Donnerstag, 4. Dezember 2008

Schnee, der in Dreckslöcher fällt

Ich würde lügen. Ich würde bösartig, hinterlistig lügen, wenn ich behaupten würde, dass wir die Welt verändert hätten. Das draußen von nun an die Flocken aufwärts steigen und der Matsch zu purem, reinen und unberührten Schnee werden würde. Die Welt war nach diesem Abend, die Selbe die sie auch schon zuvor gewesen ist. Mit allem was dazu gehört.
Unter anderem die Wohnung, in der wir uns ab etwa 21.30Uhr einrichteten. Eine Festplatte guter Musik, ein mit Aufbackbaguette gefüllter Ofen, IKEA-Tisch und der darauf abgestellte Alkohol. Darum 4 Kommilitonen und die Idee eines Trinkspiels, bei dem jeder den Tequilla leeren muss, der nicht fähig ist zum eben vom Nebenmann genannten Film einen Schauspieler zu nennen. Was beim Scrabble das Wörterbuch, ist hier imdb.com. Nach Mitternacht wird auf Martini umgestellt. Mit diesem nimmt die Konzentration auf das Spielchen ab und die zu den jeweils genannten Filmen geäußerten Stammtischparolen übernehmen die Überhand. Es ist eine Assoziationkommunikation. Ein Wort ergibt das Andere. Jede Meinung findet einen Gegenpart, jede Idee, eine Abneigung. Ein Film ergibt den Nächsten, eine Filmmusik den nächsten Darsteller und dieser einen Regiesseur.
Von Magnolia und darauf über Youtube gesuchten Aimee Man, gelangt die Runde zu Queens Of The Stoneage und über Umwege zu Scorsese, "Hard Candy" und später auch Tarrence Malik und sein von uns allen Seiten selten einig für grandios befundenes Meisterwerk „“The Thin Red Line“.
An diesem Punkt erreicht der Abend einen Wendepunkt. Mit diesem Film und der alteingesessenen Frage nach der Existenz des Anti-Kriegsfilms wird es (etwas) politisch. Wir sitzen nicht bei Anne Will in der Berliner Kuppel, aber den Stammtisch haben wir immer noch nicht ganz verlassen. Das ändert sich, als jeder erstmal ein paar Sätze, die ihm grundsätzlich auf der Seele brannten los geworden ist. Ab diesem Punkt wird die Diskussion gradliniger. Und als gegen 2.30Uhr das Thema geklärt und die Konzentration zurück gekehrt ist fällt Schnee auf Fenster in der Dachschräge.
Die Diskussion wird persönlicher, lauter, aggressiver. Von Afrika, der dortigen, westlichen Verantwortung nach der Kolonialzeit, Globalisierung, Europas Selbstfindung seit dem 30jährigen Krieg, der dabei (nicht) zu findenden Analogie zu Afrika heute, führt uns erneut zum schwarzen Kontinent. Unsere Meinungen darüber sind, wie immer, emotional befleckt, wenn diesmal auch deutlich mehr als sonst. Auch wenn ich weit davon entfernt bin, dies als unsachlich und hinderlich zu bewerten. Vielmehr ist es ehrlich. Ob naiv, zwanghaft optimistisch, melancholisch gleichgültig oder eine ausgewachsene Aggression gegen alles und jeden; alles hier von uns vier vorgetragene Etwas ist grundehrlich. Wir sind ehrlich, wenn wir sagen, dass wir genauso wie alle anderen auch nichts tun, dass dieser Abend, diese Diskussion reiner Selbstzweck ist und dass wir eigentlich diese Welt nicht ändern wollen. Ob wir es nickend, weinend oder mit Schaum vorm Mund sagen, wir sagen es. In den Zeilen oder dazwischen. Der Tequilla in unserer Blutbahn ist dabei schon lange nicht mehr wirksam.
Irgendwann wird es müde. Die Fähigkeit dem Gegenüber zu zuhören geht vor die Hunde, Beleidigungen wechseln den Adressaten und gegen 5.30 hat der Gastgeber den Geistesblitz Tee aufzusetzen. Beide Hände an der großen Tasse, endet dieser Abend wie ein guter Film. Er warbt seinem Ende entgegen. Wie in „The Thin Red Line“ ist das Gemetzel, das ganze Chaos über uns eingebrochen, hat Unmengen an Fragen aufgeworfen, auf die wir keine Antwort haben. Was bleibt ist der schlichte Abspann, weiß auf schwarz und ein trüber Chor sind melanesische Lieder, die zwar schön aber dadurch auch entlarvent sind. Das Licht geht an, die Idioten sind bereits hektisch raus gerannt und du presst dich noch ein letztes Mal kurz in den Sitz.
Um kurz vor 7Uhr steige ich aus dem Bus aus. Die Sonne mit mir. Ich werde heute oder morgen weder auf eine Demonstration gehen, noch Flugblätter verteilen. Ich werde nachdem der Biomarkt bereits geschlossen hat bei Aldi an der Kasse stehen, Hackfleisch in der Hand und diese komische Uni-Wahl völlig vergessen. Aber das wäre auch ohne diesen Abend der Fall gewesen, also lassen wir die Moral endlich mal Beiseite, die hat hier eh nichts zu suchen.
Auf dem Weg von der Bushaltestelle nach Hause läuft mir der Matsch über die Schuhe. In Puff und Schwulendisko ist auch schon das Licht aus. Sogar die Batterien meines Mp3-Players haben keinen Saft mehr, wofür es keinen besseren, weil unbedeutenderen Zeitpunkt geben könnte. Denn; es geht mir gut. Hier, in dieser Welt in der – ohne jede hier selbst schützende – Ironie Kinder in Afrika sterben, vielleicht sogar weil ich nicht im Biomarkt kaufe. Hier, in dieser Stadt zwischen Bordell, Dreck und nicht fahrenden Bussen, habe ich etwas gefunden. Habe ich Leute gefunden, mit denen ich gerne die Dienstagnächte verbringe, womit auch immer. Leute mit Plakaten im Treppenhaus, gutem Musik- und Filmgeschmack und einer Menge Lebensbejahender Energie, die nicht in jedem zu finden ist.
Ich würde lügen, wenn ich sage, dass diese Welt sich verändert hätte, gestern.
Aber ich fühle mich doch deutlich wohler und besser in ihr zurecht. Ich fühle mich zu Hause.

Donnerstag, 30. Oktober 2008

Ein Experiment

1. Machen Sie Musik an die Sie mögen
2. Lesen Sie folgenden Text. Denken Sie nicht.

Eine Milchstrasse. Ein Fahrrad mit Stückrädern. Ein 10Meter-Strungbrett. Eine Sonnenuhr. Eine kurze Antwort auf eine lange Frage. Ein Zopf der sich in sich selbst versteckt. Eine Idee. Eine melancholische Melodie. Ein Mars. Ein Stück unbenutzte Seife. Ein roter Tennisball. Ein Lächeln. Eine vom Schnee gesäumte Strasse. Ein Kinderspielzeug. Eine Drehtür. Ein Rausch. Ein Eiszapfen an der Dachrinne eines Bauernhofs. Eine Palme. Ein Paar abgenutzter Turnschuhe. Ein Witz. Ein Cocktail. Ein frisch gebügeltes Hemd. Eine Jeans mit Grasflecken. Ein Pyjama. Ein tropfen Schweiß. Ein Ausrufezeichen. Eine Schaumkrone. Ein Heuballen. Eine Zugabe. Ein Kuss im Regen. Ein verweinter Leadschatten. Eine Windmühle. Ein Oma der du im Zug Platz machst. Ein Orgasmus. Ein Fragebogen, mit Fragen, die du noch nie gehört hast. Ein Foto. Eine Schafsherde im Regen. Eine Sonnenblume. Ein ungebundenes Buch. Ein weinender Sportler. Eine Wolldecke. Eine Erinnerung. Ein unangeschnittener Würfel Butter. Eine Flanke. Ein Wasserfleck auf dem Spiegel. Ein Wortspiel. Ein Bagger. Ein Nachtisch. Ein volles Kino. Eine leere Autobahn. Eine Mundharmonika. Eine Flamme. Ein Kreis. Ein Freund. Eine Träne. Ein Glas Wein. Ein kleiner Finger über einem Großen. Ein Daumen. Eine Textzeile. Eine Silbe. Ein Schwamm. Ein Fenster. Eine neue StudiVZ-Nachricht. Ein Spiel. Ein Rhythmus. Ein Zeitungsartikel. Ein Blick zum Himmel. Ein Tanz. Ein Leuchtturm. Ein altes Buch. Ein Marktplatz. Ein Gespräch. Ein Schweif. Eine Fee. Ein Ziel. Eine Vision. Ein Anfang.

