Wie
der Schmerz im Magen, das schwere Atmen nach dem Schlag, damals, an
der Bushaltestelle. Was hab ich ihm die Fresse poliert. Was hab ich
Stefan die Nase versenkt, diesem Minderwertigkeitsmagneten. Ohne
Kontrolle, ohne Maß, ohne jede Regung außer meiner Gliedmaßen war
ich ihm ins Selbstbewusstsein gestiegen. Während er überheblich in
die Messer meiner Verzweiflung gelaufen war. Ich schleppte mich nach
Hause, frei und fertig. Und dann, im Bett, dieser Tagtraum, diese
Vorstellung, in meinem adrenalinüberschwemmten Bewusstsein: In
Gedanken ging ich zu ihr, hielt ihr dramatisch die Stirn hin, die ich
zuvor noch geboten hatte. „Du solltest den anderen sehen",
klang ich so beiläufig wie möglich und sie, Ricarda, ließ mich
herein. Sie machte mir Tee. Sie hörte mir zu und irgendwann haben
wir darüber gelacht, was für ein Idiot ich bin.
Blut tropfte behäbig von meinem Knie ins Bettlacken. Das Salz meiner Euphorie. Einmal nicht Opfer gewesen. Einmal das weinerliche „bitte beachtet mich“ in meinem Kopf gegen das „Seht mich an!“ eines Feldherren getauscht. Gutes Gefühl, gute Vorstellung. Gute 8 Stunden, gutes Aufwachen. Ehe Janine vom Nachbartisch plötzlich, irgendwann in Mathe, herüber spuckte, wie unfair ich doch gekämpft hätte. Zum Beweis lagen ein paar von Stefans Haaren auf dem Tisch. Er schaute nicht hinüber. Ich war, wie so oft, zwar der Sieger, aber nicht der Gewinner. Das Urteil über mich war mit ihm zusammen in den Dreck gefallen.
Blut tropfte behäbig von meinem Knie ins Bettlacken. Das Salz meiner Euphorie. Einmal nicht Opfer gewesen. Einmal das weinerliche „bitte beachtet mich“ in meinem Kopf gegen das „Seht mich an!“ eines Feldherren getauscht. Gutes Gefühl, gute Vorstellung. Gute 8 Stunden, gutes Aufwachen. Ehe Janine vom Nachbartisch plötzlich, irgendwann in Mathe, herüber spuckte, wie unfair ich doch gekämpft hätte. Zum Beweis lagen ein paar von Stefans Haaren auf dem Tisch. Er schaute nicht hinüber. Ich war, wie so oft, zwar der Sieger, aber nicht der Gewinner. Das Urteil über mich war mit ihm zusammen in den Dreck gefallen.
Ich
parke meinen Seat an der zum Eingang am weitesten entfernten Stelle.
Es muss niemand sehen, was für ein Auto ich fahre und zusätzlich
will ich noch etwas Ruhe in der Bewegung finden, ehe ich ankomme. Ich
kontrolliere noch einmal meine Erscheinung in der Reflexion der
Autotür, streiche ein paar Haare über meine Geheimratsecken und
drehe mich mit Seriosität und sauber geknicktem Kragen zur Vorhalle.
Es ist nasskalt. Mein Atem läuft mir die Wangen hinunter. Der Schnee
der letzten Tage hat sich in Wasser zurückverwandelt oder hängt
sich als tropfender Matsch an meine Fersen. Ein paar Lichter ziehen
mit mir über den Asphalt, als ob sie nichts besseres zu tun haben.
Die
Offenbarung ist nah. Ich habe alles dabei, mein Aussehen, mein
Selbstbewusstsein – meine ehrfürchtige Aura, die mir die Großstadt
in ihren anonymen Stunden der Einsamkeit angelegt hat. Ich bin nicht
eitel, ich fordere nur meinen Anteil ein. Die letzten Jahre, die
Umzüge und Kompromisse, die Hast nach dem Ideal und die Opfer auf
dem Weg zum Olymp, mit dem heutigen Tag werden sie entlohnt sein.
Vor
dem Gebäude stehen zwei und frieren. Ich habe vergessen, wie sie
heißen, erkenne aber ihre Gesichter und grüße mit einem Nicken.
Einer war in meinem Bio-Kurs und hatte immer T-Shirts an, die ich
nicht verstand. Der Andere war, egal.
