Dienstag, 23. Dezember 2014

Heimspiel

Eine Weihnachtsgeschichte

Pastor Pranke juckte es. Auf gleich zweierlei Arten. Zunächst war da das offensichtliche. Sein Stand auf der Kanzel war gerade, beide Handinnenflächen gleichmäßig um das Mikro gelegt, der Rumpf stabil. Eine Haltung, die seinen Worten eine beabsichtigte Ernsthaftigkeit wie Würde verlieh, nicht aber dazu vermacht war, sich beiläufig und fröhlich-egal am Steißbein entlang zu fahren. Das zweite Jucken kam von Außen. Das Balg der Steinhöfers hatte Hunger oder war verschüchtert oder müde oder was auch immer. Pastor Pranke hatte keine Ahnung von Kindern, kein Interesse. Deswegen war er hier gelandet. Ganz anders als viele seiner Kollegen. Jene, die das Worte Liebe viel zu oft nutzten und schon im Priester-Seminar sich nicht zu schade waren, beruhigende Begriffshülsen wie Herde, Schaf und Weinberge aufzuschütten. Etwas, wie Pastor Pranke nicht ohne stolz feststellte, nie in den Sinn kam. Er stand gerne hier oben, die Schultern allem überlegen, und redete von Gott.
Die Gemeinde hasste ihn, das war ein offenes Geheimnis. Seinen Kollegen, Pastor Göhlert, jubelten sie zu. Göhlert war jung und motiviert und schwul und biederte sich an. Das ganze Klischee. Er nahm selbst am Krippenspiel teil, schwang einen Besen dabei, grunzte aufmerksamkeitshaschend am Strohberg vorbei und johlte verständnisvoll wann immer einer der angehenden zu-Firmenden-Pubertäts-Vollpfosten zu faul oder zu dumm oder beides war, um sich 3 Zeilen Text zu merken. Als er in der Gemeinde ankam, sah man sein leeres Ohrloch und ein paar blonde Strähnen, war ebenfalls noch nicht ganz herausgewachsen. Seine Predigten waren ein einziges Staccato an Glücksformeln und Sinnphrasen. Alles Sinn bei ihm machte Sinn und immerzu schlossen sich in seinen Ansprachen Türen und gingen wieder auf. Tür auf, Tür zu, Tür auf. Am Ende waren sie immer offen. Göhlert war, wie Pranke fand, nicht ganz dicht.
Als das Spiel zu Ende war und das Klatschen des Saales genauso höflich verstummt war wie es angefangen hatte, rang sich Pastor Pranke ein „Danke für die Darbietung“ ab. Die Lokalpresse hatte ihn, wie die Jahre zuvor auch, kürzlich gefragt, ob er es nicht schade finden würde, dass die Kirche nur an Weihnachten so voll sei. Sicherlich, hatte er im geübten Ton geantwortet, sei es schade, dass „viele den Weg zu uns nur an den Feiertagen finden“, aber er freue sich über jeden Menschen, zu jedem Anlass. In solchen Momenten musste Pranke immer an Philipp Lahm denken. Der sagte auch immer das gleiche und richtige. Ein adretter, tüchtiger Mann, der nichts dafür konnte, jede Woche nach dem gleichen Ereignis, die gleichen Fragen gestellt zu bekommen. Und sie dann jede Woche aufs neue aber nicht neu zu beantworten. Pranke mochte diesen eigens entworfenen Vergleich von ihm. Weihnachten war sein Heimspiel. Göhlert hatte ihn mal mit ins Stadion geschleppt. Sie waren viel zu früh da gewesen und die ersten auf ihren Plätzen. Das Flutlicht war von unendlicher, fast erdrückender Klarheit gewesen und ein paar Spieler waren in Trainingsanzügen und mit dicken Kopfhörern über den Platz geschlichen. Jeder für sich. Wie sie scheinbar an nichts anderes dachten, als daran den einen vor den anderen Fuß zu setzen. So warteten sie, die Müdigkeit von Zoo-Löwen in den Gliedern, auf die Massen, die ihnen etwas zurufen und dumme Fragen stellen würden. Da musste Pranke automatisch an seine Kirche denken. Wie sie morgens um 6:30 Uhr roch, als er sie aufschloss, ein paar Kerzen anzündete, ein stummes Gebet vollzog und sich in einem verstohlenen Moment etwas zu viel Weihwasser ins Gesicht und auch hinter die Ohren träufelte. Wenn er nicht Pastor geworden wäre, dann wohl Architekt, dachte Pranke gerne und hoffte Göhlert würde noch etwas länger am Würstchenstand brauchen.
Doch heute geht es nicht nur um Geschenke“, sagte Pranke ohne Haltung oder Stimmlage zu verändern. Ohne Ironie, ohne irgendeinen Versuch seine eigenen Worte selbstgefällig zu entkräften. Er lugte über seiner Lesebrille hervor, um seine Zuhörer doppelt ins Visier zu nehmen. Er suchte den Anblick von Frau Schauert. Sie wollte immer, dass er sie Hedwig nannte, was er aus Anstand auch tat. Aber Frau Schauert war ihm lieber. Sie hatte ihn vor diesem und anderen Sätzen in seiner Ansprache gewarnt. Vor fast allen, aber vor diesem mit dem meisten Nachdruck. Frau Schauert war verwitwet, hatte eine Tochter irgendwo im Ausland und zusammen saßen sie ein paar Mal die Woche in Prankes Büro, aßen ihre trockenen Kekse und lasen still nebeneinander die Zeitung. Sonntags fragte er sie, ob er die kurze oder die lange Stelle aus dem Evangelium lesen sollte. Frau Schauert wollte immer die kurze und er tat ihr den Gefallen. Aber die Geschenke-Sache war ihm zu wichtig. „Ihr werdet gleich alle nach Hause gehen und euch über eure neue Playstation freuen oder euer neues Fahrrad, aber haltet kurz inne“, sagte Pranke, keinen Gedanken daran verschwendend wie viel Angriffsfläche er damit wieder bot und sein Blick ging die Reihen ab. Der Älteste der Mahrhoffs blickte ihn an, dann wieder auf seine Hüfte wo sein Handy lag, dann wieder zu ihm und zurück. Als würde er autofahrend SMS-schreiben und Pastor Pranke war die Leitplanke. Den Steinhöfers war ihr Balg peinlich. Zurecht, natürlich! Aber sie waren nicht souverän genug einfach den kurzen wie schmerzlosen, für alle beteiligten sinnvollen Gang durchs Mittelschiff nach draußen zu gehen. Stattdessen saßen sie drei da, Papa, immer noch in seinem verhassten Feiertags-Mantel steckend, tat so als würde er zuhören und Mama, für sich immer einredete religiös zu sein, wiegte das Schreiteil in den nicht kommenden Schlaf, mit Bewegungen die weniger ein Wiegen als mehr ein aggressives Zucken waren. Daneben die Blaukopfs – verdammte Hippies. Göhlerts Gruppies. Immer kurz vorm Weinen und immer am Nicken, wenn ein Satz des Kollegen die Welt in Zuckerfarben malte und wieder mal nach Habt-euch-alle-lieb-Opiaten gierte. Die Frau trug ausschließlich pastell und er war impotent. Weswegen sie in bester Postkartenmanier beschlossen hatten, sich davon nicht unterkriegen zu lassen. In den nächsten Jahren, wenn ihnen Jesus nicht mehr reicht, dann wird es wohl ein Nordafrikaner werden, oder die Scheidung.
Frau Schauert fixierte Pranke. Ein minimales Lächeln vor der trockenen Gesichtshaut. Jetzt ertrag es, bade es aus, schien sie ihm zu zurufen. Nichts lieber als das, dachte er und sog das hörbare Augenrollen des Mobs in sich auf. Langweilt euch! Mir mir. Schindet euch, überwindet etwas, einmal. All das dachte Pranke und kam zum Ende. Er sagte Fröhlichkeit, wo Göhlert wahrscheinlich Glück gesagt hätte und schritt ohne auf eine Reaktion zu warten von der Kanzel herab. Auf den unteren Stufen konnte er die klammheimliche Erleichterung hören, wie das Geräusch einer müden Schulklasse, die aufschreckt, wenn der Lehrer den Fernseher hereinrollt.

