Mittwoch, 19. Dezember 2012

Das Kinojahr 2012 - Von oben nach unten


Oslo, August 31st
Moonrise Kingdom
We Need To Talk About Kevin
Martha Mary May Marlene
Drive
The Color Wheel
Oh Boy
Shame
50/50
You Instead
Moneyball
Michael
Skyfall
Fraktus
Cosmopolis
Take Shelter
Wuthering Heights
Guilty of Romance
Holy Motors
Hotel Transylvania
Die Unsichtbare
Der Diktator
Jeff, der noch zu Hause lebt
Der Hobbit
The Artist
Your Sister’s Sister
Prometheus
Beasts oft he Southern Wild
Was bleibt
Barbara
Friends with Kids
Seven Psychopaths
The Bourne Legacy
Game Change
Safety Not Guaranteed
Liebe
The Avengers
Der Preis
La guerre est declaree
Cloud Atlas
2 Days in New York
Clip
The Descendants
It Looks Pretty from a Distance
My week with Marilyn
The Deep Blue Sea
Ziemlich beste Freunde
Argo
Robot and Frank
Restless City
Young Adult
Anna Karenia
Best Exotic Marigold Hotel
Töte mich
Katy Perry: Part of Me
Fast Verheiratet
The Hunger Games
Twixt
J. Edgar
Killing Them Softly
The Dark Knight Rises
Ted
Die Eiserne Lady
Rampart
Killer Joe
Unconditional
On the Road
Iron Sky
Familientreffen mit Hindernissen
Wir wollten aufs Meer
Dating Lancelot
The Devil Inside




Dienstag, 21. August 2012

Momente ohne Meta

Vom großartigsten Monat aller Zeiten.

Ein Anfang.
„Am Ende hat man nur drei wirkliche Freunde im Leben!“ Der Typ von Frittenbude ist stämmiger als erwartet. Er trägt Camouflage und wirft immer wieder solch melancholische Sentenzen in die Menge. Kein Hänfling mit Notizbuch, kein Tocotronic mit Mac unter den dünnen Ärmchen. Gut so.
Nach dem ekstatischen Abschluss „Das ist Kunst“ steht der Staub über der Blue-Stage, wie eine nächtliche Korona der Seligkeit, von den Neonstrahlern der Masse um die sandigen Frisuren gelegt. „Ein gutes Leben noch“, ruft es abschließend von der Bühne. Wiebke freut sich darüber, mit gespitzten Lippen, wie sie es häufig tut. Kathleen lächelt mit wachen Augen. Stefan nickt ostwestfälisch. So geht es zur Nachbarbühne, die Beatsteaks haben dort bereits mit ihrer Ausrast-Routine begonnen. Den Endorphinen, den Stimmbändern, dem Schweiß ist derlei Wiederholung routiniert egal.

Also, warum dieser Anfang? Warum nicht London, Hockeyfinale, Olympia-Atmosphäre oder die Beachvolleyball-Regenschlacht? Zwischen Köln, London, Köln, Bielefeld, Leipzig, Highfield und Leipzig gab es viel, die letzten Wochen. Warum nicht der Inder, der mich für einen Italiener hielt; der Engländer, mit dem ich mich beim Volleyball über die Hässlichkeit von Duisburg und die Schmerzlichkeit eines mit Vollspeed geschlagenen Hockeyballs unterhielt; oder nicht der walisische Volunteer, der mich mit glühendem Interesse nach der Eröffnungsfeier fragte und dessen Nationalismus, wie bei vielen seiner Landsleute, ganz knapp davor war, unsympathisch zu werden? Warum nicht?
Die Antwort liegt in dem Allgemeinplätzchen, dass Schreiben nichts anderes als Selektion und gesetzter Präferenzen ist und meiner konkreten Anwendung dieser Annahme.
Warum dieser Anfang? Weil er der gefühlte Kern ist. Das Wesen, das Wesen der letzten Wochen, das alle losen Enden dieses Augusts zusammenhält und -fügt. Dieses Ding, das man manchmal glaubt in den Händen zu halten. Bis es einem in Gedanken an den dazugehörigen Facebook-Post oder in der Vorformulierung dieses Blogeintrag wieder durch die Hände rinnt. In einem sanften, friedlichen Rieseln, wenn die Suche nach Reinheit neustartet. Ja, es sind die kurzen Momente, die das Leben ausmachen. Lachen, Sex, Livemusik. Olympiasiege, Auswärtssiege, Derbysiege. Man bestreitet das Leben rückwärts, den Blick immer dem Gewesenen zugewandt. Nur manchmal, schaut man sich selbst über die Schulter und sieht, was ist. Während ein Blogeintrag nichts anderes ist, als der Versuch, diesen kurzen Blick festzuhalten, ihn ein Wenig in die Länge zu ziehen. Auch jetzt, beim Lesen und Schreiben, nochmal da zu sein. Bei dem 2:1 fünf Minuten vor Schluss gegen Holland, der anschließenden Siegerehrung und ihrer leisen, stolzen Nationalhymne und wie Anna vergnügt und belustigt bemerkte, wie sie nach dem Ausklingen auf der Anzeigetafel immer noch um „Applaus“ bitten. Als ob dies nötig wäre; oder beim 2. Zehnkampftag, als es der Deutsche irgendwie schaffte, seine persönliche Stabhochsprung-Bestmarke mit dem Rücken zur Latte zu verbessern; oder später – die Session war da schon über sieben Stunden alt – ein Chilene und ein Japaner ihm diese Leistung gleichtaten. Gleichzeitig, auf den beiden nebeneinander liegenden Sprunganlagen, innerhalb von zwei Sekunden. Die Journalisten waren da schon längst beim Mittag; oder als mich die hübsche, bisher zurückhaltende Engländerin nach einen grandiosen Volleyball-Ballwechsel abklatschte. Oder auf dem Weg zum Highfield, als Hanna und ich das Abteil unterhielten, in dem wir auf dem Ipod des anderen, die jeweils größte Jugendsünde suchten (und fanden!); oder als wir mit Philip müde im Gras lagen, abseits der Massen, die Augen geschlossen, das dumpfe Geschrammel von Placebo über unseren Köpfen; oder als wir wenige Stunden später wieder bei Kräften waren und Philip im Shuttlebus nach Leipzig die (weiße!) Gitarre raus holte und der ganze Bus sich heiser durch die Hits schmiss, von „Lemon Tree“ bis „Wonderwall“; oder die Wasserschlachten, Buddy Ogün, stundenlang Simpsons-Zitate oder oder oder. 

