Montag, 23. Januar 2012

Ein Tor ist ein Tor ist ein Tor

Vom Fußball und den Frauen und gleich dem ganzen Dasein Mensch

Das Symbol

Das Leben ist nicht mehr als eine Collage von Symbolen. Ein Strauß Blumen, ein Mixtape, ein Ring: Zuneigungsbekundungen. Zuneigung selbst gibt es eigentlich gar nicht. Es gibt nur einen Code für diese Empfindung. Ein Bündel Handlungen, die für etwas stehen, dass man allgemeinhin als 'Zuneigung' bezeichnet. Das Symbol tritt an die Stelle dessen, was es ausdrückt. In jedem Lebensbereich gibt es diese Codes. Und wenn man meint, sich irgendwo auszukennen, nennt man sich nicht selten „erfahren“. Oder umgekehrt: Erfahrungen machen, ist nichts anderes, als sich Codes eines bestimmten Bereichs anzueignen, sie für sich zu nutzen, sie anzuwenden, zu variieren. Es gibt Bereiche, da fällt dieser Prozess schwerer und demnach dauert er länger, wie zum Beispiel im Paarungsverhalten. Man könnte auch das gesamte Leben als ewigen Aneignungsprozess von Codes und Verhaltensnormen begreifen. Menschen am Ende ihres Schaffens nennt man auch nicht selten "lebenserfahren". Doch manche Bereiche bestechen durch ihre Einfachheit. Es gibt einen Ort, wo man keine Vorkenntnisse braucht.

Der Fußball hat den Vorteil, dass er nie etwas anderes sein wollte als ein Symbol. Fußball ist konzentriertes Symbol, also konzentriertes Leben. Er erzählt von den Dingen, die wir Sieg und Niederlage nennen, gut und schlecht. Das tut das Paarungsverhalten auch, nur distanzierter. Eine 0:5 Heimpleite nennt sich bereits so, während sie oder er einfach nicht zurückruft. Aber warum nur? Wohl nur der Handykosten wegen.

Fußball ist deutlich. Mit dem Abpfiff sind die Dinge klar. Ein Tor ist ein Tor ist ein Tor ist ein Tor ist ein Tor. Häufig geht es im Leben darum, zu erkennen, was richtig und was falsch ist. Im Fußball nicht.

Die Fantasie

Zu behaupten, der Mensch lebe in der Realität, in der es solche Kategorien wie richtig und falsch gibt, greift zu kurz. Der Mensch versteht sich in Rollen, funktioniert in der Fantasie, lebt im Vorstellungen und Befürchtungen. Das ist wie Sex. Ein Zustand der völligen Abkopplung eines als Realität empfundenen Zustands. Sex funktioniert ja immer nur dann nicht, wenn er in die Realität zurückkehrt. Wenn irgendwas nicht stimmt, man sich schlagartig daran erinnert, was man hier tut, wenn man sich plötzlich wieder selbst beobachtet, sich selbst bewertet. Wenn man bemerkt, dass man gerade Sex hat, fällt er in sich zusammen. Männliches Versagen wird medial meist mit Stress, also übermäßiger Ablenkung verbunden. Der Mann wird also von der Realität, von den Dingen seines Lebens, immer wieder in dieses zurückgezogen. Er kann der Realität im Sex nicht entfliehen und kann ihn deswegen nicht praktizieren. Eine – sicherlich unterbewusste – Wahl hat der Mensch überall in seinem Leben. Sogar im Sex. Will ich die Dinge glauben, will ich mich in diesem Zustand verlieren. Man hat eine Wahl zu treffen, überall. Im Bett, aber zb. auch im Theater, in der Kunst, im Suff, unter Freuden.

Eine solche Wahl bietet der Fußball nicht. Seine große Stärke! Der Fußball hat keinen höheren Zweck als das eigene Bestehen. In einem Fußballstadion gibt es bestimmte Fragen nicht. Es gibt Tatsachen. Sieg, Unentschieden, Niederlage. Tor, kein Tor. Und deswegen funktioniert dieser Sport so gut. Weil man sich über das Erlebte nicht verständigen muss, kann im Fußball Gemeinschaft entstehen. Die Frage „Wie fandest du es?“, wie wir sie nach dem Theater stellen (manchmal wird diese Frage im Theater auch gerne nach dem Sex gestellt). Die Frage „Wie geht’s dir damit?“, wie wir sie nach zwischenmenschlichen Verwirrspielen stellen. All diese Dinge gibt es im und nach dem Stadion nicht. Die Vorstellung bei der Heimkehr von einem Auswärtssieg gefragt zu werden, wie es war, mutet seltsam bis unglaublich an. Es gibt nur eine zu klärende Info: Wie haben sie gespielt?