Göhltert sprang auf, sein vom blinden Genuss aufgeblähter Bauch vor ihm, und dankte den Zu-Firmenden, übergab ihnen kleine Geschenke und junggebliebene Grußkarten mit handschriftlich verfassten Sinnbotschaften auf dem Rücken. Eine der Alsbachs flüsterte hörbar „Das ist ja so lieb“ durch den Raum und wechselte ihren 50-Euro-Schein für die Kollekte in einen Hunderter. Dann forderte Göhltert die Gemeinde zum Aufstehen auf, ließ das Licht dimmen und der Organist stimmte „Oh, du Fröhliche“ an. Nach kurzer Zeit verschwanden auch die LED-Lichter im Raum und man sang. Pranke hatte die Arme auf dem Rücken und flüsterte den Text. Gleich würde er allen die Hand schütteln, während sie durch ihn durchsahen. Und wenn alle dann endlich bei ihren Mp3-Playern und freundlichen Worten waren, würde er mit einer Flasche Wein und einem Käsebrötchen in seinem Büro sitzen, vielleicht Bach dazu hören oder ein Buch lesen. Er würde auf Schnee warten und auf Frau Schauert, und irgendwann würde er, die Hände immer noch auf dem Rücken, durch seine verlassene Kirche schlurfen. Er würde eine Kerze anzünden und denken, dass er sich Gott immer näher fühlte als Jesus (ganz gleich wie sehr man ihm im Pristerseminar diesen Gedanken um die Ohren hauen würde). Er würde die Gebetsbücher ordnen und denken: Ihr seit mein Kreuz, ich bin eures. Und am Ende legen wir es ab und es geht uns besser. Pranke bemerkte sein eigens, seliges Lächeln im Gesicht, was er sich sofort verbot. Das Lied kam zum Ende und für einen fast nur zu erahnenden Moment gab sogar das Steinhöfer-Balg Ruhe.   

