Mittwoch, 18. August 2010

Dinge, die man einfach mal so stehen lassen kann...


...muss man aber nicht.

Die Bildzeitung ist der Teufel und jeder der für sie arbeitet, hat seine Seele an eben jenen – zu einem guten Preis – verkauft. Irgendwann ist das Öl alle. Apple-Produkte sind scheißteuer. Die wachsende Bewerberzahl von Staffel zu Staffel bei sämtlichen Castingshows, ist ein Beweis für die Dummheit der menschlichen Rasse im Ganzen. Alles sieht im Bilderrahmen besser aus. New York ist nicht die USA. Guter Sex ist keine Frage der Dauer. Alles was wir über die Welt wissen, wissen wir über die Massenmedien (Nicklas Luhmann). Shakespeare schwafelt. 3D-Filme braucht kein Mensch und werden bald wieder verschwinden. Niemand erobert den Teutoburger Wald. In der arabischen Welt geht es Frauen deutlich schlechter als Männern. Plutonium hat eine Halbwertszeit von 24110 Jahren. Frauen mit Hut sind mit Vorsicht zu genießen. Russen in Skigebieten bestätigen eine Menge Vorurteile. Es gibt Ché Guevara-Buttons bei Media Markt. Die Trennung von Oasis war längst überfällig. Ich bin mehr Europäer als Deutscher. Möchte man einen stilistischen Abstieg unserer Gesellschaft aufzeigen, lohnt es sich das Bild zu bemühen, dass bei Rockkonzerten das Leuchten von Handy-Displays das Feuerzeug abgelöst hat. Krankenschwestern sind unterbezahlt. Tetris ist weiterhin eines der besten Computerspiele aller Zeiten. Die Nicht-Raucherlobby geht deutlich zu weit. Es ist als Zeichen für einen überhöhten Leistungsdruck unter Jugendlichen zu werten, dass gerade Mädchen Probleme mit Alkohol habe - die müssen am meisten glänzen. Die FDP ist die einzige Volkspartei Deutschlands unter 5%. Nur weil es jeder sagt, ist es nicht gleich falsch. Nur weil es jeder tut, ist es nicht gleich richtig. Freiheit für Tibet. Es ist bedauerlich, dass sich das Erstellen von Mixtapes für tolle Frauen, so abgenutzt hat. Josef Ackermann hat mehr Geld als er braucht oder verdient. Fathi Akin wird in seinem Leben mehr Oscars gewinnen als Florian Henkers von Donnersmark. Wären Kulturgüter umsonst und legal zu erhalten, würde das nicht bedeuten, dass keiner mehr Musik machen, Filme drehen oder Bücher schreiben will. Es gibt nichts gutes, außer man tut es (Erich Kästner). Die Kriminalrate war in Deutschland noch nie so niedrig, während die mediale Darstellung von Gewalt noch nie stark ausgeprägt war, genauso wie das subjektive Empfinden einer Bedrohung. Familie sein, ist nicht einfach. Mit „Chuck“ haben Sum41 ein völlig vergessenes Welt-Album geschaffen, wo sie doch sonst nur Durchschnitt zustande bringen. Schlecker beutet seine Angestellten aus. Wir haben die Freiheit, nicht frei sein zu müssen. Public-Viewing hielt nur einen Sommer. Bayer Leverkusen wird nie deutscher Meister. Nur weil Roland Koch zurück tritt, ist er noch lange kein Verlust für irgendwas. The Killers haben nach ihren Debütalbum nichts mehr hinbekommen und das wird auch so bleiben. Viele Bücher sind zu lang. Köln ist ein Dorf (und dass jeder jeden kennt, ist damit nicht gemeint). Paare mit gemeinsamem Profilfoto in sozialen Netzwerken, haben mittelmäßigen Sex. Menschen, die ohne Musik joggen, lachen auch nicht über Monthy Python. Halb-Asiatinnen sind heiß. Profi-American-Football-Spieler haben ab dem 60. Lebensjahr ein 200mal höheres Alzheimer-Risiko als der durchschnittliche Amerikaner. Das Zeit-Magazin ist das Beste, was es wöchentlich in Deutschland zu lesen gibt. Mit der Emanzipation gehen nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten einher. In deutschen Schulen wird zu wenig über das Judentum gesprochen. „Nichts im Übermaß!“ ist ein gutes Lebensmotto.

Montag, 16. August 2010

„In Siegen the wind doesn't blow, it sucks!“

Für alle Menschen mit Stil.

Vor nicht allzu langer Zeit saßen wir zusammen, in einer kleinen „Die-Stadt-und-Freunde-bald-hinter-sich-lassen-Depression“. Das Studium neigte sich dem Ende zu. Es fielen Ausdrücke wie „War doch schöner als erwartet“ oder „Ich bin doch sehr froh hier in Siegen studiert zu haben“. Schöne, spontane Sätze, schöne kleine Momente waren das; etwas melancholisch, ehrlich, nicht zu pathetisch. Eine kleine Priese leiser Intimität zwischen ein paar herrlich lauten Partys. Und über allem hing die Editors-Zeile: „People are fragile things – you should know by now“ überlebensgroß.

Eine solche Situation gewinnt nicht nur an ihrer Seltenheit, sondern auch in ihrer sie umgebenden Retrospektive. Sie ist Bestätigung und Fazit zugleich. War es doch vor drei Jahren mein Hauptanliegen in dieser Stadt eben das zu finden, was es in der Heimat für mich nicht zu geben schien. Jene kurzweilige Zusammengehörigkeit, jene Dinge, die das Leben zu dem machen, was es ist; Menschen. Am Ende geht es immer nur um die Leute, die man in sein Leben lässt. Gerade im tiefsten Siegerland.

Hier, wo der Osten schon angefangen hat, wo Gott nur zum Austreten und der ICE gar nicht hält. Hier in Siegen. Eine Stadt, in der McDonalds schon um 23Uhr zu macht, Flüsse mit Parkplätzen zu gepflastert werden und es nicht-gefühlt(!) immer regnet. Diese Stadt hat alles: ein Kino, also ein Kino. Teuer, simpel, anspruchslos. Ein Theater, dessen einzige nicht-provinzielle Eigenart das in die Jahre gekommene Spießer-Publikum ist. Ein Verkehrssystem, das die Silben „Sys“ und „tem“ nicht verdient. Siegen – hier fühlt man sich unterhalten.

Auch an der Uni, wo es neben dem üblichen BWL-/Lehramts-Gesocks, für seine Besucher auch ein paar seltene Kreaturen zu bestaunen gibt. Der Asta ist zwar auf Normalmaß genauso bescheuert wie austauschbar, aber vor allem die Gattung LCMS, die sich ab einer gewissen Reife nur noch LKM nennt, stellt eine äußerst spannende, wie seltene Spezies dar. Gerade unter den weiblichen Exemplaren gibt es hier ein paar ebenso niedliche, wie exotische Ausprägungen zu entdecken. Doch auch bei seinen Artgenossen kann man sich an dieser Uni wohl fühlen.

Mit einem vorgeschobenen Pflicht-Praktikum und einem dadurch etwas tiefer liegenden NC, wird die Streberfront Richtung Großstadt abgeschoben …

Einwurf: Es muss an dieser Stelle allerdings genervt erwähnt werden, welch Ungerechtigkeit es darstellt, dass es nur der ewig am Schreibtisch lernende Streber-Einheit möglich ist, in Berlin oder Hamburg zu studieren. Wo dieser Typ von Mensch die Vorzüge einer solchen Schönheit an Stadt gar nicht nutzt, da er doch den gesamten Tag mit Lernen beschäftigt ist Oder anders: der Schreibtisch sieht immer gleich aus, egal ob er in Lüdenscheid oder London steht.

...aber zurück zur Gattung der Siegener Medienwissenschaftler: Nicht zugezogen sind von 75 Kommilitonen ganze zwei. Das erzeugt Neugier. Dazu noch die hohe Wahrscheinlichkeit, sich jeden Mittwoch in der immer selben Diskothek (Kenner der Lokalität werden bei der Bezeichnung „Disko“ zusätzlich lächeln müssen) über den Weg zu laufen und dem Wissen in diesem Fixpunkt urbaner Kultur miteinander vereint zu sein – ob man nun will oder nicht. Das gemeinsame Unglück schweißt zusammen. Entscheidend ist nicht die (nicht vorhandene) Auswahl an Diskotheken oder Restaurants, nicht mal die Wahl der Kinos. Was zählt, sind die Menschen. Und manch neutorischer Wochenend-Heimfahrer, der in Köln oder Frankfurt bereits sein Glück liegen hat, entschloss sich nun seinen Master doch hier zu machen. Weil die Menschen passen. Nicht die Siegener, die eine Berliner Unfreundlichkeit kultvieren, ohne sie sich aus naheliegenden Gründen leisten zu können. Nein, mit Mensch meine ich, wie sollte es anders sein; den medieninteressierten Studenten. Polohemdenträger, Proll, Pärchen, Promohure oder Pausenclown; der gemeine Siegener MeWi weiß jedem stereotypen Extrem stets seine guten Seiten abzugewinnen. Musik, Frisur, Klamotten, politische Ideen; der MeWi liegt stets richtig, trifft mehr als häufig den richtigen Ton, lebt immer auf der Sonnenseite des Lebens – auch wenn es davon in Siegen nicht allzu viele gibt. Siegen – hier lernte ich die Coolness kennen.