Der Rausch

Diese Eindeutigkeit, die Gewissheit, dass es dabei keine zwei Meinung gibt, also die Möglichkeit der Subjektivität des Nebenmanns, ermöglicht eine andere, wunderbare Sache: den Rausch!

In Little Miss Sunshine heißt es: „Happyness only real when shared“. In Up In The Air heißt es: “Remember the best moment of your life. Were you alone?” Der Mensch ist ein Herdentier. Er strebt nach Verbundenheit. Das Gleiche fühlen wie der Andere, im gleichen Moment. Rausch ist Verbundenheit. Zugespitzt: Rausch ist der Gipfel menschlichen Daseins! Und das 1:0 in der 91. Minute ist purer Rausch. Es ist zum Einen ein klares Ja, ein gehobener Daumen, ein erfolgreiches Bewerbungsgespräch, ein Sie-liebt-mich-auch! Ausrufezeichen! Und kein „Wir sehen uns“, bei dem man nicht weiß, ob die hübsche Dame mit Ausschnitt, dass jetzt sagt oder meint.

Zusätzlich erlebt man solche Momente nie allein. Im Stadion liegt das in der Natur der Sache. Aber auch am heimischen Radio hat man Leute um sich. Den Moderator, den Vater, der anderorts ebenfalls mithört oder man über den Zwischenstand SMS-technisch in Kenntnis setzt. Die Menschen, die man im Stadion jubeln hört, die Spieler selbst oder auch nur die fiktionale Masse an Gleichgesinnten. Die sind nämlich alles andere als abstrakt, sie sind eine Erfahrung. Somit ermöglicht der Fußball eine Fülle an elementaren, ungebrochenen, kollektiven Erfahrungen. Mit dem Vorteil, dass man sie zwar ungebrochen erleben kann, sie sich aber nicht aneignen muss. Um die Schönheit eines, sagen wir, Theaterstücks zu erkennen, muss man hingegen schon eine Menge solcher gesehen haben. Zumindest macht es die Sache meist leicher.

Fußball macht dich glücklich, er macht dich traurig. Er ist schön, er ist häßlich. Er gibt Hoffnung, er gibt Missmut. Aber vor allem Hoffnung. Das ist wie mit den Frauen. Wie heißt es in Nick Hornbys Fußball-Bibel Fever Pitch: "Ich verliebte mich in den Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden“.

Die Angst

Der Fußball inspiriert zum Weitermachen. Das spirituelle dieses Sports liegt in der Tatsache, dass er kein Ende kennt. Es wird im Fußball nicht mitgedacht. Das nächste Spiel kommt immer. Es wird vielleicht kein gutes sein, aber es wird da sein. Wie ein Gottesdienst, ein Gefühl oder ein Atemzug. Man muss bei diesem Sport – um in der auch von mir schon ziemlich abgenutzten Analogie zu den Frauen zu bleiben – nie Kraft darauf verwenden, sich davon zu überzeugen, dass da doch mal jemand kommen wird, der sich für deine armseelige Blenderhaftigkeit interessiert. Unsicherheiten, ob er oder sie die richtige ist oder ob er oder sie das auch so empfindet, hat der Fußball nicht. Nochmal Hornby: „Du suchst dir deinen Verein nicht aus. Er sucht sich dich aus“. Nein, der Fußball ist die ultimative Geliebte. Er lässt dich in Ruhe, wann immer du möchtest und ist immer da, wann immer du Zeit und Verwendung für ihn hast.

Er lehrt dich den souveränen Umgang mit der Niederlage und das ehrenhafte Verhalten im Sieg. Er lehrt dich, dass du damit nie allein bist. Die größte und weltweit einzig erstzunehmende Fußballhymne trägt den Namen „You’ll never walk alone“. Und wenn man, so wie ich, die Einsamkeit als die größte menschliche Angst begreift, ist dies ein wirklich schöner Gedanke. Da kommt man nach Hause und es wartet jemand auf einen. Da geht man aus dem Haus und er ist schon da – und man wird ihn nie leid. Das ist Fußball.