Es ist einfach zu viel passiert, in diesem Monat, um den Glauben aufrecht zu erhalten, man werde dieser Reizüberflutung in einem Text Herr werden. Also, ein Überthema. Drei Freunde, behaupten Frittenbude. Mehr nicht. Zuvor spielten auf derselben Bühne die Wohlstandsopfer von Kettcar. Ich sehe sie zum vierten Mal, zum ersten Mal gut gelaunt. Nach ihrem „Danke der Academy“ läuft wieder diese Tonspur aus Fight Club. Von den portionierten Freunden, die man in Flugzeugen oder an Hotelbars trifft, ist in dem Film die Rede. So wie stolze Volunteers beim Beachvolleyball und gutgelaunte Bikini-Mädchen am Eingang zum Badesee des Highfields. Es ist die Sichtweise auf diesen Zustand, der entscheidet. Und die Umstände. Denn, um mal in dem Rollfeld-Bild von Fight-Club zu bleiben, portionierte Freunde sind bereichernd, solange da noch jemand hinter der Gepäckausgabe auf einen wartet, der es wert ist. One-Night-Stands sind super, solange sie nicht für Nähe gehalten werden. Spaß mit vorbei gelaufenen Animateuren ist großartig, solange man es nicht als Betrug erlebt, wie die Launemacher, die gleichen Gags im Rucksack, zum nächsten Zelt aufbrechen. Olympia, London, Festivals sind besonders, Außnahmen. Aber wirkliche Größe erhält die Besonderheit doch immer erst im Trott, in der Gewissheit, dass man sie teilt, teilen kann. Oder schlicht in dem Bewusstesein ihrer Seltenheit. 
Natürlich ist der Facebook-Post nicht das Glück und es besteht auch eine Gefahr, ihn dafür zu halten. Aber erst im Ausdruck von Glück kommt man ihm näher. Olympia ist nur alle vier Jahre. Und es wird auch wieder Monate geben, in denen es in den falschen Momenten regnet, eine Bewerbung nicht erfolgreich ist oder Arminia mal wieder ein Spiel verliert (unvorstellbar, ich weiß...), aber dann ist es gut, dass da Leute sind, mit denen ich diesen August 2012 oder sonst etwas zurückholen kann. Indem man sich von diesen Momenten erzählt, in denen man an nichts dachte, nicht mal kurz, nicht mal an die Möglichkeit, anderen von diesem Moment zu erzählen.
Letzte Woche schrieb mir Marko, er habe nun Prometheus gesehen. Er machte einen feinen Insider darüber und lud zum Gedankenaustausch. Auf Zwischenstation in Köln schob ich den Film noch schnell dazwischen, nachmittags, vor einem Feierabendbier mit Michaela. Die Aussicht auf eine baldige Diskussion als Antrieb. Am selben Tage rief mich Mittags Patrick an und fragte, ob ich mit auf eine WG-Party wolle. Man denkt aneinander. 

Jetzt sitze ich im ICE nach München und freue mich auf mein eigens Bett und einen Briefkasten voller Orga-Scheiß. Und eben auf das nächste Bier im GAP. Arminia spielt bald in Unterhaching. Ende des selben Monats trifft sich die Gang aus Geburtstagsgründen wiedermal in Bielefeld. Und im November in Leipzig. Immer auf der Suche nach der gesunden Mischung aus ungebrochenen Momenten der Euphorie und dem freudigen, naiven Versuch, ihrem Naturgesetz der Vergänglichkeit seine Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit entgegen zuwerfen.             



Mittwoch, 11. Juli 2012

Filmfest München – eine Hierarchie

The Color Wheel – Stell dir den besten Woody Allen vor, den du je gesehen hast – nur mit dem Unterschied, dass der Regisseur diesmal seine Figuren ernst nimmt. Dazu die Co-Autorin und Hauptdarstellerin Carlen Altman, in dessen Augen sich das Meer auftut. Dialoge, die zwischen ultrafies und ultrakomisch alles sind, was sie sein möchten und Alex Ross Perry, der das Selbstbewusstsein hat, sich selbst zu spielen und dabei all seine schlechten Seiten souverän in den Ring wirft. Stil ist immer auch ein Bekenntnis zur Schwäche. Eine Festival-Perle. 
  
Oh Boy – Berlin, Sample einer Großstadt. Oder: Die Suche nach einem Kaffee, schwarz. Die Orientierungslosigkeit, die die grenzenlose Freiheit der Urbanität mit sich bringt, wird in momenthaften Bildern hofiert. Um ihre Dramtik abzuschwächen und sich einzuverleiben, als Ausdruck von Ruhe und Verständnis. Von Jan Ole Gerster als umsichtiger Bilder- und Personenreigen zu beiläufigem Jazz inszeniert. Du kriegst mich nicht klein, Welt! Das bin ich bereits. Da ist der großartige Humor fast beiläufig zu nennen, wenn zum Beispiel der Schmieren-Darsteller in Nazi-Chic und mit Banane aus dem Trailer steigt. Und, bevor es vergessen wird: Ulrich Noethen!  

Your Sisters Sister – Rosemarie DeWitt, I would kill for you! Mark Duplass, auf ein Bier! Oder zwei! Oder drei! Ein Film, wie eine Wolldecke. Ein Film, der immer weiß wann er vor die Tür muss, um sich abzukühlen. American-Indie, auf dich kann man noch jedes Jahr zählen.

Wuthering Heights – Vor und nach der Aufführung ist Andrea Arnold pure Energie. Ihr Film pure Elegie. 137 Minuten gespenstisches Wabern durch Matsch und Kälte, und nie langweilig. Dafür sind die Gesten zu fein, die wenigen Worte zu schwer, der Nebel zu dicht, die Tiere zu wild, zu existenziell. Manche Filme will man gleich danach nochmal sehen und nochmal. Diesen schließt man in sich ein, er soll dort ein paar Jahre anwachsen. Bis dahin schauen wir mal – zum Beispiel "Fish Tank" oder "Red Road". 

Holy Motors – Die erste halbe Stunde ist vielleicht das größenwahnsinnigste seit Being John Malkovich. Dann wird es etwas zu trüb, vielleicht auch etwas zu rational. Aber allein die Grundidee entschädigt für alles! Ein Film zum durchdringen, nicht zum analysieren. Wer allerdings nach reiner Erkenntnis strebt, der gehört ins Theater, wo man sich vor der Vorstellung keine „Gute Unterhaltung“ sondern eine „anregende Vorstellung" wünscht.

