Oder: Ein
Lehrer und ein Analytiker kommen in eine Bar
Zwischen
dem dritten und fünften Bier, also da wo die Weisheit in die Welt
fällt, bemerkte Ben, dass es zwar die Frauen waren, die er
verfolgte, sobald sie durch die Tür traten. Doch dass es die Herren
waren, von denen er etwas mit auf den Weg bekam. Ben bemerkte, dass
jemandem gefallen zu wollen und sich mit jemandem auseinanderzusetzen, unüberbrückbare Gegensätze darstellten. Ben
stand auf und ging auf die Toilette. Jemand hatte ihm einmal erzählt,
dass Händewaschen ohne Seife unhygienischer sei als der komplette
Verzicht auf eine Reinigung. Ben mache seine Hose zu und schob
gleichzeitig die Tür, seinen Ellenbogen und sich selbst in
einer fließenden Bewegung zurück in die Hitze. Karl versuchte sich
an ein paar Ausführungen über Freud. Sie sprachen zuletzt viel über ihre
Mütter, was wohl sowohl biografische Gründe hatte, als auch aus
reinem Kalkül geschah. Der Todestrieb, sagte Karl, wird vollkommen
missverstanden. Wir wollen nicht sterben. Wir suchen etwas, wofür es
sich zu sterben lohnt. Karl war schon immer der eloquentere von ihnen
beiden gewesen. Auch wenn Ben in der Lage war, in den richtigen
Momenten zu nicken oder die Arme zu verschränken. Was es ihm mit den
Frauen leichter machte. Manchmal gelang Ben sogar ein unauffälliger
Griff an die Schläfe, der es schaffte, seine Aufgesetztheit zu
verbergen. Karl hingegen, der weiter ausholte, war für einen Mann
seines Alters mit seiner van-Houten-Brille und seinen am Saum fein
säuberlich umgeschlagenen Jeans, überraschend wenig daran
interessiert, Frauen mit seinem Selbstbild in Verbindung zu bringen.
Es gab Tage, da gab er den Romantiker, trank etwas genüsslicher und
redete vom Nachhausekommen. Von dem Moment unter der Sofa-Decke, wenn
der Film aus ist und ein Strich über das Kinn des anderen jede
Anfrage auf eine Interpretation des Gesehenen obsolet werden lässt.
Und es gab Tage, da befahl sich Karl die Großstadt und markierte
seinen Kiez anhand von Eroberung und Postmodernität. Wir müssen uns
den FC Bayern-Fan als unglücklichen Menschen vorstellen, sagte Karl.
Ben trank. Er darf nicht verlieren, er trägt die Peinigung des
Triumphs in sich, sagte Karl. Eine Rothaarige zog vorbei und griff - ob absichtlich oder nicht war nur zu erahnen - im Vorbeigehen Ben an
die Hüfte. Fitnessstudio, dachte Ben. Karl war wach. Die Schönheit
kommt im Angesicht es Todes zur Welt, sie kämpft, sie krepiert, Karl
vergaß die Hitze um sie herum. Sie ist sich ihrer Vergänglichkeit
und daher sich ihrer selbst bewusst. Ben fühlte seine Hüfte und
meinte tatsächlich, sie wäre noch warm. Und Barcelona '99, fragte
er. Schönheit, trieb sich Karl in die Lakonie. Liebe, Sammy Kuffour
weint, fleht, kniet, weint. Der Herr hat ihn verlassen. Das ist
Liebe. Wir wollen nicht sterben. Wir wollen nur eine Grund für
unsere Opfer. Wir wollen Opfer! Die Rothaarige lag in der Ecke, eine
Zunge in ihrem Hals. Ben wollte rauchen. Du willst dem Tod nah sein,
in der Kälte, in der Kehle, sagte Karl und versuchte seine Pathos
mit einer Grimasse der Läuterung zu entlarven. Ja, sagte Ben und
gefiel sich erneut in der Rolle des Analytikers, der sich immer
darauf berufen konnte, immer nur Dinge zurück zu werfen, nie aber
aggressiv zu wirken. Der Analytiker war die präziseste Rolle für
Ben, um an Sex zu kommen. Sie schwächte seine Gegenüber, ohne dass
es ihn zum Arschloch machte. Sein Vater hatte ihm mal geraten, Frauen
immer mehr Fragen zu stellen als Antworten zu geben. Aber um Väter
geht es hier ja nicht. Draußen winkte ihnen ein Taxifahrer zu. Sie
winkten zurück. Sie begannen über Ex-Freudinnen zu reden, auch um
das Protokoll abzuschließen. Es geht, sagte Ben. Fick sie, sagte
Karl, im übertragenen und im wörtlichen Sinne. Freud machte ihn
fast immer zu Großstädter. Ciao, zischte es in ihrem Rücken. Die
Rothaarige zog zwinkernd ein Wasserballerkreuz hinter sich her. Ihr
Abschied war einstudiert, und eben deswegen nicht zu ignorieren. Ich
glaube, die Frage ist eine andere, sagte Ben. Camus, sagte Ben. Ist
es lebenswert Bayern-Fan zu sein oder nicht, das ist die ultimative
und letztlich die einzige Frage. Karl aschte. Du musst das in dir
klären, nicht in den Anderen. Mach ich doch, sagte Karl. Und, fragte
Ben. Nein, sagte Karl, ich bin kein Bayern-Fan, weil. Nein, sagte
Ben. Du bist keiner. Das ist deine Antwort. Der Rest ist
Intellektualität, das bist nicht du. Du bist die Brust deiner Mutter
und die Schokolade deiner Oma. Das letzte Wort brachte sie nach
Schlesien. Dort war es kalt. Na Jungs, sagte die Rothaarige während
sie sich ein paar Spermakrümel aus dem Haar drückte. Na, sagte Ben.
Na, sagte Karl. Und welches Verhältnis hast du zu seiner Mutter,
fragte Ben und sie drehten sich um und schritten zurück in die
Hitze.