Samstag, 5. Juli 2008

Gegen die Gitter

„Selbstmord ist der letzte Akt der Rebellion“, hat Ulrike Meinhof in die Wand ihrer stammheimer Gefängniszelle geritzt. Das war 1976. Gut dreißig Jahre später gibt es nicht mehr viel zu rebellieren.
Gegen was denn? Die Eltern, die selbst alles versuchen um es einem recht zu machen, damit das Kind sich ja auch wohl, interessant, respektiert und geliebt fühlt. – Was dann auch unter dem relativen Opfer der Scheidung meist gelingen mag.
Gegen die Freunde, die nichts dafür können, dass sie das geringste Übel unter all den gleichsam grinsenden und ungleich denkenden Generationskollegen sind. Die einzigen unter Hunderten die kein Ché Guevara- oder Palästinenser – Shirt tragen, kein Alkoholproblem haben, Musik "hören", keine Stagnation in der oralen/phallischen Phase aufweisen und vielleicht sogar wissen was das bedeutet.
Oder gegen die Politik, die einen nicht interessiert, nichts angeht. Deutschland wird schon lange in sämtlichen Theorien und in der Praxis am Hindukusch verteidigt und nicht in der Grundschule. Weit weg, hinter den Meeren und Empfindungen sterben Menschenmaßen oder gehen anderweitig zu Grunde aus Gründen, die wir erfolgreich nicht als die unseren betrachten. Und was nicht unser Problem ist, ist auch nicht unser Fehler oder gar unser Versagen. Das war schon auf dem Schulhof so. Du warst froh, dass es nicht dein Pausenbrot war, welches dort eben hinter der Ecke gewaltsam den Besitzer gewechselt hat. Vielleicht hast du den Jungen und seine Freunde sogar angefeuert um nicht das nächste Opfer zu werden. Deutschland wird nur am Hindukusch verteidigt, nicht in der Grundschule!
War es wenigstens noch vorstellbar, dass wir bald alle „Die Internationale“ vor der ersten Stunde Sozialkunde singen, so wirkt die Vorstellung eines deutsch-islamistschen Gottesstaates doch immer wieder so befremdlich, dass es sich nicht zu lohnen schneit dagegen vor zu gehen. An welchen Fronten auch immer… .
Was soll ich da rebellieren? Ich würde eh nicht gehört werden. Wo kein Rauch ist auch kein Feuer – oder zu viel Nebel. Der jeweils akuten Betrachtungsweise angepasst.
„Selbstmord ist die letzte Rebellion“. Aber gegen was? – Gegen sich selbst. Selbstmord ist die letzte Rebellion gegen sich selbst. Als Statement gegen den martialischen, zermürbenden und erniedrigen Kosmos, den der Volksmund „Leben“ nennt. Als Statement gegen sich selbst und seine Schwächen und schwachen Stärken. Die unfähig zu sein scheinen dem entgegen zu treten. Selbstmord ist ein Eingeständnis der Schwäche. Denn am Ende hast du nur noch dich. Und du kannst nur gegen etwas rebellieren was - geistig - in deinem Besitz ist. Aber, dann hätten sie gewonnen. Die Guevara-Tücher, der RCDS, die Kissingers, Kaiser und Kiesbauers, die „Anderen“. Nein, du musst weiter. Leben, an die Gitterstäbe treten, sie biegen oder brechen. Lärm machen. Es krachen, klirren und donnern lassen. Denn Leben! ist die wahrste, die ehrlichste, produktivste und einzige Rebellion. Gegen die Gefängniszelle, die oft auf groteske Weise den selben Namen trägt, wie der Akt der Rebellion an sich.

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