Donnerstag, 11. Dezember 2014

This is the end (my good old friend)

Final thoughts on Breaking Bad 

[Spoiler Alert] 

Ok, it needed to much free time, a pubertal need of belonging and a few friends with a trustworthy taste to get me into this show. Season 1 was, in one word, annoying. Gangster-stereotypes and idiots screaming nonsense at each other everywhere. But alright, somewhere in the middle of season 2 I got into it. The show was on the rails and I followed it. I assume I'm a feuilleton-snooty-nosed-minority here, but I hated Walter pretty soon. At the latest, when he killed Jane. (He killed her! No discussion, please.) I wanted him to suffer and I began to like Breaking Bad. The show began for me with the promise of everybody dying. Because I wanted everybody to die. For different reasons: Walter desvered it! So, if he is still your hero, just look at his bodycount... as simple as that. Flynn was the most annoying character on TV ever! I know, you don't kill disabled people, but you should. He had one (one!) good moment in the 5 seasons: When he yells "Don't treat me like a baby" and sounds like a baby. That was funny. Unintended, but funny. And Jesse, well, it would've been a happy-end for him. His suffering would've been over. Near completion Jesse is called a rabid dog - and that's what he is. A lost soul. A helpless case. A clean shoot to the head would've been his climax. 
This show was, of course, about everybody dying and therefore about America. The subtle leads to american culture, the empthiness - of the landscapes, the values (family, just to state the obvious) and this law-of-nature-esque force of making money. Not spending it. Just earning it. Arised out of a big, universal feeling of injusticem, where the show has its key to global success. Welcome to 21th-century-capitalism. No healthcare, no party. No luxury, no life-quality. Money as a mountain, a figure, an abandoned sign. Therefore I fucking loved Gus! The immigrant  as the over-embodiment of the American Nightmare. And the former public servant Mike as his loyal servant. They are everything Walter becomes, but they are authentic about it. So, for me, the show ends with Gus' death. One villein replaces another one. The dream lives on. All reasonable women stay unheard. All the money stays in the closet. The perfect storm everybody called for. And than... they create a coordination-system that is called: Neo-Nazis. Not a new one, the first one! You can kill woman, children and whatever ... but if you realize it 30 minutes before showdown and kill some tattooed sociopaths, they will love you. And the music under the (weak) final shot sings you a song 
(for the record: baby blue - blue meth, pretty crafty stuff, I would say...):

"Guess I got what I deserved 
Kept you waiting there too long, my love. 
All that time without a word. 
Didn't know you'd think that I'd forget or I'd regret
The special love I had for you, my baby blue. 
All the days became so long
Did you really think, I'd do you wrong?"

And that poor Jesse has to keep on living with this hell he calls his life. And Flynn is still sooo sad. And Hank is buried. And all the woman were right and are still finished! Or dead, like Andrea and Jane. But we remain with a feeling of relief. The Nazis (and the witch!) are dead. We killed them (with MacGyver-skills, they never fail...). So we can't be that bad. We're just trapped in this society that gives us a hard time.
To kill all the people, destroy all the (family-)values and not replacing them, not giving us a target but ourselfs, that would've been an heroic deed, that would've made Breaking Bad a classic. Instant and timeless. But maybe, the show mirrors that weakness as well, is self-aware of its. Maybe, we are all not strong enough to undergo the purification of hitting rock-bottom. Maybe, that is why we can't resist Walter. Maybe we are in this place, this 21th-century-everyone-for-themselves-mess, because we only blame Fox-News and not ourselves. Because we identify with someone that only cares for himself but finds ways to give it different names. To call his revenge justice. To find (creative!) solutions for his damaged ego. We care for ourselves, and maybe that's why we care for people that only care for themselves. And we do everything not to admit its that simple (at least us males). Or to finish it with same last words of the show:

"Just one thing before I go. 
Take good care, baby, let me know, let it grow. 
The special love you have for me, my Dixie, dear."