Donnerstag, 20. Januar 2011

Ein optimistisch-verwirrter Text über die Liebe


Manchmal, wenn es mir richtig gut geht, denke ich über den Tod nach. Wie ich mal sterben will. Und Warum. Wer über den Tod nachdenkt, denkt über das Leben nach.

Unfall oder Suizid, sind da Möglichkeiten, denen man sich nähert. Durch die Hintertür, selbstredend. Ein Unfall scheidet früh aus. Flugzeugabstürzen fehlt es an Eleganz und Privatsphäre. Das Ausrutschen im Bad würde den stimmigen Schlusspunkt hinter ein stilloses Leben setzen. Das Einbrechen im zugefrorenen See ist infantil, der Blitzeinschlag willkürlich. Bleibt nur noch der Mord und der Selbstmord. Mord hieße sein Selbstbild als rechtschaffener Mensch zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt aufgeben zu müssen, sich sein Schicksal wenig tugendhaft erarbeitet zu haben. Totschlag liegt irgendwo zwischen Mord und Unfall, und hat dort keinen guten Stand. Somit kommt dem Akt der eigenen Exekution die größte Faszination entgegen. Leider bleibt die Eingrenzung: Suizid wäre ne super Sache, wenn man danach weiterleben könnte.


Was ist denn der Vorteil von Selbstmord? - Aufmerksamkeit. Die 15 Minuten Ruhm, die jedem zu Teil werden, der mit dem Strick um seinen Hals kommuniziert, verdammt bemitleidunswert zu sein. Seht mich an, wie arm ich dran war, seht mich an! Selbstmitleid, sonst kollektiv geächet, wird nun geachtet. Im Tod kehrt sich alles um. Mitleid wird gewöhnlich nur den Glücklichen zu Teil. Also denen, die eine Mitte finden, zwischen Tiefe und Höhe, zwischen Witz und Träne und allgemein. Schließlich mag niemand Menschen, die ausschließlich Trauer in sich tragen. Nicht mal die Trauernden. Würden sie sich in ihrem Trauern schätzen oder mögen, müssten sie nicht mehr trauern.

Doch mit dem letzten Atemzug kehrt sich dieses gesellschaftliche Verhaltensweise um. Wo vorher noch Irritation und Abgrenzung zur gezeigten Melancholie herrschte, entsteht nun Anteilnahme. Nach der Vergewaltigung wird die Hure zur Heiligen. Das größte Arschloch bekommt die schönste Grabrede.

Die Trauer ist groß. Ob man das eigene, kollektive Scheitern, der nicht erfolgreichen Bewahrung eines menschlichen Lebens bedauert oder den Toten selbst. Vielleicht beides. „Wer sich selbst verachtet, achtet sich doch immer noch dabei als Verächter.“, hat Nietzsche mal gesagt. Das gilt genauso für den Betrauerten wie die Masse, die ihn betrauert.

So grotesk wie das im ersten Moment auch wirken mag: Der Suizid ist eine Bewahrung der eigenen Würde. Nicht weil alle Menschen doof zu einem sind, sondern weil es ein Akt der Macht ist. Man selbst bestimmt Timing, Art und Grund – und niemand anders. 15 Minuten Ruhm und Macht. 15 Minuten seht mich an, beschäftigt euch mit mir. Und nach nichts anderen streben Menschen an erster Stelle. Menschen streben nach Aufmerksamkeit. Die einzigen Momente, in denen dies nicht der Fall ist, nennen sie Liebe. Die Liebe zu Anderen, zum Anderem: Menschen, Gott, Tiere. Zum Wandern, zu Mutternatur, zum Vaterland. Liebe für die fünf großen „F“: Für Frauen, Fußball, Filme, Fressen, Frauen. Wenn jemand sagt, er liebe etwas, meint er, dass ihn das Objekt seiner Zuneigung sich selbst vergessen lässt. Liebe heißt, sich selbst vergessen können.

