Mittwoch, 25. Juni 2014

Yolo für Gymnasiasten

Ironie, die
  1. feiner, verdeckter Spott, mit dem jemand etwas dadurch zu treffen sucht, dass er es unter dem augenfälligen Schein der eigenen Billigung lächerlich macht
  2. paradoxe Konstellation, die einem als Spiel einer höheren Macht erscheint

Da sitzen sie und warten. Im Halbkreis. Manche haben Decken dabei, andere Getränke. Vor ihnen liegt eine Batterie Steckdosen, in denen sie ihre Handys aufladen. Das mobile Internet braucht Strom, jede Menge Energie und wer überall gleichzeitig sein möchte, ebenso. Neben der Gruppe wedelt ein Dönerstand sein Fett in die Nacht, in den runter gerockten Staub eines Juni-Tages.
Ein Mädchen mit einem Abi-2009-Shirt verlässt die Runde. Sie schultert ihren Campingstuhl und wandert über den Zeltplatz. Ihr Nicken zum Abschied wirkt vertraut. Ein paar Grills glühen aus, ein paar letzte Flunkyballgruppen brauchen immer noch einen, nun ja, spielerischen Rahmen zum Saufen und aus den mobilen Boxen dröhnt es alles paar Zelte. Scooter ist zu hören, 90ies-Trash ist zu hören, und Helene Fischer ist zu hören. Es sind diese zwei Bilder, die eine Brücke schlagen und unter der ich meine, das Zerrbild meiner, einer Generation zu sehen: das Smartphone und die Ironie.

Klar, ein Hurricane-Publikum ist nicht alle. Wer Rockmusik, Dosenbier und Zelten mag, sowie schlechtes Essen, Hygienenotstand und Schlafmangel akzeptieren kann, ist hier. Es fehlt hingegen der Aperol-Spritz, die BWLer, die Nur-House-Hörer, die Immernoch-Baggyhosen, die Abstinenzler, die Fanmeilen-Fanatiker und die wohl nie zu unterschätzende, schweigende Mehrheit an Lebens-uninteressierten. Und doch: Bei Passenger fliegen Kuscheltiere und zu Moonbootica wütet das Edelvodka-Volk. Bei Bonaparte zappelt sich der Hipster kurz aber erfolgreich aus der selbstauferlegten Coolness, während Lily Allen oder Jennifer Rostock schreckliche Bilder einer Emanzipation entwerfen, die zeigen möchte, dass die Lauteste immer Recht hat. Thees Uhlmann und Tocotronic sprechen komplizierte Satzbauten ins Mikro, während ihre Instrumente versuchen, es nach Musik klingen zu lassen. Und The Subways oder Fünf Sterne Deluxe sind verstörenderweise nach all den Jahren immer noch dabei mit ihrem schrecklichen Durchschnittsdingelingeling. Es ist viel vertreten an diesem Wochenende und alles findet seinen Abnehmer.
Sicher, es ist alles neurotisch links, was bei Egotronic oder – besonders schauerlich – Feine Sahne Fischfilet seinen Höhepunkt findet, indem jede Ansage predigt, dass Nazis auf die Fresse gehört. Jaja, dochdoch, ehrlich! Das ist alles so ausgewogen, intellektuell und vorhersehbar wie ein nordkoreanischer Parteitag. Und dennoch, ein 75.000-Seelen-Musikfestival taugt zum Querschnitt. Und es findet seine stärksten Bilder in der Schnittmenge, also: Weiter im Text.