Die Hoffnung

In A Single Man heißt es: „Es gab in meinem Leben wenige Momente eindeutiger Klarheit. In denen man nicht dachte, in denen man gar nicht merkte, dass man fühlte. Von diesen Momenten habe ich gelebt und gezehrt.“ Der Fußball stellt diese Momente bereit. Momente völliger Klarheit, in denen einem wildfremden Menschen um den Hals fallen. Oder Momente, in denen einem der Himmel auf den Kopf fällt und du dich fragst, wie beim schlechten Sex, was man hier eigentlich gerade macht. Wenn es nach 30 Minuten schon wieder 0:3 steht. Dann sagt man sich „da geh ich nie wieder hin!“, schläft eine Nacht drüber und ertappt sich selbst bei der nächsten Gelegenheit wieder in der Hoffnung. So wie man nach einer schlechten Liebe irgendwann doch wieder in der Disko steht und in den Augen der hübschen Dame an der Garderobe seine Zukunft sieht. Es ist die Hoffnung auf den nächsten Rausch, die uns zu Menschen macht. Mit der nächsten Frau wird alles super. Mit dem nächsten Stück kommt die Erleuchtung. Mit dem nächsten Spiel kommt der Auswärtssieg, die Meisterschaft. Immer wieder.

Dienstag, 17. Januar 2012

Das Selbst und das Mitleid

Auf der Türschwelle.
„Möchtest noch du etwas sagen?“
„Nein.“
„Ich würde mir wünschen, dass du etwas sagst.“
„Warum?“
„Ich weiß nicht, sag irgendwas. Sag, dass ich nerve, dass ich ein weinerliches Opfer bin, dass dich mein Selbstmitleid anödet, dass ich dich in Ruhe lassen soll, dass du dich verliebt hast, dass du von jemanden schwanger bist, dass du schwanger warst, … was weiß ich.“

Wenn es ein Gesicht gibt, das keinen Ausdruck hat, dann war es ihres in diesem Moment.

„Verstehst du denn gar nicht, was das hier ist?“
„Ich glaube nicht, ich bin mir nicht sicher.“
„Ich will doch nur irgendwie das Gefühl haben, dass ich irgendeinen Einfluss auf dein Leben hatte, dass nach mir einfach nicht alles so weitergeht wie vor mir.“
„Warum ist dir das so wichtig?“

Die Frage brachte ihn aus dem Rhythmus. Er verstand sie nicht mal richtig. Aber sie klang eben auch nach leichtem Interesse, was ihm einen winzigen Moment der Wärme schenkte.

„Eitelkeit?“ Er hatte sich den Reflex antrainiert, in Momenten der Schwäche mit entwaffnender Ehrlichkeit zu reagieren. Die, ob seiner hängenden Schultern, mit der er sie meist vortrug, nur selten so wirkte, wie erhofft. Eigentlich funktionierte sie nie.

„Das 'Jetzt' ist doch bei uns völlig egal.“ Sie klang noch mitleidiger als sonst schon. Er hingegen wollte einfach nicht so tun, als ob er stark oder gar der stärkere von ihnen beiden sei. Ein solches Armdrücken verliert man gegen Frauen immer. Da sprach er aus Erfahrung zu sich.

„Ich will das einfach. Ich will etwas sein! Und ich werde nur etwas, wenn ich es in anderen bin. Alleine Lachen ist scheiße! Ich will, ich… scheiße!“ Es wurde kurz ruhig, aber beide sahen, nicht nur an seiner Mimik, die nach neuen Worten drang, dass er gleich weiterreden würde: „… ich hab dir doch Mixtapes nur aus zwei Gründen gebrannt. Entweder sollst du an mich denken, wenn du sie hörst. Oder du sollst sie nicht anhören, weil du sonst an mich denkst. Verstehst du? Ich muss nicht in dein Leben zurück. Ich muss auch nicht hören, dass du wegen mir unglücklich bist. Hör das Tape und mag es, erinnere dich, gut oder schlecht, aber erinnere dich, bitte.“
„Ich höre dein Tape nicht.“
„Aber nicht weil du sie nicht hören willst, sondern weil sie dir nicht in die Sinn kommt.“
„Mag sein.“
„Und das ist scheiße!“

Sie zog, etwas verlegen, die Augenbraun auf. Ein treffende Geste fand sie nicht. Sie war überfordert, für sich einen gelungenen Tonfall zu definieren. Sie wusste nicht viel über die Situation. Sie wusste nur, dass sie – genauso banal wie das klingt – keine Lust mehr auf sie hatte.

