Montag, 30. November 2009

Die Bionade-Generation

Von allem nur das Beste, schmackhaft, mitten im Leben - und zuckerfrei.

Meine Generation ist ja eher schüchtern. Andere Haufen von Menschen, die zufällig in ein und der selben Zeitzone geboren wurden, hätten schon längst den Reichstag abfackelt. Nur weil sie die neuste ABM der Bundesregierung für Wolfgang Schäuble als Finanzminister als symbolisch-gefährliche Unterstützung einer Politik der sozialen Hängematte eingestuft hätten.
Nein, meine Generation ist da eher zurückhaltend. Denn die Wenigen, die es noch schaffen sich zu positionieren, schaffen dies nur noch, weil sie Ideologen sind. Und wenn wir etwas aus der Geschichte gelernt haben dann, dass Ideologien dumm sind. George Bush, war der vielleicht Letzte, mit dieser Denke. Es ist der einfachste Weg, sich eine Ideologie „zuzulegen“. Von diesem Moment entscheidet sie über alles was du tust. Du bist fein raus. Kurz: Die einzigen Menschen, die sich noch motivieren können zum Beispiel gegen Studiengebühren (eins der am stärksten ideologisch besetzten Themen der letzten Jahrzehnte) auf die Straße zu gehen sind leider zu oft Idioten. Nicht alle. Nur eine Minderheit der Bildungsstreiker sind Idioten. Aber diese Minderheit, kann auf Grund ihrer ungebremsten Einseitigkeit, mit welcher sie die vorherrschenden Streitpunkte angeht, einfach am meisten auf sich aufmerksam machen. Oder anders ausgedrückt: wenn von 100 Leuten, 20 Leute bei Youtube sind, 20 Leute „Keine Studiengebühren!!! (!!!)“ rufen und vielleicht 60 Leute leise denken, dass diese bei einer neu geordneten Bafög-Regelung, sowie einer funktionierenden Überprüfung und Kontrolle der Reinvestition dieser, daraus eine fast schon sozialistisch anmutende Möglichkeit der Umverteilung resultieren könnte. Dann hört man nur ein schlichtes „Gegen Studiengebühren!!!“ und vielleicht noch „Bildung ist Menschenrecht“, was ungefähr soviel sagt, wie „Freiheit für Tibet“ oder „Britney Spears singt Playback“. Stimmt ja alles, bringt einen aber auch nicht weiter. Im Gegenteil, am Ende pöbelt der Pöbel und die 100 Leute, werden als Pöbel wahrgenommen.
Und die Nicht-Idioten haben keine Lust auf Idioten und gehen daher nicht mit auf den Bahnhofsplatz. Ungeachtet davon, ob sie für oder gegen oder vielleicht viel wichtiger: wie und in welcher Form (sehr unideologische Fragewörter, jaja) sie für Studiengebühren sind. Am Ende bleibt die geistige Elite zu Hause. Am Schreibtisch, in der Disko oder im Kino (als Medienwissenschaftler, musste der einfach sein). Der Rest sitzt in der AstA.
Meine Generation ist weit davon entfernt desinteressiert und wertneutral zu sein. Wir wollen einfach nur nicht die Kämpfe unserer Eltern weiter führen. Diese Schlacht ist geschlagen. Den einzigen Fehler, denn man dabei machen kann, ist zu glauben, dass es keine neuen Schlachten mehr gibt. Unsere Kämpfe bestehen eben nicht mehr darin etwas zu erreichen. Unsere Kämpfe kennzeichnen sich dadurch aus, dass sie bewahren wollen. Meine Generation ist zutiefst konservativ. Nur will sie andere Dinge bewahren als die CDU, oder vielleicht mit anderen Mitteln. Den finanziellen Luxus, die Reise-, Bildungs- und kulturelle Freiheit. Wir haben alles. Außer die Gewissheit, dass das auch so bleibt. Da ist es fast schon eine Wohltat das „Zensursula“ Von der Leyen, eine Rammsteinplatte verbieten lässt. Ein Grund zur Empörung, eine „Grundsatzdiskussion“, ein Spitzname für die Supernanny der Nation, eine Freude.
Denn, die ewige Wachstumslogik (die man irgendwann gegen sich selbst anwendet, Katrin. Hehe. Wer das jetzt nicht versteht, überliest es einfach) unserer Eltern ist zumindest spirituell nicht mehr vorhanden. Stagnation als Lebensphilosophie. Pragmatismus als subversive Kraft. Das kann nicht funktionieren. Was deutlich negativer klingt, als es gemeint ist, beschreibt einen Zustand in dem die Gefahren nicht sichtbar sind und immer von einem „aber wenn das so weiter geht“ ins nächste rennen. Denn es ist ja so; es demonstrieren Leute gegen Studiengebühren, die aber einen (durchaus mit Opfern verbundenen) Weg gefunden haben, diese aufzutreiben. Nicht die Leute, die es durch diese Gebühren in die Schreinerausbildung getrieben hat. Die Menschen, die sich über das Abitur nach 12 Jahren und den die damit wegfallende Möglichkeit eines Auslandsaufenthalt empören, waren im Ausland. Es beschweren sich die Leute über genmanipuliertes Essen, die schon lange die Möglichkeit besitzen im Biomarkt alles nach ihren Wünschen zu erhalten. Und im Punkto Überwachungsstaat und Datenspeicherung ist die Sache ja per Definition quasi unsichtbar.
Wir sind in dieser Gesellschaft weiter als manche glauben wollen. Meine Generation ist weiter als sie es von sich selbst denkt. Ja, sie kokettiert damit, wie wenig sie von sich hält. Aber am Ende, ist es nicht unser Fehler, öfter in der Disko als vor dem Reichstag zu stehen. Sondern unser Glück. Es ist unsere Entscheidung. Genauso wie es unsere Entscheidung ist keine Müller-Produkte zu kaufen, weil diese Firma auf der Spendenliste der NPD steht. Was vielleicht das deutlich effektivere Mittel für Meinungsfreiheit ist, als mit 500 Leuten, die man eh nicht mehr überzeugen muss, auf die Hauptstraße zu gehen. Es ist unsere Entscheidung, viel zu reisen, die Welt zu verstehen, in ihr zu leben, so Vorurteile abzubauen. In uns und gegen uns. Es ist unsere Entscheidung Roche's Feuchtgebiete (oder Mario Barth) nicht zu mögen, weil wir nicht alles, was sich mit Mann und Frau beschäftigt automatisch und blind als Teil eines emanzipatorischen Prozesses zu werten. Meine Generation redet nicht von Gleichberechtigung, sie lebt sie. So wie es ihr (ok, meist) beigebracht wurde. Es ist unsere Entscheidung, der Monogamie unserer Großeltern nach zu eifern und die daraus entstehende Probleme mit Einsamkeit und Langeweile durch die sexuelle Freiheit unserer Eltern zu überbrücken oder zu ersetzen. Es ist unser Glück und unsere Entscheidung all die Dinge, die andere gerne nutzen würden, wahr zu nehmen. Hier liegt es tief im Menschen, das Geld, dass er hat auch auszugeben und nicht für später beiseite zu legen. Die Freiheiten die er hat, auch zu nutzen. Sparen tun nur langweilige Menschen. Und das ist meine Generation absolut nicht. Schüchtern, ja. Zurückhaltend, ok. Aber nicht langweilig. Darauf trink ich jetzt einen! Oder zwei! Ist ja (noch) alles da, was wir zum Leben brauchen.