4. Lächeln Sie.

5. Tun Sie was Sie wollen.

Donnerstag, 16. Oktober 2008

Für immer die Menschen

Es gibt wahrlich komische Menschen. Und mit „komisch“ ist nicht dieses liebevolle „ich-kanns-nicht-beschreiben-aber-es-ist-irgendwie-süüüüß“-Ding gemeint, was ungebildete Frauen oft nutzen. Ja,... ich sagte „ungebildet“. Genauso wenig auch kein „komisch“, als Synonym für ein „interessant“ an dieser Stelle. Ein „interessant“ dieser diplomatischen „kleiner-scheiße-Bruder-sogar-im-StudiVZ-verbreitet“-Ding-Kategorie. Es ist schlicht weg komisch, verwirrend, seltsam. Ich könnte jetzt schreiben, komisch, wie das Leben selbst. Aber aus aktuellen Anlass will ich Marcel „Macher“ Reich-Ranicki, wie nur Freunde ihn nenne dürfen, nicht die Möglichkeit geben, dies für Blödsinn zu erklären. Dann hätte er sich die Chance verbaut mich nach meinem Tod, in den Himmel zu loben. Literarisch, als auch theologisch gesprochen. Ich wette er wäre zu beiden im Stande, der Macher. Aber weg von Ranicki, hin zum Leben, hin zum Menschen.
Da ist beispielsweise dieser Typ aus dem Wettbüro, der jeden Tag da zu sein scheint. Das weiße Haupthaar geht ihm bis zur Wange und sein Gesicht hat Risse, die aber noch keine Narben sind. Es sind Linien wie in der Handinnenfläche aber zu deutlich dafür dass es nur Falten sind. Während alle anderen ihre weniger oder noch weniger anspruchsvollen Meinungen zum Spiel in die verqualmte Luft des mit Fachbildschirmen zu gepflasterten Saals rotzen, sitzt er nur da. Sitzt da und sagt alle paar Minuten den Namen des ein und selben Spielers. Wenn Arsenal spielt: „Adebayor, ... Adebayor,... Adebayor“. Oder bei München: „Toni,... Toni,... Luca Toni“. Manchmal, in der Konferenzschaltung wiederholt er den Mann im Fernsehen. Wenn es also „Tor in Kiew“ heißt, sitzt der Herr da und murmelt wie der strebsamste Papagei: „Kiew... Kiew.... Dynamo Kiew“.
Oder da wäre die dürre Ausdauersportlerin im Fitnessstudio, die immer da zu sein scheint. Sie rennt. Sie rennt immer und immer und immer. Sie stellt jeden Tag ihr bisschen Haut und Haar was von ihr noch übrig ist, auf immer das gleiche Laufband vor dem geöffneten Fenster. Und rennt. 12.8KmH bei 0.5% Steigung rennt sie. Immer. Und wenn sie Pause macht, hält sie das Laufband an, rennt in die Umkleide und rennt nach wenigen Sekunden zurück durch die Halle aufs Laufband. Dann bleibt sie für ganz kurz stehen, stellt ihren Mp3-Player ein und rennt weiter. Letztens hab ich sie in der Uni gesehen; keine Farbe im Gesicht, keine Arsch in der Hose, keinen Freund an der Seite und mit einer Zigarette in der Hand. Sie sah traurig aus.
Fast genauso wie die Damen, die im gläsernen Häuschen vor der Mensa sitzt, wo sie Essensmarken im Akkord an den hungrigen Akademiker bringt. Ihr Arbeitstag besteht aus dem drücken von 3 Tasten (Eintopf, Stammessen, Menü) und dem Ansagen von dem dann jeweils fälligen Geldbetrag. Jeder dritte meckert über ihre Unfreundlichkeit, die ohne Zweifel da ist. Jeder zweite merkt ihre neue Frisur – ohne sie darauf anzusprechen. Sie hat kein Geld, kein Aussehen, keinen Grund, warum man über sich reden sollte. Auf der Treppe, in die Mensa hinab ist zu wählende Beilage wichtiger. Und das ist hier keine Sozialkritik. Ihre Zuflucht besteht darin zu Boden zu schauen und sich dem Aufmacher der immer vor ihr liegenden „Neuen Post“ oder was auch immer sie da liest zu wittmen. Dort in ihrem Häuschen, jeden Tag von 11 bis 14Uhr. Jeden Tag. Jeden Tag.
Auch die Dame in der Innenstadt ist immer da. Sie heißt Frau Priel und hat einen polnischen Akzent. Immer an der selben Stelle, dort wo sich der Jahnplatz eröffnet sitzt sie und wünscht jedem der ihr etwas gibt einen schönen Tag. Und jedem der ihr nichts gibt auch. Es ist nicht diese neue „Pennerfreundlichkeit“, die sich einen Fragen lässt was auf einmal los ist in diesem Land. Wenn schon die Penner freundlich grüßen, in Dienstleister-Deutschland. Diese Dame, die da auf ihren Tüchern kniet als würden die Fließen darunter nichts ausmachen, ist so unglaublich lebensbejahend, so stark und groß, dass es einen wundern lässt wozu der Mensch alles fähig ist. Letztens traf ich sie in der Nähe des Friedhofs. Frau Priel erzählte, dass ihr Sohn vor Jahren verstorben ist und auch sonst niemand mehr leben würde aus ihrer Familie. Dann lächelte sie leicht dafür aber ehrlich, segnete mich und ging ihres Weges – aufrecht, mit der Gießkanne in der Hand. Sie ging als Vorbild für den Rest des Tages.
Ich mache mir nichts vor; wären diese Menschen nicht da, ich würde es nicht merken. Sie haben nichts poetisches oder anmutiges. Jedenfalls nie solange man ihre Eigenarten nicht auf Papier oder auf Blog bringt. Man will nichts von ihnen und sie meist auch nichts von dir. So ist das. Aber irgendwie fühlt es sich gut an, ihnen diese Zeilen zu überlassen. Fragt nicht wieso... und wenn „der Macher“ doch fragt, nachdem er mit seinen Cello-Anekdoten fertig ist; ich bin im Wettbüro. Liverpool gegen Barca gucken. Barca,... Barca... Barcelona.