Mit
dem Öffnen der Schiebetür löse ich den Knopf an meinem Mantel und
ziehe den Schal in geübtem Tempo aus seiner eigenen Schlaufe. Doch
es fehlt das Publikum. Einzig Esther sieht mich, die Tochter unserer
damaligen Schulsekretärin. Immer noch auf der Suche nach Bestätigung
im Erstellen von Anwesenheitslisten. Sie hat die Arme hinter dem Bund
ihres Rocks verschränkt, bis sie mir diese bei meinem Anblick einem
Lasso ähnlich entgegen wirft: „Richard!“ ruft sie mir zu, als ob
sie damit angeben will, dass sie meinen Namen kennt. Nochmal:
„Richard Quackernack. Schön, dass du da bist.“ Ich höre, dass
sie diesen Satz noch übt. Er sitzt noch nicht. Esther wurde mit 5
Jahren eingeschult und hat die 3. Klasse übersprungen. Das merkt man
bis heute.
„Ja,
schön, dass das heute stattfindet“, sage ich mit dem Grinsen eines
Hotelportiers und gönne mir einen ersten Blick in die Halle. Seit
dem Abi-Ball hat sich wenig geändert. Ein Dutzend rautenförmiger
Säulen strukturiert immer noch den Raum, der sich im hinteren
Drittel etwas öffnet und an seinen Flanken eine Bar und ein kleines
Podium zulässt. „Wo kann ich denn meine Sachen abgeben, hier?“,
frage ich und hoffe auf eine Verneinung.
„Du
kannst dich gleich hier ausziehen“, grinst Esther und legt die
Hände auf ihre Hüften. Sie sieht etwas besser aus als früher. Nur
ihr Gesicht ist weiterhin so makellos wie langweilig. „Ok“, sage
ich und versuche hinter der Garderobe bekannte Gesichter zu erspähen.
Doch es ist noch spärlich gefüllt und die wenigen Anwesenden kenne
ich nicht oder aber sie interessieren mich nicht. Sie stehen in
kleinen Gruppen zusammen und sehen aus, wie, ja wie Hiergebliebene.
Wie Zerrspiegel meines Argwohns. Wie jene, die sich jede Woche sehen,
beim Bäcker, beim Fitness und demnächst beim Musikvorspiel der
Kleinen. Nur diesmal tragen sie andere Schuhe dazu und
beglückwünschen sich zu ihrem Erscheinungsbild. Dann reden sie über
den neuen Italiener am Bahnhof oder das Fernsehprogramm am
Donnerstagabend. Sie sehen aus wie jene, die jetzt bald ihr
Referendariat beendet haben und überlegen, ob es mal etwas 'neues'
sein soll, im Nachbarviertel. Ich verachte ihren Lebensstil. Ihren
Lebenslauf, von der Schule, über Mallorca, in die Schule. Sie haben
keine Fragen. Sie lachen über alles, was ihnen keine Angst macht.
Sie haben noch nie ihren Atem bemerkt. Vor ihnen bin ich geflüchtet.
Vor ihrer dauerhaften Ironie, die sich vor Leidenschaft und
Bekenntnis fürchtet. Vor ihrer Ödnis, die sie selbst Ruhe nennen.
Vor ihrer Seligkeit, die ihnen den Zugang zu etwas höherem
versperrt, die ihnen ihren Verstand verkleistert. Nur raus aus dieser
Stadt. Zwar groß genug, um dem Edeka-Parkplatz zu entgehen, aber
eben auch ohne Untertitel im Kino. Mittelmaß in seiner primitivsten
Erscheinung. Die ersten zwanzig Jahre, sie waren der Apparativ des
Lebens, gegessen wird zu Hause. Und Home
is where your art is.
Ich bin auserwählt, ja verdammt, ich bin. Meine Leiden werden sich
umkehren, werden zu Treib-, nein Kraftstoff werden. Dieser Schmerz in
meinem Magen, er wird ein Bauchgefühl werden. Ein Instinkt. Die Zeit
der Opfer ist vorbei. Ich werde siegen. Ich trage etwas in mir. Ich
kann. Ich will. Ich muss! Und ich bin heute hier, um zu zeigen, dass
ich Recht habe. Das letzte Lachen, es ist laut, es dreckig – es
gehört mir.
