Montag, 2. Januar 2012

Ist das ein Weltuntergang oder kann das weg?

Das Kinojahr 2011 war eines der großen Gesten. Viele von ihnen gelangen – ein Rückblick.

Auch der Tanz auf der Rasierklinge ist immer noch ein Tanz. Darren Aronovsky bat mit Black Swan gleich zu Beginn des Jahres 2011, zu selbigem. Portman, auf vielleicht 27 Kilo runter, überspannt alle Gesichtszüge, während ihr der schwarz-weiße Federwindzug durch die schier losen Rippen zieht. In seiner physischen Kraft, seiner undurchdringlichen Energie macht Aronovsky nie Gefangene. Die Figuren sind der Dramabühne entliehen, eine urgruselige, freudsche Übermutter thront dabei auf dem Eisberg. Die Andeutungen und Fallstricke sind vielzählig. Überwältigungskino, dass das Kunststück vollbringt, sein Publikum zwar zu hypnotisieren, aber nicht zu betäuben. Ein Rausch.

Überhaupt: es war ein Jahr der großen Gesten, der Aufplusterung, wahlweise der Weltumarmung oder des -untergehens. Allen voran natürlich die Cannes-Klammer Malick/von Trier, das der blauen Kugel ihre vollständige, theatrale Erfassung entgegen hielt. Der Eine, vom Schöpfergeist befallen, schöpft und schöpft aus dem Vollen. Malt eine Welt, von Beginn an, in den hellsten Farben. Der Tree Of Life erwächst. Unter ihm kniet die Mutter im Moos, dem Märchen entstiegen, auf einer Schaukel, im Feengewand. Daneben die Bilder einer Kindheit, einer Erziehung, die es im Kino in einer reineren Form wohl nie gegeben hat. Da erhält der ältere Bruder einmal von der Mutter keine Aufmerksamkeit und will es dem kleinen Bruder dafür heimzahlen, mit der Faust. Und die Mutter weist ihn zurück, mit einer Milde, wie sie nur eine Mutter besitzt. Mit einer Bestimmtheit, wie sie nur eine Mutter besitzt. Dagegen wirken die Dinosaurier noch deplatzierter und banaler, als sie ohnehin schon sind. Doch wieviel Stunden an Material muss Malick für diese drei und alle weiteren Sekunden elementarer Kindheitserfahrung verfilmt haben, in denen der eigentliche Urknall liegt. Man weiß es nicht genau, aber man dankt es. Mit Tränen der Rührung, die nicht immer ganz sicher sind, ob ihre Natur eine süße oder saure ist.

Melancholia hingegen ist nicht zum Heulen. Alles ist kalkuliert: Ergebnis, Machart, und Marketing. Zwei Filme, zwei Antipoden, die die emotionalen Sphären des Kinos im Jahr 2011 begrenzten. Wagner flutet bereits zu Beginn die dekadente Arche Golfplatz – in Slow-Mo. Das sieht - alle interlektuellen Verkrampfungen mal über Bord geworfen- verdammt gut aus! Von Trier hat seinen Hitchcock gefilmt. Durchtriebenes Reisbrettkino, das mit Comic-Relief (Udo Kier!) und präzisem Spiel die Sache sachlich und rhythmisch in ihr Ende führt, von dem jeder weiß, dass es kommt. Und genau deswegen packt. Depressiv-Suspense. Das drückt einen in den Sitz, weil der Bass unentwegt zum Unheil dröhnt.. Weil von Trier Bilder entwickelt, die zeigen, wie es hinter den Mauern des Marienbads aussieht. Weil diesmal wirklich jede Hilfe zu spät kommt. Weil wir es doch gewöhnt sind, dass am Ende der Held um die Ecke kommt: der einzige Unterschied zu Hitchcock. Während der Brite seinem Publikum immer genau das gab, womit er sich am wenigsten konfrontieren lassen wollte, verweigert der Däne dem Zuschauer alles, was ihn vor dergleichen erretten könne – und findet darin sogar noch ein Nano Erlösung. Der Wald, bei Malick noch in der Hoffnung des Entstehens, taugt jetzt auch zu nicht mehr viel, als zur nackten Aufgabe. Was, Dunsts Fitnessprogramm sei dank, noch so ein schöner wie beliebiger Anblick ist. Bei von Trier sind auch 2011 die Helden nicht mehr als gebrochene Frauen. Männer sind dabei sympathisch-konsequent nicht der kleinsten Rede wert.

Nein, es war kein gutes Jahr für Helden. Unbekümmerte Arbeiten, wie das wunderbar rhythmische Wer ist Hanna? waren Sonderfälle. Synders Sucker Punch war die unnötige aber eben auch erwartbare Belanglosigkeit. Und eben auch nur bedingt schön anzusehen. Weil Schönheit doch immer auch mit Sinn gefüllt sein muss, um reizvoll zu sein. Aber hübsche Frauen und hübsch choregrafierte Bilder, sind als Selbstzweck leider verloren, wenn sie dabei vorgeben, einen höheren Zweck zu besitzen. Mehr Abstand zu sich selbst würde Synders Filmen häufig helfen.