Samstag, 6. September 2008

Der Zukunft zugewandt

Basketball, Viertelfinale, Herren. Ab dem zweiten Spiel, im Ersten hat die USA Australien mit 35 Punkten demontiert, sitzen neben uns Luming und Shuang, zwei Studenten aus Peking, die eben ihre Voluteersschicht beendet haben und nun die leeren Plätze nutzen dürfen. Sie wirken gebildet, höflich und sprechen Englisch auf unserem Niveau - wenn nicht sogar besser, was für chinesische Verhältnisse sehr elitär ist. „Endlich“, denke ich: „endlich eine Möglichkeit mit Chinesen zu kommunizieren.“ Und wie!
Über den Sport und unsere Eindrücke von China, die ich ehrlich aber auch diplomatisch äußere, gelangen wir zu den spannenden Themen. Durch die harmlos anmutende Hintertür, der Eröffnungsfeier frage ich sachlich nach den letzten 100 Jahren, die in der dortigen Zeremonie fehlten. Warum Mao und das entstehen der KP nicht Teil der chinesischen Geschichte seien, jedenfalls nicht in den dargestellten 5000 Jahren chinesischer Geschichte ihren Platz hatten? „Weil das unsere Vergangenheit ist“, erklärt Shuang: „das ist nicht Teil der Weltgeschichte. Wir wollten zeigen was China der Welt gegeben hat, was wir in die Welt getragen haben, nicht was nur uns betrifft. Wir tragen Mao und unseren Schmerz in unseren Herzen.“ Das deckt sich mit unseren Beobachtungen der letzten Tage. Wenn es im öffentlichen Leben der Chinesen etwas nicht gibt, sind das Schmerzen. Kinder weinen nicht, als ob sie gelehrt hätten, dass es nichts bringt und alte Menschen sind in den Straßen gar nicht erst zu sehen. Aussortiert von fehlendem Platz und nicht vorhandenen Fahrstühlen in der Metro. Und wenn ein Sportler für das Vaterland den von ihm erwarteten Sieg erringt, wirken seine Jubelszenen weniger wie ausgelassene Freude, als mehr wie ein erlöster Mensch, dem eine zentner schwere Last abgefallen ist. Nur im großen Misserfolg lassen sich die Emotionen nicht mehr zurückhalten und es bricht heraus. Wie bei der Sportreporterin, die vor laufender Kamera in Tränen ausbrach. Tief erschüttert über das Aus ihres Hürdenläufers und einzige Hoffnung auf eine Goldmedaille in der Leichtathletik. "Deiche brechen Richtig - oder eben nicht", hat Kettcar wie immer Recht.
Als nach weiteren Themen Luming merkt, dass das Gespräch an der Stelle der Minderheiten kritischer wird, ergreift er die Initiative. Er tauscht sogar mit Shuang den Platz, rückt also näher und erzählt, dass China das Land mit den zahlenmäßig meisten Minderheiten sei und diese geachtet und integriert seien. Meinen Einwand, dass dies nur absolut und nicht relativ zur Einwohnerzahl sei, lasse ich lächelt versanden. Anschließend wird der angehende Richter oder Polizeikommissar, was in China der selbe Studiengang ist, allgemeiner. Er redet von der Größe und dem kulturellen Reichtum Chinas, dem angestrebten Weltfrieden und davon, wie sehr er hofft, dass China sich weiter so schnell entwickelt. Seine Worte klingen auswendig gelehrt, wie vieles was die Chinesen äußern und doch glänzen Lumings Augen. Er glaubt seine Vokabeln. Er ist Patriot, keine Frage. Aber ob er sein Land überhaupt kennt, weiß ich nicht. Auf ein Fußballspiel von China gegen Japan im letzten Jahr angesprochen, wo es heftige Schlägereien zwischen den Fangruppen gab, wissen beide nichts. Sie wissen beide nichts von den Ausschreitungen. Woher her auch? Die Zeitungen hier bestehen nur aus Sätzen wie „Es ist eine Ehre für China zu spielen“ und schlecht gefälschten Leserbriefen pseudo-ausländischer Gäste. Diese sind dann mit so typisch deutschen Namen wie „Hr. Bonn“ oder „Hr. Frankman“ unterschrieben. Im Fernsehen bestehen die Talkshows aus einer alten, bärtigen Person, die Texte abliest und das Motto der Spiele ist nicht minder politisch „One World – One Dream“. Mehr als nur der eine Traum, die eine Idee wäre destruktiv im Reich der Mitte.
Stattdessen fragt Luming naiv nach dem Ergebnis des Spiels und betont präventiv auswendig gelehrt, dass sich das Verhältnis die Japan stetig bessert. „Wir sind alle Opfer und Produkt unserer Bildung“, denke ich nur. Die beiden Studenten haben gelehrnt was in bestimmten Situationen zu sagen ist. Welche kleinen, blumigen Monologe die sie perfekt beherrschten über den Frieden und die Ziele, die man sich setzt, besonders gut ankommen. Und doch sind beide, besonders die etwas zurückhaltendere Shuang offen und interessiert. Sie wissen sehr viel über Deutschland. Zwar glauben sie, dass Gerhard Schröder in Warschau gekniet hätte, aber als wir sie verbessern, sagt auch Willy Brandt ihnen etwas. Unzählige Philosophen können sie aufzählen. Schopenhauer, Hegler und natürlich Marx und Engels. Aus einem beliebigen Land, dass 11 Flugstunden weit weg ist. Ich kenne kaum chinesische Philosophen, schon gar nicht was sie so gesagt haben. Ich weiß nicht mal, wie der aktuelle KP-Chef heißt, oder gar ein ehemaliger. Einer von euch?
Überhaupt, die beiden saugen alles auf was wir sagen. Sie sind neugierig und freuen sich über unsere Erzählungen und verdeutlichen dies durch eine warmherzige und zugeneigte Art, die mir bis dahin fremd war in dieser Stadt. Die beiden, besonders die Mathematikstudentin Shuang, wollen andere Dinge sehen, wollen andere Menschen treffen. Nicht mehr abhängig von nur einem Bildungsapparat seinen, was sie meines Erachtens zweifelsohne sind.
Nach dem Spiel, welches wir nicht mitbekommen, verlassen wir vier als allerletzes die Halle. Wir tauschen Mail- und Heimadressen aus und auf dem Weg zur Metro ich erzähle von der Schwierigkeit in China eine Postkarte zu schreiben. Postkarten schreiben die Chinesen nicht. Dann umarmen wir uns und bleiben in der losen Hoffnung zurück, dass dies nicht der letzte Kontakt war. In der sonst sehr stillen Metro tanzen und singen die in der letzten Sekunde siegreichen Argentiniern mit den Chinesen lautstark. Das chinesische Team war morgens chancenlos ausgeschieden.
Die letzten Tage ziehen etwas weniger befremdlich ins Land und man bekommt besonders im Vogelnest das Gefühl, dass sich die Last der Chinesen sich der Welt gut zu präsentieren etwas löst und die Anspannung der ersten Tage zum Ende der Spiele aufbricht. Sieger werden gefeiert und nicht mehr höflich beklatscht und auch die Welle macht erstnmalig ihre Runde im 91-tausend-Mann großen National Stadium. Eine westliche Ausgelassenheit erreicht dies freilich nie und die Zeit stellt auch korrekt fest, dass Chinesen alles könnten außer cool sein. Aber 'Fortschritt' ist ja das Wort, mit dem sich China selbst beschreibt.
Im Flieger zurück lese ich in einem bemerkenswert gutem FAZ-Interview mit Michael Groß den Satz: „Das chinesische Volk hat diese Spiele verdient – das chinesische Regime nicht.“
Eine Woche nach der Rückkehr liegt eine Postkarte im Briefkasten. Shuang, mit dieser Kommunikationsform nicht vertraut, weiß nicht weiß nicht was sie schreiben soll: „Lieber Wilhelmi“, beginnt sie im Denken, dass wäre mein Vorname: „Ich hoffe euch haben die Olympischen Spiele gefallen. Wir bleiben in Verbindung. Liebe Grüße, Li Schuang.“. Darunter hier Name in chinesischer Schrift. Er bedeutet: „der Zukunft zugewandt“.
Es lebe die deutsche Medienlandschaft.

Samstag, 5. Juli 2008

Unterbrechung!

...leider müssen wir hier die Neunteilige Serie des Tagebuch eines Typ im Bandshirt mit Selbstdarstellungsdrang leider wegen fehlender Mittel und gestiegener Rohölpreise einstellen. Sie lesen stattdessen zwei alte Wiederholungen in unserem Themenabend "die Erben der 70er Jahre" .
Eine Zeit in der der Mensch, wie auch unser Autor hin und her gerissen war. Ost und West. Fedex und Pontifex. Und vorallem Optimismus und Pessimismus, was unsere polaren Quellen versuchen zu illustrien.