An
der Bar gibt es Bier. Ich nenne es bei der Bestellung versehentlich
„Helles“ und bekomme dafür ein Pils und einen schiefen Blick.
Das Glas läuft spitz zu, trägt einen Papierring am Fuß und hält
sich schlecht. So ungewohnt. Es lacht mich aus. Es sagt, dass ich
nicht von hier bin. Ich bin geflohen, aus dem nun beschmutzten Nest.
Alle, das Glas, die Hinterbliebenen, sie schauen mir auf den Rücken,
mustern mich und flüstern: Er hält sich für was besseres.
Dazugehören ist immer noch genauso wichtig wie unergründlich. Die
Worte sind zuweilen neu, sagen aber das gleiche wie immer. Die
Ansichten sind etwas aufgebrochen, die Witze klingen feiner, sind es
aber nicht. Die Frauen sind selbstbewusster. Manche Jedenfalls. Und
alles was ich gegen diese Spirale machen kann, ist diese Rolle
anzunehmen. Dieses Anderssein mit Erfolg zu füllen. Ich halte mich
nicht für etwas besseres, das wäre arrogant. Ich bin etwas
besseres, das ist selbstbewusst. Ich bin kreativ, ich denke, ich
fühle, ich stehe auf Bühnen. Ich mache etwas aus meinem Leben. Mein
Name steht in Zeitungen. Ricarda fehlt.
„Hey“,
tippt es mir zärtlich auf die Schulter. Ich drehe mich um,
erleichtert, dass mich jemand aus meinen Gedanken reißt. „Selber
Hey“, erblicke ich Laura: „Du? Hier?“, frage ich und nestle
verlegen ich an meinem Gürtel. Weitere Schwachsinnigkeiten kann ich
mir verkneifen.
„Wie
geht’s dir?“, fragt sie.
„Joa...,“
sage ich und hebe mit Unterstatement und einem leichten Augenrollen
meine
Schultern: „Und selbst?“
Schultern: „Und selbst?“
„Ich
glaube, wenn es mir nicht gut gehen würde, wäre ich nicht hier.“,
sagt Laura. Ich gucke fragend. Sie:„Naja, mein Haus, mein Auto,
mein Boot... du weißt schon.“
„Mhm.“,
erhebe ich mein Kinn: „Aber warum kauft man sonst sein Boot?“ Ich
weiß nicht, mit wie viel Ernst ich diese Frage stelle.
„Warum
kauft man überhaupt Boote?“ Lauras Lächeln ist warm, ohne dabei
ihren Satz auszuhöhlen. Sie trägt Ausschnitt, das hat sie früher
nie getan. Überhaupt, ihre Haare sind kürzer und stufig
geschnitten. Außerdem hat sie zugenommen und den Körper eines
Mädchens gegen den einer Frau eingetauscht. Nur die lila Strähne,
die an ihrer linken Wange entlang fällt, ist noch da. Beständigkeit
als Reifeprozess. „Du siehst toll aus“, sage ich und bemühe
mich, ihr dabei nicht auf die Brüste zu schauen.
„Danke“,
antwortet sie und fixiert mich. Ich glaube, man hat ihr wehgetan,
sehr. Sie glaubt es nicht. Sie glaubt überhaupt nicht mehr viel. Ich
möchte sie in den Arm nehmen und merke, dass ich sogar in meiner
Fantasie dafür der Falsche bin. Ich will mich entschuldigen. Aber es
ist vorbei, bevor es eine Chance hatte zu beginnen. Ich habe diese
Chance immer abgelehnt.
Ein
Pils später lacht Laura einen Lehrer an, der etwas von einer
Kursfahrt erzählt. Ricarda fehlt. Jana, die dumme Handballerin mit
viel zu großen Oberarmen sehe ich. Caroline, die natürlich von
allen nur Caro oder Line gerufen wird, sehe ich. Steht da Carpe Diem
in ihrem Nacken? Langsam wird es voller und die Musik wechselt. Ein
17jähriger hinter einem Apple, der in seinem Flanellhemd so
aussieht, wie man sich außerhalb von Berlin Berlin vorstellt,
wechselt in den Elektro. Ich nehme mein Bier und trage es wie eine
Urne vor mir durch den Raum, auf der Suche nach einem Anschluss,
einem Eindruck, einer Idee von diesem Abend.
