Freitag, 7. Januar 2011

In der Breite gut aufgestellt - Das Kino-Jahr 2010


Nein, ich habe ganz viel nicht gesehen: Carlos, The Town, oder auch die Fremde haben es beispielsweise nicht vor mein Kassengestell geschafft. Und trotzdem hier meine Abhandlung der letzten, durchwachsenen 12 Monate. Oder ist das der Anfang einer einsetzenden Kritiker-Arroganz? - Wir hoffen auf das Beste und erwarten das Schlimmste. Bei der FDP und auch im Kino 2011. Ein Jahr das mit neuen Filmen von Arronovsky, Inárritu oder auch Malick aufwarten wird. Aber bis dahin: ein Rückblick.


Tendenz des Jahres

…geht zum Kindererwachsenen-Film. Auch wenn Wo die Wilden Kerle wohnen offiziell noch ins Jahr 2009 (17. Dezember) gehört. Fantastic Mr Fox, Mary und Max tun dies nicht. Alle Filme treffen einen sensiblen, punktgenauen Ton und packen ihn in liebevolle, aufwendige und nachwirkende Bilder. Detailliebe und ungezwungener Aufklärer-Ansatz haben diese Filme gemein. „Familie sein ist nicht einfach“, heißt es bei Spike Jonzes Kinderbuchverfilmung und die Leinwand atmet poetische Momente, wie sie es nur ganz selten tut. Man versteht nicht nur, man fühlt! Das Post-Moderne Leben scheint am ehesten noch im Rückgriff auf einen verständlichen, infantil-naiven Duktus gemeistert zu werden. Damit die kleingroßen Themen wie Freundschaft oder eben Familie doch noch gelingen. Naivität oder besser: Einfachheit als Ausweg aus der Falle Leben. Dem gegenüber die pseudo-potente Aufplusterung, die Feuer mit Feuer bekämpft, aber die...


Enttäuschung des Jahres

… war in doppelter Hinsicht Inception. Nicht nur war der Film eine einzige, 100Million teuere Augenwischerei, die mit Taschenspieler-Tricks versuchte, sich wichtig zu tun. Nein, fast noch schlimmer war die erfahrene Einsamkeit mit dieser Einschätzung. Wie intelligent dieses Stück Verschachtelung doch sei, hieß es allerorten. Schein ist alles! Das hier nicht mehr gemacht wird, als ein gutes Ensemble mit großartigen Spezialeffekten auszustatten, dabei aber dramaturgisch völlig konventionell zu hantieren und intellektuell über ein „Das Unterbewusstsein ist schon ne spannende Sache“ nicht hinaus zukommen, wird vergnügt übersehen. Das zweifellos schön-glitzernde Licht blendet zu sehr. Bleibt nur zu hoffen, dass es den ein oder anderen Kinogänger motiviert, älteren Nolan Filmen wie The Dark Knight, The Prestige und besonders Memento ihre Aufwartung zu machen. Damit sie auch mal sehen, wie intelligentes Action-Kino so geht.


Safety-Bet des Jahres:

… konnte und sollte nur New York, I Love You sein. Die Stadt ist der zivilisatorische Höhepunkt unseres kurzen Daseins auf diesem Planeten und wird auch dementsprechend in Szene gesetzt. Sonnenaufgänge über dem Hudson, verträumte Centralparkbänke und das zelebrieren einer romantisch-multikulturellen Popkultur. Der Westen in seiner schönsten Form. Die Storys sind How I Met Your Mother mit besserer Ausleuchtung und weniger Off-Text. Außerdem ist Natalie Portman gleich an mehreren Episoden beteiligt. Was will man mehr?!


