Mittwoch, 9. November 2011

Zu den Klängen in Kubricks "Shining" - Eine Assoziation

Beginn der Reihe: Seminarreste, mit denen man zu zufrieden ist, um sie verkommen zu lassen.

Am Anfang die Verheißung – und die verheißt nichts Gutes. Ein großes, auditives Unbehagen überzieht die ersten Minuten „The Shining“ von Stanley Kubrick. Der Zorn Gottes schallt aus den Wolken. Der Hubschrauber nähert sich dem Kleinwagen, die Straßen schlagen Furchen in den Wald und das Orchester lädt zum Abschlussball der Zivilisation. Kubrick kündigt alles an. Er wird alles einlösen. Er wird nichts einlösen.

Die lange Exposition nimmt sich Zeit, reiht Klänge auf die Kette, betont schicksalsgläubig: Ja, der Wahnsinn ist nah, gleich wird er zu sehen sein. Da hinten brandet die Sintflut, in dunkles Rot und tiefen Bass getaucht. Hinter der ersten Ecke klirrt es, dann grollt es von irgendwo her und wabern tut es immerzu. Die Schreibmaschine zittert, tritt schließlich um sich. Der Tennisball stampft auf, das Kettcar steckt das Labyrinth ab. Der Sound ist überlebensgroß. Real ist hier nichts mehr, kein Parkett kratzt so sehr, kein Teppich ist so dumpf, kein Wind so kraftvoll-konstant – und trotzdem bleibt alles verschreckend nah. Warum man dazu nicht auf Abstand gehen kann, bleibt ein Rätsel. Vielleicht weil Kubrick – vor allem im Klang – am Anfang das Chaos ankündigt und es somit, scheinbar, greifbar macht. Man ist willig es zu akzeptieren, zu vereinnahmen, doch diesen Reflex treibt Kubrick einem aus. Mit dem Becken. Mit dem Glockenspiel. Also mit der Peitsche. Du weißt nur, dass du nichts weißt.

Das Hotel, es wird ein Labyrinth bleiben. Wir finden nicht heraus. Die Musik, sie gibt zwar vor, verständlich zu sein, doch was sie uns mit jeder Minute erneut sagt, ist nur: Chaos regiert nicht, es herrscht. Der Mensch kann den Wald verlassen, aber der Wald nicht den Menschen. Kubricks Einführung ist nichts anderes als eine falsche Fährte, ein Spiel mit dem Zuschauer, der den arroganten Glauben besitzt, zu wissen, was da kommt. Er irrt. Und Angst entsteht immer aus Unwissenheit. Das eigentliche Chaos, zu dem das anfängliche Unbehagen heranwächst, es hat keine Logik. Dann wäre es kein Chaos, sondern nur die Abstraktion von Chaos, nicht mehr als eine Filmkonvention, eine Hörgewohnheit. Die Streicher werden nicht das Gleiche spielen. Der Beckenschlag wird bei der zweiten Texttafel nicht zu hören sein. Jedes Motiv hat seinen Platz aber nicht seine Wiederkehr. Nur eins ist gewiss: Alles wird mehr. Da ist der Film ganz klar. Das Klimpern wird zum Klirren. Das Wirren wird zur Wut. Das anfängliche Abklingen weicht einem dauerhaften Rumoren. Einer wechselhaften und damit beständigen Themenverschiebung. Laut, rauh, düster.

Wer die Zwillinge sind, erfährt man nicht. Wie es Jack aus dem Nahrungsraum schafft, bleibt ein Rätsel. Warum sollte der Sound da einer anderen Logik folgen als der eigenen. Ich bin das Chaos. Du hast mich nicht zu verstehen. Darin besteht meine Macht über dich, du winziges, weinerliches Stück Zuschauer!