Mittwoch, 23. April 2008

Tag 4 - „!Puata Madre!“

Amélie ist natürlich vor mir wach, als ich erst gegen 11Uhr aufwache. David ist schon lange zur Arbeit und ich frühstücke Obst und O-Saft auf dem mit Sonne überschütteten Balkon. Auch wenn Amélie aufwändig kocht ist mir nicht mehr nach warten zu mute. Der Charme von gestern Abend, kommt schon auf Grund der Uhrzeit nicht zu Stande und ich will nichts übers Knie brechen. Daher mache ich schnell deutlich, dass ich weiter muss. Amélie bringt mich zur Tür, wir verabschieden uns herzlichst und verabreden uns wieder in vier Jahren zu sehen. Oder wenn sie und David heiraten, oder sie wieder in Deutschland ist. Wir mögen uns sehr – und das aufrichtig.
Das Wetter wird auf dem Weg parallel zur spanischen Grenze immer besser. Keine Wolke ist am Himmel, als ich auf Höhe von San Sebastian die Grenze überquere. Von nun an geht es nur noch gerade aus. Ich definiere in diesem Moment das Wort Road-Trip nicht neu, aber ich erfahre was es bedeutet. Ich merke nicht wie Bilbao oder andere Städte in Zentrum Spaniens an mir vorbei fliegen. Ich weiß auch nicht wirklich was ich in Madrid, mein nächstes Zwischenziel, machen will. Ich treibe dahin. Malaga im Hinterkopf. Das ändert sich, als ich an einer Tankstelle 200 Kilometer vor Madrid auf Toilette muss. Als ich wieder komme steht eine jüngere Dame mit einem Tramper-Madrid-Schild an meinem Wagen.
„?Va a Madrid?“ fragt sie oder wenigstens so was in der Art.
„Ähhh... ?Hablas Ingles?“
„Mhh... where are you from?“, wechselt sie die Sprache.
„Germany“, ich auch.
„!Puata Madre! ?!Es d'allmania?!“, platzt es aus ihr raus.
Wir stelle fest, dass sie gut deutsch spricht und daher nehme ich sie doch mit. Eigentlich hatte ich keine Lust meine drei Sätze Castellano auf 2 Stunden Fahrt gleichmäßig zu verteilen, da sie aber deutsch kann, freue ich mich über eine nette Unterhaltung und hoffe auf eine kleine Stadtführung in Madrid.
Also geht’s zu zweit weiter in den wunderschönen Sonnenuntergang. Während die Dame, dessen Namen ich vergessen habe, mir erzählt wo sie alles in Deutschland Freunde hat, schon war und wir (wieder mal!) vergleiche zwischen den Nationen ziehen, geht alles ziemlich schnell. In Madrid verfahren wir uns (trotz NAVI) mehrfach und nach ca. 60Minuten Stadtführung aus dem Wagen heraus, sind wir bei ihrer Freundin. Auf grund der Umwege ist es spät geworden und anstatt Party und einer fetten, berüchtigten, spanischen Saufgelage (Botellano), werden mir Nudeln mit Zwiebeln und Bier aus eisgekühlten 1-Liter-Flaschen serviert. Ich fühle mich wohl, auch wenn die nicht wirklich deutsche Hygiene und der Sicherheitsstandard, der vielleicht 28qm großen Dreizimmerwohnung, mich überraschend stark stört. Überhaupt; wenn ich etwas auf dieser Fahrt über mich selbst gelert habe, dann dass ich deutsch bin. Und das mehr als mir lieb ist. Ich mag meine Autobahnen eben und ohne Schlaglöcher, mein Bier in 0,5Liter-Flaschen, meine Vergangenheit unverklärt, wenn nicht sogar übertrieben unpatriotisch, mein Bad sauber (Ja, Mutter! Wirklich!) und meine Wohnung ohne lose Stromkabel. Außerdem begrüße ich es, wenn es in Städten oder Wohngebieten nach nichts riecht. Nach gaaaar nichts. Ein Traum. Aber schlimm ist der Abend deswegen noch lange nicht. Es wird gekifft, aber ich lasse die Lunte an mir vorrüber ziehen. So vertraut sind mir die beiden Freundinnen, sowie der unglaublich hässliche Mitbewohner dann doch nicht. Es wird den ganzen Abend nur spanisch gesprochen, da der Mitbewohner (mal wieder) weder englisch, noch deutsch spricht. Ich esse in Gedanken meine leckeren Nudeln, spiele mit dem WG-Hund, der vom ganzen passiv Kiffen schon richtig rote Augen hat und verarbeite die letzten Tage. Nach recht langer Zeit gehen alle ins Bett. Da ich heimlich auf eine drogenbegünstigte, spanisch-feurige Sexparty gehofft hatte bin ich etwas enttäuscht. Doch meine Couch, die einem Belingo-Sitz definitiv vor zuziehen ist, tröstet mich darüber hinweg und ich schlafe schnell ein.

