Tom Tykwer liebt die Menschen – und den Fortschritt, Berlin, die Freiheit.
Linien. Baumkronen. Wolken. Mann. Frau. Sexgespräch. Weiß. 2 Tänzer. 1 Tänzerin. Tanz. So beginnt „Drei“, der neue Film von Tom Tykwer. Ein furioser Anfang, der bannt, bereits alles erzählt. Was jetzt noch folgt, sind die Farben zwischen den Linien, die Zwischentöne. Denn geradlinig ist hier wenig. Chaos ist in „Drei“ – im Vorspann und danach – Programm.
Vor allem in Berlin, wo Hanna und Simon, zwei Vierzig-Irgendwasler, ein ruhig-routiniertes, bürgerliches Leben führen. Er baut Kunst, ist kein Künstler. Sie moderiert eine Kultursendung, ist keine Künstlerin. Beide mögen sich, lieben sich sogar irgendwie, aber langweilen sich nach 19 Jahren Beziehung auch. Bis Adam, ein Stammzellenforscher, in ihr beider Leben tritt. Allerdings getrennt voneinander. Hanna geht mit ihm ins Fußballstadion und anschließend ins Bett. Simon trifft Adam im Schwimmbad und sein Sperma danach auf Adams Brust. An dieser Stelle beginnt das narrative Durcheinander. Selbst der Tod hatte zuvor nicht diese Wirkung. Nachdem Simon die Beatmungsmaschine seiner Mutter (Angela Winkler) abstellt, geht das Leben weiter. Das Comic-Relief hilft, wo er nur kann. Ab einem gewissen Alter ist der Tod einkalkuliert. Nicht aber mit Vierzig-irgendwas. Erst als Simon mit Hodenkrebs auf dem OP-Tisch liegt und Hanna währenddessen in Adams Armen, wird das Protokoll des Vorhersehbaren verlassen.
Bis dahin hatte Tykwer vor allem einen audio-visuellen Einfall an den nächsten gereiht und somit stilistisch einiges an Zinober veranstaltet. Splitscreens, Engels-Erscheinungen, durch drei teilbare Zahlen. Im ersten Drittel macht Tykwer deutlich: Leben ist Film. Film ist Chaos. Leben ist Chaos. Mit dieser anfänglichen Verspieltheit etabliert Tykwer also vor allem sein Thema, nicht seine Geschichte. Die kommt später. Mit zunehmender Komplexität der Erzählung vereinfacht sich der Gestus. Damit umgeht der Regisseur die Gefahr „Drei“ zu einer reinen Stilübung verkommen zu lassen. Stattdessen bleibt der Film durchgehend eine wortwitzige Vorstellung einer sozialen Idee.
Doch die muss erst ausdiskutiert und erfühlt werden. Hanna und Simon – und mit ihnen das Publikum – ringen mit sich selbst und ihren Wirrungen. Gerade im heterogenen Berlin, das zwischen futuristischen Schwimmbädern und Nazivergangenheit, zwischen Ost und West und zwischen Arm und Reich seine Mitte sucht, fällt das schwer.
Adam hingegen steht derweil über den Dingen, zumindest über den rationalen. Der Mensch müsse sich einfach von seinen Determinierungen lösen, erklärt er Simon, als dieser mit seiner neu entdeckten homosexuellen Seite hadert. Von solchen Problemen ist Adam frei – nicht aber von denen der Einsamkeit oder der fehlenden, sozialen Bindung. Adam ist – der Name verrät es wenig subtil – ein Mensch aus Fleisch und Blut. An seiner Figur wird deutlich, wie Tykwer seinen Film und seine Figuren anlegt. Zwar ist Adam ein moderner Mensch: sexuell offen, gebildet, wohlhabend, frei und selbstbewusst. Aber all das hilft ihm nicht, die grundlegenden, menschlichen Bedürfnisse nach Nähe und Geborgenheit anders oder effektiver zu befriedigen als alle Anderen. „Drei“ versucht sich dabei in einer Beschreibung des Wesens Mensch. Ganz gleich, ob der Mensch über Handy oder Brieftaube kommuniziert, die Themen bleiben die Gleichen. Ganz gleich, ob er seine Bücher vor sich aufschlägt oder im E-Book hinunter scrolled, er liest weiterhin Moby Dick. Ganz gleich, welches Jahrhundert wir haben, Shakespeare wird immer noch gegeben. Oder Hesse. Ganz gleich, ob die eigene Mutter stirbt oder man gemeinsam kocht, es löst früher wie heute das gleiche Trauer- oder Glücksgefühl aus. Was sich über die Jahrhunderte ändert, ist nicht der Mensch - vorerst. Was sich ändert, sind die Umstände.
Tykwer, der auch das Drehbuch geschrieben hat, hat immer ein offenes Ohr für seine Figuren, für ihre Überforderung mit Leben, Stadt und Trieben. Die Einteilungen, die der Mensch vornimmt: Hetero, Homo, Bi. Es sind Fluchten vor dem Chaos, Hilfestellungen. Das schafft Orientierung, schränkt das Leben aber gleichzeitig ein. Als Hanna das in ihrer eigenen Fernsehsendung erklärt bekommt, kann sie nicht zuhören. Sie weiß seit wenigen Momenten, dass sie schwanger ist. Das Leben hat sie übermannt. Da hilft es auch nichts, dass sie von der Menschlichkeit dieses Vorgangs erzählt bekommt. Dafür hat Tykwer Verständnis. Und somit schenkt er Hanna, Simon und Adam die emotionale und kognitive Möglichkeit der Überbrückung der selbst auferlegten Grenzen, der eigens geschaffenen Lebensstrukturen. Aber erst nachdem er dem Publikum eine schlichte aber vielleicht auch die schönste Affären-Aufdeckungsszene der Filmgeschichte geschenkt hat.
Auch sein Ensemble hat diese Hoffnungsmomente verdient. Egal ob Sophie Rois als Hanna, Sebastian Schipper als Simon oder Devid Striesow als Adam, alle geben ihren Figuren genügend Tiefe und Ernsthaftigkeit, um sie in den schönen bis ulkigen Momenten ihres Daseins nichts ins Alberne abdriften zu lassen. Besonders Rois schaut man gerne zu, wie sie da steht und meckert und zischt, dass man am Nachbarstisch doch bitte ruhig sein solle. Damit verdient sie sich ihr Glück, man gönnt es ihr.
Der Schlüssel zum Glück aller Protagonisten ist es, die Verwirrungen des Lebens nicht als Krankheit, sondern als Bereicherung zu betrachten. So wie es „Drei“ konzipiert, wäre sich Simon ohne seine Hodenoperation, nie über seine homosexuellen Neigungen bewusst geworden. Den Heiratsantrag gibt es an der Pommesbude, am Tag von Mutters Beerdigung. Das Leben ist nicht linear, und das ist auch gut so.
Ein solch optimistischer Grundton verwundert etwas. Waren Tykwers vorangegangene Arbeiten „The International“ und sein Betrag zu „Deutschland 09“ (Tykwer war Initiator des Projekts) doch wütende Anklagen eines arroganten Westens, der seine Macht anhand von Statussymbolen der Architektur und Hochkultur vorführt. In “Drei“ scheint diese Bitterkeit einer optimistischen Zukunfts- und Fortschrittsgläubigkeit gewichen zu sein. Nicht nur die Welt, ihre Gebäude und technischen Möglichkeiten, ändern sich. Selbst der Mensch ist fähig, seine inneren Grenzen zu überwinden. Zu erkennen, dass das Leben eben nicht aus den anfänglich klaren, abgrenzenden Linien besteht. Leben ist Chaos, und dieses lässt sich führen – in harmonischer Dreisamkeit.
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