Ironie, die
- feiner, verdeckter Spott, mit dem jemand etwas dadurch zu treffen sucht, dass er es unter dem augenfälligen Schein der eigenen Billigung lächerlich macht
- paradoxe Konstellation, die einem als Spiel einer höheren Macht erscheint
Da
sitzen sie und warten. Im Halbkreis. Manche haben Decken dabei,
andere Getränke. Vor ihnen liegt eine Batterie Steckdosen, in
denen sie ihre Handys aufladen. Das mobile Internet braucht Strom,
jede Menge Energie und wer überall gleichzeitig sein möchte,
ebenso. Neben der Gruppe wedelt ein Dönerstand sein Fett in die
Nacht, in den runter gerockten Staub eines Juni-Tages.
Ein
Mädchen mit einem Abi-2009-Shirt verlässt die Runde. Sie schultert
ihren Campingstuhl und wandert über den Zeltplatz. Ihr Nicken zum Abschied wirkt vertraut. Ein paar Grills
glühen aus, ein paar letzte Flunkyballgruppen brauchen immer noch
einen, nun ja, spielerischen Rahmen zum Saufen und aus den mobilen
Boxen dröhnt es alles paar Zelte. Scooter ist zu hören, 90ies-Trash
ist zu hören, und Helene Fischer ist zu hören. Es sind diese zwei
Bilder, die eine Brücke schlagen und unter der ich meine, das
Zerrbild meiner, einer Generation zu sehen: das Smartphone und
die Ironie.
Klar,
ein Hurricane-Publikum ist nicht alle. Wer Rockmusik, Dosenbier und
Zelten mag, sowie schlechtes Essen, Hygienenotstand und Schlafmangel
akzeptieren kann, ist hier. Es fehlt hingegen der Aperol-Spritz, die
BWLer, die Nur-House-Hörer, die Immernoch-Baggyhosen, die Abstinenzler, die Fanmeilen-Fanatiker und die wohl nie zu unterschätzende, schweigende Mehrheit an Lebens-uninteressierten. Und doch: Bei Passenger
fliegen Kuscheltiere und zu Moonbootica wütet das Edelvodka-Volk.
Bei Bonaparte zappelt sich der Hipster kurz aber erfolgreich aus der
selbstauferlegten Coolness, während Lily Allen oder Jennifer Rostock
schreckliche Bilder einer Emanzipation entwerfen, die zeigen möchte,
dass die Lauteste immer Recht hat. Thees Uhlmann und Tocotronic
sprechen komplizierte Satzbauten ins Mikro, während ihre Instrumente
versuchen, es nach Musik klingen zu lassen. Und The Subways oder Fünf
Sterne Deluxe sind verstörenderweise nach all den Jahren immer noch
dabei mit ihrem schrecklichen Durchschnittsdingelingeling. Es ist
viel vertreten an diesem Wochenende und alles findet seinen Abnehmer.
Sicher,
es ist alles neurotisch links, was bei Egotronic oder – besonders
schauerlich – Feine Sahne Fischfilet seinen Höhepunkt findet,
indem jede Ansage predigt, dass Nazis auf die Fresse gehört. Jaja,
dochdoch, ehrlich! Das ist alles so ausgewogen, intellektuell und
vorhersehbar wie ein nordkoreanischer Parteitag. Und dennoch, ein
75.000-Seelen-Musikfestival taugt zum Querschnitt. Und es findet
seine stärksten Bilder in der Schnittmenge, also: Weiter im Text.
Das
kleine, kurze Glück, es wird gesucht und gefunden. Die sichere
Pointe, der Post, das Selfie – dafür setzt man sich um die
Steckdose wie ums Lagerfeuer. Damit auch morgen wieder der Saft da
ist, das sagenhaft schlechte Macklemore-Konzert mitzuschneiden oder der
Hood zu erzählen, wo man ist. Bei Lykke Li zum Beispiel, die den
Fehler macht I Follow Rivers nicht als letztes zu spielen und nach getaner Chartsarbeit strömen die
Massen heraus. Das kleine Glück? Es muss erwartbar sein.