„Ich kann nichts für dich tun, befürchte ich.“
„Ja…“ Er überlegte zu gehen, hatte dann aber noch einen Gedanken, der seiner Ansicht nach zu ehrlich klang, um nicht ausgesprochen zu werden: „Ich glaube, wir beide, wir waren zu gut. Wir waren zu sauber. Alles war sauber zwischen uns, bis zum eben gar nicht bitteren Ende. Und das nervt.“
„Was sollte einen daran nerven?“
„Liebe… ok… Beziehungen sind nicht sauber. Nie. Verdammt, sie sind immer tragisch. Wenn Hoffnung erlischt ist das immer tragisch. Und wenn du nichts Tragisches an oder in dir hast, wenn du zu allem souverän bist, verletzt du mich damit mehr, als wenn du mich hassen würdest. Du gibst mir das Gefühl, dass ich ein Nichts bin. Für dich. Du …“ Er wusste nicht, was er noch sagen wollte. Er trat einen Schritt zurück. Hatte er gerade wirklich den Begriff 'Erlöschen' benutzt? Oh, verdammt!


„Es tut mir leid, aber … es tut mir leid, dass ich dich mit meinem Verhalten verletzte.“ Dieser Satz war ihr zu bürokratisch. Aber es war ok. Nochmal: „Es tut mir leid.“
„Nein, tut es eben nicht.“ Er drehte sich um, so schnell er konnte.

Das Geräusch der Tür, die bestimmt ins Schloss fiel, trieb ihm das Leid der Einsamkeit durch die Glieder. Auf dem Bordstein angekommen, begleitete "Damian Rice" mittlerweile die Szenerie. Er steckte die Hände in die Taschen seiner Markenjeans und den Kopf zwischen seine Schultern. Er merkte, wie er sich selbst in dieser Haltung beobachtete. Da gab es ihn, sein Selbstmitleid und sein Unglück. Und es gab ihn, seine Rechtfertigung, seine Unsicherheit. Die bittere Frage, ob er überhaupt ein Recht zu dieser Haltung habe. Er stand immer noch auf dem Bordstein, das Auftreten kaum verändert und fragte sich also, ob er diese Haltung nun annehme, weil sie ihm entsprach oder ob er sie nur annehme, um sich selbst zu zeigen, dass sie ihm entsprach. Dann sah er vor seinem geistigen Auge, sie das Fenster öffnen und ´zu ihm etwas versöhnliches auf die Straße zu rufen. Es war also beantwortet: Er nahm diese Haltung an, um sich selbst zu zeigen, was er da wieder mache.

„Wie lange habe ich eigentlich nicht mehr geheult?“ fragte er sich plötzlich selbst - laut. „Kein Mensch ist absichtlich traurig“ antwortete es von der Metaebene: „Wirklich, kein Mensch ist absichtlich traurig.“ Es war das Klügste, was er in der letzten Zeit von sich gegeben hatte. Kein Mensch ist absichtlich traurig. Als er begann, einen Fuß vor den anderen zu setzen, sah er vor seinem geistigen Auge die Haltung seiner Schultern.

Montag, 2. Januar 2012

Ist das ein Weltuntergang oder kann das weg?

Das Kinojahr 2011 war eines der großen Gesten. Viele von ihnen gelangen – ein Rückblick.

Auch der Tanz auf der Rasierklinge ist immer noch ein Tanz. Darren Aronovsky bat mit Black Swan gleich zu Beginn des Jahres 2011, zu selbigem. Portman, auf vielleicht 27 Kilo runter, überspannt alle Gesichtszüge, während ihr der schwarz-weiße Federwindzug durch die schier losen Rippen zieht. In seiner physischen Kraft, seiner undurchdringlichen Energie macht Aronovsky nie Gefangene. Die Figuren sind der Dramabühne entliehen, eine urgruselige, freudsche Übermutter thront dabei auf dem Eisberg. Die Andeutungen und Fallstricke sind vielzählig. Überwältigungskino, dass das Kunststück vollbringt, sein Publikum zwar zu hypnotisieren, aber nicht zu betäuben. Ein Rausch.