Das kleine, kurze Glück, es wird gesucht und gefunden. Die sichere Pointe, der Post, das Selfie – dafür setzt man sich um die Steckdose wie ums Lagerfeuer. Damit auch morgen wieder der Saft da ist, das sagenhaft schlechte Macklemore-Konzert mitzuschneiden oder der Hood zu erzählen, wo man ist. Bei Lykke Li zum Beispiel, die den Fehler macht I Follow Rivers nicht als letztes zu spielen und nach getaner Chartsarbeit strömen die Massen heraus. Das kleine Glück? Es muss erwartbar sein. Und wenn man es hatte, kann man gehen. Ich meine zu wissen, jene Deserteure sind die gleichen Massen, die Tags zuvor bei Casper waren. Es müssen sehr viele gewesen sein. Denn bei Arcade Fire war viel Platz um mich herum.
Dazu möchte ich etwas anmerken: Ich bin kein sonderlicher großer Fan der kanadischen Band. Ich mag sie, aber ihr Sound versetzt mich nicht in Jubelstürme. Mein Verhältnis zu dieser Band ist mehr ein schätzendes Lächeln, ein genussvolles Nicken. Feuilletonschnösel-Gruß. Und trotzdem: Im stillen Stolz auf das eigene Schaffen, mit Pathos, mit einem herzlichen Hang zum Theatralischen, das handwerklich so besondere Stühlerücken an den Instrumenten und Positionen, wie es glitzert und blinkt, wie die Songs ineinander gewebt sind, wie Klang und Licht verschmilzen. Eine Sinnesorgie. Überwältigend und doch ganz nah, bei mir, in mir. Intelligenz und Gefühl sind kein Widerspruch! 




Und dabei alles – außer künstlich. Es fehlt jede Ironie, jede Geste der Relativierung. Es wirkt fast befremdlich im Poser-Dickicht dieses Festivals. Während die Mehrheit bei Casper die schnelle Medizin für die Krankheit Selbstfindung inhaliert.
Auch zu Casper ein schnelles Wort: Ich bin kein Casper-Hasser. Emo ist nicht mal ein Schimpfwort für mich. (Herrje, ich trage immer noch den alten Jimmy-Eat-World-Pullover aus der 10.). Casper hat den gleichen Lieblingsverein wie ich und seine T-Shirts zu weit und seine Mützen zu groß. Aber ansonsten, ja mei. Ein bissl viel Wenn-du-umfällst-steh-wieder-auf, ein bissl Yolo für Gymnasiasten und das genauso protzig wie potent produziert. Gibt schlimmeres.
Doch, die Dosis macht das Gift. Und diese ist nicht die Musik, sondern die Anhängerschaft, ähnlich dem Alles-was-wir-machen-ist-nur-dann-was-wert-wenn-wir-es-in-40-Jahren-erzählen-Engelmann-Video vor ein paar Web2.0.-Monaten. Klar ist ne Fertigpizza ok, aber wenn es da aufhört mit dem Genuss und den Erfahrungen, haben wir ein Problem. Das macht diesen Umgang mit allen, auf was ich hier hinaus will so schwierig: Nichts ist für sich genommen schlimm. Aber das Ausbleiben eines Anderen, die Permanenz mit welcher all diese kurzen Wahrheiten von Deutschland-wird-Weltmeister, Poste-jeden-Satz-als-wäre-es-der-Letzte bis zu Du-musst-nur-an-dich-glauben sich im Dauershuffle wiederholen ist, in einem Wort: beängstigend. Dr. Oetker wird hier zum Fünfsterne-Koch erklärt.
Natürlich ist Kreativität besser als die Maklerausbildung, natürlich sind echte Freunde besser als falsche, natürlich gehört Nazis auf die Fresse. Aber wenn an dieser Stelle das Denken und Fühlen endet, hat es gar nicht erst begonnen.
Die große Geste, die Slogans haben ihre eigenen Inhalte, für sie einmal standen, abgelöst. Und mit ihnen hat eine weitere Kommunikationsstrategie die Macht übernommen: die Ironie.

Exkurs, Ironie: Ein Subgenre des Humors. Ein bisweilen tolles Mittel. Es macht Spaß, sorgt für Stimmung. Mein Gott, der Humor und sein guter Kollege die Satire haben schon so oft die Welt besser gemacht. Im kleinen, im großen, in allem. Stephan Colbert vs George Bush, anyone?


