Donnerstag, 15. Mai 2014

Und Sammy Kuffour weinte

Oder: Ein Lehrer und ein Analytiker kommen in eine Bar

Zwischen dem dritten und fünften Bier, also da wo die Weisheit in die Welt fällt, bemerkte Ben, dass es zwar die Frauen waren, die er verfolgte, sobald sie durch die Tür traten. Doch dass es die Herren waren, von denen er etwas mit auf den Weg bekam. Ben bemerkte, dass jemandem gefallen zu wollen und sich mit jemandem auseinanderzusetzen, unüberbrückbare Gegensätze darstellten. Ben stand auf und ging auf die Toilette. Jemand hatte ihm einmal erzählt, dass Händewaschen ohne Seife unhygienischer sei als der komplette Verzicht auf eine Reinigung. Ben mache seine Hose zu und schob gleichzeitig die Tür, seinen Ellenbogen und sich selbst in einer fließenden Bewegung zurück in die Hitze. Karl versuchte sich an ein paar Ausführungen über Freud. Sie sprachen zuletzt viel über ihre Mütter, was wohl sowohl biografische Gründe hatte, als auch aus reinem Kalkül geschah. Der Todestrieb, sagte Karl, wird vollkommen missverstanden. Wir wollen nicht sterben. Wir suchen etwas, wofür es sich zu sterben lohnt. Karl war schon immer der eloquentere von ihnen beiden gewesen. Auch wenn Ben in der Lage war, in den richtigen Momenten zu nicken oder die Arme zu verschränken. Was es ihm mit den Frauen leichter machte. Manchmal gelang Ben sogar ein unauffälliger Griff an die Schläfe, der es schaffte, seine Aufgesetztheit zu verbergen. Karl hingegen, der weiter ausholte, war für einen Mann seines Alters mit seiner van-Houten-Brille und seinen am Saum fein säuberlich umgeschlagenen Jeans, überraschend wenig daran interessiert, Frauen mit seinem Selbstbild in Verbindung zu bringen. Es gab Tage, da gab er den Romantiker, trank etwas genüsslicher und redete vom Nachhausekommen. Von dem Moment unter der Sofa-Decke, wenn der Film aus ist und ein Strich über das Kinn des anderen jede Anfrage auf eine Interpretation des Gesehenen obsolet werden lässt. Und es gab Tage, da befahl sich Karl die Großstadt und markierte seinen Kiez anhand von Eroberung und Postmodernität. Wir müssen uns den FC Bayern-Fan als unglücklichen Menschen vorstellen, sagte Karl. Ben trank. Er darf nicht verlieren, er trägt die Peinigung des Triumphs in sich, sagte Karl. Eine Rothaarige zog vorbei und griff - ob absichtlich oder nicht war nur zu erahnen - im Vorbeigehen Ben an die Hüfte. Fitnessstudio, dachte Ben. Karl war wach. Die Schönheit kommt im Angesicht es Todes zur Welt, sie kämpft, sie krepiert, Karl vergaß die Hitze um sie herum. Sie ist sich ihrer Vergänglichkeit und daher sich ihrer selbst bewusst. Ben fühlte seine Hüfte und meinte tatsächlich, sie wäre noch warm. Und Barcelona '99, fragte er. Schönheit, trieb sich Karl in die Lakonie. Liebe, Sammy Kuffour weint, fleht, kniet, weint. Der Herr hat ihn verlassen. Das ist Liebe. Wir wollen nicht sterben. Wir wollen nur eine Grund für unsere Opfer. Wir wollen Opfer! Die Rothaarige lag in der Ecke, eine Zunge in ihrem Hals. Ben wollte rauchen. Du willst dem Tod nah sein, in der Kälte, in der Kehle, sagte Karl und versuchte seine Pathos mit einer Grimasse der Läuterung zu entlarven. Ja, sagte Ben und gefiel sich erneut in der Rolle des Analytikers, der sich immer darauf berufen konnte, immer nur Dinge zurück zu werfen, nie aber aggressiv zu wirken. Der Analytiker war die präziseste Rolle für Ben, um an Sex zu kommen. Sie schwächte seine Gegenüber, ohne dass es ihn zum Arschloch machte. Sein Vater hatte ihm mal geraten, Frauen immer mehr Fragen zu stellen als Antworten zu geben. Aber um Väter geht es hier ja nicht. Draußen winkte ihnen ein Taxifahrer zu. Sie winkten zurück. Sie begannen über Ex-Freudinnen zu reden, auch um das Protokoll abzuschließen. Es geht, sagte Ben. Fick sie, sagte Karl, im übertragenen und im wörtlichen Sinne. Freud machte ihn fast immer zu Großstädter. Ciao, zischte es in ihrem Rücken. Die Rothaarige zog zwinkernd ein Wasserballerkreuz hinter sich her. Ihr Abschied war einstudiert, und eben deswegen nicht zu ignorieren. Ich glaube, die Frage ist eine andere, sagte Ben. Camus, sagte Ben. Ist es lebenswert Bayern-Fan zu sein oder nicht, das ist die ultimative und letztlich die einzige Frage. Karl aschte. Du musst das in dir klären, nicht in den Anderen. Mach ich doch, sagte Karl. Und, fragte Ben. Nein, sagte Karl, ich bin kein Bayern-Fan, weil. Nein, sagte Ben. Du bist keiner. Das ist deine Antwort. Der Rest ist Intellektualität, das bist nicht du. Du bist die Brust deiner Mutter und die Schokolade deiner Oma. Das letzte Wort brachte sie nach Schlesien. Dort war es kalt. Na Jungs, sagte die Rothaarige während sie sich ein paar Spermakrümel aus dem Haar drückte. Na, sagte Ben. Na, sagte Karl. Und welches Verhältnis hast du zu seiner Mutter, fragte Ben und sie drehten sich um und schritten zurück in die Hitze.  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen