Für die Senner Bauern und die Operation Blau-Weiß.
Wir liegen mit einem Treffer hinten. Elfmeterschießen. Pokalspiel.
Einer unserer Schützen hatte das fabriziert, was wir im Training gerne mal mit dem kollektiven Ausruf „Field Goal!“ abwerteten. Dabei synchron die Arme gen Himmel recken - die dazugehörige Schiedsrichtergeste beim Football. Ein schönes, kleines und auch typisches Ritual.
Wir liegen mit einem Treffer hinten. Beim Landesligisten FC Türksport, welcher 3 Ligen über uns B-Ligisten spielt, hatten alle Schützen getroffen. Nach 90 Minuten hatte es 2:2 (1:0) gestanden, nach 120 Minuten genauso. In der 119. Minute hat unser Trainer nacheinander Daniel und Yannick vom Platz genommen. Nicht weil sie müde waren und nur enfternt aus taktischen Gründen. Sie standen zu diesem Zeitpunkt einfach am weitesten vom Wechselpunkt gegenüber entfernt. Angst fressen Seele auf - selbst in der Kreisliga B.
Ich bin letzter Schütze, muss also treffen. Der Torwart springt in die selbe Ecke, in die ich schieße. Dazu muss erwähnt werden, dass es sich bei ihm nicht um einen Torwart im klassischen Sinne handelt. Er ist einer der Feldspieler. Das einzige was ihn von seinen Mitspielern unterscheidet und damit zum Torwart befähigt ist sein Trikot, welches er vom eigentlichen Schlussmann erhalten hat. Dieser war – natürlich – des Feldes verwiesen worden.
Es ist ein grausamer Elfmeter! Ein Elfmeter, der alle meine fußballerischen Fähigkeiten mit denen ich mir hier „am Waldbad“ in den letzten 15 Jahren mehr Freunde als Feinde gemacht habe auf einen dramaturgisch zugespitzten Höhepunkt bringt. Wenn man bereit ist ihn als solchen zu erkennen. Ich war in allen Mannschaften die ich hier beim „großen TuS“, wie wir diesen Verein sicher nicht frei von unterbewusster Ironie nannten, durchlaufen habe, einer der konstant technisch schlechtesten Spieler. Gleichzeitig aber immer genauso konstant Stammspieler und nie länger von Trainern in Frage gestellt. Irgendwann fingen wir – neben mir gab es noch ein paar andere Spieler dieses Schlages – uns nur „Holzfuß“ zu nennen. Wir stoppten den Ball weiter als andere schießen können, aber wenn es hoch her ging waren wir immer mittendrin. „Ich wusste, dass du einer der Schützen sein würdest – Mut hattest du immer“, wird mir meine Mutter später auf dem Heimweg berichten und hat damit – was ich hier alles nicht ohne Stolz von mir gebe – wie immer Recht.
Es ist ein grausamer Elfmeter! Halb rechts, nicht stark geschossen, nicht mal richt flach. Der Torwart springt in die richtige Ecke – und landet auf dem Ball. Seine Hüpfte presst den Ball nach Außen weg. Er ist für einen kurzen Moment irritiert, wirrt umher. Er dreht sich um, sieht wie der nun leicht dahin rollende Ball Richtung Pfosten unterwegs ist. Er hechtet dem Ball hinterher. Doch dieser springt an den Innenposten und von dort hinter die Linie, wo ihn der Torwart schließlich aus dem Tor kratzt. Ich blicke zum Schiedsrichter, welcher auf Tor entscheidet. Es ist nicht minder als pervers.
Jubel bricht aus, die Spieler-Mütter lachen, die Spieler-Freundinnen kichern, streichen sich durchs Haar, Spieler-Frauen gibt es nicht, die Mitspieler grölen und ich pose den 200 Menschen, die sich heute hier eingefunden haben in bester „Droga-Cantona-gefühler-Stehkragen-Manier“ entgegen. Yannick schreit mich in einer Mischung aus Begeisterung und Verlachen an. Rodger Ehlers gibt alles direkt per Handy in die Lokalsport-Redaktion durch. Morgen wird mein Name in der Zeitung stehen. Als Spieler der einen der Elfmeter verwandelt hat. Dies wird niemand lesen, der nicht eh schon dabei gewesen ist. Und nur eine weitere handvoll Menschen in Bielefeld werden sich für das Ergebnis interessieren, nicht für meinen Namen. Auch nicht dafür dass ich in beiden Zeitungen auf dem Aufmacherfoto bin. Groß und in Farbe, hehe. Nicht weil ich gut bin, oder spielentscheidend war. Im Gegenteil, mein Gegenspieler, ein ehmaliger aserbeischanischer Nationalspieler, welcher die Ehre hatte einige Champions League-Spiele von auf der Bank von Dynamo Kiew zu verbringen, ist das gesuchte Objekt. Und doch; es fühlt sich gut an.
Es ist mein Moment! Es ist mein letztes Spiel bevor ich wegziehe. Mein letztes Spiel nach 15 Jahren. 15 Jahre, 3 bis 8mal die Woche voller verpasster Aufstiege, überraschender Aufstiege im Folgejahr, Abstiege, Klassenerhalte, Prügeleien auf dem Trainingsplatz, mit Urin gefüllte Trinkflaschen auf Mannschaftsfahrten, Spielabbrüchen, Luftpistolen aus Polen, guter und schlechter Spiele.
Gute Spiele, wie das Nachholspiel in Langenheide, welches nur deswegen stattfand, da der Schiedsrichter nach einen Elfmeter für Langenheide auf Abstoß entschieden hatte. Allerdings nur weil der Ball nicht im Tor war, sondern weil der Schütze seinen Anlauf verzögert hatte. Im Nachholspiel siegten wir durch ein Tor von Michael(!), der sonst so torungefährlich ist, dass dies sogar in einer StudiVZ-Gruppe seinen Ausdruck fand, in der 92. Minute 3:2. Das reguläre Spiel wäre mit 0:0 gewertet worden. Aber Langenheide, zu denen wir eine gesunde Hass-Liebe entwickelt hatten, hatte gegen die Regelkenntnis des Schiedsrichters "erfolgreich" Einspruch eingelegt.
Oder das 4:0 in der D-Jugend gegen den Ortsnachbarn aus Brackwede, in dem ich 2 Treffer vorbereitet und 2 selber erzielte. Eins davon aus 30Metern, Dropkick, in den Winkel. Ich machte die nächsten drei Jahre kein Tor mehr in einem Pflichtspiel. Oder die miesen Spiele, wie das 4:4 in Quelle, wo wir nach 4:0 Führung am Ende nur noch mit 7 Mann und ohne Trainer auf dem Platz standen. Der Rest war des Feldes verwiesen worden. Oder die skurrilen Spiele, wie das verlorene Aufstiegsspiel in der C-Jugend, nach dem wir alle weinend auf den Rasen saßen. Nicht weil wir wirklich traurig waren. Nur weil wir aus dem Fernsehen gelernt hatten, dass man nach großen Niederlagen das so zu tun hätte. Oder das eigentlich schlichte Liga Spiel gegen irgendwen als ich mich – wegen irgendetwas – beim Schiedsrichter beschwerte und mein Gegenspieler mich leicht genervt fragte ob das denn sein müsste und wie alt ich denn sei. Worauf ich nur antwortete: „7 Jahre – aber für deine Mutter reicht's schon.“. Bei der nächsten Ecke flogen die Ellenbogen in meine Richtung und ich fühle mich gut damit. Ein Dialog, sicher die Spitze, aber genauso wenig der einzige Teil dieses Eisbergs.
Ich fühlte mich gut beim „Großen TuS“, welcher mich jede Woche mit diesen Typen zusammen brachte, die einen Anschreien, wenn du den 5Meter-Pass nicht genau genug hin bekommst oder ihrer Meinung nach nicht nah genug am Mann bist. Die selben Typen, die dich in der C-Jugend ekelhaft ernst gemeint für deine Klamotten auslachten und deinen ersten und einzigen Filmriss miterlebten. Irgendwo im Osten hatte ich beschlossen, dass eine Mannschaftsfahrt kurz vor Polen der beste Ort sei um sich absichtlich abzuschießen. Nur um zu sehen, wie das so ist. Und während ich im Bad war und meinen Spielbild erzählte wie hübsch es doch sei, so hieß es jedenfalls noch ein bitteres halbes Jahr später beim Training, wechselten die letzten noch nicht völlig aus dem Leben geschiedenen meine Bettwäsche.
Die selben Typen, die dir unauffällig und anerkennend zu blinzelten wenn du den Assi-Mittelstürmer mit goldenen, neongelben oder -blauen Schuhen und Nike-Stirnband mit einer gut getimeten Grätsche auf die Aschebahn legt hattest. Oder die Typen mit denen du nach dem 2:1 in Peckeloh, nur noch mit Boxershorts am Leib, die Straße entlang zogst. Ein Lied in den inbrünstigen Kehlen: „Da war ein Mädchen – auf dem Fahrrad – und sie schrie: AUSWÄRTSSIEG! AUSWÄRTSSIEG!“. Beim Schlusspfiff standen nur noch 19 Spieler auf dem Platz, 10 Peckeloher, 9 von uns. Der Siegtreffer kam schon in Unterzahl durch einen dreist erschwalbten Elfmeter zustande. Olé!
Die besten Drogen produziert der Körper immer noch selbst. Besonders während du einen Ball den du locker mit der Innenseite ins Aus hättest klären können, voller Kalkül aus 6 Metern per Spannschuss in die Peckeloher Bank drescht. Traditionell voll mit Russen, die mir von diesem Moment an, an die Wäsche wollen. Ich schwadroniere halbstark auf Höhe der Mittellinie, sie sollten doch rüber kommen. Ich „würde mich hier das gesamte restliche Spiel nicht wegbewegen“ und Adrenalin ist besser als Heroin. Wie erwähnt, es gab auf dem Fußballplatz einige Gründe mich zu hassen. Auf dem Platz, und das ist die bittere Wahrheit, wurden wir alle, wurde ich zum „Jarolim“. Oder anders; wer mich noch nicht auf dem Fußballplatz erlebt hat, kennt mich nur halb.
Das Spiel ist beendet. Mein Treffer war nutzlos, da auch der letzte Türksport-Spieler verwandelte. Doch Melancholie kommt nicht auf. Zu gut war unser Spiel, zu hoch der Endorphinspiegel und zu leer mein Geist. Wer sich nach einer Niederlage so fühlt hat nichts zu bezweifeln. Wenige Minuten später sitzen wir barfuß vor der Umkleidekabine, einen Kasten Bier zwischen uns. Die Hälfte der Spieler raucht bereits wieder. Ich werde für meinen Elfer gleichzeitig verhöhnt und bejubelt und irgendwer macht Witze über irgend wen und wer anders macht Witze über irgendwen anders.
Ein britischer Jugendtrainer wurde einmal in einer 11Freunde-Ausgabe mit den Worten zitiert: „Der Fußball lehrte einen eine gesunde Mischung aus Demut und Arroganz.“. Manchmal ist England immer noch das Mutterland des Fußballs.
Ob ich lernte das Kollektiv zu schätzen, dass im Leben (und beim Fußball) immer der gewinnt, der es schafft Lockerheit und Ehrgeiz zu verbinden oder auch einfach dass Benni jeden weiteren Freitagabend bei Frauen auf der Couch pennt und nicht merkt, dass sie ihn nicht ran lassen werden. Vieles was ich lernte, lernte ich beim „Großen TuS“. Und Fußballspielen kann ich bis heute nicht so wirklich. Der „Große TuS“ war für mich das, was andere ihre Jugend nennen. Also dann – und jeglicher Pathos und Schmalz ist hier völlig legitim – Thanks for the memories!
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