Sonntag, 13. April 2008

Tag 3 - Von KZ-Duschen und billigem Wein

Zwischen zwei osteruopäischen LKWs wache ich nach der üblichen Schafdauer auf und mein Körper schreit nach Hygiene. Die bekommt er 80 Kilometer weiter an einer Tankstelle. Die dotigen Arbeitskräfte können alle kein Wort englisch und meine wenigen Brocken französisch reichen diesmal - im Gegensatz zu den Péagestellen - nicht aus. Nach einer längeren Machtprobe wer als erstes zugibt nichts zu verstehen, gelangen die blonde Kassiererin und ich an den Punkt der Zeichensprache. Mit "Brum-Brum"-Geräuschen, der Imitation eines umschlungenen Lenkrades und der Hilfe einer weiteren Dame hinter der Theke verstehe ich endlich, dass ich zum Duschen meinen Autoschlüssel als Pfand abgeben muss. Herrje... Die Dusche hat zwar KZ-Niveau, dafür aber kein Zyklon-B sondern wirklich warmes Wasser.
Der Mittag gleitet von nun an so dahin. Wieder bin ich gedanklich in Versailles und den Fragen an den Menschen als Spezies. Ich meine, ich hatte nur geduscht. Aber dies war so selten und hatte etwas so spezielles an sich, dass ich davon euphorisiert und völlig entspannt mit konstanten 120 Sachen gen Bordeaux ziehe. Und wenn Paris noch erdrückend und wild war ist Bordeaux ein Hochpunkt urbaner Kultur. Eine homogene, saubere Häuserwelt erstreckt sich entlang eines mir unbekanntes Flusses. Kaufhäuser sind feinfüllig ins Stadtbild eingefügt, eine futoristische Stadtbahn trennt alte Marktplätze in zwei ohne den Anblick zu zerstören und Parkhäuser finden sich passenderweise immer unter der Stadt und den Strassen. Bordeaux ist schlicht; wunderschön. Ich gehe drei Stunden einkaufen. Sonnenbrille, eine Jogginghose, was zu essen und Postkarten gelangen in meinen Besitz. Danach verbringe ich über 1 Stunde in einerm 6 (!)-stöckigen Medienhaus, höre in die neue Liveplatte von Muse, scuhe nach der französischen Band KYO und stöbere - wie so häufig - herum. Und wieder, wie zuvor beim Duschen, wird alles was ich tue besonders. Das ist es nicht, aber es füllt sich so an und das ist gut so.
Hinter Bordeaux rufe ich Amélie an. Sie ist da, hat Zeit freut sich und sagt mir nochmal ihre Adresse in Toulouse durch. Keine 5 Stunden später stehe ich vor ihrer Haustür. Sofort stellen wir fest, dass es jetzt schon vier Jahre her ist, dass sie ein Jahr in Bielefeld verbracht hat. Aber trotzdem hat sich nicht viel verändert. Sie ist immernoch mit David zusammen und auch weiterhin gefühlt süße 120cm klein. Ein kurzes Update über unsere Lebenssituation später kommt David nach Hause. Von nun entwickelt der Abend seinen ganz besonderes Charme. David kann nämlich auch weder englisch oder deutsch. Amélie übersetzt schnell und engagiert und doch entwickelt sich so manche Situationskomik. Desweiteren bestellen wir Pizza, welcheich mit Karte bezahlen muss, da der Bote kein Bargeld annehmen darf (akute Ausraubgefahr). Außerdem ist die Pizza nicht wirklich groß und dennoch schweineteuer, was uns, wie oft an diesem Abend, auf den deutsch-französichen Vergleich bringt. Ob Schulsystem, Gewerkschaften und ihre Art zu streiken oder Umgang mit der eigenen Geschichte. Es fallen Sätze wie "früher haben wir Könige geköpft - heute werfen wir Postsäcke ähnlich aggressiv" (David) oder "Da, guck mal, ein Nazi. Endlich Heimatgefühle!" (ich). Es ist ein wunderschöner, harmonischer Abend. Was umso bemerkenswerter ist, wenn man bedenkt, dass ich Amélie seit 4 Jahren und David erst einmal zuvor gesehen habe. Abschließend leeren wir noch einen billigen Wein aus der Gegend und schließlich darf ich auf der Couch pennen. Glück definiert sich immer über Quantität. je heufiger es auftritt, desto mehr wird es im Empfinden abgeschwächt. Heute ist ein war ein Tag voll Harmonie, Freude, Freuden und Nachmittags schien sogar die Sonne. Heute war ein guter Tag.

