Mittwoch, 11. Juli 2012

Filmfest München – eine Hierarchie

The Color Wheel – Stell dir den besten Woody Allen vor, den du je gesehen hast – nur mit dem Unterschied, dass der Regisseur diesmal seine Figuren ernst nimmt. Dazu die Co-Autorin und Hauptdarstellerin Carlen Altman, in dessen Augen sich das Meer auftut. Dialoge, die zwischen ultrafies und ultrakomisch alles sind, was sie sein möchten und Alex Ross Perry, der das Selbstbewusstsein hat, sich selbst zu spielen und dabei all seine schlechten Seiten souverän in den Ring wirft. Stil ist immer auch ein Bekenntnis zur Schwäche. Eine Festival-Perle. 
  
Oh Boy – Berlin, Sample einer Großstadt. Oder: Die Suche nach einem Kaffee, schwarz. Die Orientierungslosigkeit, die die grenzenlose Freiheit der Urbanität mit sich bringt, wird in momenthaften Bildern hofiert. Um ihre Dramtik abzuschwächen und sich einzuverleiben, als Ausdruck von Ruhe und Verständnis. Von Jan Ole Gerster als umsichtiger Bilder- und Personenreigen zu beiläufigem Jazz inszeniert. Du kriegst mich nicht klein, Welt! Das bin ich bereits. Da ist der großartige Humor fast beiläufig zu nennen, wenn zum Beispiel der Schmieren-Darsteller in Nazi-Chic und mit Banane aus dem Trailer steigt. Und, bevor es vergessen wird: Ulrich Noethen!  

Your Sisters Sister – Rosemarie DeWitt, I would kill for you! Mark Duplass, auf ein Bier! Oder zwei! Oder drei! Ein Film, wie eine Wolldecke. Ein Film, der immer weiß wann er vor die Tür muss, um sich abzukühlen. American-Indie, auf dich kann man noch jedes Jahr zählen.

Wuthering Heights – Vor und nach der Aufführung ist Andrea Arnold pure Energie. Ihr Film pure Elegie. 137 Minuten gespenstisches Wabern durch Matsch und Kälte, und nie langweilig. Dafür sind die Gesten zu fein, die wenigen Worte zu schwer, der Nebel zu dicht, die Tiere zu wild, zu existenziell. Manche Filme will man gleich danach nochmal sehen und nochmal. Diesen schließt man in sich ein, er soll dort ein paar Jahre anwachsen. Bis dahin schauen wir mal – zum Beispiel "Fish Tank" oder "Red Road". 

Holy Motors – Die erste halbe Stunde ist vielleicht das größenwahnsinnigste seit Being John Malkovich. Dann wird es etwas zu trüb, vielleicht auch etwas zu rational. Aber allein die Grundidee entschädigt für alles! Ein Film zum durchdringen, nicht zum analysieren. Wer allerdings nach reiner Erkenntnis strebt, der gehört ins Theater, wo man sich vor der Vorstellung keine „Gute Unterhaltung“ sondern eine „anregende Vorstellung" wünscht.

Friends With Kids – Authentizität ist so eine Sache. Schöne Menschen, schöne Bilder, schöne Dialoge, schönes New York, schön viel Geld. Winzige Probleme und seltsame Lebenslogiken. Dating und Beziehungsmuster, die Barney Stinson nicht als Parodie verstehen. Amis, halt. Aber warum zur Hölle, sollte man einem Film dies vorwerfen, wenn er doch in diesem Bewusstsein daher kommt. In dem Wissen um seinen gesegneten Ausschnitt New-Yorker-Upper-Class an Überzeugung gewinnt, indem er sich um nichts als sich selbst kümmert. Will ich, dass eine der Figuren ihren Job verliert? Oder beginnt, Frösche über die Straße zu tragen, um damit ihr Gewissen zu beruhigen, weil sie sich die Nespresso-Maschine nun mal leisten kann. Nein, im Taxi weinen ist legitim. Da kann man die letzten fünf, ziemlich dämlich geratenen Minuten verschmerzen. Schließlich gabs zuvor so tolle, ja authentische Sätze wie: „Manhatten is the new Manhatten!“ 

Beasts Of Southern Wild – Heimat, Kindchenschema und Rucksäcke voll Pathos. Manchmal vielleicht etwas zu ritterhaft, aber das soll dem Farben- und Formenspiel keinen Abbruch tun, das in den schönsten Soundtrack der Woche gehüllt wird.   

Safety Not Guaranteed – Manchmal sind die Sidekicks etwas zu formal, die Gags zu sauber und die Trennlinien zwischen Komit und Tragik zu klar. Spaß macht das ganze deswegen nicht weniger. Und nochmal: Mark Duplass, auf ein Bier. 

Clip – Eine wunderbare Themenverschiebung: Nicht Sex ist Ausdruck von verhinderter Liebe, (so wie im prüden Deutschland: Little Thirteen) sondern Sex, gerne auch derbe, bringt den Damen und Herren ihrer gengenseitigen Zuneigung näher. Sex ist gut. Und Punkt. Die (serbische) Generation YouPorn hat Probleme, aber die liegen nicht im Orgasmus. Selbst wenn familiären Nebenschauplätze dabei beliebig geraten. 

2 Days New York – Klischees  funktionieren – als Gagfläche. Vincent Gallos Gastauftritt ist dabei eine kleine, feine Überrschung. 

Side By Side – Martin Scorsese ist wohl der weiseste Mensch der Welt! Mindestens. Und auch für den Rest gilt: Es macht Spaß, gesegneten Menschen dabei zuzuhören, wie sie einem die Welt erklären. Dabei aber eigentlich mit jedem Statement sagen: Danke, es geht mir gut.

