicht merken. Sie haben nichts poetisches oder anmutiges. Jedenfalls nie solange man ihre Eigenarten nicht auf Papier oder auf Blog bringt. Man will nichts von ihnen und sie meist auch nichts von dir. So ist das. Aber irgendwie fühlt es sich gut an, ihnen diese Zeilen zu überlassen. Fragt nicht wieso... und wenn „der Macher“ doch fragt, nachdem er mit seinen Cello-Anekdoten fertig ist; ich bin im Wettbüro. Liverpool gegen Barca gucken. Barca,... Barca... Barcelona.
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