Donnerstag, 15. Oktober 2009

Eine kleine Geschichte über Glück und Wahrheit

„Manche Menschen muss man mit Freundlichkeit strafen“ (Anna Wilhelmi)


In der sechsten Klasse ging ich auf eine Gesamtschule. Jaja, „das erkläre einiges, blabla“, ich habe es dort nur bis zur neunten Klasse ausgehalten. Doch bis dahin war ich dort. Die Klasse hieß nicht Klasse, sondern Stammgruppe. Meine Klassenlehrer wurden zum einen nicht so, sondern konsequent Stammlehrer genannt und waren zum anderen immer zu Zweit. Ein Männlein und ein Weiblein – kein Geschlecht wird vergessen. Die Mitschüler hießen nicht Elena oder Franziska, sondern Vincent oder Marie-Luise. Selbst die Fächer tauften sich hier anders. Bio, Chemie und Physik waren unter der Bezeichnung Naturwissenschaften zusammen gefasst und Politik, Erdkunde und Geschichte nannte man hier Gesellschaftslehre. Dazu die berühmte Stammgruppe (Stuhlkreis inklusive) und die Arbeitslehre. Erhältlich in den Varianten Werken, Haushalt und Arbeit. Während man im Werken kleine, gut gemeinte Schreibtisch-Gehilfen bastelte, welche durch den überall heraus suppenden Leim komplett unbenutzbar wurden (nicht, dass sie sonst schön genug gewesen wären, sie sich aufs Fensterbrett zu stellen), gab es im Haushaltsunterricht Noten fürs Spülen und Salat putzen. Ja, es gab Noten.
In der Arbeitslehre-Arbeit, eine Mischung aus Politik und Praktikumsbetreuung, saßen wir im … genau; Stuhlkreis. Es war Hausaufgabe gewesen eine Collage zum Thema „Vorbilder“ zu erstellen. Und da Mädchen gerne basteln, kam eine nach der anderen an die Reihe, legte ihre Papp-DIN-A4-Seite in die Mitte des Kreises und erzählte, wer auf diesem Bild warum, wie cool war. Ein zwei Streberinnen hatten sogar selbstbewusst oder in der Gewissheit, eh wieder im Mülleimer (Papier, gelber Sack, Restmüll) zu landen, gar ihre Eltern aufgeklebt. Abschließend wurden noch ein paar Jungs genötigt ihre Meisterwerke vorzulegen und erklärten wortkarg, warum gerade dieser oder jener Hip-Hopper auf ihrer Stickerwand gelandet war. Eine im wahrsten Sinne des Wortes Runde Sache. Eigentlich.
Doch mein Lehrer vernahm Getuschel aus meiner Ecke und forderte mich auf, meine Hausaufgabe dar zulegen. Also legte ich sie in die Mitte. Manche grinsten, andere lachten sogar, als sie sahen was ich zu Hause aufgeklebt hatte. Nur mein Lehrer nicht. Er fragte, was das denn sei. „Homer Simpson“, antwortete ich ihm wahrheitsgemäß. In Unterhose vor dem Fernseher sitzend. „Außerdem sind das hier sein Sohn Bart und seine Freunde Barney, Lenny und Carl, sowie der Besitzer des örtlichen Supermarktes, Apu. Mein Lehrer schlug seine Beine übereinander, rieb sich seine Hände hastig aneinander und schob sie schließlich druckvoll zwischen Kniescheibe und -Kehle. So sehr seine Haltung verkrampfte, so sehr weiteten sich seine Pupillen. Seine Atmung wurde etwas tiefer.
„Warum sind denn Homer, Apu und Lennart deine Vorbilder?“, bemühte er sich um eine neutrale Stimmlage. Ich zuckte mit meinen äußerst kleinen Schultern. Zu diesem Zeitpunkt war ich kleiner als die meisten Mädchen in meiner Klasse, bis ich in der Sommerpause zwischen achter und neunter Klasse einen riesigen Wachstumsschub mein Eigen nennen konnte. Auf meinem Stuhl sitzend, erreichten meine Beine nicht den Boden. Ich wippte mit ihnen hin und her. Eine innere Souveränität ausstrahlend, wie sie für einen Sechstklässler nicht üblich war. Bei meiner Größe, bei meinem Ansehen innerhalb der Klasse, sowieso nicht.
„Also, Apu ist ein guter Mann. Er ist fleißig und hilfsbereit. Auch noch nach der zweiten 24stunden-Schicht. Barney? - Barney ... möchte aufhören zu trinken. Barney kämpft“, setzte ich an, erzählte dies und jenes über die anderen Randfiguren und kam schließlich zu Homer. Es ging damals, wie heute, eigentlich immer nur um Homer: „Ich mag Homer, weil er zufrieden ist. Ja, Homer ist ein glücklicher Mensch. Ich möchte später so sein wie er.“, grinste ich in die Runde und nickte mir selbst leicht zu.
„Aber was hat Homer denn erreicht?“, wird es meinem Lehrer zu meinungsfreudig. Er beginnt zu argumentieren. Eigentlich wäre dies die Stelle im Film, an der ich ihn gehabt hätte. Er wäre mir ins Messer gelaufen. Mit großen Augen und stolz geschwelter Brust wäre ich ihm gegenüber getreten und hätte all die Dinge aufgezählt; Astronaut, Musiker, Atomphysiker, Barkeeper, liebevoller Ehemann, mehrfacher Vater gesunder Kinder, Bürgermeister, Anführer unzähliger Bürgerinitiativen und vieles mehr. Doch ich war 12 Jahre alt und dies war kein Film. „Nichts.“, sagte ich. Einfach: „Nichts.“, und zuckte erneut mit den Schultern, welche mit der bald stark eintretenden Akne ein kongeniales Duo ergeben sollten.

Es war gut so. Es bedurfte keiner weiteren Erklärung. Es war alles wichtige gesagt.

„Da siehst du es“, triumphierte mein Lehrer, der seine ihm antrainierte Neutralität mittlerweile völlig aufgegeben hatte. „Das kann man ja nicht ernst nehmen hier. Die anderen haben sich solche Mühe gegeben und du machst dich doch damit über all diese Arbeiten lächerlich“, läutete er den Endspurt ein.
Abschließend stellte er der Runde seine Bobachtungen über die vorgelegten, von mir beschmutzten Bravo-Sticker-Potpurries vor. Jedes Mädchen hatte nur Frauen und jeder Junge nur Männer aufgeklebt. Das stimmte. Der Ergebnis der Stunde stand fest.
Mein Ergebnis dieser Stunde war schließlich eine Stunde nachsitzen und das Wiederholen und Vortragen meiner Hausaufgabe. Diese erfüllte ich zur vollen Zufriedenheit meines Lehrers. Ich schaffte dies, indem ich sämtliche Stars und Sternchen die richtig scheiße fand, auf eine neue Pappe klebte. Die erstbeste Bravo beim Rewe hatte dafür her gehalten. Zur nächsten Stunde hielt ich einem glühenden Vortrag, ein flammendes Plädoyer über jeden einzelnen Star. Sie alle konnten singen, tanzen, gut aussehen. Alles was ich nicht konnte. Ich lobte sie in den Himmel. Ich glaube, ich habe an diesem Morgen die Powerpoint-Karaoke erfunden. Ich war wohl schon immer meiner Zeit voraus. Ich glaube, ich habe an diesem Tag, meine Faszination für das Lügen entdeckt.

Montag, 5. Oktober 2009

Eine Therapiestunde zum Mitnehmen, bitte

Ich bin jetzt 23 Jahre alt. Da ist es an der Zeit sich zu befreien. Von Jugend, Schmach und Peinlichkeit. Von Akne, Bravo Hits 18 („mit dem neuen Song der Rednex“) und Französisch-Unterricht. Es ist Zeit den Satz aller Sätze zu sagen. Es ist Zeit für:

„Früher war alles besser“.

Und im unsicheren Lachen über diese neue Peinlichkeit, welches sich vor der eigenen Naivität schützend, über einen wirft, entsteht Gelassenheit. Welche immer nur im Durchschreiten von Schwierigkeiten entsteht, wie Brecht bereits zu sagen wusste. Es ist also nicht nur an der Zeit zu erkennen, dass es sich mit heutiger Gelassenheit weit aus besser lebt. Es bedarf auch zum Erreichen dieser, der Durchschreitung der nicht gerade kleinen Anzahl an Schwierigkeiten. Säuberlich und teilweise fein in Gedichtsform gegossen. Damals, um das Jahr 16 herum. Es war eine ernste, peinliche und viel zu sehr sich selbst ernst nehmende Zeit. Die Schreibform steht dem in Nichts nach.
Also, nicht zu streng in der Lektüre sein. Ich war jung, hatte auch etwas Geld, dafür aber andere Sorgen. Zum Schutze aller habe ich an dieser Stelle stark selektiert und in seltenen Ausnahmefällen auch den Rotstift angesetzt. Aber nur auf sprachlicher Ebene. Die Peinlichkeiten sind zeitlos. Manches mag ich heute noch, Anderes ertrage ich still und stilvoll. Ich verrate aber nicht was wo zutrifft.
So denn; Streng chronologisch, immer chaotisch, das Über-Ich in den Urlaub und die Prägephase auf die Couch – durchschreiten wir das Jammertal, was sich Jugend schimpfte. Danke fürs Zuhören.


Ich bin

Ich bin nicht allein
denn der Fernseher ist an
Ich bin nicht verrückt
denn ich schlucke die richtigen Pillen
Ich bin nicht arm
denn ich verdiene gut
Ich bin nicht traurig
denn ich lächle

Ich bin nicht krank
denn ich bin so wie alle!


Ein Gespräch

Sie: hdl
Er: hdal
Sie: Hab dich lieb!
Er: Hab dich auch lieb!
Sie: Hdgdl
Er: Hdgggdl
Sie: Hdggg...dl
Er: HDSMUGGG...DL
Sie: Ich liebe dich !
Er hatte kein Guthaben mehr


Erfahrungswert

Zu Zeiten als der Frieden die Gewalt niederschlug
Reichten wir uns die Hände
Und waren dennoch nicht verwundert
Mit eisernen Fäusten
Uns bedrohend gegenüber zustehen.


Eine Erfolgsgeschichte

Wenn du alleine bist, denkst du dann an mich
Und tut es dir dann nicht weh?
Wenn du mit anderen redest, sprecht ihr über mich
Und musst du dann nicht getröstet werden?
Wenn du schläfst, träumst du dann von mir
Und wachst du danach nicht schreckartig, schweißnass auf?
Wenn du Fremde triffst, vergleichst du sie mit mir
Und gefallen sie dir wirklich besser?

Wenn du lächelst, bist du dann wirklich glücklich?
Oder musst du dich nicht eigentlich
geschlagen geben.


Vielleicht zu hart?

„Liebe ist...
wenn die Giraffe ihren Hals einzieht
um der Grille eine gute Nacht zu wünschen“
Steht an der Wand der
Klasse, dessen
Lehrerin nie geliebt wurde.


Selbstverleugnung

Du hast die Uniform der
Eigenständigkeit abgelegt

Dich aufgemacht zu suchen
Was du nie vermisst hast um
Fest zustellen, dass du (trotz deiner
Cordhose und deinen Dredlocks)
So geworden bist wie

Deine Eltern!


Keine Pralinenschachtel

Das Leben ist ein Abschlussball.
Manche tanzen, und
Manche sogar mit Partner.

Manche liegen besoffen
In der Ecke.
Ohne Partner.
Ohne zu merken,
Dass ihre Füße gar nicht
bluten


James Dean

Film gedreht
Lied gesungen
Zigarette geraucht!
Unfall gebaut
Schön.


Lernen lernen

Eng umschlungen mit dem Fremdwort
Tanzen. Wir müssen wissen, lächeln
Für die Welt, die Jury
Wir wissen, dass wir lächeln müssen!
„Ökonomischer Pragmatismus“ in die Runde
Pro – Contra und ein AB
(=Arbeitsblatt), dann HA (in Gruppenarbeit)
Kompromiss, Verständnis, Toleranz
„Also, ich fand’s (wirklich!) gut, aber…“

Deine Welt dreht sich
im Dreiviertel-Takt (ca. 45min)
Du weißt wie’s läuft.


Hektik

Festgehalten, am Bier, an der Handtasche
An der Zigarette, labern, lächeln,
Lieben…Mit der Zunge, Ohne Pause,
Ohne Wiederworte, Ohne Not, Oben ohne…
Schnell, los! Tanzen, Rauch in der Kehle
Die Haare richten, in den Subwoofer halten,
Weitermachen, singen, trinken, schreien,
Durchziehen, lästern,
labern, lächeln, Lieben…
Mit dem Nachbarn
Und dessen Nachbarn und dessen Bruder:
Nichts verpassen. Schwindel! – überall –
Im Kopf und im Gespräch. „Festhalten!“ am Bier,
An der Handtasche, das ist sowas wie Kapitalismus,
Der Rhythmus, wo Mann mit
Muss! Dir ist schlecht,
Schlechter, Langeweile… Und der
Absinth wird ru(h)m gereicht.
Bis einer kotzt,
Vor Langeweile.

Mittwoch, 15. Juli 2009

Hass und andere Tugenden

Im Jazz gibt es einen Grundsatz. Jede Note ist von Bedeutung. Jede gespielte, aber jede nicht ertönende genauso. Die Abwesenheit eines Klangs, bestärkt den tatsächlich gespielten Ton. Gibt ihm Raum zur Entfaltung und Wirkung.

Dieses schlichte Prinzip ist uns so bekannt und vertraut, dass wir ihm kaum noch Bedeutung schenken. Der an Siege gewöhnte Bayern-Fan, der die Begeisterung für Sport und seine Geschichten verliert. Dem gegenüber der zum Kult gewordene Siegesschrei des Bielefelder Radiokommentators, nach dem ersten Sieg nach langer Zeit, in letzter Sekunde. Oder eines, der an dieser Stelle bereits erwähnten, Ölgemälde in den Sälen zu Versailles. Welches nicht gewürdigt werden kann, auf Grund der Fülle und Überfülle an Reizen, und Schönheiten. Dem gegenüber, das einzelne in Glas gehüllte Ausstellungsstück. Ein berüchtigtes Museum, ein weißer, steriler Raum und dann ein Etwas. Vielleicht eine Suppendose, eine etwas bekifft dreinblickende, rundliche Dame, stattlichen Alters oder ein Dutzend leicht schwul wirkender Burschen, beim großen Feiertagsbesäufnis, einer davon mit Heiligenschein und melancholischem Blick in der Mitte. Egal. Die Bedeutung ihrer Existenz wird dadurch verstärkt, ja vielleicht sogar erst generiert, wenn nichts anderes im Raum, Blickfeld oder Gedanken ist. Im Grunde haben wir alle die Mona Lisa mit erschaffen. Wir haben sie alle nicht gemalt. Mit etwas mehr Koks und etwas mieserer (oder etwas zu guter) Kindheit, sind wir bald alle Künstler.
Doch gute Kunst spielt immer zurück ins Leben und so findet sich das hier plastisch gewordene Modell von Sein und Nicht-Sein auch im Alltag wieder. Das Mädel geht nicht mit dem Jungen nach Hause. Einfach, weil dieser zuvor bereits andere potentielle Paarungspartner verbal in Betracht gezogen hat. Da kann der Herr der Tat noch so gut aussehen oder tanzen, reich, witzig, charmant, gut gekleidet oder zuvorkommend sein. Seine Aktien sinken immer im gleichen Verhältnis, in dem er andere Damen auserwählt. (Das rein alkoholbedingte Resteficken stellt dabei einen Sonderfall dar) Mit jeder mehr gespielten Note, wird jede einzelne für sich genommene, immer unbedeutender. So einfach, so wahr.

Bleiben wir auf der sozialen Ebene. Es soll ja Menschen geben, die „mit allen gut können“. Das ist jedoch physikalisch nicht möglich. Denn dieser Typ von Mensch, kann nie gut mit mir. Er spürt die ungewohnte Ablehnung, die ihm meinerseits, meist völlig unbewusst intendiert, entgegen schlägt. Jemand der alle mag oder ihnen zumindest das Gefühl gibt, alle zu mögen, mag nämlich im Grunde niemanden. Auch wenn sich dieser Gedanke klar vom „freundlich und respektvoll sein“ abgrenzt, was zumindest ideologisch jedem gegenüber möglich sein sollte. Doch, wer alles nett findet, jeden schätzt, allem sein gutes abgewinnt oder über jeden Witz lacht, schwächt damit zusehends seine wirkliche, seine authentische Wertschätzung gegenüber Dingen oder Menschen. Eine Freundschaft, platonisch oder nicht, definiert sich immer über die (illusorische,) abstrakte Idee von Besonderheit. Geschichten, die man nicht jedem erzählt. Dinge, die man nicht mit jedem macht. Gedanken, die man sich sonst nicht macht. Wenn ich etwas auch überall anders finde, brauche ich es dann überhaupt?!

Doch wie entsteht dieses Etwas, dieses nie wirklich fassbare Gefühl von Besonderheit? Gemeinsamkeiten, klar. Die gleiche Lieblingsband, die selbe Lieblingsfernsehserie,olé. Die gleiche Art den Kugelschreiber zu halten, kann helfen. Du hast 10 Finger, ich hab 10 Finger, jaja. Aber was wirklich seinen Dienst tut, sind Abneigungen. Was auf makrogesellschaftlicher Ebene hilft (Der Jude, Emos, Schalker, Dortmunder, Bin Laden oder doch die Ammis), funktioniert auch auf encounter und privater Stufe. Nichts schweißt so zusammen, wie das gemeinsame Feindbild. Der mittlerweile zum deutschen Kulturgut gewordene „Mädelsabend“ zu Heidi Klum, Detlef „D“ Sost (Was für ein Name!) oder Dieter Bohlen, findet seinen Reiz, seine einende Kraft in der (lautstark) geteilten Abneigung gegen Moderatoren („Ist die gemein!“), Kandidaten („Ist die doof!“) und Showkonzepte im Allgemeinen („Geschmacklos, was wir da gucken!“). Ablehnung eint. Mehr als alles andere. Dokusoaps, Reality-Shows, Casting- und Promishows. Sie leben davon, dass man sie hasst. Und die immer stärker werdenen Nachfrage nach diesen Formaten, lässt auf einige unausgeschöpfte Hasspotenzialle schließen. Im Grunde wäre es das schlimmste für Paris Hilton, wenn man sie mögen würde. Deswegen singt sie auch und geht auf den Bauernhof. Weil sie es nicht kann. Und wir zahlen dafür Geld, sie dabei zu begleiten. Weil es uns eint. Und weil Gemeinschaft dadurch entsteht, die wir instinktiv brauchen und wollen.

Doch auf der anderen Seite der Mattscheibe herrscht eine schreckliche Leere. Von political correctness und großflächig ausgebreiteter Unsicherheit in die Ecke getrieben, gilt Ablehnung und Kritik als No-Go. Der Fernseher wird hier zum Hass-Methadon für schwache Individuen. Oder wenigstens wissen die meisten Menschen nicht mehr richtig zu verunglimpfen. Wir kriegen nicht mehr beigebracht zu kritisieren. So müssen wir Feedback an Referenten immer erst mit einem Lob beginnen („Schön, dass du dein Nasenbluten dann doch noch in den Griff bekommen hast.“) . Wir sind immer abwägend, auch uns selbst gegenüber. Deswegen gibt es so viele Menschen mit 500 StudiVZ-Freunden oder mit einem Musikgeschmack namens „Alles“. Deswegen halten sich viele Menschen für politisch, nur weil sie „Nazis raus“ rufen oder Spiegel lesen. Wir haben verlernt zu hassen. Wir beginnen unsere Sätze mit „Es gibt auch Argumente, die besagen...“, oder „Andere hingegen behaupten...“.Hassen, ablehnen, nicht-mögen bedeutet immer, Stellung zu beziehen. Es bedeutet immer Risiko. Oder um im Bild zu bleiben; wenn ich die gesamte Tonleiter spiele, kann mir niemand vorwerfen etwas vergessen zu haben.