Die weiteren Zeitzeugen sind alle zu Guido K. übergelaufen und wenn's nicht gefällt, können sie ja zu Arten gehen.

Pamphlet eines Fachidioten

Es hat mal jemand gesagt: „Wenn man jung ist, versucht man sein Feindbild zu bekämpfen. Und in diesem Kampf wird man vor lauter Narben seinem vernarbten Feindbild immer ähnlicher. Wenn man alt ist, merkt man, dass man sein eigener Feind ist – oder auch früher“.
Das hat nicht wirklich jemand gesagt, sondern ich habe das eben gedacht, aber es klingt einfach erhabener, größer, pathetischer als es einfach nur so aufgeschrieben.
Es gibt ja diesen Churchill-Spruch, kein Herz, kein Hirn und so..., der meint das selbe. Nur wertet er die Sache anders.
Und während ich so dahin fasele bin ich der seligste Beweis für meine eigene Theorien, wie praktisch. Ich wollte nie einer dieser Typen werden, die 7/24 die ganze Welt immer durch ihre Fachspezifische Brille betrachten. Jeder Mensch wird auf die Frage, wie er die Welt retten könne anders antworten. Der Mediziner wird sagen: „mit Medikamenten und Versorgung für alle“. Der Journalist sagt: „Pressefreiheit und das ganze ideologische Zeug“. Der Prister: „Glaube“. Der Philosoph: „Denken“ Mh... . Der Politiker: „Freiheit“. Der Neoliberale: „Steuern runter“. Und ich? Ich würde wohl erstmal sagen, dass ich gegen Monokausalitäten bin. Wenn ich mich aber auf eine Sache beschränken müsste, so würde ich sicherlich irgend wen aus Kultur und Medien zitieren. Ich weiß nicht. Goethe? Stanley Kubrick? Monthy Python? Brecht? Bärbel Höhn? Kettcar? Dr. Cox? Homer Simpson? Eher als Kant... soviel ist sicher. Aber doch, würde ich als angehender Medien-irgendwas-Fuzi eben wie ein Medienwissenschaftler, wie ein Akademiker antworten. Ich bin Teil eines Systems, dass uns beibringt, dass Denken das Zusammenführen von Gedanken anderer ist (man nennt das Fußnoten), bis man dies in genug Büchern getan hat um dann verbittert vom ganzen korrekt zitieren und dem ganzen verdammt trockenen Stoff durchwälzen endlich selbst (jetzt verbitterte) sich Gedanken zu machen.
Ich bin Teil eines Mediensystems, welches nach Regeln arbeitet, die jeder akzeptiert aber keiner weiß woher sie kommen. Einem System, welches Michael Moore mehr kritisiert als Henry Kissinger. Welches mehr über über KFZ-Steuern redet als über die anhaltenden Kriege in Zentralafrika. Welches Christiansen durch Will „ersetzt“. Welches Wikipedia nicht als Quelle akzeptiert, den Focus aber schon. Welches mich dafür kritisieren würde, dass ich unreflektiert bin – hätte ich Telepräsenz.
Und doch, in zehn Jahren stehe ich auf einer Tagung und werde darüber reden wie viel Filme erreichen können (im Gegensatz zum Steinewerfen, zum Beispiel), wie wichtig es ist – wenn nötig auch mit Waffengewalt – das ökonomische Gleichgewicht in Mittelasien aufrecht zu erhalten und warum es gesamtgesellschaftlich sinnvoll und gut für alle ist den Spitzensteuersatz zu senken (plakativ?).
Ich mache mich auf die Reise all dies zu werden. Ich werde Bücher schreiben, die voll sind mit Zitaten, weniger von Homer Simpson oder Michael Moore. Mehr Zitate von Platon, Nölle-Neumann, Nietzsche und dem Typen der das Wort „Leistungsprinzip“ erfunden hat. Ich werde verbittert über die heutige, ungebildete Jugend reden, ohne zu merken, dass ich es war, der ihre Bildungssituation mit geschaffen hat. Ich werde einen Zaun um mein großes, von Bertelsmann bezahltes Haus bauen, damit meine Kinder gut schlafen. Ich werde privat versichert sein.
Und wenn ich dann von meinen Kindern gefragt werde, wie ich früher war, werde ich mit glühenden Augen berichten. Ich war ein Kämpfer. Im Untergrund. Ein investigativer Journalist, der seinen Dozenten und dem System trotzte. Als Beweis werde ich dabei auf diesem Blog verweisen und meine DVD-Sammlung mit Fight Club, Wag the Dog und den zwanzig Michael Moore-Filmen aus dem Keller holen. Oder meine Pearl Jam oder Die Ärzte Platten, die voll links sind, echt.
Fällt ihnen was auf? Ich bin wieder in meiner Welt. Der Medienwissenschaftler, der Kulturtyp, der die Welt rettet, mit nur einem Satz. Also, einmal, weil es so schön klingt. Den hab ich mir verdient. Weil es sich so gut an fühlt, ein Zitat für den Weltfrieden. Nur eins: „Auf den Alkohol – die Lösung und Ursache sämtlicher Probleme“ (Homer Simpson). Ein Witz, ein reines Gewissen, ein neuer Blogeintrag. „Gott ist Tod“ (Nietzsche).

Gegen die Gitter

„Selbstmord ist der letzte Akt der Rebellion“, hat Ulrike Meinhof in die Wand ihrer stammheimer Gefängniszelle geritzt. Das war 1976. Gut dreißig Jahre später gibt es nicht mehr viel zu rebellieren.
Gegen was denn? Die Eltern, die selbst alles versuchen um es einem recht zu machen, damit das Kind sich ja auch wohl, interessant, respektiert und geliebt fühlt. – Was dann auch unter dem relativen Opfer der Scheidung meist gelingen mag.
Gegen die Freunde, die nichts dafür können, dass sie das geringste Übel unter all den gleichsam grinsenden und ungleich denkenden Generationskollegen sind. Die einzigen unter Hunderten die kein Ché Guevara- oder Palästinenser – Shirt tragen, kein Alkoholproblem haben, Musik "hören", keine Stagnation in der oralen/phallischen Phase aufweisen und vielleicht sogar wissen was das bedeutet.
Oder gegen die Politik, die einen nicht interessiert, nichts angeht. Deutschland wird schon lange in sämtlichen Theorien und in der Praxis am Hindukusch verteidigt und nicht in der Grundschule. Weit weg, hinter den Meeren und Empfindungen sterben Menschenmaßen oder gehen anderweitig zu Grunde aus Gründen, die wir erfolgreich nicht als die unseren betrachten. Und was nicht unser Problem ist, ist auch nicht unser Fehler oder gar unser Versagen. Das war schon auf dem Schulhof so. Du warst froh, dass es nicht dein Pausenbrot war, welches dort eben hinter der Ecke gewaltsam den Besitzer gewechselt hat. Vielleicht hast du den Jungen und seine Freunde sogar angefeuert um nicht das nächste Opfer zu werden. Deutschland wird nur am Hindukusch verteidigt, nicht in der Grundschule!
War es wenigstens noch vorstellbar, dass wir bald alle „Die Internationale“ vor der ersten Stunde Sozialkunde singen, so wirkt die Vorstellung eines deutsch-islamistschen Gottesstaates doch immer wieder so befremdlich, dass es sich nicht zu lohnen schneit dagegen vor zu gehen. An welchen Fronten auch immer… .
Was soll ich da rebellieren? Ich würde eh nicht gehört werden. Wo kein Rauch ist auch kein Feuer – oder zu viel Nebel. Der jeweils akuten Betrachtungsweise angepasst.
„Selbstmord ist die letzte Rebellion“. Aber gegen was? – Gegen sich selbst. Selbstmord ist die letzte Rebellion gegen sich selbst. Als Statement gegen den martialischen, zermürbenden und erniedrigen Kosmos, den der Volksmund „Leben“ nennt. Als Statement gegen sich selbst und seine Schwächen und schwachen Stärken. Die unfähig zu sein scheinen dem entgegen zu treten. Selbstmord ist ein Eingeständnis der Schwäche. Denn am Ende hast du nur noch dich. Und du kannst nur gegen etwas rebellieren was - geistig - in deinem Besitz ist. Aber, dann hätten sie gewonnen. Die Guevara-Tücher, der RCDS, die Kissingers, Kaiser und Kiesbauers, die „Anderen“. Nein, du musst weiter. Leben, an die Gitterstäbe treten, sie biegen oder brechen. Lärm machen. Es krachen, klirren und donnern lassen. Denn Leben! ist die wahrste, die ehrlichste, produktivste und einzige Rebellion. Gegen die Gefängniszelle, die oft auf groteske Weise den selben Namen trägt, wie der Akt der Rebellion an sich.

