Martin Scorsese wächst in New York auf. Ohne dabei wirklich groß zu werden. Mit 1.54m hat der auch sonst von Krankheiten geplagte „Marty“ in Little Italy nicht viel zu bestellen. Das feudale Viertel New Yorks, welches vor allem von sizilianischen Einwanderern bevölkert und strukturiert wird, bietet daher für den gläubigen Katholiken nicht viel. Einzig die Kirche und das Kino bieten Orte der Zuflucht.
Nach der Schule will Scorsese seine Mutter stolz machen und Priester werden. Doch die Ausbildung scheitert. Sie kann die Widersprüche, die das mafiöse, katholische Leben gegenüber den katholischen Predigten aufwirft, nicht auflösen. Stattdessen flüchtet Scorsese an den Ort, in den er schon als Kind - bis zu dreimal täglich - zurückzog; das Kino. Dort macht er die Fragen, die ihm seine Kindheit, sein Leben aufgeworfen haben zu denen seiner Filme, die er nach einer NYU-Ausbildung dreht (An selber Stelle wird er später u.a. Oliver Stone unterrichten). Scorsese ist getrieben von einer, von wenigen Fragen. Vier Ehen scheitern an seiner Besessenheit. Die ersten drei halten nie länger als drei Jahre. Letztendlich wird Scorsese sein Leben lang den immer gleichen Film in wechselnden Farben und Klängen drehen. Nur sein herausragendes Talent überdeckt dies zumeist, bzw. macht diesen Umstand zu einer beinahe bedeutungslosen Randnotiz. Diesen Film kann man sich neu verputzt immer wieder angucken. Doch am Ende, wenn Scorsese nicht gerade in Form von Musik-Dokumentationen Urlaub vom Leben machte, kreisen seine Filme immer um Gewalt. Das Verhältnis von Kirche und Gewalt (Mean Streets), von Gewalt und menschlicher und urbaner Genese (Gangs Of New York), von Gewalt und Gegengewalt (Taxi Driver). Die Gewalt, die Scorsese in seiner Kindheit erlebte (er berichtete selbst von dem Anblick eines Toten auf der Straße, was seine Mutter mit den Worten „Das ist nur ein Jude“ kommentierte und ihn von der Leiche weg zog), hat ihn nicht mehr los gelassen. Damit ist der New Yorker, der seine Stadt erst in den letzten Jahren filmisch verlassen hat (The Departed spielt in Boston), ein Symbol für eine Art des Filmemachens, die ganz sich selbst verpflichtet ist. Die Themen sind nur die eigenen, die Geschichten stets die selbst erlebten. Autorenfilm nennt man das in Frankreich. In Amerika meint man mit Independent-Film oder der New Hollywood-Ära, dessen Kopf Scorsese war, etwas ähnliches. In Deutschland tut man sich schwer, einen passenden Namen zu finden und kopierte den Autoren-Begriff Frankreich, ohne ihm wirklich zu folgen. Fatih Akin ist einer wenigen, der heute damit Erfolg hat. Er berichtete vor kurzem, wie er in Cannes von Scorsese zum Essen eingeladen wurde und genau diese Botschaft mit auf den Weg zurück nach Hamburg bekam. Dort wo Akin bis heute Filme über seine deutsch-türkischen Welten dreht. Seine eigenen Erlebnisse dramaturgisch abhandelt.
Nimmt man diese Analogie als allgemeingültigen Maßstab oder als Beispiel wird deutlich, dass die Art Filme zu machen, der Anspruch der damit verbunden wird, sich seit der Scorsese-Generation und ihrer Idee von individuellem Kino nicht besonders verändert hat. Daraus folgt; wenn aus ähnlichen Motiven und mit ähnlichen Ideen heute Filme gemacht werden wie vor dreißig Jahren, lässt sich an diesen erkennen, wie sich die Dinge entwickelt haben - auch außerhalb des Kinos.
Eine neue Generation von Filmemachern ist erkennbar, die weitaus heterogener auftritt als ihre Vorgänger. Diese: Spielberg, Coppola, Scorsese, Forman, Nichols, Polanski oder auch Kubrick sind aus heutiger Sicht zu meist auf einen groben Torso an Themen zu reduzieren (Gewalt spielt nahezu ausnahmslos, nicht nur bei Scorsese, eine Hauptrolle), denen sie aus unterschiedlichen Blickrichtungen näher kommen wollten.