Dienstag, 8. April 2008

Tag 2 - Niemand der uns ruft

Nach wenigen Stunden, die zum Aufwachen sehr nützlich sind, bin ich in Paris. Vom Gare du Nord geht es zum Gare de L'est und zurück. Dabei zeigt Paris mir sein hässliches, graues, übel riechendes und hektisches Gesicht. Es ist nicht so, dass ich geplant hatte unter dem Eiffelturm eines Sonderparkplatz zu erwischen und dann bei Sonnenschein und Eis am Stiel durchs menschenleere Louvre zu schlendern. Aber es kommt kein Stimmung auf. Alles tigert für sich, mit Tunnelblick durch die Straßen. Am Horizont reihen sich Ghettoklötze an unbesetzte Besetzer-Baracken. Schließlich parke ich am überraschend überschaubaren State de France und nehme die stinkende Metro nach Versailles. Für diesen Ort habe ich nur ein Wort; Reizüberflutung. Es macht keinen Sinn über dieses Schloß, den garten, die Gemälde, die Schlaf-, Amüsier- oder Anziehzimmer zu erzählen. Sie spotten jeder Beschreibung. Ich bin einfach geplättet. Es schön und so viel davon, dass ich es abgrundtief hässlich finde. Im Jazz ist jede Note genauso wichtig wie jede nicht gespielte. In Versailles gibt es keine Nicht-gespielten Noten. Dieser Pariser Vorort ist so unglaublich und so menschlich. Dieser Überfluss war für alle hier lebenden Menschen normal. Der Mensch gewöhnt sich an alles und nimmt alles was er bekommen kann. Ob Frauen, Mamor, Essen, Wein oder Frauen. Der Mensch ist es Jäger.
In diesen Gedanken gefangen, verpeile ich die Rückgabestelle für mein Rundgang-plumpe-Ansagen-auf-dem-Kopfhörer zu finden und ziehe das Teil ab. Wer also einen akustischen Rundgang durch Versailles machen will, ruft mich an. Zurück am Auto hänge ich mir das Gerät in die Windschutzscheibe. Es ist von nun an mein Runninggag, Privatwitz und Begleiter.
Trotz NAVI verfahre ich mich mehrfach auf dem Weg aus Paris heraus und verbuche das dortige Auto fahren als weiteres Abenteuer.
Ich fahre parallel zum Atlantik etwas mehr westlich gen Süden. Die Strecke ist zwar länger aber mauttechnisch billiger. Meine Odyssee (jaja... eine Odyssee zeichnet sich eigentlich durch Leiden aus... aber das Wort ist trotzdem schön.) erreicht ihren vorläufigen Höhepunkt, als ich in den Sonnenuntergang blickend, die Musik aufdrehe. Nur die Hits werden gespielt. Von Bettina, bis Jimmy. Von Olli Schulz, welcher „mit dem King unten ist“ bis Fatboy Slim. Von der Dynamik Dregd's und alten Rammsteinsachen bis zur dramaturgisch perfekten und sinnlichen Melancholie früherer Slut-Platten. Geigen hängen am Himmel höher als je zuvor und ich fahre ohne es richtig zu merken bis 3Uhr Nachts. Nach 23 intensiven Stunden zwinge ich mich zu ein paar Stunden Schlaf.
Nur einmal Vor dem Einschlafen aber noch einmal mein Lied ...
Sonntag Morgen und vorbei ist die Nacht / Drei Stunden Schlaf und schon wieder wach / Die Augen sind zu und der Körper ist ruhig/ Doch die Stadt schreit laut und sie schreit durch mich durch / Ich habe nichts zu tun mit dem Treiben da draußen / Ich fahre meine Strecken und ich mach meine Pausen / Ich habe Stimmen im Kopf und ich höre sie sagen / Und sie betteln mich an ab in den Wagen / Du weißt wovon ich sing / ... Ich bin grad unten, unten mit dem King
Die Menschen sind wild und im Casting-Wahn / Und das allein ist Grund genug um wegzufahren / Abgesehen von alledem bin ich sonst ganz gerne hierAbgesehen von alledem muss ich nur noch schnell zu [mir]. Jeder Weg hat seinen Sinn / Jeder Weg hat seinen Sinn / Und wir sind unten mit dem King /
Und niemand der uns ruft / Und niemand der uns ruft / Und niemand der uns ruft