Der Selbstmord ist ein letzter Akt der Liebe. Denn die Vorstellung von Ruhm und Macht ist so groß, dass sie die eigenen, bitteren Selbstgedanken überdeckt. Jeder der sich umbringt, hat keine Freude am Leben. Aber der Grund für diesen ultimativen Schritt ist nicht nur das bisherige Ausbleiben von Freude, sondern auch die Hoffnung auf Genuss im Akt der Vernichtung selbst. Wie in Waltz With Bashir, diesem großen Stück Kino. In dem der Soldat feucht von seinem eigenen Tod phantasiert und davon, wie seine akut zur Exfreundin gewordene Liebschaft an seinem Grab um ihn weint. Macht! Der Träumer sitzt dabei in Gedanken im Flieger Richtung Front. Macht, bzw. die Vorstellung von Macht als die Möglichkeit der Ausblendung des eigenen Zustands der Jämmerlichkeit. Das einzige Problem bleibt davon ungelöst. Man erlebt dies alles nicht mehr mit. Schade, eigentlich. Aber dadurch wird Suizid auch ein so wirksames Mittel in der Kunst. Der Betrachter lebt ja weiter.

Die im Suizid erworbene Aufmerksamkeit wird nicht erlebt. Sie funktioniert nur fiktional. Vielleicht haben Religionen gerade eine solche Faszination, weil die Vorstellung bei der eigenen Beerdigung dabei sein zu können, dem Wesen Mensch am nächsten kommt? Suizid ist Romantik. Romantik ist das Ebnen eines emotionalen Zustands. Straffen, was vorher noch zerkratzt, fehlerhaft erschien. Daher hat Romantik auch immer mit Entfernung zu tun. Aus der Ferne sieht alles perfekt aus, ist alles eben. In der Liebe nennt sich das rosarote Brille. Das geht vorbei. Aber wie jede Romantik, ist auch der Selbstmord … Trommelwirbel … genauso wenig alltagsfähig. Der Fehler im System ist nicht, dass alles fehlerhaft ist, sondern dass Romantik und Fehler unüberbrückbare Antagonisten sind. Jede Form von Romantik hat etwas Fehlerhaftes in sich – gerade weil den Anspruch auf Perfektion legt, sind ihr Fehler inhärent. Romantik ist somit die Verleugnung des Lebens. Oder optimistischer: Urlaub vom Leben.

Jeder Suizid ist romantisch, indem er die Unmöglichkeit des Fortbestehens leugnet. Jede Romantik hat demnach ihre Illusion. Jede Illusion hat ihren schmerzhafte Realitätsabgleich. Jedes mal sind Romeo und Julia am Ende tot – weil sie die Fehlerhaftigkeit ihrer Umwelt nicht akzeptieren konnten. Es waren Kinder, die das nicht verstanden haben. Das lebendige Publikum hält das für Romantik.

Also lebt man weiter und versucht in der Liebe zu vergessen. Man sucht und lebt eine Liebe, die das Fehlerhafte vergessen lässt.

Aber die gute Liebe will das Gegenteil. Liebe, die das Fehlerhafte akzeptiert. Mehr noch, die es als eigenen Wert schätzt! Liebe funktioniert immer dann, wenn sie nicht wegen, sondern gerade durch Missstände entsteht. Liebenswerte Schwächen braucht der Mensch. Deswegen findet die Liebe häufig auch nur die Selbstbewussten, die fähig sind Schwächen zu zeigen. Aber solange der Mensch das Scheitern nicht schätzt, sucht er weiter nach Perfektion, die er Romantik schimpft. Die Illusion lautet: Ein Leben voller romantischer Liebe führen, wissen wann man stirbt – und sich dann 15 Minuten vorher von der Brücke werfen. Das wäre Erfüllung.

Freitag, 14. Januar 2011

Und das ist auch gut so

Tom Tykwer liebt die Menschen – und den Fortschritt, Berlin, die Freiheit.