Hingegen Duncan Jones hatte man nicht zugetraut, dass er den Donnersmark macht und dem schlichtschönen Moon eine solche Lustlosigkeit wie Source Code hinterher wirft. Auch The Green Hornet war eine eher unerwartbare Enttäuschung. Michel Gondry zeigte sich dafür verantwortlich. Gondry! Der Schlagzeuger des Schönen. Der Franzose, der Unabhängige, der Schutzpatron aller Träumer, verlorenen Bastlerseelen und missverstandenen Ästhetiker. Eine Hoffnungsfigur. Ein paar illustre Kamerafahrten und ein, zwei Einfälle sind zu entdecken. Doch auch denen sieht man immer noch den Produzenten an, der Gondry den Revolverlauf in den Rücken drückt; die Zigarre im übergenährten Mund, die Angst des Macht- und Geldverlusts auf der nassen Stirn, zischt er: schöne, neue Bilder haben noch nie die Massen ins Kino gebracht, nur bekannte Gesichter (Cameron Diaz, uhag!) und pubertätsnahe Geschichten – und 3D. Weswegen der Film auch nachträglich um eine Dimension aufgestockt wurde. Ein Verbrechen! Das ist, wie Fritz Göttler richtig verglich, der nachkolorierten, roten Flagge im Panzerkreuzer Potemkin ähnlich. War nicht so gedacht, und sieht auch so aus.

Doch auch „echte“ 3D-Filme haben ihre eigene Innovation nicht befeuert. Bezeichnend das mit Pina ein nur spärlich narrativer Film, am ehesten sein Ziel fand. Selbst wenn Wenders einen schmerzlich unkritischen Umgang mit der Bausch-Sekte pflegt. AÜber Tote spricht man nicht schlecht – unabhängig in wieviel räumlichen Auswüchsen.

Auch Politik ist kein gutes Thema zu Tisch. Filme wie Margin Call drücken sich um den eigenen Zugang und fliehen vor der eigenen Courage, dem Gefühl der Überforderung, dem Mythos der Komplexität. Das ist die dunkle Seite der Malick-Medaille: In der Abstraktion sind Gesellschafts- und Weltbilder noch zu malen, nicht aber mit den Farben der Tatsachendramatik. Das zeigen auch Positivbeispiele wie Four Lions. Ein kleiner, gemeiner Film, der eben in alle Richtungen schießt, abschließend gar wortwörtlich – und nur deswegen trifft. Stellungbeziehen ist unschick geworden. Dass Positionierung auch außerhalb der Satire und den Grenzen der Phrase gelingen kann, zeigt dabei ein Film wie der klein-große „Nader und Semin“, der den Unterschied zwischen Einfachheit und Schlichtheit elegant aufzeigt. Das Geschichtenerzählen wird immer Basis des Kinos bleiben, ruft es aus diesen Filmen hinaus. Der sensible Blue Valentine kann dafür genauso ins Feld geführt werden. Ein melodisches Requiem für die Liebe, das in seiner ganzen Aufrichtigkeit und seinem tiefen Mitleid für seine zwei Figuren doch eine Lebensbejahung in sich trägt, die man vielerorts nicht findet.

Es war also nicht alles anders, in diesem Jahr. Woody Allen drehte sich weiter durch Europas Förderinstitute, ohne dabei lange in Erinnerung zu bleiben. Paul Giamatti füllt mit Win Win und Barneys Version gleich zwei Filme mit Seele, die mit viel Charme und unaufgeregtem Kalenderspruch-Flair punkten konnten. Den zu sehr im eigenen Original verlorenen Hangover 2 konnte aber selbst Giamatti nicht retten. Aber auch das ist bezeichnend: Die Anzahl der Fortsetzungen war mit 27 Stück noch sie so hoch wie 2011. Ein Schelm, der dergleichen gutheißt.

Und der deutsche Film? Steht weiterhin etwas neben sich, und daher auch hier nur am Ende. Er zelebriert mit Filmen wie Almanya oder Mein Bester Feind seine eigens gewählte Political-Correctness. Eng aufreiht sitzt man auf der Anklagebank. Der Schuldspruch: ergaunerte Bedeutsamkeit durch die einfältige Behandlung als relevant verstandener Themen, zum Leid eines geistigen oder kurzweiligen Schauwerts. Während das Duo Schweighöfer/Schweiger im abbezahlten Zweisitzer vorbeizieht. Dem Deutschen seine Komödien. Dabei fand man im selbstbewussten Hell oder im stilsicheren Die Unsichtbare Vertreter, die ihre Ästhetik eben nicht als lästige Pflichtübung auf dem Weg zur Botschaft (wichtig!) verstanden. Auch wenn sie sich schwer taten, dafür entdeckt zu werden. Schade eigentlich, waren diese Filme doch, wie das gesamte Jahr 2011, ihr Geld und ihre Lebenszeit zumeist wirklich wert.

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