Friends With Kids – Authentizität ist so eine Sache. Schöne Menschen, schöne Bilder, schöne Dialoge, schönes New York, schön viel Geld. Winzige Probleme und seltsame Lebenslogiken. Dating und Beziehungsmuster, die Barney Stinson nicht als Parodie verstehen. Amis, halt. Aber warum zur Hölle, sollte man einem Film dies vorwerfen, wenn er doch in diesem Bewusstsein daher kommt. In dem Wissen um seinen gesegneten Ausschnitt New-Yorker-Upper-Class an Überzeugung gewinnt, indem er sich um nichts als sich selbst kümmert. Will ich, dass eine der Figuren ihren Job verliert? Oder beginnt, Frösche über die Straße zu tragen, um damit ihr Gewissen zu beruhigen, weil sie sich die Nespresso-Maschine nun mal leisten kann. Nein, im Taxi weinen ist legitim. Da kann man die letzten fünf, ziemlich dämlich geratenen Minuten verschmerzen. Schließlich gabs zuvor so tolle, ja authentische Sätze wie: „Manhatten is the new Manhatten!“ 

Beasts Of Southern Wild – Heimat, Kindchenschema und Rucksäcke voll Pathos. Manchmal vielleicht etwas zu ritterhaft, aber das soll dem Farben- und Formenspiel keinen Abbruch tun, das in den schönsten Soundtrack der Woche gehüllt wird.   

Safety Not Guaranteed – Manchmal sind die Sidekicks etwas zu formal, die Gags zu sauber und die Trennlinien zwischen Komit und Tragik zu klar. Spaß macht das ganze deswegen nicht weniger. Und nochmal: Mark Duplass, auf ein Bier. 

Clip – Eine wunderbare Themenverschiebung: Nicht Sex ist Ausdruck von verhinderter Liebe, (so wie im prüden Deutschland: Little Thirteen) sondern Sex, gerne auch derbe, bringt den Damen und Herren ihrer gengenseitigen Zuneigung näher. Sex ist gut. Und Punkt. Die (serbische) Generation YouPorn hat Probleme, aber die liegen nicht im Orgasmus. Selbst wenn familiären Nebenschauplätze dabei beliebig geraten. 

2 Days New York – Klischees  funktionieren – als Gagfläche. Vincent Gallos Gastauftritt ist dabei eine kleine, feine Überrschung. 

Side By Side – Martin Scorsese ist wohl der weiseste Mensch der Welt! Mindestens. Und auch für den Rest gilt: Es macht Spaß, gesegneten Menschen dabei zuzuhören, wie sie einem die Welt erklären. Dabei aber eigentlich mit jedem Statement sagen: Danke, es geht mir gut.

Pusher II – Mads Mikkelsen kann sehr traurig gucken. Wann immer aber bei Refn Musik läuft, zieht er durch und alles mit. Der Däne macht Filme wie Kraftwerke. Völlig entladen tut es sich nie. Gut so. 

It Looks Pretty From A Distance – Die Bilder sind sich ihrer Bedeutsamkeit (zu) sehr bewusst. Die Tiefen, die in ihnen liegen sollen, sind deswegen immer etwas im Nachteil. Gemessen an meinen (über-)hohen Erwartungen, eine leise Enttäuschung. Der Trailer war zu überwältigend. 

Pusher – Witzig. Sehr Witzig zu Beginn. Dann prügeln sich die Archetypen. Refns nächster Film zeigt Ryan Gosling übrigens beim Straßen-Boxen in Thailand. Pack das Zelt und die Kühlbock ein, es geht ins Kino!

The Deep Blue Sea – Inhaltsangabe: Frau weint, Frau raucht, Frau hört es singen, Frau raucht, Frau weint, Frau steht am Fenster. Die Pflicht zur atmosphärischen Dichte oder zur betonten Langsamkeit unterdrückt zuweilen ihre Figuren. Das sind dann keine Dialoge mehr, sondern eher so etwas wie "Reden-Pause-Gucken-Antworten-Pause-...". Aber auch Melodrame brauchen Timing. Wobei, irgendwie schaut man nie auf die Uhr, und auch die Sitznachbarn stellen irgendwann ihr Reden ein, sie schauen wirklich zu. Vor allem in einer wirklich schönen Szene, wo die britische Bevölkerung auf den U-Bahn Gleisen liegt und die deutschen Bomben mit einem Volkslied übertönt. 

Twixt – Coppola hat Humor. Erst in seinen Anfangsbildern, dann wird’s trashig und schließlich glaubt man, dass ist alles Absicht. Finanziert von einem der teuersten Weine Amerikas.  

Robot And Frank – Susan Sarandon hat Charme, Liv Tyler nicht. 

Restless City – Bin eingeschlafen. Lag aber nicht nur am Film, der etwas zu angestrengt versucht, sich mit seiner Schulterzuck-Coolness zu profilieren. Trotzdem: Mea Culpa.  

360 – Was passiert, wenn man die Welt sehen will und dann die Shampoo-Pröbchen in den Hotelzimmern für das Weltkulturerbe hält?! Richtig, ein Film, der mit flachen Figuren um Bedeutsamkeit fleht und es als Erkenntnis verkauft, dass Sex und Liebe universelle Themen sind. 

Killer Joe – Dumme Figuren, wahnsinnig dumme Figuren. Sind die alle scheiße, wow! Und dann diese seltsame Gewaltversessenheit, die weder schön noch originell noch einprägsam noch durchtrieben ist. Es bleibt nichts von diesem Film. Ok, ja, der Hühnchenblowjob... auch schön langgezogen. Aber, ach, ich sag wie's ist: Matthew McConaughey nervt! 

Rampart – Wer den großartigen „The Massenger“ gesehen hat, wird fluchen und weinen wie meine Wenigkeit. Was ein Absturz, in einer beliebige Ansammlung narrativer Konventionen. Was sind die auch alle wieder gemein zueinander. Da hilft es auch nicht, dass jeder dämliche, übergroße Dialog möglichst kreativ aus allerlei Winkeln abgelichtet wird. 

Unconditional – Ein Film für Menschen, die zeigen möchten, wie tolerant sie sind. Wie Oscars für Nazi-Filme, nur halt mit Schwulen. Mies gespielt und dann seltsam einfältig. 

Wir wollten aufs Meer – Aufsatzthema: Wenn deutsches Kino versucht, Hollywood zu sein und dabei auf die Nase fällt. Weil wieder alles was es (eigentlich gar nicht) braucht, in einen Topf braver Ästhetik geworfen wird: Ost-West, Freundschaft, Verrat, Rollstühle (=böse Stasi!), Schnurrbärte (=ganz böse Stasi!), dreckige Gesichter (=ehrlich!), das Meer (=Sehnsucht!), die Familie (=Hoffnung!) und Hans Zimmer für einfallslose Produzenten. Und mal unter uns Gutmenschen: Spielt Ronald Zehrfeld eigentlich auch mal jemanden mit Fehlern?!

On The Road – Oh, wir haben keine 6 Stunden Zeit, wollen aber nichts aus dem Buch raus nehmen. Dann einfach in jeder Szene vorne und hinten was abschneiden und raus kommt eine Ansammlung an Städten (immer schön in der Bauchbinde zu lesen), anteilslosem Schauspiel, verschenkter Gastauftritte (Steve Buscemi lässt sich kurz in den Arsch ficken und wird dann an der nächsten Raststätte angebunden) und kaum zu ertragender Carpe-Diem-Albernheiten. „Auf das Leben“ rufen sie alle 20 Sekunden und klauen einem damit über zwei Stunden Lebenszeit. Immerhin, Kristen Stewart: nackt. 

Le Skylap – Wer hat den Franzosen eigentlich erlaubt, sich selbst zu feiern?! Wo sie doch weder Stil noch Tragik haben, die es wert wären, damit 2 Stunden voller Zeit-Bilder (Deleuze, geht immer!) zu füllen. Immerhin konnte ich mir in all dieser nervigen Scheiße erschließen, warum es "Apocalypse Now" in den Film schafft. Wie auch schon in "2 Days New York" - Frau Delphie hat wohl nicht viele Filme gesehen, so dass sie immer auf den gleichen anspielen muss. Eine Einsicht: „The Horror! The Horror! The Horror!“

Sonntag, 20. Mai 2012

Sterblich verliebt


 19.Mai 2012 - Gedanken zum Verlieren

Das Westend ist still. Ein Trott Rot-Weiß schleicht vor sich hin, den Kopf zum Boden, die Füße gen Zentrum gerichtet. Reden tun nur jene, die sich an ihrem Handy festhalten müssen. Ein paar streichen über ihr Smartphone, in der Hoffnung Wärme durch Elektrizität ersetzen zu können. An der Dönerbude studiert einer einen Aushang, wieder und wieder. Ein anderer sitzt an der Tramhaltestelle und blickt in seine Handinnenflächen. Einer weint. Ein Trauermarsch, Wut fehlt.

Es gibt ein Muster in meinem Leben. Nicht die geteilten Freuden sind es wert, es sind die geteilten Leiden, die man sich gegenseitig abnimmt und in diesem Akt einen Moment der Erhabenheit gewinnt. Einen Eigenwert. Dass ist wohl auch dem Mangel an Alternativen geschuldet, wenn man, sagen wir, von Arminia Bielefeld alles Wesentliche des Leben beigebracht bekommen hat. Doch ganz gleich wie sensibel man für Derartiges ist: Es liegt Schönheit in der Niederlage.

Natürlich ist München keine Stadt, die solchen Emotionen ihre Aufwartung macht. Sie ist das Gegenteil. Münchner sind das, was man, ohne Abstriche, wohlbehütet nennt. Sie leben den Luxus des Geldes und der Unwissenheit. Sie wissen um die Vollkommenheit ihrer Heimat. Ein Wissen, das selbstredend nur aufrecht gehalten werden kann, wenn man seine Stadt nie verlässt. Münchnern geht es gut und sie erlangen ihren Charme und ihre Anziehungskraft daraus, dass man sich gerne in ihrer Beseeltheit sonnt, möge doch etwas davon auf einen selbst abstrahlen. Nur wenn der Münchner sein Glück als Tugend oder eigene Leistung herausstellt und gar behauptet, ohne Abstriche, vom Schmerz der Anderen, der Zugezogenen, der Fremden zu wissen, ist er arrogant und ungenießbar. Philipp Köster hat den feuchten Traum eines Bayern-Fans mal darin gefunden, dass er nichts mehr will, als einmal abzusteigen. Damit er auch mal leiden kann, wie die anderen. Damit man nicht mehr belächelt wird, wenn man von Barcelona '99 erzählt. Ganz gleich wie zum Beispiel Markus Kavka dies vermag, wenn er berichtet; er und seine Mannen wären damals die ganze Nacht heulend und apathisch durch die katalanische Hauptstadt gezogen. Sie hatten vergessen, wo ihr Hotel lag und waren zu kraftlos danach zu fragen.

Tausend voran gegangene Momente des Glücks mildern den Moment des Unglücks nicht. Schmerz ist immer akut – und nie relativ. Dabei hatte der Abend alles. Das Blondchen vor dem Mikro der Theresienwiese hatte so wunderbare Dinge gerufen wie: „Manuel Neuer – der Mann, der alle Tore hält“. Hätte er mal alle Bälle gehalten. Ich hatte Mittags mehrfach getönt Müller wurde das Spiel entscheiden und getippt hatte ich – schwarz auf weiß – 1:0. Morgens las ich den Sportteil komplett, lief mit der Spezi unterm Arm durch die Isarvorstadt, hörte Fleet Foxes dazu und erklärte ein paar zutraulichen Londonern am Sendlinger Tor den Weg zum Hauptbahnhof. „Good Game“, rief ich ihnen nach, sie lächelten.
Dass dann – natürlich! – Drogba die Sache aus ihrer einfachen Schönheit, ihrer schönen Einfachheit riss und sie mit dem Kopf in eine Badewanne voll Tragödie drückte, ist unvermeidlich, wenn man von der Ungerechtigkeit erzählen will.

Auf dem Weg zur U-Bahn ist es immer noch still. Ich lasse The Notwist sprechen: „Fail with consequence / Lose with eloquence and a smile. Das Lächeln bleibt aus. Ich schreibe eine SMS und finde meine Worte bei Matthäus, 5, 45: „damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“
Antwort: „Sport ist wie das Leben. Unfair und beschissen.“
„Am Ende des Tages versuchen wir auch nichts anderes, als die Illusion aufrecht zu halten, dass dem nicht so ist“.
„Ach, weißt du, Sport ist eigentlich viel beschissener als das Leben.“
„Sport ist konzentriertes Leben: Die Höhen sind höher, die Tiefen tiefer.“
„Ich fand deine Sportanalogien schon immer scheiße!“
Dann will ich nochmals antworten, aber mein Sitznachbar schläft auf meiner Schulter ein. Ich will ihn nicht wecken. Auf dem Weg von der Haltestelle nach Hause, erblicke ich einen älteren Herrn auf einer Parkbank. Er guckt wie alle: leer. Aber es ist eine Münchner Leere, meine ich zu erkennen. Kein Blick geht zum Himmel, kein Bedauern über diesen Moment hinaus. Die SZ wird noch in der Nacht die Parallelen zu Barcelona ziehen. Journalistischer Rationalitätszwang. Schmerz ist akut. Er verortet sich nicht historisch. Aber er wirft sich gerne, in, sagen wir Bielefeld, in die Allgemeingültigkeit. Nicht schon wieder, sagt man dann, und fragt nach Flüchen und begangenen Sünden.