Linien. Baumkronen. Wolken. Mann. Frau. Sexgespräch. Weiß. 2 Tänzer. 1 Tänzerin. Tanz. So beginnt „Drei“, der neue Film von Tom Tykwer. Ein furioser Anfang, der bannt, bereits alles erzählt. Was jetzt noch folgt, sind die Farben zwischen den Linien, die Zwischentöne. Denn geradlinig ist hier wenig. Chaos ist in „Drei“ – im Vorspann und danach – Programm.

Vor allem in Berlin, wo Hanna und Simon, zwei Vierzig-Irgendwasler, ein ruhig-routiniertes, bürgerliches Leben führen. Er baut Kunst, ist kein Künstler. Sie moderiert eine Kultursendung, ist keine Künstlerin. Beide mögen sich, lieben sich sogar irgendwie, aber langweilen sich nach 19 Jahren Beziehung auch. Bis Adam, ein Stammzellenforscher, in ihr beider Leben tritt. Allerdings getrennt voneinander. Hanna geht mit ihm ins Fußballstadion und anschließend ins Bett. Simon trifft Adam im Schwimmbad und sein Sperma danach auf Adams Brust. An dieser Stelle beginnt das narrative Durcheinander. Selbst der Tod hatte zuvor nicht diese Wirkung. Nachdem Simon die Beatmungsmaschine seiner Mutter (Angela Winkler) abstellt, geht das Leben weiter. Das Comic-Relief hilft, wo er nur kann. Ab einem gewissen Alter ist der Tod einkalkuliert. Nicht aber mit Vierzig-irgendwas. Erst als Simon mit Hodenkrebs auf dem OP-Tisch liegt und Hanna währenddessen in Adams Armen, wird das Protokoll des Vorhersehbaren verlassen.

Bis dahin hatte Tykwer vor allem einen audio-visuellen Einfall an den nächsten gereiht und somit stilistisch einiges an Zinober veranstaltet. Splitscreens, Engels-Erscheinungen, durch drei teilbare Zahlen. Im ersten Drittel macht Tykwer deutlich: Leben ist Film. Film ist Chaos. Leben ist Chaos. Mit dieser anfänglichen Verspieltheit etabliert Tykwer also vor allem sein Thema, nicht seine Geschichte. Die kommt später. Mit zunehmender Komplexität der Erzählung vereinfacht sich der Gestus. Damit umgeht der Regisseur die Gefahr „Drei“ zu einer reinen Stilübung verkommen zu lassen. Stattdessen bleibt der Film durchgehend eine wortwitzige Vorstellung einer sozialen Idee.

Doch die muss erst ausdiskutiert und erfühlt werden. Hanna und Simon – und mit ihnen das Publikum – ringen mit sich selbst und ihren Wirrungen. Gerade im heterogenen Berlin, das zwischen futuristischen Schwimmbädern und Nazivergangenheit, zwischen Ost und West und zwischen Arm und Reich seine Mitte sucht, fällt das schwer.

Adam hingegen steht derweil über den Dingen, zumindest über den rationalen. Der Mensch müsse sich einfach von seinen Determinierungen lösen, erklärt er Simon, als dieser mit seiner neu entdeckten homosexuellen Seite hadert. Von solchen Problemen ist Adam frei – nicht aber von denen der Einsamkeit oder der fehlenden, sozialen Bindung. Adam ist – der Name verrät es wenig subtil – ein Mensch aus Fleisch und Blut. An seiner Figur wird deutlich, wie Tykwer seinen Film und seine Figuren anlegt. Zwar ist Adam ein moderner Mensch: sexuell offen, gebildet, wohlhabend, frei und selbstbewusst. Aber all das hilft ihm nicht, die grundlegenden, menschlichen Bedürfnisse nach Nähe und Geborgenheit anders oder effektiver zu befriedigen als alle Anderen. „Drei“ versucht sich dabei in einer Beschreibung des Wesens Mensch. Ganz gleich, ob der Mensch über Handy oder Brieftaube kommuniziert, die Themen bleiben die Gleichen. Ganz gleich, ob er seine Bücher vor sich aufschlägt oder im E-Book hinunter scrolled, er liest weiterhin Moby Dick. Ganz gleich, welches Jahrhundert wir haben, Shakespeare wird immer noch gegeben. Oder Hesse. Ganz gleich, ob die eigene Mutter stirbt oder man gemeinsam kocht, es löst früher wie heute das gleiche Trauer- oder Glücksgefühl aus. Was sich über die Jahrhunderte ändert, ist nicht der Mensch - vorerst. Was sich ändert, sind die Umstände.