Vor
der Toilette, die ich vor allem besuche, um in Bewegung zu bleiben,
finde ich Tim und Mirko. Sie haben keine Ahnung von Fußball, reden
aber trotzdem drüber. Ich steige ein, verliere mich und taumle mit
verschränkten Armen und steilen Thesen in die Zeit.
Bis
ich plötzlich Stefan im Zentrum einer lauthals prustenden Gruppe
sehe. Bauarbeitergelächter. An seinem Arm hängt eine Frau. Blond,
winzige Nase, viel jünger als er, nicht unser Jahrgang. Ohne eine
Vertröstung an Tim und Mirko zieht es mich in seine Richtung. Die
linke Hand in der Hose, das Sakko elegant über das Gelenk gelegt,
das mittlerweile wieder einmal leere Bier in der rechten. Jetzt
gilt's. Nur wir zwei und alles was uns hierher geführt hat.
„Tach“,
sage ich und reiche gönnerhaft jedem einzelnen der Runde die Hand.
Stefan grüßt zurück: „Was machst du denn hier? Wohnst du jetzt
nicht irgendwo im Süden?“ Seine Krawatte ist bordeauxrot, sein
Hemd schwarz. Er trägt eine Uhr, die entweder verdammt teuer ist
oder nur danach aussieht. Ich kenne den Unterschied nicht. Aber ich
weiß, wie man Menschen im Unklaren lässt, wie man sich ihre
Wertschätzung erschleicht, die auf der Kraft des Mysteriösen fußt.
Derlei bringt einem die Szene bei und ich lege einen trägen Blick
an, der sowohl Jubel wie Ekel bedeuten könnte.
„Ja,
dafür sind solche Abende doch da, nicht?“, sage ich: „Ich war eh
beruflich in der Nähe.“ Der zweiten Teil ist erfunden.
„Ja,
schön.“, sagt Stefan: „Was machst du denn jetzt?“
„Ich
installiere. Also, ich, ja, ich bin Künstler.“ Ich will einen
Schluck nehmen, aber das Glas ist immer noch leer. Ich führe es
trotzdem zum Mund, die Handfläche als Sichtschutz um den Boden des
Gefäßes gelegt. Ich hasse das Wort 'Künstler'.
„Ah,
cool“, bringt Stefan ohne jede Tiefe in seinen Worten hervor. Er
windet sich: „Und was verdient man da so?“ Es
ist die Frage, die ich nur von Leuten gestellt bekomme, die damit
nichts zu tun haben, wie meine Oma oder mein nicht vorhandener
Steuerberater: „Genug. Also, die Zahlungen schwanken, aber ich
brauche keine anderen Jobs aufzunehmen“, sage ich mit einem
antrainierten Lächeln und die Gruppe ringt sich ein ebensolches ab.
„Wohnt ihr,... wohnst du noch hier?“, mein Blick fällt auf die
Fußgelenke von Stefans Begleitung, die sich vor Langeweile
ineinander verlieren. „Ja, noch.“, sagt Stefan ohne Zukunft in
der Stimme. Sein 'noch' ist eine Verhöhnung, eine Parodie.
Schlagartig wird es leer in mir: „Naja, Stefan, war schön dich mal
wieder zu sehen.“ und noch während ich dies sage, durchfließen
mich die Abschiedsworte der Runde wie einen Ausguss. Im Gehen fällt
mir auf, dass ich ihn ja gar nicht nach seinem Beruf gefragt habe.
Ricarda fehlt.
Langsam
spüre ich den Alkohol. Ich trete in die Mitte des Saales und suche
Menschen, die ich vermissen könnte, morgen auf der Autobahn. Laura
tippt gedankenverloren in ihr Backsteinhandy, eine Sanftmut umspielt
ihr Hacken in die unnachgiebigen Tasten. Ich will sie nicht stören.
Tim spricht mit Janine und versucht so beiläufig wie möglich seine
Hand von ihrer Schulter abwärts wandern zu lassen. Sie merkt es, und
lässt es mit sich geschehen. Es läuft mittlerweile Drum&Bass
und der DJ rudert mit geschlossener Faust um sein Ohr herum.
Auf
dem Weg nach Draußen stellt sich mir Esther in den Weg. „Na,
Hübscher“, lallt sie leicht und verzieht das Gesicht.
„Na?“
antworte ich.
„Na?“,
macht sie einfach weiter und lacht.