Überhaupt: es war ein Jahr der großen Gesten, der Aufplusterung, wahlweise der Weltumarmung oder des -untergehens. Allen voran natürlich die Cannes-Klammer Malick/von Trier, das der blauen Kugel ihre vollständige, theatrale Erfassung entgegen hielt. Der Eine, vom Schöpfergeist befallen, schöpft und schöpft aus dem Vollen. Malt eine Welt, von Beginn an, in den hellsten Farben. Der Tree Of Life erwächst. Unter ihm kniet die Mutter im Moos, dem Märchen entstiegen, auf einer Schaukel, im Feengewand. Daneben die Bilder einer Kindheit, einer Erziehung, die es im Kino in einer reineren Form wohl nie gegeben hat. Da erhält der ältere Bruder einmal von der Mutter keine Aufmerksamkeit und will es dem kleinen Bruder dafür heimzahlen, mit der Faust. Und die Mutter weist ihn zurück, mit einer Milde, wie sie nur eine Mutter besitzt. Mit einer Bestimmtheit, wie sie nur eine Mutter besitzt. Dagegen wirken die Dinosaurier noch deplatzierter und banaler, als sie ohnehin schon sind. Doch wieviel Stunden an Material muss Malick für diese drei und alle weiteren Sekunden elementarer Kindheitserfahrung verfilmt haben, in denen der eigentliche Urknall liegt. Man weiß es nicht genau, aber man dankt es. Mit Tränen der Rührung, die nicht immer ganz sicher sind, ob ihre Natur eine süße oder saure ist.

Melancholia hingegen ist nicht zum Heulen. Alles ist kalkuliert: Ergebnis, Machart, und Marketing. Zwei Filme, zwei Antipoden, die die emotionalen Sphären des Kinos im Jahr 2011 begrenzten. Wagner flutet bereits zu Beginn die dekadente Arche Golfplatz – in Slow-Mo. Das sieht - alle interlektuellen Verkrampfungen mal über Bord geworfen- verdammt gut aus! Von Trier hat seinen Hitchcock gefilmt. Durchtriebenes Reisbrettkino, das mit Comic-Relief (Udo Kier!) und präzisem Spiel die Sache sachlich und rhythmisch in ihr Ende führt, von dem jeder weiß, dass es kommt. Und genau deswegen packt. Depressiv-Suspense. Das drückt einen in den Sitz, weil der Bass unentwegt zum Unheil dröhnt.. Weil von Trier Bilder entwickelt, die zeigen, wie es hinter den Mauern des Marienbads aussieht. Weil diesmal wirklich jede Hilfe zu spät kommt. Weil wir es doch gewöhnt sind, dass am Ende der Held um die Ecke kommt: der einzige Unterschied zu Hitchcock. Während der Brite seinem Publikum immer genau das gab, womit er sich am wenigsten konfrontieren lassen wollte, verweigert der Däne dem Zuschauer alles, was ihn vor dergleichen erretten könne – und findet darin sogar noch ein Nano Erlösung. Der Wald, bei Malick noch in der Hoffnung des Entstehens, taugt jetzt auch zu nicht mehr viel, als zur nackten Aufgabe. Was, Dunsts Fitnessprogramm sei dank, noch so ein schöner wie beliebiger Anblick ist. Bei von Trier sind auch 2011 die Helden nicht mehr als gebrochene Frauen. Männer sind dabei sympathisch-konsequent nicht der kleinsten Rede wert.

Nein, es war kein gutes Jahr für Helden. Unbekümmerte Arbeiten, wie das wunderbar rhythmische Wer ist Hanna? waren Sonderfälle. Synders Sucker Punch war die unnötige aber eben auch erwartbare Belanglosigkeit. Und eben auch nur bedingt schön anzusehen. Weil Schönheit doch immer auch mit Sinn gefüllt sein muss, um reizvoll zu sein. Aber hübsche Frauen und hübsch choregrafierte Bilder, sind als Selbstzweck leider verloren, wenn sie dabei vorgeben, einen höheren Zweck zu besitzen. Mehr Abstand zu sich selbst würde Synders Filmen häufig helfen.