Mittwoch, 23. April 2008

Tag 4 - „!Puata Madre!“

Amélie ist natürlich vor mir wach, als ich erst gegen 11Uhr aufwache. David ist schon lange zur Arbeit und ich frühstücke Obst und O-Saft auf dem mit Sonne überschütteten Balkon. Auch wenn Amélie aufwändig kocht ist mir nicht mehr nach warten zu mute. Der Charme von gestern Abend, kommt schon auf Grund der Uhrzeit nicht zu Stande und ich will nichts übers Knie brechen. Daher mache ich schnell deutlich, dass ich weiter muss. Amélie bringt mich zur Tür, wir verabschieden uns herzlichst und verabreden uns wieder in vier Jahren zu sehen. Oder wenn sie und David heiraten, oder sie wieder in Deutschland ist. Wir mögen uns sehr – und das aufrichtig.
Das Wetter wird auf dem Weg parallel zur spanischen Grenze immer besser. Keine Wolke ist am Himmel, als ich auf Höhe von San Sebastian die Grenze überquere. Von nun an geht es nur noch gerade aus. Ich definiere in diesem Moment das Wort Road-Trip nicht neu, aber ich erfahre was es bedeutet. Ich merke nicht wie Bilbao oder andere Städte in Zentrum Spaniens an mir vorbei fliegen. Ich weiß auch nicht wirklich was ich in Madrid, mein nächstes Zwischenziel, machen will. Ich treibe dahin. Malaga im Hinterkopf. Das ändert sich, als ich an einer Tankstelle 200 Kilometer vor Madrid auf Toilette muss. Als ich wieder komme steht eine jüngere Dame mit einem Tramper-Madrid-Schild an meinem Wagen.
„?Va a Madrid?“ fragt sie oder wenigstens so was in der Art.
„Ähhh... ?Hablas Ingles?“
„Mhh... where are you from?“, wechselt sie die Sprache.
„Germany“, ich auch.
„!Puata Madre! ?!Es d'allmania?!“, platzt es aus ihr raus.
Wir stelle fest, dass sie gut deutsch spricht und daher nehme ich sie doch mit. Eigentlich hatte ich keine Lust meine drei Sätze Castellano auf 2 Stunden Fahrt gleichmäßig zu verteilen, da sie aber deutsch kann, freue ich mich über eine nette Unterhaltung und hoffe auf eine kleine Stadtführung in Madrid.
Also geht’s zu zweit weiter in den wunderschönen Sonnenuntergang. Während die Dame, dessen Namen ich vergessen habe, mir erzählt wo sie alles in Deutschland Freunde hat, schon war und wir (wieder mal!) vergleiche zwischen den Nationen ziehen, geht alles ziemlich schnell. In Madrid verfahren wir uns (trotz NAVI) mehrfach und nach ca. 60Minuten Stadtführung aus dem Wagen heraus, sind wir bei ihrer Freundin. Auf grund der Umwege ist es spät geworden und anstatt Party und einer fetten, berüchtigten, spanischen Saufgelage (Botellano), werden mir Nudeln mit Zwiebeln und Bier aus eisgekühlten 1-Liter-Flaschen serviert. Ich fühle mich wohl, auch wenn die nicht wirklich deutsche Hygiene und der Sicherheitsstandard, der vielleicht 28qm großen Dreizimmerwohnung, mich überraschend stark stört. Überhaupt; wenn ich etwas auf dieser Fahrt über mich selbst gelert habe, dann dass ich deutsch bin. Und das mehr als mir lieb ist. Ich mag meine Autobahnen eben und ohne Schlaglöcher, mein Bier in 0,5Liter-Flaschen, meine Vergangenheit unverklärt, wenn nicht sogar übertrieben unpatriotisch, mein Bad sauber (Ja, Mutter! Wirklich!) und meine Wohnung ohne lose Stromkabel. Außerdem begrüße ich es, wenn es in Städten oder Wohngebieten nach nichts riecht. Nach gaaaar nichts. Ein Traum. Aber schlimm ist der Abend deswegen noch lange nicht. Es wird gekifft, aber ich lasse die Lunte an mir vorrüber ziehen. So vertraut sind mir die beiden Freundinnen, sowie der unglaublich hässliche Mitbewohner dann doch nicht. Es wird den ganzen Abend nur spanisch gesprochen, da der Mitbewohner (mal wieder) weder englisch, noch deutsch spricht. Ich esse in Gedanken meine leckeren Nudeln, spiele mit dem WG-Hund, der vom ganzen passiv Kiffen schon richtig rote Augen hat und verarbeite die letzten Tage. Nach recht langer Zeit gehen alle ins Bett. Da ich heimlich auf eine drogenbegünstigte, spanisch-feurige Sexparty gehofft hatte bin ich etwas enttäuscht. Doch meine Couch, die einem Belingo-Sitz definitiv vor zuziehen ist, tröstet mich darüber hinweg und ich schlafe schnell ein.