Nicht so in München. Da sitzt man da, ist traurig und nichts als traurig. Das Spiel war gut zu dieser Stadt. Sie muss sich nicht von ihm verfolgt fühlen. Und wenn der Münchner mal wieder ungenießbar wird, helfen einem diese Momente, ihn wieder als Menschen wahrzunehmen. Dann fliegt das Neid und die Distanz des Außenstehenden, des Zugezogenen aus der Kurve. Das Rot-Weiß dieser Stadt wird noch ein paar Tage brauchen, auch die EM steht jetzt leider unter keinem guten Stern mehr. Aber sie wird darüber hinweg kommen, wie man so sagt. Vielleicht ist es auch nur mein Muster, meine Neurose, meine Lebenshilfe im Leid Schönheit sehen zu wollen. Aber Gestern war der Tag, an dem zwei Welten zusammen kamen: die des Leids und die der Heimat. Gestern, habe ich Zugezogener - der ich immer bleiben werde, und womit ich mittlerweile auch meinen Frieden habe - tief in die Augen dieser schönen Stadt geblickt. Gestern habe ich mich in München verliebt.  

Montag, 23. Januar 2012

Ein Tor ist ein Tor ist ein Tor

Vom Fußball und den Frauen und gleich dem ganzen Dasein Mensch

Das Symbol

Das Leben ist nicht mehr als eine Collage von Symbolen. Ein Strauß Blumen, ein Mixtape, ein Ring: Zuneigungsbekundungen. Zuneigung selbst gibt es eigentlich gar nicht. Es gibt nur einen Code für diese Empfindung. Ein Bündel Handlungen, die für etwas stehen, dass man allgemeinhin als 'Zuneigung' bezeichnet. Das Symbol tritt an die Stelle dessen, was es ausdrückt. In jedem Lebensbereich gibt es diese Codes. Und wenn man meint, sich irgendwo auszukennen, nennt man sich nicht selten „erfahren“. Oder umgekehrt: Erfahrungen machen, ist nichts anderes, als sich Codes eines bestimmten Bereichs anzueignen, sie für sich zu nutzen, sie anzuwenden, zu variieren. Es gibt Bereiche, da fällt dieser Prozess schwerer und demnach dauert er länger, wie zum Beispiel im Paarungsverhalten. Man könnte auch das gesamte Leben als ewigen Aneignungsprozess von Codes und Verhaltensnormen begreifen. Menschen am Ende ihres Schaffens nennt man auch nicht selten "lebenserfahren". Doch manche Bereiche bestechen durch ihre Einfachheit. Es gibt einen Ort, wo man keine Vorkenntnisse braucht.

Der Fußball hat den Vorteil, dass er nie etwas anderes sein wollte als ein Symbol. Fußball ist konzentriertes Symbol, also konzentriertes Leben. Er erzählt von den Dingen, die wir Sieg und Niederlage nennen, gut und schlecht. Das tut das Paarungsverhalten auch, nur distanzierter. Eine 0:5 Heimpleite nennt sich bereits so, während sie oder er einfach nicht zurückruft. Aber warum nur? Wohl nur der Handykosten wegen.

Fußball ist deutlich. Mit dem Abpfiff sind die Dinge klar. Ein Tor ist ein Tor ist ein Tor ist ein Tor ist ein Tor. Häufig geht es im Leben darum, zu erkennen, was richtig und was falsch ist. Im Fußball nicht.

Die Fantasie

Zu behaupten, der Mensch lebe in der Realität, in der es solche Kategorien wie richtig und falsch gibt, greift zu kurz. Der Mensch versteht sich in Rollen, funktioniert in der Fantasie, lebt im Vorstellungen und Befürchtungen. Das ist wie Sex. Ein Zustand der völligen Abkopplung eines als Realität empfundenen Zustands. Sex funktioniert ja immer nur dann nicht, wenn er in die Realität zurückkehrt. Wenn irgendwas nicht stimmt, man sich schlagartig daran erinnert, was man hier tut, wenn man sich plötzlich wieder selbst beobachtet, sich selbst bewertet. Wenn man bemerkt, dass man gerade Sex hat, fällt er in sich zusammen. Männliches Versagen wird medial meist mit Stress, also übermäßiger Ablenkung verbunden. Der Mann wird also von der Realität, von den Dingen seines Lebens, immer wieder in dieses zurückgezogen. Er kann der Realität im Sex nicht entfliehen und kann ihn deswegen nicht praktizieren. Eine – sicherlich unterbewusste – Wahl hat der Mensch überall in seinem Leben. Sogar im Sex. Will ich die Dinge glauben, will ich mich in diesem Zustand verlieren. Man hat eine Wahl zu treffen, überall. Im Bett, aber zb. auch im Theater, in der Kunst, im Suff, unter Freuden.

Eine solche Wahl bietet der Fußball nicht. Seine große Stärke! Der Fußball hat keinen höheren Zweck als das eigene Bestehen. In einem Fußballstadion gibt es bestimmte Fragen nicht. Es gibt Tatsachen. Sieg, Unentschieden, Niederlage. Tor, kein Tor. Und deswegen funktioniert dieser Sport so gut. Weil man sich über das Erlebte nicht verständigen muss, kann im Fußball Gemeinschaft entstehen. Die Frage „Wie fandest du es?“, wie wir sie nach dem Theater stellen (manchmal wird diese Frage im Theater auch gerne nach dem Sex gestellt). Die Frage „Wie geht’s dir damit?“, wie wir sie nach zwischenmenschlichen Verwirrspielen stellen. All diese Dinge gibt es im und nach dem Stadion nicht. Die Vorstellung bei der Heimkehr von einem Auswärtssieg gefragt zu werden, wie es war, mutet seltsam bis unglaublich an. Es gibt nur eine zu klärende Info: Wie haben sie gespielt?

Der Rausch

Diese Eindeutigkeit, die Gewissheit, dass es dabei keine zwei Meinung gibt, also die Möglichkeit der Subjektivität des Nebenmanns, ermöglicht eine andere, wunderbare Sache: den Rausch!

In Little Miss Sunshine heißt es: „Happyness only real when shared“. In Up In The Air heißt es: “Remember the best moment of your life. Were you alone?” Der Mensch ist ein Herdentier. Er strebt nach Verbundenheit. Das Gleiche fühlen wie der Andere, im gleichen Moment. Rausch ist Verbundenheit. Zugespitzt: Rausch ist der Gipfel menschlichen Daseins! Und das 1:0 in der 91. Minute ist purer Rausch. Es ist zum Einen ein klares Ja, ein gehobener Daumen, ein erfolgreiches Bewerbungsgespräch, ein Sie-liebt-mich-auch! Ausrufezeichen! Und kein „Wir sehen uns“, bei dem man nicht weiß, ob die hübsche Dame mit Ausschnitt, dass jetzt sagt oder meint.

