Mittwoch, 14. August 2013

Heimat!


You can't fuck with me, I'm from Bielefeld“. Die damit gezierte Wand beschließt ein verwahrlostes Bahnhofsgebäude. Direkt gegenüber meiner Grundschule am südlichen Rand dieser, meiner Geburtsstadt. Diese Semiurbanität, aus der ich mehr geflohen als gezogen bin, wo man Hochdeutsch kann, aber nicht damit prahlt, wo man zum Lachen in den Keller geht, außer man lacht über sich selbst.
Der HSV ist Gast auf der Alm. Die Sonne scheint zurückhaltend, genügsam an diesem Samstagnachmittag Ende August. Die Spielzeit 2008/09 ist noch jung. Nach zwei Unentschieden weiß man noch nicht, wo man steht. Obwohl man das als Bielefelder eigentlich immer weiß: unten.
Doch nach einer guten halben Stunde führen die Heimfarben mit 2:0. Kein Grund zur Beunruhigung. Verlieren tut wir noch früh genug. Kurz vor und kurz nach der Pause erzielt der Ex-Armine Reinhardt den Ausgleich, später trifft Olic und abschließend – als ob es nicht schon demütigend genug wäre – vollendet auch noch Fußball-Mephisto David Jarolim persönlich zum 2:4 Endstand. Es ist ein Treppenwitz in dieser Stadt, dass gegen Arminia immer die X-beinigen und Gesichtselfmeter treffen. Es ist eines dieser Spiele, nach denen man sich immer auf der Alm zueinander umdreht und in souveräner Melancholie nickt: „Hab ich doch gesagt!“ Aber es ist ein gutes Spiel. Ein paar eigene Großchancen und Aluminium-Treffer später hallt es die Ränge hinunter: „Niemand erobert den Teutoburger Wald!“ Das Rund steht. „Es gibt nur eine Arminia!“ Stolz aus 20.000 Kehlen. Man beklatscht einander. „Niemand! Erobert! Den Teutoburger Wald!“, in der kollektiven Fähigkeit zwischen Ergebnis und Leistung zu unterscheiden. Frei von Ironie, frei von Scham. In Köln oder auf Schalke wären sie nach so einem Spiel sofort ihrer missmutigen Wege gegangen. In Stuttgart, Frankfurt oder Berlin hätten sie den Mannschaftsbus blockiert. In München hätten sie ein solches Spiel erst gar nicht verloren. Aber nicht hier, in diesem von den Römern nie kultivierten Stück schönster Belanglosigkeit. Hier verliert man, aber mit Anstand, mit Rückgrat, mit Würde.
Dostojewski hat mal gesagt: „Ohne Heimat sein heißt Leiden“. Diese Niederlage, dieser tiefe, ehrliche Stolz, dieses Gefühl von Zugehörigkeit, diese Ehre, diese Gänsehaut, diese kollektive Größe, diese fünf Minuten nach Abpfiff, dieser Moment Heimat, ich möchte ihn nicht missen, für keinen Sieg der Welt.