Sonntag, 5. Juni 2011

Alles kann, nichts muss

Was die Welt im Innersten zusammenhält: Death Cab For Cutie sind schon längst kein Geheimtipp mehr. Was sie aber nicht davon abhält, großartige Alben in die Welt zu entlassen.


Es ist Frühling. An allen Ecken und Enden sprießt und gedeiht es. Alles was war, ist vorbei. Alles was noch kommt, ist bedeutungslos. Ein dumpfer Beat schleicht, surrt, spinnt ein Netz aus verschlafener Erhabenheit. Ein schüchterner Riese erwacht. Er wischt sich den Sand aus den Augen, reckt sich, setzt etwas Kaffee auf. So hört sich „Home Is A Fire“ an. Der Auftakt zur neuen Death Cab For Cutie Platte "Codes & Keys". Ein Türöffner, mit dem man sich auf den sonnengefluteten Balkon setzen möchte. Das Müsli auf dem Schoß, die Haut noch etwas feucht aus der Dusche und den leichten Geruch des Deos in der Nase. „Plats, they will shift, houses will shake, fences will droop, will will awake, only to find, nothing's the same. “. Genau.

Zuletzt sind die vier Herren aus Bellingham, Washington zunehmend ins Zentrum des Pop-Kosmos gerückt. Die ersten Alben der Band sind ein Sammlertraum: experimentell, zerfranzt und reich gesät an ungebügelten Kostbarkeiten, die einladen, sie als seine eigene, ganz persönliche Entdeckung zu vereinnahmen. Nachdem einem gerichtlich geführten Scheidungskrieg mit dem Basis-Label "Barsuk" und dem „Transatlanticism“-Intermezzo beim „Grandhotel Van Cleef“ (2003), kam man ab 2005 beim Major „Atlantic“ unter. Eine Kooperation, die beiden Seiten gut getan hat. Death Cab For Cutie ist eine dieser Bands, die saubere Melodien schaffen kann, ohne dabei beliebig zu werden. Immer irgendwo zwischen Indie und Pop steht und sich gar nicht entscheiden will. Songe, die zu gleichen Teilen klassische Eingängigkeit entwickeln und elektronische oder Postrock-Experimente anbieten. Die letzten Alben stiegen in den USA und anderswo auf 1 und Songs der Band schafften es immer häufiger in jugendliche TV-Formate, deren Zielgruppe entweder mitten in der Pubertät steckt ("O.C. California") oder versucht, dieser zu entkommen ("How I Met Your Mother"). Sogar in die "Twilight"-Reihe hat es das eigens dafür produzierte „Meet Me On The Equinox“ geschafft. Und zu allem boulevardesken Überfluss hat Sänger, Texter und Charakterkopf Ben Gibbard die schnucklige Zoey Deschanel ( "(500) Days Of Summer") geheiratet. Auf schleichenden Sohlen sind "Death Cab For Cutie" so etwas wie Popstars geworden. Ein Zustand, der frustierten Internet-Usern meist böse aufstößt und auch diesmal Reaktionen zwischen Verwirrung und Entrüstung provozierte.

Doch darin liegt vielleicht das Geheimnis dieser Band. Das kann ihr alles nichts anhaben. Erfolg ist bei "Death Cab For Cutie", so scheint es, eher ein beiläufiges Moment als eine Karriereeigenschaft. Die Gruppe macht einfach Musik: selten formel, trotz großer Gesten weit vom Kitsch entfernt. Ehrlich, wie man so oft sagt, und nur selten meint. Ein Klangspektrum, von der Gitarre, mit denen man auf dem Fahrrad den sonnenbefleckten Hügel hinunter gleitet und dabei Kopf und Arme in den Windzug wirft. Bis zum Klaviergeschwader, das einem danieder streckt, in die Flut der Trauer wirft und nicht mehr ins Trockene lässt. Death Cab For Cutie kennen das Glück und den Schmerz – und bringen jeder Gefühlswelt ihre ganze, unendlich scheinende Tiefgründigkeit entgegen. Für jede Gemütslage die passende Partitur, die nun von „Codes & Keys“ nochmals ergänzt wird.

Der Sound dieser Platte erinnert nicht selten an eine übergroße Picknickdecke, mit der man in die Sonntagsstimmung aufbricht, und auf der sich alle Kostbarkeiten des Lebens ausbreiten lassen. Die Band hat eine leise Zufriedenheit für sich entdeckt. Der Volvo zuckelt die Landstraße entlang, die Kinder halten Mittagsschlaf, die Frau liest, während sie sich die Sonnenbrille richtet. Alles ist möglich, nichts ist nötig. Von solchen Momenten wimmelt es auf diesem Langspieler. Auch der Titeltrack schlägt, nun ja, schuppst in gleiche Kerbe. Umkreist seine leichten Streicher und findet in der eigenen Friedfertigkeit Halt. „Some Boys“ spricht Manchem die Fähigkeit zu Lieben ab, schließt aber unverzüglich wieder Frieden mit seinen Namensgebern. "Let it grow, let it grow, when there's a burning in your heart, don't be alarmed“ besänftigt die Vorabsingle „You Are A Tourist“ sich und andere. Das Schlagzeug zuckt erwartungsvoll-nervös und der Bass nickt dazu. Die Band, die früher vor allem mit präziser, großer Geste agierte, hat sich der sanften Zwischentöne angenommen. Das Dazwischen war bei Death Cab For Cutie schon immer anwesend, aber nie wurde ihm diese ungebrochene Aufmerksamkeit zuteil. Nicht überschwänglich aber mit jeder Menge Urvertrauen ausgestattet. Das große Überraschungsmoment dieses Albums dabei ist, dass der allumfassende Optimismus nur selten in Naivität oder Langeweile übergeht. Nur im etwas beliebigen Mittelteil bekommt die Gemütlichkeit einen einschläfernden Touch.

Doch Meister der Dramaturgie, die Death Cab For Cutie immer noch sind, ist das nicht anderes als ein Anlauf. Zum Ende der Platte wird der pathetische Ernstfall geprobt wird, der diesmal aber verhaltener ausfällt als auf vorherigen Alben. Deswegen aber nicht weniger bedeutsam ist. Nun sind es seichte Spielereien und konstante Soundgebilde, die einem Klimax hinterrücks aufs Kreuz legen. „St. Peter's Cathedral“ beginnt vorsichtig, verwirft aber zunehmend seine Schüchternheit und wiegt sich im eigenen Instrumenten-Kanon, der sich einem erst mit ein wenig Abstand wirklich erschließt. Auch der überraschend klein geratene Rausschmeißer „Stay Young, Go Dancing“ hüpft unbeschwert am Teich entlang und ruft der Welt zu „And when she sings, I hear a symphony“. Überall auf den gut 45 Minuten hallt der Gesang etwas mehr als sonst und es sitzen kleine elektronische Verzierungen im Geäst. Die Songs wirken, trotz Längen von bis zu 6 Minuten nie ausufernd, bleiben immer greifbar.

In den kleinen Freuden des Lebens scheinen Gibbard und Gefolgschaft ihr Glück gefunden zu haben. Am deutlichsten wird das am heimlichen Star des Albums: „Underneath The Sycamore“. Ein Stück, dass wohl am wenigsten auf vergangenen Death Cab-Platten aufgefallen wäre. Konventionell im Aufbau, wirft der Track die Arme von sich, läuft die Straße entlang und schreit in die Welt, was ihn berührt. Da kommt altes und neues der Band zusammen und es fühlt sich gut an. Gibbard selbst bringt dabei wie immer wundervoll auf den Punkt: „This is, where we find our peace. This is, where we are at least.“

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