Zusätzlich erlebt man solche Momente nie allein. Im Stadion liegt das in der Natur der Sache. Aber auch am heimischen Radio hat man Leute um sich. Den Moderator, den Vater, der anderorts ebenfalls mithört oder man über den Zwischenstand SMS-technisch in Kenntnis setzt. Die Menschen, die man im Stadion jubeln hört, die Spieler selbst oder auch nur die fiktionale Masse an Gleichgesinnten. Die sind nämlich alles andere als abstrakt, sie sind eine Erfahrung. Somit ermöglicht der Fußball eine Fülle an elementaren, ungebrochenen, kollektiven Erfahrungen. Mit dem Vorteil, dass man sie zwar ungebrochen erleben kann, sie sich aber nicht aneignen muss. Um die Schönheit eines, sagen wir, Theaterstücks zu erkennen, muss man hingegen schon eine Menge solcher gesehen haben. Zumindest macht es die Sache meist leicher.

Fußball macht dich glücklich, er macht dich traurig. Er ist schön, er ist häßlich. Er gibt Hoffnung, er gibt Missmut. Aber vor allem Hoffnung. Das ist wie mit den Frauen. Wie heißt es in Nick Hornbys Fußball-Bibel Fever Pitch: "Ich verliebte mich in den Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden“.

Die Angst

Der Fußball inspiriert zum Weitermachen. Das spirituelle dieses Sports liegt in der Tatsache, dass er kein Ende kennt. Es wird im Fußball nicht mitgedacht. Das nächste Spiel kommt immer. Es wird vielleicht kein gutes sein, aber es wird da sein. Wie ein Gottesdienst, ein Gefühl oder ein Atemzug. Man muss bei diesem Sport – um in der auch von mir schon ziemlich abgenutzten Analogie zu den Frauen zu bleiben – nie Kraft darauf verwenden, sich davon zu überzeugen, dass da doch mal jemand kommen wird, der sich für deine armseelige Blenderhaftigkeit interessiert. Unsicherheiten, ob er oder sie die richtige ist oder ob er oder sie das auch so empfindet, hat der Fußball nicht. Nochmal Hornby: „Du suchst dir deinen Verein nicht aus. Er sucht sich dich aus“. Nein, der Fußball ist die ultimative Geliebte. Er lässt dich in Ruhe, wann immer du möchtest und ist immer da, wann immer du Zeit und Verwendung für ihn hast.

Er lehrt dich den souveränen Umgang mit der Niederlage und das ehrenhafte Verhalten im Sieg. Er lehrt dich, dass du damit nie allein bist. Die größte und weltweit einzig erstzunehmende Fußballhymne trägt den Namen „You’ll never walk alone“. Und wenn man, so wie ich, die Einsamkeit als die größte menschliche Angst begreift, ist dies ein wirklich schöner Gedanke. Da kommt man nach Hause und es wartet jemand auf einen. Da geht man aus dem Haus und er ist schon da – und man wird ihn nie leid. Das ist Fußball.

Die Hoffnung

In A Single Man heißt es: „Es gab in meinem Leben wenige Momente eindeutiger Klarheit. In denen man nicht dachte, in denen man gar nicht merkte, dass man fühlte. Von diesen Momenten habe ich gelebt und gezehrt.“ Der Fußball stellt diese Momente bereit. Momente völliger Klarheit, in denen einem wildfremden Menschen um den Hals fallen. Oder Momente, in denen einem der Himmel auf den Kopf fällt und du dich fragst, wie beim schlechten Sex, was man hier eigentlich gerade macht. Wenn es nach 30 Minuten schon wieder 0:3 steht. Dann sagt man sich „da geh ich nie wieder hin!“, schläft eine Nacht drüber und ertappt sich selbst bei der nächsten Gelegenheit wieder in der Hoffnung. So wie man nach einer schlechten Liebe irgendwann doch wieder in der Disko steht und in den Augen der hübschen Dame an der Garderobe seine Zukunft sieht. Es ist die Hoffnung auf den nächsten Rausch, die uns zu Menschen macht. Mit der nächsten Frau wird alles super. Mit dem nächsten Stück kommt die Erleuchtung. Mit dem nächsten Spiel kommt der Auswärtssieg, die Meisterschaft. Immer wieder.

Dienstag, 17. Januar 2012

Das Selbst und das Mitleid

Auf der Türschwelle.
„Möchtest noch du etwas sagen?“
„Nein.“
„Ich würde mir wünschen, dass du etwas sagst.“
„Warum?“
„Ich weiß nicht, sag irgendwas. Sag, dass ich nerve, dass ich ein weinerliches Opfer bin, dass dich mein Selbstmitleid anödet, dass ich dich in Ruhe lassen soll, dass du dich verliebt hast, dass du von jemanden schwanger bist, dass du schwanger warst, … was weiß ich.“

Wenn es ein Gesicht gibt, das keinen Ausdruck hat, dann war es ihres in diesem Moment.

„Verstehst du denn gar nicht, was das hier ist?“
„Ich glaube nicht, ich bin mir nicht sicher.“
„Ich will doch nur irgendwie das Gefühl haben, dass ich irgendeinen Einfluss auf dein Leben hatte, dass nach mir einfach nicht alles so weitergeht wie vor mir.“
„Warum ist dir das so wichtig?“

Die Frage brachte ihn aus dem Rhythmus. Er verstand sie nicht mal richtig. Aber sie klang eben auch nach leichtem Interesse, was ihm einen winzigen Moment der Wärme schenkte.

„Eitelkeit?“ Er hatte sich den Reflex antrainiert, in Momenten der Schwäche mit entwaffnender Ehrlichkeit zu reagieren. Die, ob seiner hängenden Schultern, mit der er sie meist vortrug, nur selten so wirkte, wie erhofft. Eigentlich funktionierte sie nie.

„Das 'Jetzt' ist doch bei uns völlig egal.“ Sie klang noch mitleidiger als sonst schon. Er hingegen wollte einfach nicht so tun, als ob er stark oder gar der stärkere von ihnen beiden sei. Ein solches Armdrücken verliert man gegen Frauen immer. Da sprach er aus Erfahrung zu sich.

„Ich will das einfach. Ich will etwas sein! Und ich werde nur etwas, wenn ich es in anderen bin. Alleine Lachen ist scheiße! Ich will, ich… scheiße!“ Es wurde kurz ruhig, aber beide sahen, nicht nur an seiner Mimik, die nach neuen Worten drang, dass er gleich weiterreden würde: „… ich hab dir doch Mixtapes nur aus zwei Gründen gebrannt. Entweder sollst du an mich denken, wenn du sie hörst. Oder du sollst sie nicht anhören, weil du sonst an mich denkst. Verstehst du? Ich muss nicht in dein Leben zurück. Ich muss auch nicht hören, dass du wegen mir unglücklich bist. Hör das Tape und mag es, erinnere dich, gut oder schlecht, aber erinnere dich, bitte.“
„Ich höre dein Tape nicht.“
„Aber nicht weil du sie nicht hören willst, sondern weil sie dir nicht in die Sinn kommt.“
„Mag sein.“
„Und das ist scheiße!“

Sie zog, etwas verlegen, die Augenbraun auf. Ein treffende Geste fand sie nicht. Sie war überfordert, für sich einen gelungenen Tonfall zu definieren. Sie wusste nicht viel über die Situation. Sie wusste nur, dass sie – genauso banal wie das klingt – keine Lust mehr auf sie hatte.