Und wenn man es hatte, kann man gehen. Ich meine zu wissen, jene Deserteure sind die gleichen Massen, die Tags zuvor bei Casper waren.
Es müssen sehr viele gewesen sein. Denn bei Arcade Fire war viel
Platz um mich herum.
Dazu
möchte ich etwas anmerken: Ich bin kein sonderlicher großer Fan der
kanadischen Band. Ich mag sie, aber ihr Sound versetzt mich nicht in
Jubelstürme. Mein Verhältnis zu dieser Band ist mehr ein
schätzendes Lächeln, ein genussvolles Nicken. Feuilletonschnösel-Gruß. Und trotzdem: Im
stillen Stolz auf das eigene Schaffen, mit Pathos, mit einem
herzlichen Hang zum Theatralischen, das handwerklich so besondere
Stühlerücken an den Instrumenten und Positionen, wie es glitzert
und blinkt, wie die Songs ineinander gewebt sind, wie Klang und Licht
verschmilzen. Eine Sinnesorgie. Überwältigend und doch ganz nah,
bei mir, in mir. Intelligenz und Gefühl sind kein Widerspruch!
Und
dabei alles – außer künstlich. Es fehlt jede Ironie, jede Geste
der Relativierung. Es wirkt fast befremdlich im Poser-Dickicht dieses
Festivals. Während die Mehrheit bei Casper die schnelle Medizin für
die Krankheit Selbstfindung inhaliert.
Auch
zu Casper ein schnelles Wort: Ich bin kein
Casper-Hasser. Emo ist nicht mal ein Schimpfwort für mich. (Herrje,
ich trage immer noch den alten Jimmy-Eat-World-Pullover aus der 10.).
Casper hat den gleichen Lieblingsverein wie ich und seine
T-Shirts zu weit und seine Mützen zu groß. Aber ansonsten, ja mei.
Ein bissl viel Wenn-du-umfällst-steh-wieder-auf, ein bissl Yolo für
Gymnasiasten und das genauso protzig wie potent produziert. Gibt
schlimmeres.
Doch,
die Dosis macht das Gift. Und diese ist nicht die Musik, sondern die
Anhängerschaft, ähnlich dem Alles-was-wir-machen-ist-nur-dann-was-wert-wenn-wir-es-in-40-Jahren-erzählen-Engelmann-Video vor ein paar
Web2.0.-Monaten. Klar ist ne Fertigpizza ok, aber wenn es da aufhört mit dem Genuss und den Erfahrungen, haben wir ein Problem. Das macht
diesen Umgang mit allen, auf was ich hier hinaus will so schwierig:
Nichts ist für sich genommen schlimm. Aber das Ausbleiben eines
Anderen, die Permanenz mit welcher all diese kurzen Wahrheiten von
Deutschland-wird-Weltmeister, Poste-jeden-Satz-als-wäre-es-der-Letzte
bis zu Du-musst-nur-an-dich-glauben sich im Dauershuffle wiederholen
ist, in einem Wort: beängstigend. Dr. Oetker wird hier zum Fünfsterne-Koch erklärt.
Natürlich ist Kreativität besser als die Maklerausbildung, natürlich sind echte Freunde besser als falsche, natürlich gehört Nazis auf die Fresse. Aber wenn an dieser Stelle das Denken und Fühlen endet, hat es gar nicht erst begonnen.
Natürlich ist Kreativität besser als die Maklerausbildung, natürlich sind echte Freunde besser als falsche, natürlich gehört Nazis auf die Fresse. Aber wenn an dieser Stelle das Denken und Fühlen endet, hat es gar nicht erst begonnen.
Die
große Geste, die Slogans haben ihre eigenen Inhalte, für sie einmal
standen, abgelöst. Und mit ihnen hat eine weitere
Kommunikationsstrategie die Macht übernommen: die Ironie.