Tykwer, der auch das Drehbuch geschrieben hat, hat immer ein offenes Ohr für seine Figuren, für ihre Überforderung mit Leben, Stadt und Trieben. Die Einteilungen, die der Mensch vornimmt: Hetero, Homo, Bi. Es sind Fluchten vor dem Chaos, Hilfestellungen. Das schafft Orientierung, schränkt das Leben aber gleichzeitig ein. Als Hanna das in ihrer eigenen Fernsehsendung erklärt bekommt, kann sie nicht zuhören. Sie weiß seit wenigen Momenten, dass sie schwanger ist. Das Leben hat sie übermannt. Da hilft es auch nichts, dass sie von der Menschlichkeit dieses Vorgangs erzählt bekommt. Dafür hat Tykwer Verständnis. Und somit schenkt er Hanna, Simon und Adam die emotionale und kognitive Möglichkeit der Überbrückung der selbst auferlegten Grenzen, der eigens geschaffenen Lebensstrukturen. Aber erst nachdem er dem Publikum eine schlichte aber vielleicht auch die schönste Affären-Aufdeckungsszene der Filmgeschichte geschenkt hat.

Auch sein Ensemble hat diese Hoffnungsmomente verdient. Egal ob Sophie Rois als Hanna, Sebastian Schipper als Simon oder Devid Striesow als Adam, alle geben ihren Figuren genügend Tiefe und Ernsthaftigkeit, um sie in den schönen bis ulkigen Momenten ihres Daseins nichts ins Alberne abdriften zu lassen. Besonders Rois schaut man gerne zu, wie sie da steht und meckert und zischt, dass man am Nachbarstisch doch bitte ruhig sein solle. Damit verdient sie sich ihr Glück, man gönnt es ihr.

Der Schlüssel zum Glück aller Protagonisten ist es, die Verwirrungen des Lebens nicht als Krankheit, sondern als Bereicherung zu betrachten. So wie es „Drei“ konzipiert, wäre sich Simon ohne seine Hodenoperation, nie über seine homosexuellen Neigungen bewusst geworden. Den Heiratsantrag gibt es an der Pommesbude, am Tag von Mutters Beerdigung. Das Leben ist nicht linear, und das ist auch gut so.

Ein solch optimistischer Grundton verwundert etwas. Waren Tykwers vorangegangene Arbeiten „The International“ und sein Betrag zu „Deutschland 09“ (Tykwer war Initiator des Projekts) doch wütende Anklagen eines arroganten Westens, der seine Macht anhand von Statussymbolen der Architektur und Hochkultur vorführt. In “Drei“ scheint diese Bitterkeit einer optimistischen Zukunfts- und Fortschrittsgläubigkeit gewichen zu sein. Nicht nur die Welt, ihre Gebäude und technischen Möglichkeiten, ändern sich. Selbst der Mensch ist fähig, seine inneren Grenzen zu überwinden. Zu erkennen, dass das Leben eben nicht aus den anfänglich klaren, abgrenzenden Linien besteht. Leben ist Chaos, und dieses lässt sich führen – in harmonischer Dreisamkeit.

