Montag, 9. Mai 2011

Phoenix aus der Masse

Jeden Sonntag gehst du in ein Stadion, jeden Sonntag gewinnst oder verlierst du – die Frage ist nur: kannst du gewinnen oder verlieren wie ein Mann. (Oliver Stone)


Es war einer dieser Mittwochabende, die davon lebten, dass sie terminlicher Fixpunkt des Tages waren. Meine Eintrittskarte potent unter die Windschutzscheibe geklemmt, ging es mit Mutters A2 Richtung Gelsenkirchen. Ein Auswärtsspiel, von denen es immer gerade so viele gab, dass man gerade noch so ohne völlig bescheuert zu sein, denken konnte, dass es beim nächsten Mal anders werden würde. Arminia lag kurz nach dem Seitenwechsel mit 3:0 zurück, ehe der beste aller schlechten Fußballer Marko Küntzel – nachdem ich diesen Blog genauso hätte benennen können – den Ehrentreffer zum 3:1 Endstand erzielte. Doch alldem wohnte ich nicht bei. Ich stand bei Rheda-Widenbrück auf der linken Spur, der Motor aus, die Füße an der Leitplanke balanciert, das Ohr am Radio. Vollsperrung. 30 Kilometer. Hörend fühlt man sich einer solchen Niederlage noch hilfloser ausgesetzt, als man es sonst schon ist. Wobei selbst ein belangloses Dahin-Verlieren im Drecksruhrgebiet seine romantischen Momente hat. Das Aufwärmen, das gegenseitige Begrüßen zwischen Mannschaft und Gästeblock hat im fremden Rund immer etwas würdevolles: da gehören zwei unter Millionen zusammen. Verbundenheit als Massenerlebnis. Als Bielefelder nimmt man fremden Städte nicht mit dem Breitschwert ein, sondern führt mit dem Skalpell Guerillakrieg. Die Waffen sind das in guten Zeiten grandios praktizierte Konterspiel (Delron Buckley, wow!) und neben dem Rasen die Selbstironie, die anderswo – vielleicht in München – so oft fehlt. „Kniet nieder, ihr Bauern, Arminia ist zu Gast!“ Gerade in den Bahnhöfen und Fußgängerzonen Berlins oder Hamburgs kam das immer gut. Wenn die Begleitpolizisten grinsten, war ich zufrieden.

Vor dem Anpfiff ist natürlich auch das Spiel noch nicht verloren. Hoffnung ist ein euphorischer Zustand. Und nirgends ist die Hoffnung größer als in der Liebe. Ich bin seid über 5 Jahren unüberzeugter Single: Da fällt einem noch stärker auf, was dieser Ausdruck eigentlich gedeutet. Es gab nur eine Situation, in der ich die paar Bezahlfußballer da unten und was sie repräsentierten mehr liebte als in den 30 Minuten vorm Anpfiff auf fremden Geläuf: nach dem Spiel. Dazwischen konnte ich alles was da unten rum lief richtig hassen. Richtig! All die Alibipässe, die halbherzigen Tacklings, die erbärmlichen Abschlüsse und die taktischen Grundprobleme, sie trieben mich an den Abgrund meiner Seele. Ich wünschte Schiedsrichter nach Ausschwitz (lautstark) oder überwarf mich in jedem zweiten Spiel mit meinem Vater. Ich hasste von ganzem Herzen. Aber nur bis zum Abpfiff. Nach dem Spiel gibt es eine zweite Erlebniswelt, die sich den meisten wohl noch schwerer erschließt, als was ich sonst hier beschreibe. Ich weiß noch, wie ich vor 10 Jahren für das Spiel in Bochum die Schule schwänzte, Lense an seinem Geburtstag zum 1:0 traf, Hain beim Stand von 2:0 einen Elfer und den dazugehörigen Nachschuss hielt und Diabang kurz vor Schluss einen ganz edlen Konter über The-One-And-Only-Ansgar-Brinkmann zum 3:0 abschloss. Und ich weiß, wie ich danach auf den Zaun kletterte, der Sitz- und Stehtribühne trennte, wie Trainer Möhlmann seine so speziell-verkrampfte Zwei-Fäuste-Geste machte und abschließend Tim Danneberg, der da sein erstes Bundesligaspiel auf der Bank verbrachte und mittlerweile leider nicht mehr im Verein ist, mit glänzenden Augen nicht wusste, was zu tun war (Denkt nicht, ich gucke sowas nach). Das war der einzige Auswärtssieg in einer ganzen Saison, die mit dem Abstieg endete. Man möchte gefühlsduseln, das Spiel und das Danach: es war es wert.