Die talentierten Regisseure der letzten Jahre hingegen sind zumeist vielschichtiger. Entweder innerhalb ihres Oeuvres, wie zum Beispiel Sam Mendes, der zwar immer mit ähnlichen, fast-wissenschaftlich, unterkühlten Bildern arbeitet (Von American Beauty über Jarhead bis Zeiten des Aufruhrs), dabei aber ein komplexes, amerikanisches Gesellschaftsbild zeichnet und mit jedem Film erweitert (Sein aktuelles Projekt wird der nächste Bond sein - sofern MGM nicht dicht macht). Andere hingegen erzählen zwar mit sich selbst verglichen, ebenso häufig vergleichbare Geschichten wie ihre Branchen-Vorgänger, nur sind diese Erzählungen thematisch weitaus differenzierter. Alejandro Gonzalez Inarritu erzählt episodisch von Schuld und Schicksal (Amores Perros, 21 Gramm, Babel) Jason Reitman verknüpft inhaltlich und handwerklich den Spaß mit der Verantwortung (Thank You For Smoking, Juno, Up In The Air), Paul Thomas Anderson findet in den größten Geschichten kleine, reine Wahrheiten (Boogie Nights, Magnolia, Punch Drunk Love, There Will Be Blood) und Darran Aronovsky versucht zu ergründen, was Menschen antreibt und erzählt dabei von Getriebenen aller Art (Pi, Requiem For A Dream, The Fountain). Ganz nebenbei hat er mit Clint Mansell den wohl größten Komponisten aller Zeiten berühmt gemacht.
An Aronovskys The Wrestler lässt sich erahnen, was man aus den heutigen und damaligen Filmen als Veränderung wahrnehmen kann. Da wo Scorseses wilder Stier (Racing Bull) im und vor dem Ring immer wieder austeilte, zieht sich der alternde Profi-Wrestler Aronovskys unter großen Schmerzen in sich und aus dem Ring zurück. Die dumpfen Schläge des Boxens 1980 sind heute introvertierten, schlichten, melancholischen E-Gitarren-Klängen gewichen. Früher beschäftigte man sich mit der Gesellschaft, die einen in die Gewalt, in den Ring drängte, heute ringt man mit sich selbst. Früher versuchte man die Welt zu verstehen, heute sich selbst. Ein Prozess, der äußerst produktive Ergebnisse abwerfen kann, weil mit dem Blick in sich, immer ein Reflektieren und Bewusstwerden einhergeht. Akin hat mal gesagt: „Wer die Welt verbessern möchte, sollte erstmal in seiner Straße anfangen.“. Es geht jetzt um die kleinen Dinge, nicht das große Ganze. Es geht um den einzelnen Soldaten Anthony „Jarhead“ Swofford, mit sich allein im Irak. Und nicht mehr um die "Apocalypse Now". Ein Film, der versuchte den Vietnamkrieg, die amerikanische Gesellschaft und gleich die gesamte menschliche Rasse zu erklären, während es sich auf sich selbst einen runterholt. Die Filme sind kleiner geworden. Kleinere gemeinsamere Nenner werden gesucht und gefunden. Ob dadurch die Filme besser werden, wird jede Generation anders beantworten, weil Filme immer mehr Lebensgefühl und weniger Ästhetik sind. So ist „Easy Rider ein wichtiger aber wahrlich kein guter Film, aber erzähl das mal einem Alt-68er.
Doch vielleicht werden die heutigen und zukünftigen Werke dadurch zeitloser, weil sie universeller und globaler werden. Und "zeitlos" ist ein großartiges Adjektiv für einen Film. Vielleicht ist New York auch einfach nicht mehr der Vorort zur Hölle, welcher er zur Scorseses Jugendzeiten noch gewesen sein muss. Selbst die American-Psycho-Generation hat die Stadt hinter sich gelassen. Vielleicht ist die Welt – zumindest im Westen der Welt – wirklich besser geworden, so dass man sich um bestimmte Dinge einfach keine Gedanken mehr machen muss.
Und vielleicht ist im Gegensatz dazu „Requiem For A Dream“ auch in 30 Jahren immer noch ein guter Film, um ihn seinen Kindern im Drogen-nahen Alter zu zeigen. Vielleicht will ich aber auch einfach nur, dass meine Generation einen bleibenden Eindruck hinterlässt und versuche dies hiermit zu erzwingen. Vielleicht will ich einfach nur sagen, dass ich mich derzeit im Kino so verstanden fühle, wie noch nie.