Sonntag, 13. April 2008

Tag 3 - Von KZ-Duschen und billigem Wein

Zwischen zwei osteruopäischen LKWs wache ich nach der üblichen Schafdauer auf und mein Körper schreit nach Hygiene. Die bekommt er 80 Kilometer weiter an einer Tankstelle. Die dotigen Arbeitskräfte können alle kein Wort englisch und meine wenigen Brocken französisch reichen diesmal - im Gegensatz zu den Péagestellen - nicht aus. Nach einer längeren Machtprobe wer als erstes zugibt nichts zu verstehen, gelangen die blonde Kassiererin und ich an den Punkt der Zeichensprache. Mit "Brum-Brum"-Geräuschen, der Imitation eines umschlungenen Lenkrades und der Hilfe einer weiteren Dame hinter der Theke verstehe ich endlich, dass ich zum Duschen meinen Autoschlüssel als Pfand abgeben muss. Herrje... Die Dusche hat zwar KZ-Niveau, dafür aber kein Zyklon-B sondern wirklich warmes Wasser.
Der Mittag gleitet von nun an so dahin. Wieder bin ich gedanklich in Versailles und den Fragen an den Menschen als Spezies. Ich meine, ich hatte nur geduscht. Aber dies war so selten und hatte etwas so spezielles an sich, dass ich davon euphorisiert und völlig entspannt mit konstanten 120 Sachen gen Bordeaux ziehe. Und wenn Paris noch erdrückend und wild war ist Bordeaux ein Hochpunkt urbaner Kultur. Eine homogene, saubere Häuserwelt erstreckt sich entlang eines mir unbekanntes Flusses. Kaufhäuser sind feinfüllig ins Stadtbild eingefügt, eine futoristische Stadtbahn trennt alte Marktplätze in zwei ohne den Anblick zu zerstören und Parkhäuser finden sich passenderweise immer unter der Stadt und den Strassen. Bordeaux ist schlicht; wunderschön. Ich gehe drei Stunden einkaufen. Sonnenbrille, eine Jogginghose, was zu essen und Postkarten gelangen in meinen Besitz. Danach verbringe ich über 1 Stunde in einerm 6 (!)-stöckigen Medienhaus, höre in die neue Liveplatte von Muse, scuhe nach der französischen Band KYO und stöbere - wie so häufig - herum. Und wieder, wie zuvor beim Duschen, wird alles was ich tue besonders. Das ist es nicht, aber es füllt sich so an und das ist gut so.
Hinter Bordeaux rufe ich Amélie an. Sie ist da, hat Zeit freut sich und sagt mir nochmal ihre Adresse in Toulouse durch. Keine 5 Stunden später stehe ich vor ihrer Haustür. Sofort stellen wir fest, dass es jetzt schon vier Jahre her ist, dass sie ein Jahr in Bielefeld verbracht hat. Aber trotzdem hat sich nicht viel verändert. Sie ist immernoch mit David zusammen und auch weiterhin gefühlt süße 120cm klein. Ein kurzes Update über unsere Lebenssituation später kommt David nach Hause. Von nun entwickelt der Abend seinen ganz besonderes Charme. David kann nämlich auch weder englisch oder deutsch. Amélie übersetzt schnell und engagiert und doch entwickelt sich so manche Situationskomik. Desweiteren bestellen wir Pizza, welcheich mit Karte bezahlen muss, da der Bote kein Bargeld annehmen darf (akute Ausraubgefahr). Außerdem ist die Pizza nicht wirklich groß und dennoch schweineteuer, was uns, wie oft an diesem Abend, auf den deutsch-französichen Vergleich bringt. Ob Schulsystem, Gewerkschaften und ihre Art zu streiken oder Umgang mit der eigenen Geschichte. Es fallen Sätze wie "früher haben wir Könige geköpft - heute werfen wir Postsäcke ähnlich aggressiv" (David) oder "Da, guck mal, ein Nazi. Endlich Heimatgefühle!" (ich). Es ist ein wunderschöner, harmonischer Abend. Was umso bemerkenswerter ist, wenn man bedenkt, dass ich Amélie seit 4 Jahren und David erst einmal zuvor gesehen habe. Abschließend leeren wir noch einen billigen Wein aus der Gegend und schließlich darf ich auf der Couch pennen. Glück definiert sich immer über Quantität. je heufiger es auftritt, desto mehr wird es im Empfinden abgeschwächt. Heute ist ein war ein Tag voll Harmonie, Freude, Freuden und Nachmittags schien sogar die Sonne. Heute war ein guter Tag.

Dienstag, 8. April 2008

Tag 2 - Niemand der uns ruft

Nach wenigen Stunden, die zum Aufwachen sehr nützlich sind, bin ich in Paris. Vom Gare du Nord geht es zum Gare de L'est und zurück. Dabei zeigt Paris mir sein hässliches, graues, übel riechendes und hektisches Gesicht. Es ist nicht so, dass ich geplant hatte unter dem Eiffelturm eines Sonderparkplatz zu erwischen und dann bei Sonnenschein und Eis am Stiel durchs menschenleere Louvre zu schlendern. Aber es kommt kein Stimmung auf. Alles tigert für sich, mit Tunnelblick durch die Straßen. Am Horizont reihen sich Ghettoklötze an unbesetzte Besetzer-Baracken. Schließlich parke ich am überraschend überschaubaren State de France und nehme die stinkende Metro nach Versailles. Für diesen Ort habe ich nur ein Wort; Reizüberflutung. Es macht keinen Sinn über dieses Schloß, den garten, die Gemälde, die Schlaf-, Amüsier- oder Anziehzimmer zu erzählen. Sie spotten jeder Beschreibung. Ich bin einfach geplättet. Es schön und so viel davon, dass ich es abgrundtief hässlich finde. Im Jazz ist jede Note genauso wichtig wie jede nicht gespielte. In Versailles gibt es keine Nicht-gespielten Noten. Dieser Pariser Vorort ist so unglaublich und so menschlich. Dieser Überfluss war für alle hier lebenden Menschen normal. Der Mensch gewöhnt sich an alles und nimmt alles was er bekommen kann. Ob Frauen, Mamor, Essen, Wein oder Frauen. Der Mensch ist es Jäger.
In diesen Gedanken gefangen, verpeile ich die Rückgabestelle für mein Rundgang-plumpe-Ansagen-auf-dem-Kopfhörer zu finden und ziehe das Teil ab. Wer also einen akustischen Rundgang durch Versailles machen will, ruft mich an. Zurück am Auto hänge ich mir das Gerät in die Windschutzscheibe. Es ist von nun an mein Runninggag, Privatwitz und Begleiter.
Trotz NAVI verfahre ich mich mehrfach auf dem Weg aus Paris heraus und verbuche das dortige Auto fahren als weiteres Abenteuer.
Ich fahre parallel zum Atlantik etwas mehr westlich gen Süden. Die Strecke ist zwar länger aber mauttechnisch billiger. Meine Odyssee (jaja... eine Odyssee zeichnet sich eigentlich durch Leiden aus... aber das Wort ist trotzdem schön.) erreicht ihren vorläufigen Höhepunkt, als ich in den Sonnenuntergang blickend, die Musik aufdrehe. Nur die Hits werden gespielt. Von Bettina, bis Jimmy. Von Olli Schulz, welcher „mit dem King unten ist“ bis Fatboy Slim. Von der Dynamik Dregd's und alten Rammsteinsachen bis zur dramaturgisch perfekten und sinnlichen Melancholie früherer Slut-Platten. Geigen hängen am Himmel höher als je zuvor und ich fahre ohne es richtig zu merken bis 3Uhr Nachts. Nach 23 intensiven Stunden zwinge ich mich zu ein paar Stunden Schlaf.
Nur einmal Vor dem Einschlafen aber noch einmal mein Lied ...
Sonntag Morgen und vorbei ist die Nacht / Drei Stunden Schlaf und schon wieder wach / Die Augen sind zu und der Körper ist ruhig/ Doch die Stadt schreit laut und sie schreit durch mich durch / Ich habe nichts zu tun mit dem Treiben da draußen / Ich fahre meine Strecken und ich mach meine Pausen / Ich habe Stimmen im Kopf und ich höre sie sagen / Und sie betteln mich an ab in den Wagen / Du weißt wovon ich sing / ... Ich bin grad unten, unten mit dem King
Die Menschen sind wild und im Casting-Wahn / Und das allein ist Grund genug um wegzufahren / Abgesehen von alledem bin ich sonst ganz gerne hierAbgesehen von alledem muss ich nur noch schnell zu [mir]. Jeder Weg hat seinen Sinn / Jeder Weg hat seinen Sinn / Und wir sind unten mit dem King /
Und niemand der uns ruft / Und niemand der uns ruft / Und niemand der uns ruft

Tag 1

Es beginnt besser als erwartet. Der Smart 4x2, den ich bestellt habe ist, ist nicht da. Stattdessen bekomme ich einen grau-hässlichen aber funktionalen Citröen Belingo zum selben Preis. Mit diesem geht es ohne großes Vorgeplänkel auf die A4 Richtung Aachen. Dort fahre ich ins Parkhaus des anliegenden Casinos und streife meinen besten Anzug über. Es ist zwar mein einziger aber es ist auch mein Bester. Im Casino wechsle ich etwas Geld und es geht an den Tisch mit den kleinsten Pflicht-Einsetzen. Was die Leute neben mir aber nicht hindert ihre gesamten Ersparnisse zu setzen. Ob der gescheiterte Telekom-Aktionär mit selbst gestrickter Krawatte, die polnische Edelnutte, die in ein paar Jettons („hier Puppe, setz mal...“) und einer wöchentlichen Freifahrt im 3er BMW des Freundes ausgezahlt wird oder der Sonnenkönig aus Tunesien, der in einer Runde 1500 Euro verliert, dies aber nicht mitbekommt, da er an der Bar gerade einen neuen Drink bestellt. Meine Einsätze sind bedeutet kleiner. Mein Ziel, welches ich mir vor dem Abend gesetzt habe heißt, nie den Spaß zu verlieren. Das klappt hervorragend. Nach einem kurzem Hoch und 48 Euro sinke ich auf 30 Euro. Eine halbe Stunde später erreiche ich durch pures Glück die Bestmarke von 55 Euround gehe erneut eine halbe Zeigerdrehung weiter mit 30 Euro und 10 Euro Minus zum Wagen. Ein guter Start.
Nach 2 Fahrstunden werde ich müde und schlafe 6 Stunden irgendwo, mitten in Belgien. Dabei schlafe ich allerdings 2 mal 3 Stunden. Dann ist jeweils die Wärme aus dem sonst so gemütlichen Belingo gewichen. Eine halbe Stunde Fahrt bei voller Heizungstärke tut was ich von ihr erwarte. Danach die zweite Schlafhälfte.