Exkurs,
Ironie: Ein Subgenre des Humors. Ein bisweilen tolles Mittel. Es
macht Spaß, sorgt für Stimmung. Mein Gott, der Humor und
sein guter Kollege die Satire haben schon so oft die Welt besser
gemacht. Im kleinen, im großen, in allem. Stephan Colbert vs George
Bush, anyone?
Oder auch: Tina Fey allein hat Sarah Palin gestürzt, verdammt.
Der
große Denker Christopher Hitchenens, Nitzsche hab ihn selig, hat mal
erklärt, warum Frauen nicht lustig sind. (Übrigens teile ich diese Wahrnehmung, bin mir aber dennoch bewusst, dass ich diesen direkt unter einem Tina-Fey-Clip schreibe. Macht euch nur lustig.) Weil sie es nicht müssen.
Weil sie schön sind. Und weil es im Sex nun mal um Aussehen geht.
Der Mann aber, das wohl unterdrückte Wesen, muss Humor entwickeln,
um sich hervor zutun. Allgemein gesprochen: Humor ist Persönlichkeit,
Ironie ist ein Mittel gegen Unterdrückung.
Doch:
Die Ironie auf dem Hurricane ist eine andere. Sie ist keine Satire. Sie hat keinen Gegner und keinen Bezug. Helene Fischer ist kein
Ausdruck von Unterdrückung. Sie ist Teil des Systems Leere. Diese
Ironie, die bisweilen auch nur so tut, als wäre sie ironisch, steht
weder für noch gegen etwas. Das Atemlos-Gegröle ist kein Ausdruck einer
antiautoritären Haltung gegenüber eines postmodernen und
Post-Napster-Vakuums an Geschmack und emotionaler Teilhabe in der
Musikbranche. Sie dröhnt auf dem Hurricane aus
jedem zweiten Pavillon. Sie ist der sichere Gag, die ach so spontane
Zusammenführung im gemeinsamen Feindbild. Vergleichbar mit der
reflexhaften Häme, wenn Italien, England oder Spanien zu früh aus
Brasilien abreisen (Schadenfreude ist ein deutsches Wort), so einigt
man sich darauf, Helene Fischer des Schlagers zu überführen und
dies schlagerhaft zu inszenieren. Aber irgendwie ist der Beat doch
ganz gut und das Liebestattoo-Zitat geht seltsam gut über die Lippen. Es ist
die schnelle Emotion, die schnelle Wahrheit, die uns zusammenbringt. So vorhersehbar und zwanghaft wie ein Autokorso.
Und
nochmal: Natürlich ist Ironie ok. Und billige Witze mach ich in
jedem mir möglichen Moment. Jedoch ist die Ironie ein Dauerzustand
geworden, der es verhindert, dass anderes entsteht. Wir sind eine
Generation, die auf Bad-Taste-Partys rennt aber nie Good-Taste-Partys
veranstaltet. Wir rennen eben zu Casper und nicht zu Arcade Fire. Wir
hören immer noch die Ärzte, weil die Songs gegen Angeber machen –
und gegen Nazis.
Aber,
welche schöne Schlusspointe, da war Hoffnung auf dem Hurricane:
Kraftklub. Eine Band, die sich in der Metaebene suhlt, aber auch
genau dies zu thematisieren weiß. Wir sind zu jung für Rock'n'Roll,
ist ihr zentraler, erster Satz. Massentauglicher Stadionrock, aber
noch nicht ganz Bürgertum, noch nicht komplett Pop. Osten, nicht
Westen. Chemnitz, nicht Bielefeld. Mit Gespür für Losertum, Zitat
und Direktheit. Keine Angst vor der fetten Album-Promo und trotzdem
ohne Scheu vor ernst gemeinten, autonomen Zeichen. Sturmmasken, Pyro
und Lieder über Aufstandskultur und, eben!, ihr Scheitern. Im
Zentrum der Kunst stehen keine Lösungen, sondern das Erkennen von
Problemen. Und der Weg dorthin, darf auch gerne ironisch sein. Nur
bitte, bitte, egal auf welche Art, mit viel viel kritischer Distanz und für wie witzig ihr das
haltet: Keine Helene Fischer mehr!
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