Am Ende sind es drei schlichte, gute Jahre. Solche, die es in sich wert waren. „I was looking for some action, and all I found was cigarettes and alcohol“, wusste bereits Noel Gallagher zu berichten. Der entscheidende Faktor für einen gelungenen Abend ist doch nur, mit wem du dich betrinkst und danach im Bett landest. Die medienwisschensachaftliche Fakultät ist für derlei Aktivitäten absolut geeignet. Voll mit einer Menge Menschen, die witzig sind und trotzdem Nähe zulassen. Menschen, die ohne Fremdwörter zeigen können, dass sie Ahnung haben. Menschen die den Witz "Ich habe Memento rückwärts gesehen - ist ein ganz normaler Film." verstehen. Menschen, dessen Anwesenheit du schätzt und die deine genießen. Spärlich gesät mit einer handvoll Leute, dessen ausgeprägte Präsenz du suchst und deren Gleicher du findest. Siegen – hier hab ich Freundschaft geschlossen.

Jetzt geht jeder seiner weiten Wege. Die Fleißigen sind in Berlin und/oder im Praktikum, die meisten wissen noch nicht, wo das Leben sie hin spült und die Guten bewerben sich in Marburg, Tübingen oder Passau. Das Leben ist im Fluss. „It breaks, if you don't force it“. Wer das nicht versteht, studiert aus dem falschen Gründen Lehramt. Wer das verinnerlicht, der weiß: selbst drei gute Jahre in Siegen, sind kein Grund dort zu bleiben. Es geht immer irgendwo hin. Wir sind MeWis, wir sind frei – im Kopf! Wir sehen zu gut aus für diese Stadt. Wir sind nicht ungewollt schwanger. Wir sind zu jung für Kompromisse. „Irgendwo“ hin geht es, Richtung Programm-Kino und einem McDonalds für den Besäufnis-Hunger und mit neuer Neugier auf neue Menschen. Das die nächste Stadt mehr zu bieten hat als Siegen, kommt einem Naturgesetz gleich, dass sie den gleichen Schlag von Mensch zu bieten hat, nicht.

Fragile Gebilde an menschlichem Leben, zwischenmenschlichen Erlebnissen gibt es überall, aber in welcher Form und Fülle ist zu diesem Zeitpunkt nur hypothetisch zu klären. Das wird für mich persönlich umso deutlicher, umso spannender, wenn man sich vor Augen führt, wie der Titel des oben zitierten Editors-Tracks heißt.

http://www.youtube.com/watch?v=vDCnNe2tJ0g&feature=related


Das dieser Track Stil hat, haben mich drei gute Jahre unter Medienwissenschaftlern gelehrt.



Donnerstag, 5. August 2010

Höher! Schneller! Enger!