Oder auch: Tina Fey allein hat Sarah Palin gestürzt, verdammt.



Der große Denker Christopher Hitchenens, Nitzsche hab ihn selig, hat mal erklärt, warum Frauen nicht lustig sind. (Übrigens teile ich diese Wahrnehmung, bin mir aber dennoch bewusst, dass ich diesen direkt unter einem Tina-Fey-Clip schreibe. Macht euch nur lustig.) Weil sie es nicht müssen. Weil sie schön sind. Und weil es im Sex nun mal um Aussehen geht. Der Mann aber, das wohl unterdrückte Wesen, muss Humor entwickeln, um sich hervor zutun. Allgemein gesprochen: Humor ist Persönlichkeit, Ironie ist ein Mittel gegen Unterdrückung. 

Doch: Die Ironie auf dem Hurricane ist eine andere. Sie ist keine Satire. Sie hat keinen Gegner und keinen Bezug. Helene Fischer ist kein Ausdruck von Unterdrückung. Sie ist Teil des Systems Leere. Diese Ironie, die bisweilen auch nur so tut, als wäre sie ironisch, steht weder für noch gegen etwas. Das Atemlos-Gegröle ist kein Ausdruck einer antiautoritären Haltung gegenüber eines postmodernen und Post-Napster-Vakuums an Geschmack und emotionaler Teilhabe in der Musikbranche. Sie dröhnt auf dem Hurricane aus jedem zweiten Pavillon. Sie ist der sichere Gag, die ach so spontane Zusammenführung im gemeinsamen Feindbild. Vergleichbar mit der reflexhaften Häme, wenn Italien, England oder Spanien zu früh aus Brasilien abreisen (Schadenfreude ist ein deutsches Wort), so einigt man sich darauf, Helene Fischer des Schlagers zu überführen und dies schlagerhaft zu inszenieren. Aber irgendwie ist der Beat doch ganz gut und das Liebestattoo-Zitat geht seltsam gut über die Lippen. Es ist die schnelle Emotion, die schnelle Wahrheit, die uns zusammenbringt. So vorhersehbar und zwanghaft wie ein Autokorso.
Und nochmal: Natürlich ist Ironie ok. Und billige Witze mach ich in jedem mir möglichen Moment. Jedoch ist die Ironie ein Dauerzustand geworden, der es verhindert, dass anderes entsteht. Wir sind eine Generation, die auf Bad-Taste-Partys rennt aber nie Good-Taste-Partys veranstaltet. Wir rennen eben zu Casper und nicht zu Arcade Fire. Wir hören immer noch die Ärzte, weil die Songs gegen Angeber machen – und gegen Nazis.

Aber, welche schöne Schlusspointe, da war Hoffnung auf dem Hurricane: Kraftklub. Eine Band, die sich in der Metaebene suhlt, aber auch genau dies zu thematisieren weiß. Wir sind zu jung für Rock'n'Roll, ist ihr zentraler, erster Satz. Massentauglicher Stadionrock, aber noch nicht ganz Bürgertum, noch nicht komplett Pop. Osten, nicht Westen. Chemnitz, nicht Bielefeld. Mit Gespür für Losertum, Zitat und Direktheit. Keine Angst vor der fetten Album-Promo und trotzdem ohne Scheu vor ernst gemeinten, autonomen Zeichen. Sturmmasken, Pyro und Lieder über Aufstandskultur und, eben!, ihr Scheitern. Im Zentrum der Kunst stehen keine Lösungen, sondern das Erkennen von Problemen. Und der Weg dorthin, darf auch gerne ironisch sein. Nur bitte, bitte, egal auf welche Art, mit viel viel kritischer Distanz und für wie witzig ihr das haltet: Keine Helene Fischer mehr!