Und es gab diese Momente, nach der Niederlage. Wenn sich da zwei Gefallene respektieren, während 60 Tausend drumherum den Arbeitssieg gegen den Punktelieferanten aus der Provinz beklatschten. Da war ein kleines Heer Versagerkinder unter sich und feierte sein Dasein („Niemand erobert den Teutoburger Wald“). In der würdevollen Niederlage verstand ich immer die Besonderheit dieses Clubs. Im erhaben Versagen dieser Farben fand ich den Grund, warum ich sie mir umband. Ich weiß nicht, wer damit angefangen hat, ich oder Arminia, aber das ist meine Stärke: das aufrechte Untergehen! Bei Freunden, Bekannten, Frauen sowieso. Ich kann nicht viel, aber ich kann gut verlieren. Vielleicht hat mir dieser Klub das beigebracht, vielleicht passe wegen dieser Fähigkeit einfach gut zu ihm. Und ich wollte dabei sein, damals, auf Schalke. Ich wollte nicht auf der A2 stehen, eine Stunde nach Abpfiff bei McDonalds abfahren und die Niederlage mit mir selbst ausmachen. Ich wollte meine Arme Richtung Rasen recken, sie als Zeichen meiner Anerkennung dem Laufpersonal entgegen werfen. Meine tiefe, unendlich tiefe Loyalität ihn gegenüber und vor allem gegenüber dem, was sie repräsentieren wollte geteilt werden.

In Zeiten in denen ich nicht viel habe, habe ich immer noch die Gewissheit, dass ich darin sehr gut bin, nicht viel zu haben. Das ist der nie endende könnende Hoffnungsloop. Das ist Schönheit.

Jetzt ist die schlimmste Saison in der Geschichte dieses Sports endlich vorbei. Ein halbes Jahr habe ich meine Sorgen vor diesem Verein versteckt. Ich war trocken geweint und 600 Kilometer auf Sicherheitsabstand. Es gab keine Möglichkeit mehr erwartungsfroh zu einem Auswärtsspiel zu fahren und dabei nicht bescheuert zu sein. Das 0:0 in der Allianzarena, es war ein guter Nachmittag. Wie da nach Spielende ein paar 18jährige Abwehrspieler in schwarzweißblau mir durch das Gitter erlöste Blicke zugewarfen, wie ein paar Sitznachbarn mich schief anguckten, weil ich in einer kritischen Phase sehr, sehr, sehr lautstark bejubelte, dass Eilhoff einen Eckball abgefangen hatte; war zutiefst befriedigend. Da war ich wieder einer dieser Gallier-Nerds, die glaubten es mit dem gesamten Römerstaat aufzunehmen. Doch sonst war da wenig Asterix die letzte Zeit, sondern nur ein wenig Trauer, ein bisschen Wut und jede Menge Gleichgültigkeit. Ein Selbstschutz.

Doch mit dem heutigen Tag ist alles wieder da. Die mögliche Lizenz für die 3. Liga, der neue Trainer, der neue Sportmanager, die beide kompetenter und motivierter wirken, als alles, was die letzten 5 Jahre hier Gehaltsschecks abgeholt hat. Das fast volle Stadion beim letzten Heimspiel, dass von einer Stadt kündet, die noch nicht aufgegeben hat, die dies nie tun wird. Niemand erobert den Teutoburger Wald. Wir sind würdevolle, ehrfürchtige Hinterwäldler.

In ein paar Jahren wird dieser Verein wieder um den Aufstieg in die 2. Liga spielen, er wird Preußen Münster schlagen, er wird dies mit Spielern aus dem eigenen Nachwuchs tun, die nur deswegen gefördert werden konnten, weil man diese Scheiße seitdem Hain weg und Middendorp da war, durchgemacht hat. Statistisch gesehen, lebe ich noch über 50 Jahre. Irgendwann wird Arminia wieder Bundesliga spielen und irgendwann werde ich mit diesem Verein auch nochmal ein Pflichtspiel im Ausland sehen, so wie ich es mir mal mit 14 Jahren auf eine Lebens-To-Do-Liste geschrieben habe. Nirgends ist die Hoffnung größer als in der Liebe. Nirgends braucht man die Hoffnung mehr als in der Liebe.