Es gibt sie in großer Stückzahl. Die vorsichtigen, liberalen, kleinen, netten Gutmenschen. Und gegenseitig spendet sich diese Gruppe auch viel Zustimmung und Bestätigung. Jeder mag jeden (Niemand mag niemanden).Und wenn ich sage, dass niemand alle mögen kann, weil jeder der mit allen gut kann, nie (ok, meist) mit mir gut kann, dann klingt dass nur auf rhetorischer Ebene melancholisch oder bedauernd. Je mehr es Menschen dieses Schlages gibt, desto größer ist die Begeisterung für die, welche aus diesem Raster fallen. Jede nicht gespielte Note der Ablehnung, des Ehrlichen und Wahren, verstärkt die dann selten doch ausgesprochenen Momente des „Dagegen sein“. Es erhöht, ja generiert vielleicht sogar erst, den einenden Moment des Gemeinsamen, des Besonderen. Ich bin ihnen allen sehr dankbar dafür. So, let's play again, Louis.

Freitag, 5. Juni 2009

Neue Feindbilder braucht das Land (II)


Der Referenz-Humorist:
Eigentlich bist du auch ein Stereo(-)typ (s.o.), warst aber aufm Gymnasium. Dort hat man dir begebracht, dass Individualität das Wichtigste ist. Daher tust du so als ob. Abhängig von der Masse bist weiterhin genauso, aber das fällt dir nicht auf, weil du viel zu sehr damit beschäftigt bist, herrlich humoristische Gruppen zu gründen. "Ich glühe nicht vor, ich fackel ab" oder "Niveau ist wohl eine Handcreme", lassen dich stolz umherwandern und ein paar Siebtklässlerinnen stehen sogar drauf. Etwas eigens hast du noch nie geschaffen, auch noch nie daran gedacht. Du bist zufrieden in deiner Welt. Tausende Smileys zeigen das. Zieh bloss nie von zu Hause aus.
Lieblingsgruppe: Ich hasse Gruppen die auf "G" enden - und Mittwochs. :P

Das emanzipierte Weibchen: Du bist die Ausformulierung dessen, was du auch im Winter gerne zur Schau stellst. Du bist das verbale Arschgeweih! Und das Schönste ist, dass du diese Formulierung vielleicht nicht mal verstehst.Du bist blond, ok. Du singst im Auto, check. Du kommst nicht in den Himmel, weil du dich nicht für brav hältst, ahhh. Du stehst auf Pink, nein P!nk, weil die voll für Frauenrechte ist und so. Nicht so wie Britney, eine schlechte Mutter. Musik ist sowieso dein größtes Hobby sagst du (neben „Freunde treffen“). Auf einem Konzert warst du aber noch nie. Zu teuer. In der Disko hingehen, bist du jede freie Minute. Und jede deiner Gruppen erzählt davon. Verlinken tust du dich selbst. Aus Sorge die Jungs könnten, deine sexy verwuschelten Haare von letzter Woche nicht sehen. Genau wie deinen Ausschnitt im Profilfoto. Nicht für die Jungs, für dich! Frauen (wie du!) sind ja eh viel besser als alle Männer zusammen. Davon bist du so überzeugt, dass du überhaupt kein anderes Thema mehr hast.
Lieblingsgruppe: Niveaulos! Die Ex meines Freundes spielt nicht in meiner Liga

Der Aktivist: Angela Merkel ist dir nicht geheuer, Wolfgang Schäuble schon gar nicht! Gegen die da oben bist du. Gegen Gewalt sowieso. In Filmen, in Musiktexten, in der Erziehung. Auch wenn du aus heimlicher Zuneigung jeden Spiegel über die RAF verschlingst. Dein Profilbild zeigt dich vor einer weißen Wand, ausdruckslos, ernste Minie. Die Welt ist hart. Was dich allerdings ins StudiVz treibt, trotz all der Multinationalenkonzerne, welche deine Seite nach Nacktfotos durchsuchen, sind die Nazis. Nazis, überall! Die Rechten sind dein Kompass. Ohne sie wüsstest du nicht wohin. Du schreibst Unmengen von Einträgen in unzähligen Gruppen, zitierst Bertolt Brecht und nutzt das StudiVz als Möglichkeit Demos, Konzerte und Diskussionsrunden zu organisieren. Und zur Wahl gehen sollen auch alle, bitte. Du und dein Stock im Hintern, jeder eine Stimme.
Lieblingsgruppe: Gegen "mitte rechts", "rechts", und "ganz rechts"

Der Schöngeist: Dein Foto ist meist schwarz-weiß. Dein Gesicht ist immer angeschnitten. Wenn du auf diesem zu sehen bist, dann nur zwischen deinen mittellangen Haaren hindurch. Dein Blick steif. Etwa mit so einem Gesicht, wie bei diesem einen Franzosen dem Selbstauslöser entgegen. Du mochtest mal Radiohead, aber nicht mehr seit dem sie Mainstream sind. Auch wenn du dieses Wort nicht benutzt. Jetzt hörst wieder nur Jazz und Klassik. Aber auch das sagst du nicht. Für witzig hälst du dich, wenn du Marie Antoinette zitierst und den Armen Kuchen empfielst. Was du allerdings am liebesten machst, ist Namen aufzuzählen. In der Hoffnung jemand bittet dich – noch unwissend – von ihnen zu berichten. Jim Jarmusch ist dein Held. „Der ist so anders“. Roger Willemsen, ein Bruder im Geiste. Dein Lieblingszitat ist in einer Sprache, die niemand spricht. Nicht mal du. Tote Maler, noch totere Philosophen, bei dir wird alles gewürdigt, was es verdient. Du schreibst gerne lange, vorvorvorformulierte Beiträge in Foren, in denen Leute wie du sitzen (und sonst niemand). Trotzdem antwortet dir niemand. Und vielleicht willst du das ja auch gar nicht. Individualität ist bei dir keine Eigenschaft, es ist eine Neurose. Und das VZ ist deine Couch. Schade, dass du nicht merkst, wie viele es von dir gibt.
Lieblingsgruppe: Renoir, van Gogh, Sisley, Pissarro, Monet, Cézanne, ...