„Ich kann nichts für dich tun, befürchte ich.“
„Ja…“ Er überlegte zu gehen, hatte dann aber noch einen Gedanken, der seiner Ansicht nach zu ehrlich klang, um nicht ausgesprochen zu werden: „Ich glaube, wir beide, wir waren zu gut. Wir waren zu sauber. Alles war sauber zwischen uns, bis zum eben gar nicht bitteren Ende. Und das nervt.“
„Was sollte einen daran nerven?“
„Liebe… ok… Beziehungen sind nicht sauber. Nie. Verdammt, sie sind immer tragisch. Wenn Hoffnung erlischt ist das immer tragisch. Und wenn du nichts Tragisches an oder in dir hast, wenn du zu allem souverän bist, verletzt du mich damit mehr, als wenn du mich hassen würdest. Du gibst mir das Gefühl, dass ich ein Nichts bin. Für dich. Du …“ Er wusste nicht, was er noch sagen wollte. Er trat einen Schritt zurück. Hatte er gerade wirklich den Begriff 'Erlöschen' benutzt? Oh, verdammt!


„Es tut mir leid, aber … es tut mir leid, dass ich dich mit meinem Verhalten verletzte.“ Dieser Satz war ihr zu bürokratisch. Aber es war ok. Nochmal: „Es tut mir leid.“
„Nein, tut es eben nicht.“ Er drehte sich um, so schnell er konnte.

Das Geräusch der Tür, die bestimmt ins Schloss fiel, trieb ihm das Leid der Einsamkeit durch die Glieder. Auf dem Bordstein angekommen, begleitete "Damian Rice" mittlerweile die Szenerie. Er steckte die Hände in die Taschen seiner Markenjeans und den Kopf zwischen seine Schultern. Er merkte, wie er sich selbst in dieser Haltung beobachtete. Da gab es ihn, sein Selbstmitleid und sein Unglück. Und es gab ihn, seine Rechtfertigung, seine Unsicherheit. Die bittere Frage, ob er überhaupt ein Recht zu dieser Haltung habe. Er stand immer noch auf dem Bordstein, das Auftreten kaum verändert und fragte sich also, ob er diese Haltung nun annehme, weil sie ihm entsprach oder ob er sie nur annehme, um sich selbst zu zeigen, dass sie ihm entsprach. Dann sah er vor seinem geistigen Auge, sie das Fenster öffnen und ´zu ihm etwas versöhnliches auf die Straße zu rufen. Es war also beantwortet: Er nahm diese Haltung an, um sich selbst zu zeigen, was er da wieder mache.

„Wie lange habe ich eigentlich nicht mehr geheult?“ fragte er sich plötzlich selbst - laut. „Kein Mensch ist absichtlich traurig“ antwortete es von der Metaebene: „Wirklich, kein Mensch ist absichtlich traurig.“ Es war das Klügste, was er in der letzten Zeit von sich gegeben hatte. Kein Mensch ist absichtlich traurig. Als er begann, einen Fuß vor den anderen zu setzen, sah er vor seinem geistigen Auge die Haltung seiner Schultern.

Montag, 2. Januar 2012

Ist das ein Weltuntergang oder kann das weg?

Das Kinojahr 2011 war eines der großen Gesten. Viele von ihnen gelangen – ein Rückblick.

Auch der Tanz auf der Rasierklinge ist immer noch ein Tanz. Darren Aronovsky bat mit Black Swan gleich zu Beginn des Jahres 2011, zu selbigem. Portman, auf vielleicht 27 Kilo runter, überspannt alle Gesichtszüge, während ihr der schwarz-weiße Federwindzug durch die schier losen Rippen zieht. In seiner physischen Kraft, seiner undurchdringlichen Energie macht Aronovsky nie Gefangene. Die Figuren sind der Dramabühne entliehen, eine urgruselige, freudsche Übermutter thront dabei auf dem Eisberg. Die Andeutungen und Fallstricke sind vielzählig. Überwältigungskino, dass das Kunststück vollbringt, sein Publikum zwar zu hypnotisieren, aber nicht zu betäuben. Ein Rausch.

Überhaupt: es war ein Jahr der großen Gesten, der Aufplusterung, wahlweise der Weltumarmung oder des -untergehens. Allen voran natürlich die Cannes-Klammer Malick/von Trier, das der blauen Kugel ihre vollständige, theatrale Erfassung entgegen hielt. Der Eine, vom Schöpfergeist befallen, schöpft und schöpft aus dem Vollen. Malt eine Welt, von Beginn an, in den hellsten Farben. Der Tree Of Life erwächst. Unter ihm kniet die Mutter im Moos, dem Märchen entstiegen, auf einer Schaukel, im Feengewand. Daneben die Bilder einer Kindheit, einer Erziehung, die es im Kino in einer reineren Form wohl nie gegeben hat. Da erhält der ältere Bruder einmal von der Mutter keine Aufmerksamkeit und will es dem kleinen Bruder dafür heimzahlen, mit der Faust. Und die Mutter weist ihn zurück, mit einer Milde, wie sie nur eine Mutter besitzt. Mit einer Bestimmtheit, wie sie nur eine Mutter besitzt. Dagegen wirken die Dinosaurier noch deplatzierter und banaler, als sie ohnehin schon sind. Doch wieviel Stunden an Material muss Malick für diese drei und alle weiteren Sekunden elementarer Kindheitserfahrung verfilmt haben, in denen der eigentliche Urknall liegt. Man weiß es nicht genau, aber man dankt es. Mit Tränen der Rührung, die nicht immer ganz sicher sind, ob ihre Natur eine süße oder saure ist.