„Ich
wollte gerade zu Herrn Brügge und ihm für diese scheiß LK-Klausur
damals danken“, lüge ich so charmant wie es mir möglich ist. Ich
weiß, da wird sie nicht mitkommen. Nicht nachdem Herr Brügge sie
damals eine dumme Pute genannt hatte und dafür fast seinen Job
verloren hätte. Sie seufzt. Ich durchquere den Raum und als sie
nicht guckt, biege ich ab und stehe draußen vor der Mehrzweckhalle.
Es vergehen einige Momente, die sich zu einem großen zusammen
drücken. Mir ist kalt, aber die Stille durchflutet mich. Ich
zelebriere die Leere.
„Du
rauchst?“, fragt Laura über meine Schulter, als sie hinaus tritt.
Sie trägt Mantel und Tasche.
„Du
gehst?“
„Ja,
nicht mein Abend. Nicht hier.“
„Wo
geht’s noch hin?“
Laura
sagt nichts. Sie erhebt den Blick, schnieft leicht mit der Nase und
ist für einen ganz kurzem Moment nicht auf dieser Welt. Bis sie in
ihrer Handtasche kramt und ebenfalls eine Zigarette herauszieht. Ich
gebe ihr Feuer und komme ihren Wangen dabei näher als ich gedacht
hätte. „Danke“, sagt sie und deutet auf meine rechte Faust:
„Seit wann?“
„Hm,
noch nicht lang. Heute brauche ich auch nur einen Grund vor die Tür
zu gehen.“
„Du
warst früher so militant dagegen“, stellt Laura fest, ohne auf
meine Anspielung einzugehen.
„Ja,
das Militante verliert sich mit den Jahren.“
„Stimmt.“,
sagt sie zufrieden und wir schweigen.
„Du
siehst wirklich super aus“, sage ich in die Stille. Ich halte mich
damit für mutig.
„Weißt
du...“, Laura dreht sich zu mir: „Ich will das von dir nicht
hören. Nicht mehr. Ich wollte das vielleicht mal von dir hören.
Aber jetzt nicht mehr. Das ist lange her. Verstehst du?“
„Aber
ich meine es.“ Dabei ist mir gerade gar nicht nach Verteidigung.
„Ok,
meinetwegen. Aber damals hast du es auch gemeint, also, du es nicht
vergessen, dir ist es nicht irgendwie entwischt, so hups, einfach so.
Ich glaube, du sagst es nur, weil du es damals nicht gesagt hast.
Warum bist du überhaupt hier?“
„Warum
bist du denn hier?“, verschaffe ich mir Zeit. Die Frage trifft
mich. Nicht als solches, aber sie kommt von Laura.
„Wahrscheinlich
aus dem gleichen Grund wie alle, wie du wohl auch: Um etwas zu
erfahren, was ich eh schon wusste.“
„Ja.
Tatsächlich“, sage ich nur und spüre eine tiefe Dankbarkeit für
diese Feststellung.
Ein
Kombi fährt vor. Am Steuer sitzt ein junger Mann im Anzug und winkt
uns zu. Laura drückt ihre Zigarette aus, die noch nicht mal halb
abgebrannt ist: „Da gehöre ich hin“, sagt sie und umarmt mich,
ohne mir nah zu kommen. Ich rieche ihr Shampoo. Es riecht nach
wilder, unberührter Freiheit und allem, was man sonst noch verklären
kann, wenn man keine Ahnung hat.
„Sorry“,
flüstere ich ihr zu, als sie beginnt, sich von mir zu lösen.
„Dinge
passieren.“, sagt sie und geht.
100
Kilometer später auf einer Raststätte. Der Motor ist aus, das Hemd
aufgeknöpft. Meine Schuhe liegen im Fußraum des Beifahrersitzes.
Das Flackern der Laterne surrt und ich zupfe meditativ an der
Bügelfalte meiner Hose. Seitlich lasse ich meine Beine aus der
offenen Wagentür auf den Boden fallen und rauche der Radioantenne
entgegen. Der Grund unter mir ist fast trocken, nur eine letzte
feuchte Schicht zieht langsam in meine Socken. Es ist ein schönes
Gefühl, wie sich meine Zehen in die Rillen des Asphalts graben, eins
mit ihm werden. Und zum ersten Mal seit langem bin ich weder ein
Sieger noch ein Verlierer, nicht mal ein Gewinner.