Auf Grund von rechtlichen Problemen wird diese Abhandlung nun völlig verspätet veröffentlicht. Jedoch verbietet es mir meine Eitelkeit verbietet strikt, Dinge wegzuschmeißen.
Das Kino ist in den letzten fünfzig Jahren fast genauso oft für tot erklärt worden, wie man Schalke 04 zum Meisterfavoriten ernannte. Tatsächlich ist das Kino in dieser Zeitspanne aber auch genauso oft dahin geschieden, wie Schalke tatsächlich Meister geworden ist: nie. Doch der letzte Oscar-Sonntag war wieder so ein Tag, an denen die Fanfaren mehr nach Reqieum klangen und die After-Show-Parties mehr Leichenschmaus waren.
Die Show war die Show, theoretisch. „Hollywoods biggest night“, wie Moderatorin Anne Hathaway (28) die Oscar-Nacht routiniert eröffnete. Ihr Co-Moderator James Franco (32) stand derweil neben ihr und kniff die Augen zusammen. Wobei nicht ganz ersichtlich war, ob er nur versuchte den Telepromter zu entziffern oder das einfach seine Masche ist.
Die Dynamik des Duos ist damit aber schon vollends beschrieben. Franco, seines Zeichens Alleskönner in Hollywood, stand leicht ins Hohlkreuz gelehnt und lächelte freundlich-lausbübisch, insbesondere wenn Hathaway eines ihrer acht (!) Outfits präsentierte. Wobei sie sich die hässlicheren für den Schluss der Show aufbewahrt hatte. Auch wenn sowohl Franco (dieses Jahr nominiert:„127 Hours“) als auch Hathaway (2009 nominiert: „Rachels Hochzeit“) zuletzt bewiesen haben, dass sie alleine einen ganzen Film tragen können, die trägen Oscars konnten die Beiden nicht stemmen. Im Grunde würde das auch kein Problem darstellen. Es hat fast schon Tradition, dass die Oscar-Nacht eine steife, sich selbst viel zu wichtig nehmende Veranstaltung ist. Im selbstgeschaffenen, konsequenten Rhythmus aus schlechter Witz, Preis, Werbung, Preis, Werbung, schlechter Witz, Preis, Werbung, Preis, Träne, Werbung, Preis, Preis, Werbung, Preis gefangen. Erinnerungswerte speist der Abend immer nur aus seinem Anlass: den Filmen.
Doch damit diesmal weit gefehlt. Der Gewinner Film des Abends hieß erwartungsgemäß „The King's Speech“. Ein konventionelles, schön gespieltes Biederstück. Ein stotternder Monarch mit hohem Identifikationspotenzial für die Academymitglieder, dem Geld- und Kulturadel also. Doch was die Wahl von „The King's Speech“, insbesondere in den Edelkategorien original Drehbuch, Regie (!) und bester Film, so deplatziert macht, ist ihr Zeitgeist. Mit seiner altbackenen „Man muss nur an sich glauben“-Botschaft, der ungebrochenen, naiven Tugendhaftigkeit und der platten Verneigung vor einer Männerfreundschaft, wirkt der Film wie ein Relikt einer vergangenen Zeit. Eine Wiederauferstehung von Walt Disney persönlich. Doch steht der Film damit nicht an der Spitze einer nostalgischen, gar träumerischen Tendenz des amerikanischen Kinos, sondern im krassen Kontrast zu seinen Wiedersachern an diesem Abend.
„127 Hours“, sowie insbesondere „The Social Network“ oder „Black Swan“; sie alle wären ein passenderer Repräsentant des Kino-Jahres 2011 gewesen. „127 Hours“, im hektischen, ersten Drittel noch ein bisschen „Into The Wild“ auf Koks, erzählt zwar auch eine klassisches Überlebens- und Wandlungsgeschichte. Dies aber mit deutlich mehr Esprit, die der Film vor allem aus der Nachvollziehbarkeit und Realitätsnähe seiner jungen Figur zieht. Ein kleiner Film, der sich dessen bewusst ist.