Es bietet sich an, hier ein Bild zu nutzen, welches in diesem Zusammenhang ekelhafte Wirklichkeit wurde: das Bild vom Staub, der sich langsam legt. Nachdem er zuvor noch durch eine panischeMenschenmasse aufgewirbelt wurde. Und mit dem Staub auch eine Duftwolke aus Urin, Kotze, Schweiß und noch mehr Urin. Beißend für die Augen, wie ein Schleier voll Salz auf die Ganzkörperwunde.
Ein Zustand physischer und psychischer Extreme, wie er in diesem 16Meter breiten Duisburger-Tunnel gewesen sein muss, in dem vor lauter Menschen kein Platz war. Also gar kein Platz! Kein Zentimeter war mehr frei, Füße lösen sich vom Boden und man wid mit der Menge dahin gerissen. Man will nur raus - aus der Enge. Man kann es nicht! Man verliert die Kontrolle. Man kriegt Panik. Du kriegst Panik!
Doch das Ergebnis dieses Zustandes, in dem Masse, Hitze, Raverkultur, Alkohol und sämtliche andere harte und weniger harte Drogen zusammentrafen, wird jetzt erst sichtbar, nachdem sich der beißende Staub langsam gelegt hat.
Zunächst - nur der Vollständigkeit halber - steht da erstmal das Ereignis an sich, mit seinen nackten Zahlen: 21 Toten, über 500 Verletzte und Hunderttausende, statisch nicht erfasst, die Dinge in diesem Tunnel gesehen, gehört und gefühlt haben, die die meisten Menschen nie erleben müssen. „Schlimmer als jeder Kriegsschauplatz“ nennen das gestandene Sanitäter, die schon einiges mitgemacht haben, in der Süddeutschen. Eine Zeit-Redakteurin, mit 25 Jahren kaum älter als ich, beschreibt die Situation im Tunnel ähnlich. Sie erzählt von Menschen, die „Dahinten sterben Menschen!“, schreien, während sie verstört an ihr vorbei laufen. Sie sitzt währenddessen neben jemanden, dem man mehrfach übers Gesicht gelaufen ist. Sie hatte zuvor mit längeren Bewusstseinsverlusten zu kämpfen. Totaler Blackout. Bis sie realisiert in Gefahr zu sein. In Lebensgefahr, mit 25 Jahren, auf einer Party.
Das ist das das Ereignis für sich genommen: Love-Parade 2010. Duisburg. Ein Begriff, der seinen Weg in das deutsche Gedächtnis finden wird, wie Eschede, Ramstein oder Winnenden/Emsdetten.
Direkt dahinter wird schnell die nächste Ebene des Ereignisses sichtbar; die Verantwortlichen. Die sind schnell aufgelistet. Duisburgs OB Sauerland (CDU), dem die Behörden der Stadt unterstellt sind. Veranstalter Schaller, dem die McFit-Kette gehört und bei der ich (noch) Mitglied bin. Dazu noch eine graue Masse an staatlichen Personen und Institutionen. Gutachter, Sicherheits-„Experten“, Crowd-Manager (noch so ein Wort, das es ins kollektive Bewusstein schaffen wird) Polizei, Feuerwehr und Wichtigtuer. Viel sagen sie alle nicht. Wenn sie auch sonst nichts wissen, eins wissen sie: "Ich war es nicht!" Oder um es ihnen treffender in den Mund zu legen: sie waren es nicht allein, was zur nächsten, hier entscheidenden Ebene führt; die Ganz-gesellschaftliche. Die Ebene über die bisher noch nicht (ausreichend) gesprochen wurde. Über die Symptome dessen hinaus, was an dieser Stelle als ein gesellschaftlicher Zuschaft verstanden wird, der aus gegebenen Anlass die Umschreibung "kathastrophal" verdient.
Duisburg war eine Kathastrophe und keine Tragödie, also unvermeidlich. Die Love-Parade war kein Erdbeben oder Blitzeinschlag. Es war ein Unfall, ja. Aber einer mit Alkohol am Steuer, mit roter Ampel, fahrlässiger Tötung, mit Schuld! Es gibt rechtliche und moralische Schuldige und somit gibt es auch Wut, Groll und Rachegelüste. Duisburg hätte nicht sein müssen. Die entscheidende, bleibende Erkenntnis ist: es gab eine Alternative. Die Frage die damit einher geht und einen seither rätseln lässt, heißt also: „Was hatte anders gemacht werden können?“.
Auf erster und zweiter Ebene ist das schnell zu erklären. Ein vergleichbares Geschichtslehrstück bietet die Hillsborough-Katastrophe 1989, bei der mehrere Menschen an Stadiongittern durch Überfüllung erdrückt wurden, weil sie die Ordungskräfte weigerten die Tore zum Feld zu öffnen. Man glaubte, die Masse wollte randalieren und ließ sie auf den Stehplätzen ihren Schmerzen erliegen. Seither gibt es in englischen Fußballstadien keine Stehplätze oder Gitter mehr. Warum ich das erzähle? - Eine ähnliche Reaktion ist auch jetzt in Form einer Gesetzesflut zu erwarten. Ausgänge, maximale Personenzahl, organisatorische Abläufe, alles steht auf dem Prüfstand, wird in Zukunft verschärfst oder stäker kontrolliert. Manches wohl überlegt, anderes völlig panisch, zur Wählerberuhigung. Bis zu einem gewissen Masse sinnvolle Symptome-Bekämpfung.
Doch sagt Duisburg 2010 noch mehr über diese direkte Ebene hinaus. Bei genauerer Betrachtung erscheint dieser Unfall nicht nur als Lehrstück für Sicherheitspolitik und der Gleichen, sondern als etwas größeres. Duisburg könnte der Anfang von etwas Neuem sein, auch wenn dies nur eine wage Hoffnung meinerseits ist und keine Aussagen über Techno darstellt.
Duisburg 2010 und die man dafür noch zur Verantwortung ziehen wird, stehen für etwas, das vor 30 Jahren noch das Mantra für eine goldene Zukunft war: „Wachstum“.Dieses Unglück ist Symbol für - so sehr dies auch nach Stammtisch klingen mag - einen grundsätzliche Fehlentwicklung dieser Gesellschaft.
Duisburg wollte aufsteigen, das ganze Ruhrgebiet will raus aus seiner als dunkel und trist empfundenen Vergangenheit der Kohleberger. Sein OB ist wegen diesem Anspruch, dieser Sehnsucht, dessen Projektionsfläche er zu sein scheint, mehrfach gewählt worden. Mc-Fit-Schaller ist ein neoliberales Vorzeigekind. Mit seinem ersten Studio in Würzburg begann sein Aufstieg, der heute über 120 Studios mit sich gebracht hat. Eins davon auf Mallorca. Der Grund für Schallers Erfolg ist, dass er Bekanntes für weniger Geld anbietet: für 15,90€ im Monat trainieren, ohne Betreuung, ohne Extras. Duschen kostet 0,50€. Alle an der Love-Parade beteiligten Parteien unterlagen einem Wachstums-Gedanken. Entweder direkt oder indirekt, durch den Druck, der auf die verübt und dem sie sich gebeugt haben.

Der klassische Wachstums-Gedanke liegt - gerade im Bezug auf Duisburg 2010 - in dem Prinzip der Rationalisierung. Wenn etwas bereits da ist, ein Markt besteht, produziert man es billiger, dann kann man es billiger, also mehr davon absetzen; neues Wachstum entsteht. Wachstum heißt nichts anderes, als die Erschließung neuer Gewinnmöglichkeiten. Wenn der Markt gesätigt ist, müssen Einsparungen eine höhere Gewinnspanne zwischen Kosten und Erlös gewährleisten.
Es folgt: der einzige Weg zu Wachstum (mehr Gewinn) liegt in der Rationalisierung, in der Findung neuer, effektiverer Wege zum selben Ziel. Schließlich meint Wachstum nicht das Verwalten eines Status-Quos, sondern das Ausweiten des Bekannten, unabhängig vom Entwicklungsstand dessen. Das Ziel ist das Produkt, das Konsumgut oder die Werbeveranstaltung billiger zu produzieren und zu gleichen Teilen wie zuvor abzusetzen. Die Produkte für sich genommen sind daher für diese Überlegungen auch völlig irrelevant.
Massenveranstaltungen wie die Love-Parade eine war, sind etwas großartiges, weiterhin. Doch der Weg zu ihnen verändert sich. „Früher“, heißt es in Muxmäuschenstill: „hast du keine Aktien von einem Unternehmen das Landmienen verschifft, gezeichnet. Wenn das Ding heute Rendite abwirft, wird es gekauft.“ Etwas anderes interessiert nicht.
Man ignoriert Vorschriften für Sicherheiten, stellt weniger Ordner ein oder Wellenbrecher auf. Alles Kostenfaktoren. Denn das einzige was zählt, ist das Ergebnis, nicht der Weg dorthin. Alles was zählt, ist Wachstum! Der Weg dorthin ist, auf Grund der angedeuteten, heute fast ausschließlich vorhandenen Marktknappheit (irgendwann hat jeder sein Handy, zum Beispiel), der eigentliche Faktor, der Erfolg von Misserfolg unterscheidet. In der letzten Zeit häufen sich die Ereignisse, in denen diese Rationalisierungswege deutlich werden - im Nachhinein. Ein Finanzsystem, das sich für immer neue, größere Renditen völlig überwirft, Öl-Bohrungen so tief, dass man sie nicht mehr stopfen kann, unzählige Burn-Out-Fälle überall oder auch ein Bildungssystem, dass seinen Rohstoff gar nicht schnell genug auswerfen kann. Nie ist der Weg das Ziel, immer nur das Ergebnis. Je nachdem: Umsatz, Liter, Zuschauerzahlen, Quote oder Abitur genannt. Die Empörung darüber hält sich in Grenzen, bis mal jemand zu offensichtlich den falschen Weg eingeschlagen hat, der Verlauf dieser Route zu sichtbar wird.
Es wird wohl noch weitere Duisburgs geben, bis man vom Wachstums-Gedanken abweicht. Leider. Die genannten Warnschüsse haben ja auch nicht gereicht. Aber irgendwann ist das Öl aufgebraucht, der Regenwald abgeholzt, der Sozialstaat tot, die Bildung findet direkt bei Siemens statt und der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird wegen zu geringer Quote eingestellt, bzw. völlig privatisiert.
Das mag arg pessimistisch klingen, doch wenn sich der Staub über dem Bahnhofsgelände wieder gelegt hat, erkennt man die einfache und doch ekelhafte Wahrheit; irgendwann ist einfach kein Platz mehr im Tunnel.