Der Zufall: Eigentlich bist du niemand. Ich meine, ok, du lebst. Atmen, essen, kollabieren – manchmal alles gleichzeitig. Aber so menschlich was zu bieten hast du nicht. Dein ganzes Profil zeugt von einer Austauschbarkeit, die ihres Gleichen sucht. Aus einer unvorstellbar großen Unsicherheit heraus oder weil du nie gelernt hast, dass die Kruste deines Pausenbrotes auch essbar ist, suchst du nach allem was etwas mit dir gemeinsam hat. Geburtstage, Vor- und Zunamen, Sternzeichen, Augenfarbe, Körper- und Körbchengröße. Alles wird geteilt. Dann bist du nicht so einsam. Bei den Simpsons bist zum Glück nicht einsam. Du hast einen Zwillingsbruder, Tod Flanders. Schön und gut, tue was dir durch den Tag hilft, aber nenn den Mist bloß nicht Persönlichkeit.
Lieblingsgruppe: Club der miesen Billard Spieler

Die Größte: „Ich bin zu dumm um alles zu wissen – und zu schlau um dass zu vergessen“, gilt nicht für dich. Du hast es vergessen. Und wissen tust du auch nicht wirklich viel. Nur eines weißt du; Du kannst alles, die anderen nichts. Du würdest ihnen am liebsten allen aufs Profil kotze, wie du schreibst. Schoppenhauer ist dein bester Freund, aber den kennst du gar nicht. Dafür aber die Neue deines Ex. Die ist aber auch scheiße.Eine Gruppe ist dir gewidmet; „Dein Niveau sind auch von oben arrogant aus“. Die kennst du aber nicht, weil du zu sehr damit beschäftigt bist deine Unsicherheit an anderen aus zulassen. Aber American Beauty hast du auch nicht gesehen. Aber bei King Of Queens kannst du „Carry“ immer so gut verstehen. Du machst es dir einfach – und bist genauso.
Lieblingsgruppe: Ich bin keine Zicke-Das ist mein Temperament, du Idiot

Der Notgeile: Formulieren wir es positiv: Du hast von den 68ern am stärksten profitiert. Körpergefühl, -öffnungen, -flüssigkeiten. Immer mehr davon. Du bist eines dieser Mädchen die beim Wort Glied immer „Hihihi-Kichern“ plus Testosteron. Aus Kichern wird Grölen und aus dem gemeinsamen auf Toilette gehen wird das Kekswichsen. Die Sozialisation ist an dir vorbei gegangen. Auf den Vorwurf, dass das niemand hier interessiert, würdest du mit „Das ist ein freies Land“, antworten. Aber das macht ja niemand von deinen Jungs aus der zweiten Mannschaft. Dein Profilbild zeigt dich auf der Toilette und/oder mit Deutschlandflagge. Der Stolz der Nation. Du nennst dich gerne „Cameron Po“ oder manchmal wirklich noch „Sperminator“. Und deine von dir für kreativ befundene Langeweile in Profilform findet niemand witzig oder gar interessant. Außer vielleicht der Personalchef, wo du dich beworben hast.Wir melden uns dann bei ihnen Hr. „Dr Lover“.
Lieblingsgruppe: Ananas macht Sperma süß

Donnerstag, 4. Juni 2009

Neue Feindbilder braucht das Land

Die Welt dreht sich schnell. Zu schnell – jedenfalls für Silbermondhörer. Werte werden in höherer Frequenz verworfen, als Freiwürfe in weißen Vorstadtschulen um Gütersloh und Heidi Klum verbrennt zwischen zwei Mutterschaftsurlauben hektisch noch ein paar Dorfschönheiten. Nicht mal Harald Schmidt ist der Alte. Nur Günther Jauch gibt Sicherheit. Puh!
Aber sonst? Was hilft uns durch den Tag? Der Tatort – und in weniger emanzipierten Haushalten auch die Sportschau – legt die Zeit fürs Abendbrot fest und „Web.de“ die Themen für Selbiges.
Doch selbst Freundschaft ist heute nicht mehr das, was es einmal vortäuschte zu sein. Das Wort der Ungnade heißt „StudiVZ“. Zu unpersönlich, zu oberflächlich, zu selbstverliebt, -darstellend, zu … zu... zu doof. Doch an dieser Stelle wollen wir nicht verbittert sein. Nein, dumme Menschen gab es schon immer. Und dumme, selbstverliebte, oberflächliche Menschen hatten auch schon immer (dumme) Freunde. Das StudiVz ist eine neue Kommunikationsform, keine Züchtung einer neuen Menschengattung. Doch was ist neu an dieser Umgangsform, was macht uns missmutig und genauso -trauisch? - Es sind die neuen Indikatoren. Neue, menschliche Profile gilt es pauschal zu verurteilen. Zur Steigerung des Lebensqualität, zur Linderung des Stresses. Sich neue Richtlinien zu setzen im menschlichen Miteinander. Es gilt die Stempel, die Stigmata zu verteilen. Verteufeln! Alles, was nicht bei drei auf der Pinnwand ist. Sich anzunähern an Spezien, welche es nicht verdient haben, dass man sie nicht gruschelt. Auch wenn man ihnen auch auf diesem Wege eigentlich nicht begegnen will. Aber hier, hinter blog'schem Plexiglas, dürfen wir lustig, schaulustig schauen. Uns ein Bild machen von Ekel, Leid und Horror. Der Zirkus der heutigen Zeit. Oder um es mit der CSU zu sagen: „StudiVz – Näher am Menschen“ (von heute).

Eine Typologie (nein, dich meine ich nicht, ehrlich):

Der Fachidiot: Seine Persönlichkeit ist so vielschichtig wie Holland. Er hat genau ein Thema, dem alles unterstellt wird. 50 Gruppen, 5 Zitate und jede weitere freie Zeile wird genutzt um uns seine Passion für – sagen wir Quentin Tarantino näher zu bringen. Geschlechtsunabhängig nennt er sich „Jackie Brown“, philosophiert im Buschfunk alle 2 Stunden über europäische Namen für Burger und sein Profilfoto zeigt zwar ihn, aber im Kostüm vom vorletzten NERD-Abend mit seinen langhaarigen Freunden in schwarzen T-shirts. Nur bei den Frauen kommt das alles nicht so gut, wie erwartet.
Lieblingsgruppe: Ich will Sex mit Angelina Jolie & Tarantino soll uns dabei filmen

Der Vorsichtige: Sein Profil dürfen nur seine Freunde sehen. Seine Fotos sowieso. Aber um auf Nummer sicher zu gehen, stellt er erst gar keine ein. Nicht mal ein Profilfoto. Auch wenn seine Hobbies „fotografieren und wandern“ sind. Die gibt er aber auch nicht an. Sein Name hat er cool verkürzt oder mit Wortspielen zur Unkenntlichkeit verholfen. Tim berland zum Beispiel, „Mirko geht KO“ oder auch einfach die Initialen. Gruppen tritt er meist auch nicht bei, das wäre ja selbstdarstellend. Nur eine kurze Selbstbeschreibung gibt er an: „Ich bin einfach ich“. Wahlweise mit Smiley. Das StudiVz nicht zu nutzen, ist ihm noch nie in den Sinn gekommen.
Lieblingsgruppe: Matthias-Claudius-Grundschule Berlin-Rudow Jahrgang 1993 D-Class