Montag, 7. April 2008

Tour de Vie - Prolog

Sigmund Freud hat einmal gesagt: „Der Mensch strebt mehr danach Schmerzen zu vermeiden, als Freude zu erfahren.“. Als der alte Pfeilfkopp das sagte, muss er mich im Hinterkopf gehabt haben. Ich bin der personalisierte doppelte Boden oder das fleischgewordene Auffangnetz. Diese, meine Lebensphilosophie, die ich mir nicht ausgesucht habe, hat im Praxistest eindeutig versagt. Jedenfalls die letzten 2 Jahrzehnte. Es wird Zeit für Gegenmaßnahmen.
Ich habe 9 Tage Zeit, eine ausgezahlte Lebensversicherung, die Naivität eines Ostwestfalen, der über zwei Jahre das Meer mehr gesehen hat und die Freiheit eines Zigeuners ohne Familie, ohne Bindungen.
Eine Entscheidung zu fällen und ihr zu folgen ist größer, als in einer Entscheidung richtig zu liegen. Das Sachen packen dauert 20 Minuten, den Gigabyte meines Mp3-Player bespiele ich mühsam und perfektionistisch über eineinhalb Stunden lang. Drei Bücher nehme ich mit. Die Simpsons und die Philosophie, Die Kunst der Filmregie, sowie Der Steppenwolf. Ich werde die nächsten Tage darin keine einzige Zeile lesen, aber es ist ein schönes Gefühl sie dabei zu haben.
9 Tage. Nur ich, mein neues Arminia-Trikot und die Straße. „Das tragische muss verworfen werden nachdem man ihm ins Gesicht gesehen hat – nicht vorher“, hat Camus mal in seine Reisetagebücher geschrieben. Wohin meine Reise geht klärt sich schnell. Es geht nicht in Richtung Zukunft, welche mir schon immer voraus war. Nicht in Richtung Vergangenheit, bei der ich schon zu lange zu Gast bin. Meine Reise ist eine Suche und sie endet am selben Tag, wie sie beginnt. Meine Suche hat ihre Augen geschlossen und liegt am Strand. Meine Suche kann kein Französisch, aber Esperanto. Meine Suche hört sich selbst beim Atmen zu und erklärt dieses Geräusch zum schönsten der Welt. Meine Suche spielt Luftgitarre zum Klaviersolo. Meine Suche sucht. Meine Suche sucht, ohne nach der Spur zu fragen. Meine Reise sucht die Lebensgeister, die ich seit geraumer zeit vermisse. Ganz einfach.Selim Özdogan hat einmal das Leben mit dem Satz beschrieb, dass „es wie fahren sei. Alles ist da. Aber nur kurz.“ Mit diesen Gedanken im Kopf und einem Song von Olli Schulz auf den Ohren schlafe ich ein. Morgen wird ein guter Tag. Auf meinem Weg zum Mond. Auf meinem Weg. Auf meinem Weg...

Im Leid kocht das Blut des Sieges

http://www.youtube.com/watch?v=VrcHy_Vri3g

Dienstag, 4. März 2008

Meinen kreativen Höhepunkte erreichte ich mit 17

So ganz geht man nie. Meist läuft man...

Samstag, 23. Februar 2008

Keine Lyrik.

Machen wir es kurz, ich bin müde, krank und es ist spät;
Ich habe kein zu Hause. Zu Hause sind die Menschen. Wenige Menschen, die mich verstehen könnten, haben eigene Probleme und ich habe kein zu Hause. Und dann will man sich etwas suchen, was sein zu Hause werden könnte, aber wenn Menschen, Frauen merken, dass man zwanghaft versucht etwas zu sein, was man nicht ist (zb. glücklich), wenden sie sich ab. Das ist traurig. Das ist Fakt. Punkt. Ich habe kein zu Hause. Und sehne mich einfach nach etwas, was den Gefühl von "zu hause" nahe kommt. Ein bisschen Sex, ein bisschen nette Worte, ein bisschen Zuneigung, Interesse an mir. Nicht mehr... Aber, wenn man es erzwingt, erhält man nur Ablehnung. Die Hummeln im Hintern sind das langweiligste auf der Welt. Punkt. Wenn Menschen, Frauen, jemandem etwas geben, dann nur den Menschen, die es gar nicht nötig haben, die schon all das haben, was man ihnen gibt. Sie sind Bestien. Sie sind Egoisten. Wer sie nicht braucht, den wollen sie. Wer sie wie scheiße behandelt, der ist ihre Begierde. Das ist Fakt. Menschen sind nicht mein Fall. Ich verzweifle. Menschen, Frauen, werden nie etwas in mir sehen, was sie dazu verleitet, sich für mich zu interessieren. Wer will schon einen der sich selbst für einen Idioten hält?! Und wenn, sind das idiotische Menschen, die sich für nen Idioten wie mich interessieren würden. Was mir bleibt sind die Worte "du kannst gut zu hören", "du bist so anders" oder gar "du bist nett". Und dass schlimmste ist, dass sie es ernst meinen und denken, ich würde mich freuen. Sie sind Bestien! Sie sind Monster. Ich hasse sie. Schreibe nur optimistische Statemaents auf meine Pinnwand um dass zu kaschieren. Ich brauche sie. Ich verzweifle. Ich habe kein zu Hause. Ich habe keine Perspektive, mal ein zu Hause zu bauen, zu schaffen. Wer will schon, ein Blog schreibenden Emo, ohne Selbstbewusstsein, mit Sensibelchen-Seiten und dem nervigen Hang zum Selbstmitleid?! Das Glück der Anderen ist die qualvolle Messlatte. Das Glück der Anderen macht einsam. Das Glück der Anderen ist das Übel meiner Seele. "Die Welt ist ein Jammertal, dass zum ewigen Glück durchschritten werden muss", sagte Gryphius. Schade, dass ich nicht an den Himel glauben kann, so sehr ich es auch versuche. Keine Hoffnung. Und Mitleid macht klein, und kein Mitleid macht einsam. Mittleid macht klein. Kein Mittleid macht einsam. Mitleid macht klein, kein Miotleid macht einsam,. Ich gehe zu Grunde. Jeden Samstag. Überall.
Das hier ist keine Lyrik, ohne tieferen Gedanken. Ich gehe an ihnen zu Grunde. Jedes mal. Jeden Samstagabend. Ich habe kein zu Hause. Ich habe kein zentrum. Ich habe keinen Ort, an dem ich gerne bin, an den ich gerne zurück kehre. Keine Lyrik. Einfach Wahrheit.

Samstag, 26. Januar 2008

Jimmy's Zeilen (Kein Wert auf Vorständigkeit)

"You say that love goes anywhereIn your darkest time, it's just enough to know it's there"

(Polaris)



"There's lots of smart ideas in books I've never read. When the girls come talk to me I wish to hell I had"

(Big Casino)



You are smaller, getting smaller.But I still see you.

(Goodbye Sky Harbor)



We'll dance off time to the songs we've never liked.and sing off key thinking it sounds all right.

(Episode IV)



We once walked out on the beach and once I almost touched your hand.