Hingegen Duncan Jones hatte man nicht zugetraut, dass er den Donnersmark macht und dem schlichtschönen Moon eine solche Lustlosigkeit wie Source Code hinterher wirft. Auch The Green Hornet war eine eher unerwartbare Enttäuschung. Michel Gondry zeigte sich dafür verantwortlich. Gondry! Der Schlagzeuger des Schönen. Der Franzose, der Unabhängige, der Schutzpatron aller Träumer, verlorenen Bastlerseelen und missverstandenen Ästhetiker. Eine Hoffnungsfigur. Ein paar illustre Kamerafahrten und ein, zwei Einfälle sind zu entdecken. Doch auch denen sieht man immer noch den Produzenten an, der Gondry den Revolverlauf in den Rücken drückt; die Zigarre im übergenährten Mund, die Angst des Macht- und Geldverlusts auf der nassen Stirn, zischt er: schöne, neue Bilder haben noch nie die Massen ins Kino gebracht, nur bekannte Gesichter (Cameron Diaz, uhag!) und pubertätsnahe Geschichten – und 3D. Weswegen der Film auch nachträglich um eine Dimension aufgestockt wurde. Ein Verbrechen! Das ist, wie Fritz Göttler richtig verglich, der nachkolorierten, roten Flagge im Panzerkreuzer Potemkin ähnlich. War nicht so gedacht, und sieht auch so aus.

Doch auch „echte“ 3D-Filme haben ihre eigene Innovation nicht befeuert. Bezeichnend das mit Pina ein nur spärlich narrativer Film, am ehesten sein Ziel fand. Selbst wenn Wenders einen schmerzlich unkritischen Umgang mit der Bausch-Sekte pflegt. AÜber Tote spricht man nicht schlecht – unabhängig in wieviel räumlichen Auswüchsen.

Auch Politik ist kein gutes Thema zu Tisch. Filme wie Margin Call drücken sich um den eigenen Zugang und fliehen vor der eigenen Courage, dem Gefühl der Überforderung, dem Mythos der Komplexität. Das ist die dunkle Seite der Malick-Medaille: In der Abstraktion sind Gesellschafts- und Weltbilder noch zu malen, nicht aber mit den Farben der Tatsachendramatik. Das zeigen auch Positivbeispiele wie Four Lions. Ein kleiner, gemeiner Film, der eben in alle Richtungen schießt, abschließend gar wortwörtlich – und nur deswegen trifft. Stellungbeziehen ist unschick geworden. Dass Positionierung auch außerhalb der Satire und den Grenzen der Phrase gelingen kann, zeigt dabei ein Film wie der klein-große „Nader und Semin“, der den Unterschied zwischen Einfachheit und Schlichtheit elegant aufzeigt. Das Geschichtenerzählen wird immer Basis des Kinos bleiben, ruft es aus diesen Filmen hinaus. Der sensible Blue Valentine kann dafür genauso ins Feld geführt werden. Ein melodisches Requiem für die Liebe, das in seiner ganzen Aufrichtigkeit und seinem tiefen Mitleid für seine zwei Figuren doch eine Lebensbejahung in sich trägt, die man vielerorts nicht findet.

Es war also nicht alles anders, in diesem Jahr. Woody Allen drehte sich weiter durch Europas Förderinstitute, ohne dabei lange in Erinnerung zu bleiben. Paul Giamatti füllt mit Win Win und Barneys Version gleich zwei Filme mit Seele, die mit viel Charme und unaufgeregtem Kalenderspruch-Flair punkten konnten. Den zu sehr im eigenen Original verlorenen Hangover 2 konnte aber selbst Giamatti nicht retten. Aber auch das ist bezeichnend: Die Anzahl der Fortsetzungen war mit 27 Stück noch sie so hoch wie 2011. Ein Schelm, der dergleichen gutheißt.

Und der deutsche Film? Steht weiterhin etwas neben sich, und daher auch hier nur am Ende. Er zelebriert mit Filmen wie Almanya oder Mein Bester Feind seine eigens gewählte Political-Correctness. Eng aufreiht sitzt man auf der Anklagebank. Der Schuldspruch: ergaunerte Bedeutsamkeit durch die einfältige Behandlung als relevant verstandener Themen, zum Leid eines geistigen oder kurzweiligen Schauwerts. Während das Duo Schweighöfer/Schweiger im abbezahlten Zweisitzer vorbeizieht. Dem Deutschen seine Komödien. Dabei fand man im selbstbewussten Hell oder im stilsicheren Die Unsichtbare Vertreter, die ihre Ästhetik eben nicht als lästige Pflichtübung auf dem Weg zur Botschaft (wichtig!) verstanden. Auch wenn sie sich schwer taten, dafür entdeckt zu werden. Schade eigentlich, waren diese Filme doch, wie das gesamte Jahr 2011, ihr Geld und ihre Lebenszeit zumeist wirklich wert.