Tag 1

Es beginnt besser als erwartet. Der Smart 4x2, den ich bestellt habe ist, ist nicht da. Stattdessen bekomme ich einen grau-hässlichen aber funktionalen Citröen Belingo zum selben Preis. Mit diesem geht es ohne großes Vorgeplänkel auf die A4 Richtung Aachen. Dort fahre ich ins Parkhaus des anliegenden Casinos und streife meinen besten Anzug über. Es ist zwar mein einziger aber es ist auch mein Bester. Im Casino wechsle ich etwas Geld und es geht an den Tisch mit den kleinsten Pflicht-Einsetzen. Was die Leute neben mir aber nicht hindert ihre gesamten Ersparnisse zu setzen. Ob der gescheiterte Telekom-Aktionär mit selbst gestrickter Krawatte, die polnische Edelnutte, die in ein paar Jettons („hier Puppe, setz mal...“) und einer wöchentlichen Freifahrt im 3er BMW des Freundes ausgezahlt wird oder der Sonnenkönig aus Tunesien, der in einer Runde 1500 Euro verliert, dies aber nicht mitbekommt, da er an der Bar gerade einen neuen Drink bestellt. Meine Einsätze sind bedeutet kleiner. Mein Ziel, welches ich mir vor dem Abend gesetzt habe heißt, nie den Spaß zu verlieren. Das klappt hervorragend. Nach einem kurzem Hoch und 48 Euro sinke ich auf 30 Euro. Eine halbe Stunde später erreiche ich durch pures Glück die Bestmarke von 55 Euround gehe erneut eine halbe Zeigerdrehung weiter mit 30 Euro und 10 Euro Minus zum Wagen. Ein guter Start.
Nach 2 Fahrstunden werde ich müde und schlafe 6 Stunden irgendwo, mitten in Belgien. Dabei schlafe ich allerdings 2 mal 3 Stunden. Dann ist jeweils die Wärme aus dem sonst so gemütlichen Belingo gewichen. Eine halbe Stunde Fahrt bei voller Heizungstärke tut was ich von ihr erwarte. Danach die zweite Schlafhälfte.

Montag, 7. April 2008

Tour de Vie - Prolog

Sigmund Freud hat einmal gesagt: „Der Mensch strebt mehr danach Schmerzen zu vermeiden, als Freude zu erfahren.“. Als der alte Pfeilfkopp das sagte, muss er mich im Hinterkopf gehabt haben. Ich bin der personalisierte doppelte Boden oder das fleischgewordene Auffangnetz. Diese, meine Lebensphilosophie, die ich mir nicht ausgesucht habe, hat im Praxistest eindeutig versagt. Jedenfalls die letzten 2 Jahrzehnte. Es wird Zeit für Gegenmaßnahmen.
Ich habe 9 Tage Zeit, eine ausgezahlte Lebensversicherung, die Naivität eines Ostwestfalen, der über zwei Jahre das Meer mehr gesehen hat und die Freiheit eines Zigeuners ohne Familie, ohne Bindungen.
Eine Entscheidung zu fällen und ihr zu folgen ist größer, als in einer Entscheidung richtig zu liegen. Das Sachen packen dauert 20 Minuten, den Gigabyte meines Mp3-Player bespiele ich mühsam und perfektionistisch über eineinhalb Stunden lang. Drei Bücher nehme ich mit. Die Simpsons und die Philosophie, Die Kunst der Filmregie, sowie Der Steppenwolf. Ich werde die nächsten Tage darin keine einzige Zeile lesen, aber es ist ein schönes Gefühl sie dabei zu haben.
9 Tage. Nur ich, mein neues Arminia-Trikot und die Straße. „Das tragische muss verworfen werden nachdem man ihm ins Gesicht gesehen hat – nicht vorher“, hat Camus mal in seine Reisetagebücher geschrieben. Wohin meine Reise geht klärt sich schnell. Es geht nicht in Richtung Zukunft, welche mir schon immer voraus war. Nicht in Richtung Vergangenheit, bei der ich schon zu lange zu Gast bin. Meine Reise ist eine Suche und sie endet am selben Tag, wie sie beginnt. Meine Suche hat ihre Augen geschlossen und liegt am Strand. Meine Suche kann kein Französisch, aber Esperanto. Meine Suche hört sich selbst beim Atmen zu und erklärt dieses Geräusch zum schönsten der Welt. Meine Suche spielt Luftgitarre zum Klaviersolo. Meine Suche sucht. Meine Suche sucht, ohne nach der Spur zu fragen. Meine Reise sucht die Lebensgeister, die ich seit geraumer zeit vermisse. Ganz einfach.Selim Özdogan hat einmal das Leben mit dem Satz beschrieb, dass „es wie fahren sei. Alles ist da. Aber nur kurz.“ Mit diesen Gedanken im Kopf und einem Song von Olli Schulz auf den Ohren schlafe ich ein. Morgen wird ein guter Tag. Auf meinem Weg zum Mond. Auf meinem Weg. Auf meinem Weg...

Im Leid kocht das Blut des Sieges

http://www.youtube.com/watch?v=VrcHy_Vri3g