„The Social Network“, sowas wie der Hauptwidersacher und Gewinner von adaptiertem Drehbuch-, Soundtrack- und Schnittoscar, ist dagegen komplexer. David Finchers Film erzählt nicht nur die Rise-And-Fall-Geschichte von Mark Zuckerberg, sondern porträtiert gleichzeitig auch die gesamte Generation des Facebook-Erfinders. Ein moderner Citizen Kane, nur noch in der Pubertät. Zuckerberg wird von Jesse Eisenberg dabei so unglaublich zerrissen und gerissen gezeichnet, dass man sich schon fragen muss, wieso das ganzjährige Tragen von Badelatschen – wie es Zuckerberg in „The Social Network“ tut – nicht auch schon als Behinderung durchgeht. Dann hätte Eisenberg gegen das britische Stottern von Colin Firth eine faire Chancen gehabt. Zumal Zuckerberg nicht mal gegen Nazis kämpft. Denen wirft Hollywood immer noch sehr gerne ihre Goldjungen entgegen. Kate Winslet kann eine Menge Lieder davon singen. Bei Fincher gibt es hingegen nur Elitestudenten, berauscht an sich und ihren rhetorischen Fähigkeiten, aber dennoch kommunikationsunfähig. Hohle Wesen. "The Social Network" erzählt von dem Menschen, der aus den Neurosen und Komplexen der ganzen Welt ein Millarden-Kapital geschlagen hat; selbst eine einzige Neurose.
Auch „Black Swan“ erzählt von der Ambivalenz heutigen Lebens. Vor dem Hintergrund des Schwanensee-Balletts zeigt Darren Aronofskys Genrehybrid die Primaballerina Nina Sayers, die für ihr Streben nach Perfektion einen äußerst hohen Preis zahlt. Aronofsky zeigt immer nur Leid und Erfolg im Miteinander. Glückstränen auf der Toilette und Selbstbefriedigung in Anwesenheit der Mutter. Der Regisseur, dessen Thema schon immer die ewig Getriebenen waren, führt den körperlichen und geistigen Zustand seiner Figur in ein Finale, welches seine größt-mögliche Tragik im größt-möglichen Moment des Triumphs entwickelt. In einem New York das nur noch aus dunklen Gängen, Toiletten und Umkleiden besteht. „Black Swan“ kann als gewaltiges, dramatisches Abbild der sich selbst immer unterordnenden Generation-Praktikum herhalten. Eine Gruppe von Branchenneulingen, die nur noch im Exzess bei sich sein kann, sich gegen eine elterlich auferlegte Selbstkontrolle nur noch mit Kontrollverlust zu wehren weiß. Mit einer nun Oscar gekrönten Natalie Portman als Repräsentantin dieser Generation. Eine Rolle, die die Harvard-Absolventin (Bachelor in Psychologie, Zuckerberg war ebenso in Harvard eingeschrieben) auch außerhalb der Leinwand einnimmt.
Alle diese Filme eint, dass sie den Geist einer neuen Zeit atmen. Ihre Inszenierungen sind verspielt, mutig bis progressiv. Ihre Hauptdarsteller sind mit begeisternder Tiefe gesegnet, ihre Figuren alle um die Dreißig und mit faszinierender Ambivalenz ausgestattet. Die gezeigten Lebenswelten sind komplex, ernstzunehmen, vielschichtig – und kommen ohne Nazis aus. Das alles lässt „The King's Speech“ nur noch achronistischer, noch belangloser erscheinen. Handwerklich solide, aber hoffnungslos uninteressiert an heutigen, gesellschaftlichen Zuständen. Wie eine Hoffnung auf die gute, alte Zeit wirkt das Versprechen, dass sich die Academy mit dieser Wahl selbst zu geben versucht. Das nur alles gut wird, wenn man alles so macht, wie immer. Wenn man die alten Geschichten mit neuen Gesichtern erzählt. So wie sein Moderatoren-Duo, das mit Abstand jüngste, das die Veranstaltung jemals hatte, denen aber auch nichts anderes einfiel als ihren unambitionierten Vorgängern.
Letztes Jahr gewann mit „The Hurt Locker“ der politische Film gegen das große Konserven-Kino, das kleine, tagesaktuelle Stück Zelluloid gegen das 300Millionen-Dollar-3D-Märchen. Es triumphierte erstmals mit Kathryn Bigelow eine Regisseurin und schlug damit, quasi als emanzipatorischen Bonus, ihren Exmann. Das trug viel Fortschritt in sich – und eben keine Nazis. Die Generation dieser Erneuerung, die „Generation 90“, wie sie das „Cahiers du cinéma“ nennt, hat es diesmal nicht geschafft, die Alteingesessen von ihrem Thron zu stoßen. Doch es hat schon bessere, wichtigere Filme über Freundschaft oder Selbstbewusstsein gegeben als „The King's Speech“. Mehr noch; es hat diese Filme schon gegeben!
Es wirkt wie das letzte Zucken einer vergangenen Filmwelt. Es gilt als erwartbar, dass in ein paar Jahren über die Verlierer dieses Abends mehr gesprochen wird, als den Gewinner. Das Kino ist tot. Lang lebe das Kino.
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