Der Stereo(-)typ: Du glühst härter vor als wie alle, fährst besser Auto, als wo andere aus dem Nachbardorf, duscht gerne nackt und deine Freundin ist die Beste. Musikalisch bist du offen für alles, bevorzugst aber „Tanzbares, Soundtracks und Musicals“. Dein Profilbild zeigt dich mit einer Flasche Bier im Anschlag, fotogen wie immer. Wenn ich könnte, würde ich dich in die 80er zurück schicken. Wir hätten beide was davon. Achja, und das „Einzigste“, gibt es nicht.
Lieblingsgruppe: Niveau sieht nur von unten aus wie Arroganz

Die Selbstbewusste: Früher warst du mal bei den Jungs beliebt. Du hast schon Händchen gehalten, da mussten sich andere noch mit ihrer kleinen Schwester auf Gran Canaria ein Zimmer teilen. Doch dann bekamen die anderen Mädchen auch Brüste und es war vorbei. Sowohl Aussehen als auch Humor hast du daher nicht im Übermaß. Und somit bleibt dir nichts anderes übrig als albern zu werden. Und super selbstwusst! Oh ja. Du bist keck, trägst dein Herz auf der Zunge. Du stehst zu allem. Toll. Ob deine Vorliebe zu Boybands und „allem was glitzert“ oder der Tatsache, dass du wohl irgendwie ein Wok bist. Du schämst dich für gar nichts. Deine Fahrstil, deine unzähligen Klamotten (ja gut, Schuhe!) oder deine – unzähligen – Partyfotos mit deinen „Mädels“, welche du alle einzeln kommentierst („Boah, waren wir voll, eh!“). Du besitzt alles, was du zum Leben brauchst. Und alles was du nicht hast wird überwertet, Männer vor allem. Du schämst dich wirklich für gar nichts.
Lieblingsgruppe: ♥...Ich bin nicht kaufsüchtig ich bin ein Mädchen...♥


Der Romantiker: Hätte das StudiVz diese Funktion, du würdest deine Pinnwand bunt anmalen. Außerdem packst du deinen Freunden lustige Bilder mit der Tastatur auf die Pinnwand. Deine Hobbys sind zeichnen, lesen und lauter Dinge, die normale Menschen nie als ihr Hobby abezeichnen würden, wie zB. fühlen, leben, lachen, weinen oder mein Favorit: atmen. Dein Profilfoto zeigt dich andächtig vor einer berühmten Statue oder Gebäude. Mit dem Rücken zur Kamera, klar, anmutig. Gerne auch mit einer Pflanze im Arm oder am Meer. Generell hast du es nicht so mit Prägnanz. Dein Lieblingszitat ist gleich ein ganzer Songtext (von Tomte, vielleicht) und deine Selbstbeschreibung ist ein Gedicht von dir, an die Welt, über dich. Außerdem magst du die Beatles und alle Bands die aus Hamburg kommen und mehr reden als singen. Filme? - nur Europäische, wenig deutsch. Ameliè, natürlich. Deine Gruppen beginnen gerne mit „Einfach mal...“ oder „Kennst du das, wenn...“. Du bist aber nicht so oft im StudiVZ, an der frischen Luft ist es schöner. Und W-Lan lehnst du ab. Krebsgefahr.
Lieblingsgruppe: Rettet das innere Kind

To be continued...

Montag, 1. Juni 2009

Die größte gelbe Karte aller Zeiten


Es regnet. Das Flutlicht ist an und die Stadt ist da. Es geht um viel an diesem Mittwochabend. Mathias Hain springt auf! Er schreit. Er schreit Schiri und Gegenspieler an und keift nach allem was sich bewegt. Ein übles Foulspiel an der Seitenauslinie war diesem Schauspiel vorausgegangen. Das Stadion kocht. Eine Viertelstunde vor Spielende steht das ganze Rund und übt im verbalen Schulterschluß das aus, was man früher einmal „Heimvorteil“ nannte. Der Schiedsrichter verliert ein wenig die Kontrolle. Das dieser Aggression vorausgegangene Foul hat er gepfiffen und mit Gelb getadelt. Doch Hain bekommt er nicht wieder in den Griff. Wie der berühmte wilde Stier hat er hier alles in Bewegung gesetzt. Er sieht nun auch Gelb. Er beruhigt sich. Die wohl berühmteste, vielleicht auch wichtigste gelbe Karte der Vereinsgeschichte.
Warum? - Das besondere an diesem Ereignissen ist, dass Mathias Hain, damaliger Torwart von Arminia Bielefeld, in diesem Moment nur auf der Bank sitzt. Er spielt nicht. Jedenfalls nicht auf dem Platz. Neben jenem ist er weiterhin Teil dieser Mannschaft, Teil dieses Vereins, dieser Stadt. Mit allem was er hat.
Hain setzt sich. Das Stadion steht! Einige Minuten sind vergangen. Der fällige Freistoß wird ausgeführt. Tor! Taumel! Erlösung! 10 Minuten später hat Arminia Bielefeld 1:0 gegen Bayer Leverkusen gewonnen. Wenige Wochen später entgeht der Verein knapp dem Abstieg. Mit weniger als 3 Punkten Vorsprung.
Arminia Bielefeld bleibt also erstklassig. Mathias Hain nicht. Er bekommt keinen neuen Vertrag und wechselt – wie sollte es bei seiner Persönlichkeit anders sein – zum St. Pauli.
Mit Hain verlässt einer der letzten Spieler der Generation den Verein, mit der ich groß wurde. Fußballerisch häufig unterlegen, standen diese Spieler – ob nun namentlich Fatmir Vata, Petr Gabriel, Rüdiger Kauf, Markus Schuler, Artur Wichniarek und besonders Matze Hain – immer für etwas, was der Verein sich in guten Zeiten immer auf die Fahne schreibt: Leidenschaft! Leidenschaft in einer gänzlich authentischen und positiven Form. Denn wenn Matze Hain mit einem einzelnen Wort beschrieben werden müsste, so wäre es die „Authentizität“. Ehrlichkeit, Loyalität, Ehrgeiz, Rückgrat, Persönlichkeit, Würde, schlicht; einer von den Guten. Einer, den man zum Trauzeugen haben will. Einer, der wie kein anderer verkörpert, was es heißt groß zu sein. Einer, der immer zeigte, dass man verlieren und gewinnen kann. Dies aber immer wie ein Mann zu tun hat. Einer, den man Vorbild nennt, obwohl man eigentlich aus dem Alter raus ist, in dem man noch solche hat.