Freitag, 7. Januar 2011

In der Breite gut aufgestellt - Das Kino-Jahr 2010


Nein, ich habe ganz viel nicht gesehen: Carlos, The Town, oder auch die Fremde haben es beispielsweise nicht vor mein Kassengestell geschafft. Und trotzdem hier meine Abhandlung der letzten, durchwachsenen 12 Monate. Oder ist das der Anfang einer einsetzenden Kritiker-Arroganz? - Wir hoffen auf das Beste und erwarten das Schlimmste. Bei der FDP und auch im Kino 2011. Ein Jahr das mit neuen Filmen von Arronovsky, Inárritu oder auch Malick aufwarten wird. Aber bis dahin: ein Rückblick.


Tendenz des Jahres

…geht zum Kindererwachsenen-Film. Auch wenn Wo die Wilden Kerle wohnen offiziell noch ins Jahr 2009 (17. Dezember) gehört. Fantastic Mr Fox, Mary und Max tun dies nicht. Alle Filme treffen einen sensiblen, punktgenauen Ton und packen ihn in liebevolle, aufwendige und nachwirkende Bilder. Detailliebe und ungezwungener Aufklärer-Ansatz haben diese Filme gemein. „Familie sein ist nicht einfach“, heißt es bei Spike Jonzes Kinderbuchverfilmung und die Leinwand atmet poetische Momente, wie sie es nur ganz selten tut. Man versteht nicht nur, man fühlt! Das Post-Moderne Leben scheint am ehesten noch im Rückgriff auf einen verständlichen, infantil-naiven Duktus gemeistert zu werden. Damit die kleingroßen Themen wie Freundschaft oder eben Familie doch noch gelingen. Naivität oder besser: Einfachheit als Ausweg aus der Falle Leben. Dem gegenüber die pseudo-potente Aufplusterung, die Feuer mit Feuer bekämpft, aber die...


Enttäuschung des Jahres

… war in doppelter Hinsicht Inception. Nicht nur war der Film eine einzige, 100Million teuere Augenwischerei, die mit Taschenspieler-Tricks versuchte, sich wichtig zu tun. Nein, fast noch schlimmer war die erfahrene Einsamkeit mit dieser Einschätzung. Wie intelligent dieses Stück Verschachtelung doch sei, hieß es allerorten. Schein ist alles! Das hier nicht mehr gemacht wird, als ein gutes Ensemble mit großartigen Spezialeffekten auszustatten, dabei aber dramaturgisch völlig konventionell zu hantieren und intellektuell über ein „Das Unterbewusstsein ist schon ne spannende Sache“ nicht hinaus zukommen, wird vergnügt übersehen. Das zweifellos schön-glitzernde Licht blendet zu sehr. Bleibt nur zu hoffen, dass es den ein oder anderen Kinogänger motiviert, älteren Nolan Filmen wie The Dark Knight, The Prestige und besonders Memento ihre Aufwartung zu machen. Damit sie auch mal sehen, wie intelligentes Action-Kino so geht.


Safety-Bet des Jahres:

… konnte und sollte nur New York, I Love You sein. Die Stadt ist der zivilisatorische Höhepunkt unseres kurzen Daseins auf diesem Planeten und wird auch dementsprechend in Szene gesetzt. Sonnenaufgänge über dem Hudson, verträumte Centralparkbänke und das zelebrieren einer romantisch-multikulturellen Popkultur. Der Westen in seiner schönsten Form. Die Storys sind How I Met Your Mother mit besserer Ausleuchtung und weniger Off-Text. Außerdem ist Natalie Portman gleich an mehreren Episoden beteiligt. Was will man mehr?!