Zu-unrecht-schon-wieder-vergessen Film des Jahres:

George Clooneys Kunst besteht darin, dass eigentliche Dilemma aufzulösen, es allen Recht zu machen, ohne dabei beliebig zu werden. Daher ist man machmal veruscht Sätze zu schreiben wie: Wer Clooney nicht mag, mag das Kino, die Kunst, ach was, die gesamte menschliche Rasse nicht. Seine Coolness, die immer nur würdevoll und nie selbstgefällig wirkt, geht mit einer emotionalen Intelligenz einher, die man bei deutschen Intellektuellen nur selten findet. Der Mann ist klug, schön und (!) hat trotzdem Spaß am Leben. Doch Komödien haben es schwer. Jedenfalls in Deutschland (s. Klischee-Bestätigung des Jahres). So auch Up In The Air. Der neben dieser Reinkarnation von Cary Grant eine Menge unaufdringlicher Weisheit und Beobachtungen unseres täglichen Leben bereit hält. Doch was witzig ist, kann nicht tiefgründig sein – so die landläufige Meinung. Deswegen wird Jason Reitmans nächster Schritt auf leisen Sohlen in die Königsklasse zwar überall geschätzt, aber nirgends besprochen.



Klischee-Bestätigung des Jahres

Jaja,... die Franzosen. Lange Einstellungen, Lange Beine, tiefe Blicke, tiefe Ausschnitte, aber zu kleine Dekolletees dafür. So ungefähr sieht auch Mademoiselle Chambon aus. Dazu eine Geschichte, die so geht: Mann trifft Lehrerin seines Sohnes. Beide verlieben sich. Er ist von seiner Frau gelangweilt. Sie will mit ihm durchbrennen. Er kriegt im letzten Moment Angst. Sie steht alleine auf dem Bahnsteig. Wer glaubt, dies wäre verknappt, der irrt. Mehr passiert nicht. Das füllt über 100 Minuten, meist nonverbal. Geige wird gespielt und viel geschwiegen. Schön, anmutig soll das ganze sein, weil die Bilder ja so lange wirken können. Dafür müssten sie aber in sich geschlossen sein. Sind sie aber nicht. Bedeutsamkeit wird durch eine Ästhetik der Langsamkeit suggeriert, die am Ende aber nichts weiter ist, als ein Versprechen der kulturellen Bildung für das Lehrer- und Mittelstandspublikum. Bildung als selbstgefälliger, arroganter Moment der Abgrenzung zum Unterschichten-TV, der seine Effizienz aus der größtmöglichen Langeweile zieht. Oder wie sagte es ein Kommilitone: „Ich gucke keine Filme – nur fränzösische“.


Kinomoment des Jahres:

Sneak Preview. Jennifer Lopez. Na toll. Ende des 4 Akts entbindet sie. Was Sonst? Die Schweißperlen gleiten sauber die ebenen Gesichtszüge hinunter, die Haare bleiben davon unberührt. Der noch-nicht-ganz-Vater/Ehemann/Naturbursche gesteht der Großstadt-Zicke seine Liebe. Warum auch immer. Der Aufnahmeleiter stellt derweil das Happyend schon mal an den Horizont – sein Einsatz ist nicht weit entfernt. Ein paar Augenkontakte, ein paar ebenso säuberlich aufgetragene Freudentränen. Das durchaus kino-affine Preview-Publikum windet sich vor Schmerzen. Dann platzt es aus mir heraus: „Zack! Fehlgeburt!“, entgleitet es mir ohne Lautstärkeregulierung. Der Saal lacht, brüllt, er bebt. Das nennt man Comic-Relief! Noch auf dem Heimweg ziehe ich eine Karriere als Kultur-Komiker in Betracht.


Film des Jahres:

...gibt es nicht. Nur in der Breite war 2010 ein gutes Jahr für das Kino. Für die Spitze fehlte es vieler Orten an wirklich bleibenden Momenten. MicMacs hatte Kreativität für drei Filme (Jeunet, halt), The Social Network wartete mit einem pulsierenden Drehbuch und einem großartigen Hauptdarsteller auf und Lebanon gefiel in seiner theatralischen Enge und der Benennung des Wesentlichen. Doch für eine klare Nr1 fehlt es an wirklicher, ungebrochener Brillianz.

Weitere Filme mit denen man nicht viel falsch macht: Green Zone, Kick-Ass, The Kids Are All Right, Moon, Renn, wenn du kannst, Somewhere.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen