Montag, 16. August 2010

„In Siegen the wind doesn't blow, it sucks!“

Für alle Menschen mit Stil.

Vor nicht allzu langer Zeit saßen wir zusammen, in einer kleinen „Die-Stadt-und-Freunde-bald-hinter-sich-lassen-Depression“. Das Studium neigte sich dem Ende zu. Es fielen Ausdrücke wie „War doch schöner als erwartet“ oder „Ich bin doch sehr froh hier in Siegen studiert zu haben“. Schöne, spontane Sätze, schöne kleine Momente waren das; etwas melancholisch, ehrlich, nicht zu pathetisch. Eine kleine Priese leiser Intimität zwischen ein paar herrlich lauten Partys. Und über allem hing die Editors-Zeile: „People are fragile things – you should know by now“ überlebensgroß.

Eine solche Situation gewinnt nicht nur an ihrer Seltenheit, sondern auch in ihrer sie umgebenden Retrospektive. Sie ist Bestätigung und Fazit zugleich. War es doch vor drei Jahren mein Hauptanliegen in dieser Stadt eben das zu finden, was es in der Heimat für mich nicht zu geben schien. Jene kurzweilige Zusammengehörigkeit, jene Dinge, die das Leben zu dem machen, was es ist; Menschen. Am Ende geht es immer nur um die Leute, die man in sein Leben lässt. Gerade im tiefsten Siegerland.

Hier, wo der Osten schon angefangen hat, wo Gott nur zum Austreten und der ICE gar nicht hält. Hier in Siegen. Eine Stadt, in der McDonalds schon um 23Uhr zu macht, Flüsse mit Parkplätzen zu gepflastert werden und es nicht-gefühlt(!) immer regnet. Diese Stadt hat alles: ein Kino, also ein Kino. Teuer, simpel, anspruchslos. Ein Theater, dessen einzige nicht-provinzielle Eigenart das in die Jahre gekommene Spießer-Publikum ist. Ein Verkehrssystem, das die Silben „Sys“ und „tem“ nicht verdient. Siegen – hier fühlt man sich unterhalten.

Auch an der Uni, wo es neben dem üblichen BWL-/Lehramts-Gesocks, für seine Besucher auch ein paar seltene Kreaturen zu bestaunen gibt. Der Asta ist zwar auf Normalmaß genauso bescheuert wie austauschbar, aber vor allem die Gattung LCMS, die sich ab einer gewissen Reife nur noch LKM nennt, stellt eine äußerst spannende, wie seltene Spezies dar. Gerade unter den weiblichen Exemplaren gibt es hier ein paar ebenso niedliche, wie exotische Ausprägungen zu entdecken. Doch auch bei seinen Artgenossen kann man sich an dieser Uni wohl fühlen.

Mit einem vorgeschobenen Pflicht-Praktikum und einem dadurch etwas tiefer liegenden NC, wird die Streberfront Richtung Großstadt abgeschoben …

Einwurf: Es muss an dieser Stelle allerdings genervt erwähnt werden, welch Ungerechtigkeit es darstellt, dass es nur der ewig am Schreibtisch lernende Streber-Einheit möglich ist, in Berlin oder Hamburg zu studieren. Wo dieser Typ von Mensch die Vorzüge einer solchen Schönheit an Stadt gar nicht nutzt, da er doch den gesamten Tag mit Lernen beschäftigt ist Oder anders: der Schreibtisch sieht immer gleich aus, egal ob er in Lüdenscheid oder London steht.