(If You Don't. Don't)



Emos sind auch Menschen.

Freitag, 11. Januar 2008

Der Regen, der König und The Band

Der Hagel hat sich - ohne es mir mitzuteilen - in einen plumpen und doch starken Regenschauer gewandelt. Hingebungsvoll und gleichmäßig tätschelt er mir die Stirn, die ich soeben aus dem Regionalexpress gestreckt habe. Den samtroten Koffer im Schlepptau geht’s gemütlich und genügsam meinen alten Schulweg hinunter. In die Nacht, die bereits vor langer Zeit begonnen hatte. Die freie Hand in der Hosentasche. Vorbei an der alten Kastanie und dem Logistikzentrum hinter der (bei Steineinschlag) lustig klingenden Plastikwand. Vorbei an Erinnerung und Nostalgie, hinein in ein Gefühl von Wärme und Euphorie.
Ich höre mir selbst beim atmen zu, während „The Band“ über die weißen Kopfhörer exklusiven Eintritt in meine Magen- und Gefühlsszenekneipen erhält. Es wird gesäuselt, gehadert und manchmal auch gelacht. Natürlich alles nur wegen Frauen. Ehrensache.
Meine Welt gerät in Rücklage, als ich die Arme ausbreite und den Kopf in den Nacken lege. Der Koffer klatscht in eine Pfütze und meine Welt beginnt sich zu drehen. Erst langsam, dann immer schneller werdend. Mein Gleichgewicht hab ich schon gestern im Plattenladen als Pfand zurück gelassen und somit nichts zu befürchten. „The Band“ rotzt mir dabei ein knochiges, verstaubtes Riff nach dem anderen zwischen die Beine, bringt mich aber nicht zu Fallen. Es ist existenziell, groß und kriegerisch. Erbittert wird dieser Kampf ausgefochten. Meine Adern pulsieren und meine Gesichtszüge entgleiten. Eine Fratze wird nach der Anderen dem Regen entgegen gesworfen. Meine ehemals mit Aufmerksamkeit bedachten Haare helfen dem Regen wo sie nur können, indem sie es sich zur Aufgabe gemacht haben meine Stirn zu umschwärmen und dabei kleine aber seltene Geschichten wiederzugeben, die sie in harmonieerfüllten Nächten erzählt bekommen haben. Von Frauen natürlich. Ehrensache.
Dem Koffer ist kalt und nass, weshalb ich ihn kurzentschlossen mit lauten Getöse und Gebrüll, laufend, ja sprintend über die Strasse ziehe. Fahrtwind, Baby! Weder vor, noch hinter mir ist jemand. "Einmal König sein." In diesem Moment verstehe ich diese Worte in ihrer Wahrhaftigkeit und halte inne um ihnen den nötigen Respekt entgegen zu bringen. Die Haare hinter die Ohren, „The Band“ spielt den schönsten aller Rausschmeißer und die Augenlider bekommen eine Massage von der großen, weiten Welt. König sein! König sein, über diese Strasse, meinen Magen und den Regen. Ja! Ich setze mich mitten auf den Mittelstreifen und gebiete mir selbst und meinen samtroten Thron Einhalt. Meine Nacht hat ihren Höhepunkt und ich höre erneut in mich hinein. In Wellen reden mein Bauch und mein Herz miteinander und sind sich so einig wie selten. Der Wind setzt ein, der C-Teil ebenso und dann flüstere ich mir die größte Songzeile aller Zeiten vor, als ob ich sie einem begehrenswerten Mädchen vorsinge, die diese noch nicht kennt. Ehrensache.

Dann hupt ein VW und ich gehe mit „The Band“ auf Abschiedstournee. „Vielleicht sollte ich meine Memoiren schreiben?“, fragt meine Stirn; „Über alles was mich ausmacht. Über all die Liebe und all die Frauen. Es wird Zeit.“ „Aber nicht mehr heute“ schlägt es nasskalt zurück.

„Morgen vielleicht…“, wagt mein Knöchel eine Prognose in die dunkle Zukunft voller Einsamkeit, Unterwürfigkeit und; Exfreundin. Die! Die, mit den Geschichten aus der Nacht, dem Geruch im Bettlaken, dem seidig, sanften Abdruck in meinem Bauchnabel und neuer Quadratfresse auf ihrer Brust. Ehrensache. – Mein Knöchel war schon immer scheiße.

Der Schlüssel dreht sich wie von selbst und ich trete hinter die Tür. Ich fliege über den Flur ohne mir die Schuhe auszuziehen. Die Kaffeemaschine hat an mich gedacht und auch der Toaster freut sich mich zu sehen. Irgendwie finde ich den Weg ins Bett und irgendwie stehe ich am nächsten Morgen im Bad. Meine Krone hängt an der Garderobe und auch meine majestätischer Perlenschmuck dreht in der Waschmaschine alleine seine Runden. Nur „The Band“ ist geblieben, schaut aber auch nur noch nachdenklich und verkatert auf den Boden: Mir rauer, heiserer Stimme holt sie trotzdem aus: „Welch Königreich ohne Königin – Welch Königin ohne Volk – Welch Volk ohne Macht – Welch Macht ohne Tat.“
Ich entschließe mein Laken zu wechseln und meine Memoiren zu schreiben, während ich fragend in den blauen Himmel schaue. Ich bin auf der Suche nach einer neuerlichen Pause von dieser gottverdammten, menschenunwürdigen Drecksscheiße. Ich bin auf der Suche nach Regen.

Freitag, 4. Januar 2008

Nichts zu verlieren

Frei nach "Billy Talent" für die Wenigen, die es noch mit mir aushalten

Es ist nun mal so; niemand, wirklich niemand mag traurige Menschen. Auch die Traurigen mögen keine traurigen Menschen. Weder sich selbst noch andere, in denen sie sich selbst wiederzuerkennen glauben.
Ein Fiasko; jedes Mal wenn der Traurige wieder mal einsam durch die Welt läuft und nicht mehr traurig sein will und doch traurig ist, weil er alleine ist, will niemand, wirklich niemand etwas mit ihm zu tun haben. Denn er ist traurig. Dadurch wird er nur noch einsamer, noch trauriger.
Man sagt dem Traurigen, dass er doch endlich mal wieder Spaß haben sollte, denn er hätte doch nichts zu verlieren und der Traurige geht wieder in die Welt und will heute Spaß haben. Er geht in die Disko, denn dort haben alle Menschen Spaß. Dort fühlt er sich einsam, weil er anscheinend als einziger keinen Spaß hat. Er wird traurig. Man sagt ihm, er solle Menschen ansprechen, neue Menschen kennen lernen. Doch Menschen sind alle alt, alle gleich. Sie wollen nichts, wirklich nichts mit traurigen Menschen zu tun haben. Somit lernt er keine neuen Menschen kennen. Er spricht sie nicht an, denn wenn er dies tun würde, würde er seine letzte Chance verlieren. Er hätte die absolute Gewissheit, dass die Menschen ihn nicht sehen, ihn wirklich nicht wollen, wenn sie ihm dann abwimmeln, weil er traurig ist. Er hätte alles verloren.
Drum geht er, wie immer, allein nach Haus und ist traurig. So traurig, dass er ein ganz trauriges Lied in der Endlosschleife hört und es weht: “I’d always walk home alone / So I became lifeless / Just like my telephone / Teachers said "it's just a phase" / When I grow up my children / Will probably do the same / There’s nothing to lose / When no one knows your name / There’s nothing to gain / But the days don’t seem to change / There’s nothing to lose / My notebook will explain / There’s nothing to gain / And I can’t fight the pain / There’s nothing to lose / When no one knows your name / There’s nothing to gain /And I just died today ! And I just died today / And I just died today” immer wieder durch seine Ohren. Immer wieder weht es durch seine Ohren. Er weiß sich jetzt einfach nicht anders zu wehren und schreibt dabei unter dicken Tränen „Nichts zu verlieren“ in seinen Laptop…