Melancholia hingegen ist nicht zum Heulen. Alles ist kalkuliert: Ergebnis, Machart, und Marketing. Zwei Filme, zwei Antipoden, die die emotionalen Sphären des Kinos im Jahr 2011 begrenzten. Wagner flutet bereits zu Beginn die dekadente Arche Golfplatz – in Slow-Mo. Das sieht - alle interlektuellen Verkrampfungen mal über Bord geworfen- verdammt gut aus! Von Trier hat seinen Hitchcock gefilmt. Durchtriebenes Reisbrettkino, das mit Comic-Relief (Udo Kier!) und präzisem Spiel die Sache sachlich und rhythmisch in ihr Ende führt, von dem jeder weiß, dass es kommt. Und genau deswegen packt. Depressiv-Suspense. Das drückt einen in den Sitz, weil der Bass unentwegt zum Unheil dröhnt.. Weil von Trier Bilder entwickelt, die zeigen, wie es hinter den Mauern des Marienbads aussieht. Weil diesmal wirklich jede Hilfe zu spät kommt. Weil wir es doch gewöhnt sind, dass am Ende der Held um die Ecke kommt: der einzige Unterschied zu Hitchcock. Während der Brite seinem Publikum immer genau das gab, womit er sich am wenigsten konfrontieren lassen wollte, verweigert der Däne dem Zuschauer alles, was ihn vor dergleichen erretten könne – und findet darin sogar noch ein Nano Erlösung. Der Wald, bei Malick noch in der Hoffnung des Entstehens, taugt jetzt auch zu nicht mehr viel, als zur nackten Aufgabe. Was, Dunsts Fitnessprogramm sei dank, noch so ein schöner wie beliebiger Anblick ist. Bei von Trier sind auch 2011 die Helden nicht mehr als gebrochene Frauen. Männer sind dabei sympathisch-konsequent nicht der kleinsten Rede wert.

Nein, es war kein gutes Jahr für Helden. Unbekümmerte Arbeiten, wie das wunderbar rhythmische Wer ist Hanna? waren Sonderfälle. Synders Sucker Punch war die unnötige aber eben auch erwartbare Belanglosigkeit. Und eben auch nur bedingt schön anzusehen. Weil Schönheit doch immer auch mit Sinn gefüllt sein muss, um reizvoll zu sein. Aber hübsche Frauen und hübsch choregrafierte Bilder, sind als Selbstzweck leider verloren, wenn sie dabei vorgeben, einen höheren Zweck zu besitzen. Mehr Abstand zu sich selbst würde Synders Filmen häufig helfen.

Hingegen Duncan Jones hatte man nicht zugetraut, dass er den Donnersmark macht und dem schlichtschönen Moon eine solche Lustlosigkeit wie Source Code hinterher wirft. Auch The Green Hornet war eine eher unerwartbare Enttäuschung. Michel Gondry zeigte sich dafür verantwortlich. Gondry! Der Schlagzeuger des Schönen. Der Franzose, der Unabhängige, der Schutzpatron aller Träumer, verlorenen Bastlerseelen und missverstandenen Ästhetiker. Eine Hoffnungsfigur. Ein paar illustre Kamerafahrten und ein, zwei Einfälle sind zu entdecken. Doch auch denen sieht man immer noch den Produzenten an, der Gondry den Revolverlauf in den Rücken drückt; die Zigarre im übergenährten Mund, die Angst des Macht- und Geldverlusts auf der nassen Stirn, zischt er: schöne, neue Bilder haben noch nie die Massen ins Kino gebracht, nur bekannte Gesichter (Cameron Diaz, uhag!) und pubertätsnahe Geschichten – und 3D. Weswegen der Film auch nachträglich um eine Dimension aufgestockt wurde. Ein Verbrechen! Das ist, wie Fritz Göttler richtig verglich, der nachkolorierten, roten Flagge im Panzerkreuzer Potemkin ähnlich. War nicht so gedacht, und sieht auch so aus.

Doch auch „echte“ 3D-Filme haben ihre eigene Innovation nicht befeuert. Bezeichnend das mit Pina ein nur spärlich narrativer Film, am ehesten sein Ziel fand. Selbst wenn Wenders einen schmerzlich unkritischen Umgang mit der Bausch-Sekte pflegt. AÜber Tote spricht man nicht schlecht – unabhängig in wieviel räumlichen Auswüchsen.

Auch Politik ist kein gutes Thema zu Tisch. Filme wie Margin Call drücken sich um den eigenen Zugang und fliehen vor der eigenen Courage, dem Gefühl der Überforderung, dem Mythos der Komplexität. Das ist die dunkle Seite der Malick-Medaille: In der Abstraktion sind Gesellschafts- und Weltbilder noch zu malen, nicht aber mit den Farben der Tatsachendramatik. Das zeigen auch Positivbeispiele wie Four Lions. Ein kleiner, gemeiner Film, der eben in alle Richtungen schießt, abschließend gar wortwörtlich – und nur deswegen trifft. Stellungbeziehen ist unschick geworden. Dass Positionierung auch außerhalb der Satire und den Grenzen der Phrase gelingen kann, zeigt dabei ein Film wie der klein-große „Nader und Semin“, der den Unterschied zwischen Einfachheit und Schlichtheit elegant aufzeigt. Das Geschichtenerzählen wird immer Basis des Kinos bleiben, ruft es aus diesen Filmen hinaus. Der sensible Blue Valentine kann dafür genauso ins Feld geführt werden. Ein melodisches Requiem für die Liebe, das in seiner ganzen Aufrichtigkeit und seinem tiefen Mitleid für seine zwei Figuren doch eine Lebensbejahung in sich trägt, die man vielerorts nicht findet.

Es war also nicht alles anders, in diesem Jahr. Woody Allen drehte sich weiter durch Europas Förderinstitute, ohne dabei lange in Erinnerung zu bleiben. Paul Giamatti füllt mit Win Win und Barneys Version gleich zwei Filme mit Seele, die mit viel Charme und unaufgeregtem Kalenderspruch-Flair punkten konnten. Den zu sehr im eigenen Original verlorenen Hangover 2 konnte aber selbst Giamatti nicht retten. Aber auch das ist bezeichnend: Die Anzahl der Fortsetzungen war mit 27 Stück noch sie so hoch wie 2011. Ein Schelm, der dergleichen gutheißt.

Und der deutsche Film? Steht weiterhin etwas neben sich, und daher auch hier nur am Ende. Er zelebriert mit Filmen wie Almanya oder Mein Bester Feind seine eigens gewählte Political-Correctness. Eng aufreiht sitzt man auf der Anklagebank. Der Schuldspruch: ergaunerte Bedeutsamkeit durch die einfältige Behandlung als relevant verstandener Themen, zum Leid eines geistigen oder kurzweiligen Schauwerts. Während das Duo Schweighöfer/Schweiger im abbezahlten Zweisitzer vorbeizieht. Dem Deutschen seine Komödien. Dabei fand man im selbstbewussten Hell oder im stilsicheren Die Unsichtbare Vertreter, die ihre Ästhetik eben nicht als lästige Pflichtübung auf dem Weg zur Botschaft (wichtig!) verstanden. Auch wenn sie sich schwer taten, dafür entdeckt zu werden. Schade eigentlich, waren diese Filme doch, wie das gesamte Jahr 2011, ihr Geld und ihre Lebenszeit zumeist wirklich wert.