Zu-unrecht-schon-wieder-vergessen Film des Jahres:

George Clooneys Kunst besteht darin, dass eigentliche Dilemma aufzulösen, es allen Recht zu machen, ohne dabei beliebig zu werden. Daher ist man machmal veruscht Sätze zu schreiben wie: Wer Clooney nicht mag, mag das Kino, die Kunst, ach was, die gesamte menschliche Rasse nicht. Seine Coolness, die immer nur würdevoll und nie selbstgefällig wirkt, geht mit einer emotionalen Intelligenz einher, die man bei deutschen Intellektuellen nur selten findet. Der Mann ist klug, schön und (!) hat trotzdem Spaß am Leben. Doch Komödien haben es schwer. Jedenfalls in Deutschland (s. Klischee-Bestätigung des Jahres). So auch Up In The Air. Der neben dieser Reinkarnation von Cary Grant eine Menge unaufdringlicher Weisheit und Beobachtungen unseres täglichen Leben bereit hält. Doch was witzig ist, kann nicht tiefgründig sein – so die landläufige Meinung. Deswegen wird Jason Reitmans nächster Schritt auf leisen Sohlen in die Königsklasse zwar überall geschätzt, aber nirgends besprochen.



Klischee-Bestätigung des Jahres

Jaja,... die Franzosen. Lange Einstellungen, Lange Beine, tiefe Blicke, tiefe Ausschnitte, aber zu kleine Dekolletees dafür. So ungefähr sieht auch Mademoiselle Chambon aus. Dazu eine Geschichte, die so geht: Mann trifft Lehrerin seines Sohnes. Beide verlieben sich. Er ist von seiner Frau gelangweilt. Sie will mit ihm durchbrennen. Er kriegt im letzten Moment Angst. Sie steht alleine auf dem Bahnsteig. Wer glaubt, dies wäre verknappt, der irrt. Mehr passiert nicht. Das füllt über 100 Minuten, meist nonverbal. Geige wird gespielt und viel geschwiegen. Schön, anmutig soll das ganze sein, weil die Bilder ja so lange wirken können. Dafür müssten sie aber in sich geschlossen sein. Sind sie aber nicht. Bedeutsamkeit wird durch eine Ästhetik der Langsamkeit suggeriert, die am Ende aber nichts weiter ist, als ein Versprechen der kulturellen Bildung für das Lehrer- und Mittelstandspublikum. Bildung als selbstgefälliger, arroganter Moment der Abgrenzung zum Unterschichten-TV, der seine Effizienz aus der größtmöglichen Langeweile zieht. Oder wie sagte es ein Kommilitone: „Ich gucke keine Filme – nur fränzösische“.


Kinomoment des Jahres:

Sneak Preview. Jennifer Lopez. Na toll. Ende des 4 Akts entbindet sie. Was Sonst? Die Schweißperlen gleiten sauber die ebenen Gesichtszüge hinunter, die Haare bleiben davon unberührt. Der noch-nicht-ganz-Vater/Ehemann/Naturbursche gesteht der Großstadt-Zicke seine Liebe. Warum auch immer. Der Aufnahmeleiter stellt derweil das Happyend schon mal an den Horizont – sein Einsatz ist nicht weit entfernt. Ein paar Augenkontakte, ein paar ebenso säuberlich aufgetragene Freudentränen. Das durchaus kino-affine Preview-Publikum windet sich vor Schmerzen. Dann platzt es aus mir heraus: „Zack! Fehlgeburt!“, entgleitet es mir ohne Lautstärkeregulierung. Der Saal lacht, brüllt, er bebt. Das nennt man Comic-Relief! Noch auf dem Heimweg ziehe ich eine Karriere als Kultur-Komiker in Betracht.


Film des Jahres:

...gibt es nicht. Nur in der Breite war 2010 ein gutes Jahr für das Kino. Für die Spitze fehlte es vieler Orten an wirklich bleibenden Momenten. MicMacs hatte Kreativität für drei Filme (Jeunet, halt), The Social Network wartete mit einem pulsierenden Drehbuch und einem großartigen Hauptdarsteller auf und Lebanon gefiel in seiner theatralischen Enge und der Benennung des Wesentlichen. Doch für eine klare Nr1 fehlt es an wirklicher, ungebrochener Brillianz.

Weitere Filme mit denen man nicht viel falsch macht: Green Zone, Kick-Ass, The Kids Are All Right, Moon, Renn, wenn du kannst, Somewhere.