...aber zurück zur Gattung der Siegener Medienwissenschaftler: Nicht zugezogen sind von 75 Kommilitonen ganze zwei. Das erzeugt Neugier. Dazu noch die hohe Wahrscheinlichkeit, sich jeden Mittwoch in der immer selben Diskothek (Kenner der Lokalität werden bei der Bezeichnung „Disko“ zusätzlich lächeln müssen) über den Weg zu laufen und dem Wissen in diesem Fixpunkt urbaner Kultur miteinander vereint zu sein – ob man nun will oder nicht. Das gemeinsame Unglück schweißt zusammen. Entscheidend ist nicht die (nicht vorhandene) Auswahl an Diskotheken oder Restaurants, nicht mal die Wahl der Kinos. Was zählt, sind die Menschen. Und manch neutorischer Wochenend-Heimfahrer, der in Köln oder Frankfurt bereits sein Glück liegen hat, entschloss sich nun seinen Master doch hier zu machen. Weil die Menschen passen. Nicht die Siegener, die eine Berliner Unfreundlichkeit kultvieren, ohne sie sich aus naheliegenden Gründen leisten zu können. Nein, mit Mensch meine ich, wie sollte es anders sein; den medieninteressierten Studenten. Polohemdenträger, Proll, Pärchen, Promohure oder Pausenclown; der gemeine Siegener MeWi weiß jedem stereotypen Extrem stets seine guten Seiten abzugewinnen. Musik, Frisur, Klamotten, politische Ideen; der MeWi liegt stets richtig, trifft mehr als häufig den richtigen Ton, lebt immer auf der Sonnenseite des Lebens – auch wenn es davon in Siegen nicht allzu viele gibt. Siegen – hier lernte ich die Coolness kennen.

Am Ende sind es drei schlichte, gute Jahre. Solche, die es in sich wert waren. „I was looking for some action, and all I found was cigarettes and alcohol“, wusste bereits Noel Gallagher zu berichten. Der entscheidende Faktor für einen gelungenen Abend ist doch nur, mit wem du dich betrinkst und danach im Bett landest. Die medienwisschensachaftliche Fakultät ist für derlei Aktivitäten absolut geeignet. Voll mit einer Menge Menschen, die witzig sind und trotzdem Nähe zulassen. Menschen, die ohne Fremdwörter zeigen können, dass sie Ahnung haben. Menschen die den Witz "Ich habe Memento rückwärts gesehen - ist ein ganz normaler Film." verstehen. Menschen, dessen Anwesenheit du schätzt und die deine genießen. Spärlich gesät mit einer handvoll Leute, dessen ausgeprägte Präsenz du suchst und deren Gleicher du findest. Siegen – hier hab ich Freundschaft geschlossen.

Jetzt geht jeder seiner weiten Wege. Die Fleißigen sind in Berlin und/oder im Praktikum, die meisten wissen noch nicht, wo das Leben sie hin spült und die Guten bewerben sich in Marburg, Tübingen oder Passau. Das Leben ist im Fluss. „It breaks, if you don't force it“. Wer das nicht versteht, studiert aus dem falschen Gründen Lehramt. Wer das verinnerlicht, der weiß: selbst drei gute Jahre in Siegen, sind kein Grund dort zu bleiben. Es geht immer irgendwo hin. Wir sind MeWis, wir sind frei – im Kopf! Wir sehen zu gut aus für diese Stadt. Wir sind nicht ungewollt schwanger. Wir sind zu jung für Kompromisse. „Irgendwo“ hin geht es, Richtung Programm-Kino und einem McDonalds für den Besäufnis-Hunger und mit neuer Neugier auf neue Menschen. Das die nächste Stadt mehr zu bieten hat als Siegen, kommt einem Naturgesetz gleich, dass sie den gleichen Schlag von Mensch zu bieten hat, nicht.

Fragile Gebilde an menschlichem Leben, zwischenmenschlichen Erlebnissen gibt es überall, aber in welcher Form und Fülle ist zu diesem Zeitpunkt nur hypothetisch zu klären. Das wird für mich persönlich umso deutlicher, umso spannender, wenn man sich vor Augen führt, wie der Titel des oben zitierten Editors-Tracks heißt.

http://www.youtube.com/watch?v=vDCnNe2tJ0g&feature=related


Das dieser Track Stil hat, haben mich drei gute Jahre unter Medienwissenschaftlern gelehrt.



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