Pusher II – Mads Mikkelsen kann sehr traurig gucken. Wann immer aber bei Refn Musik läuft, zieht er durch und alles mit. Der Däne macht Filme wie Kraftwerke. Völlig entladen tut es sich nie. Gut so. 

It Looks Pretty From A Distance – Die Bilder sind sich ihrer Bedeutsamkeit (zu) sehr bewusst. Die Tiefen, die in ihnen liegen sollen, sind deswegen immer etwas im Nachteil. Gemessen an meinen (über-)hohen Erwartungen, eine leise Enttäuschung. Der Trailer war zu überwältigend. 

Pusher – Witzig. Sehr Witzig zu Beginn. Dann prügeln sich die Archetypen. Refns nächster Film zeigt Ryan Gosling übrigens beim Straßen-Boxen in Thailand. Pack das Zelt und die Kühlbock ein, es geht ins Kino!

The Deep Blue Sea – Inhaltsangabe: Frau weint, Frau raucht, Frau hört es singen, Frau raucht, Frau weint, Frau steht am Fenster. Die Pflicht zur atmosphärischen Dichte oder zur betonten Langsamkeit unterdrückt zuweilen ihre Figuren. Das sind dann keine Dialoge mehr, sondern eher so etwas wie "Reden-Pause-Gucken-Antworten-Pause-...". Aber auch Melodrame brauchen Timing. Wobei, irgendwie schaut man nie auf die Uhr, und auch die Sitznachbarn stellen irgendwann ihr Reden ein, sie schauen wirklich zu. Vor allem in einer wirklich schönen Szene, wo die britische Bevölkerung auf den U-Bahn Gleisen liegt und die deutschen Bomben mit einem Volkslied übertönt. 

Twixt – Coppola hat Humor. Erst in seinen Anfangsbildern, dann wird’s trashig und schließlich glaubt man, dass ist alles Absicht. Finanziert von einem der teuersten Weine Amerikas.  

Robot And Frank – Susan Sarandon hat Charme, Liv Tyler nicht. 

Restless City – Bin eingeschlafen. Lag aber nicht nur am Film, der etwas zu angestrengt versucht, sich mit seiner Schulterzuck-Coolness zu profilieren. Trotzdem: Mea Culpa.  

360 – Was passiert, wenn man die Welt sehen will und dann die Shampoo-Pröbchen in den Hotelzimmern für das Weltkulturerbe hält?! Richtig, ein Film, der mit flachen Figuren um Bedeutsamkeit fleht und es als Erkenntnis verkauft, dass Sex und Liebe universelle Themen sind. 

Killer Joe – Dumme Figuren, wahnsinnig dumme Figuren. Sind die alle scheiße, wow! Und dann diese seltsame Gewaltversessenheit, die weder schön noch originell noch einprägsam noch durchtrieben ist. Es bleibt nichts von diesem Film. Ok, ja, der Hühnchenblowjob... auch schön langgezogen. Aber, ach, ich sag wie's ist: Matthew McConaughey nervt! 

Rampart – Wer den großartigen „The Massenger“ gesehen hat, wird fluchen und weinen wie meine Wenigkeit. Was ein Absturz, in einer beliebige Ansammlung narrativer Konventionen. Was sind die auch alle wieder gemein zueinander. Da hilft es auch nicht, dass jeder dämliche, übergroße Dialog möglichst kreativ aus allerlei Winkeln abgelichtet wird. 

Unconditional – Ein Film für Menschen, die zeigen möchten, wie tolerant sie sind. Wie Oscars für Nazi-Filme, nur halt mit Schwulen. Mies gespielt und dann seltsam einfältig. 

Wir wollten aufs Meer – Aufsatzthema: Wenn deutsches Kino versucht, Hollywood zu sein und dabei auf die Nase fällt. Weil wieder alles was es (eigentlich gar nicht) braucht, in einen Topf braver Ästhetik geworfen wird: Ost-West, Freundschaft, Verrat, Rollstühle (=böse Stasi!), Schnurrbärte (=ganz böse Stasi!), dreckige Gesichter (=ehrlich!), das Meer (=Sehnsucht!), die Familie (=Hoffnung!) und Hans Zimmer für einfallslose Produzenten. Und mal unter uns Gutmenschen: Spielt Ronald Zehrfeld eigentlich auch mal jemanden mit Fehlern?!

On The Road – Oh, wir haben keine 6 Stunden Zeit, wollen aber nichts aus dem Buch raus nehmen. Dann einfach in jeder Szene vorne und hinten was abschneiden und raus kommt eine Ansammlung an Städten (immer schön in der Bauchbinde zu lesen), anteilslosem Schauspiel, verschenkter Gastauftritte (Steve Buscemi lässt sich kurz in den Arsch ficken und wird dann an der nächsten Raststätte angebunden) und kaum zu ertragender Carpe-Diem-Albernheiten. „Auf das Leben“ rufen sie alle 20 Sekunden und klauen einem damit über zwei Stunden Lebenszeit. Immerhin, Kristen Stewart: nackt. 

Le Skylap – Wer hat den Franzosen eigentlich erlaubt, sich selbst zu feiern?! Wo sie doch weder Stil noch Tragik haben, die es wert wären, damit 2 Stunden voller Zeit-Bilder (Deleuze, geht immer!) zu füllen. Immerhin konnte ich mir in all dieser nervigen Scheiße erschließen, warum es "Apocalypse Now" in den Film schafft. Wie auch schon in "2 Days New York" - Frau Delphie hat wohl nicht viele Filme gesehen, so dass sie immer auf den gleichen anspielen muss. Eine Einsicht: „The Horror! The Horror! The Horror!“