Ein Jahr später steigt Arminia Bielefeld verdientermaßen ab. Ein Jahr zuvor noch das Glück des Tüchtigen gehabt, war es schließlich an der Zeit.
In den folgenden Tagen und Wochen herrscht Chaos in Stadt und Zeitung. Jeder beschuldigt jeden. Und jeder - so traurig es ist - hat wohl Recht. Jeder wirft mit Dreck. Jeder hat Dreck am Stecken. „Lynchjournalismus“, „Regime“ oder auch VORSTAND RAUS!!! (mit gefühlten 20 Ausrufezeichen) sind die Ausdrücke der Wahl. Es fehlt an Würde, Größe, Rückgrat und, genau, Authentizität.
Vor ein paar Wochen war diese noch vorhanden. Unzählige Spiele wurden verloren. Wichtige Spiele. Gute und schlechte Spiele. Man versagte, man hatte Pech. Doch man tat dies wie ein Mann. Man respektierte sich. Stand auf nach Niederlagen und Rückschlägen, applaudierte sich. Die Mannschaft den Massen, die Massen der Mannschaft. Nicht dem Ergebnis, aber der gezeigten Leistung. Und es stellt eine hohe kollektive Fähigkeit dar, dass hier eine Unterscheidung gemacht wird. In Köln oder auf Schalke fällt so etwas deutlich schwerer.
Man hoffte, litt und ertrug. Bis zur 85. Minute des letzten Spiels. Hannover machte in diesem Moment das 2:1 und es war besiegelt. Dann entlud sich alles, was noch zuvor für den Erfolg des Kollektives zurück gehalten wurde. Jetzt half es auch nicht mehr, dass es fünf verdammt gute Jahre gewesen waren. Diese Fünf Jahre sollten in fünf Minuten zu Ende sein. Das war sicher. Fünf gute Jahre mit Siegen in Hamburg, Frankfurt, Bremen, Wolfsburg, Hannover, Bochum, Freiburg, Leverkusen, Nürnberg oder gegen Bayern, Stuttgart Dortmund, Berlin Schalke oder Köln. Mit Nationalspielern in den eigenen Reihen, mit großen Pokalabenden. Es half nicht, dass es fünf Jahre waren, die eine solche Fülle an Erinnerungen geschaffen hatten, dass mich während dieser Aufzeichnungen eine permanente Gänsehaut einholt. Schmerz ist immer akut.
Doch immer wenn es möglich war, war diese Stadt da. Bis zur 85 Minute. Lokalzeitung, Stadion, Ultras, OB. Immer dafür, nie dagegen. Mit Würde, mit Ehrgeiz und mit der Beurteilung des Erfolgs am Kollektiv. Vielleicht ist dies nun zu Ende. Vielleicht wird man sich in ein paar Jahren nicht mehr daran erinnern, wie sehr diese Stadt in dieser Zeit an Selbstbewusstsein und an Identität gewonnen hat. Aber sie tat es! Es gab einen Punkt, an dem dieser Verein nicht mehr die kleine Version eines anderen Clubs war. Er war nicht mehr der kleine Spaßverein mit Möchtegern-Sommerfußball oder Fast-Weltklub. Immer im scheiternden Versuch gefangen, sich mit anderen, etablierten Kräften zu messen. Irgendwann wurde er etwas Eigenem. Sich selbst genügend, sich selbst erkennend als Club mit dem zweitkleinsten Etat und der kleinsten Lobby der Liga. Etwas, mit dem die Menschen hier etwas anfangen konnten. „Niemand erobert den Teutoburger Wald“, hieß es da aus den Kehlen, von den Rängen herab, ohne Ironie. Man war Stolz auf das erreichte und die Neugeborenen wurden endlich wieder hier und nicht in Dortmund angemeldet. Man hatte es sich erarbeitet und nicht erschlichen. Man hatte die guten Zeiten genossen und die schlechten angenommen.Es waren gute Jahre.
Ehrlich und loyal.

Etwas, was diese Stadt – so möchte ich es mir einbilden – von Mathias Hain gelernt hat.



Ein kleiner Eindruck:
http://www.youtube.com/watch?v=kcp0gklLcyg&feature=related

Samstag, 11. April 2009

Auch von einem Wichser aus Winnenden

Es war in der 12. Klasse als mein damaliger Sowi-Lehrer einen seiner vielen Sätze sagte, welche mir bis heute in Erinnerung geblieben sind: „Materieller oder Immaterieller Reichtum ist möglich – nicht beides“. Er sagte diesen Satz sicherlich etwas ausschweifender und natürlich nicht so bildzeitungsartig komprimiert. Aber worum es ging, das Thema der Doppelstunde an jenem Mittwochvormittag lies mich von diesem Moment nie wieder richtig los. Es waren viele gute Momente in diesen 90 Minuten Mittwoch-Vormittags. Ob Globalisierung, Frauenquoten oder eben wie an jenem Tag, wirtschaftliche Theoriemodelle und ihre gesellschaftlichen Umsetzungen. Dieser eine Lehrer lebte eine innere Begeisterung für seine Fächer vor und steckte uns damit an. Es ging heiß her in den Diskussionen und Erörterungen. In Lehrer-Schüler- und Schüler-Schüler-Gesprächen. In und nach der Stunde. Ich lass zu Hause Stoff über den Stoff hinaus und hielt freiwillig Referate. Ich hatte Spaß an der Schule. Das Erkennen und lösen von politischen, sozialen oder sonstigen Fragestellungen oder das definieren eines eigenen Schwerpunktes, einer eigenen Meinung verschaffte mir eine innere Befriedigung. Es ging in diesen Momenten weder um Noten oder die Anerkennung Anderer. Ich hatte Blut geleckt. Ein tolles Gefühl.

Heute, an dem Tag an dem die Rohschrift für dies hier entsteht, hat gestern ein Tim in Winnenden, Baden-Württemberg 15 Menschen und sich selbst mit der Waffe seines Vaters erschossen. Warum er das tat weiß man nicht. Wahrscheinlich hat man mittlerweile alle Tatmotive auf irgendeinem riesigen Flipchart zusammen gefasst. Ganze "Spiegel(-TV), "Anne Will" oder "Galileo"-Sendungen werden sich mit dem Täter auseinander gesetzt haben. Aber die Gründe werden wohl wiedermal ähnliche sein wie immer in solchen Momenten. Scheiß Frisur, nichts zu vögeln, keiner der in der Mensa neben einem sitzen will, Essen dass am selbem Ort nach einem fliegt, Eltern die den ganzen Tag arbeiten oder besoffen sind, ein Gefühl von Endstation, Hilfslosigkeit, überforderte Lehrer, naive Umwelt und so weiter. Das Übliche.
Aber bitte keine Sorge an dieser Stelle. Das wird hier keine Täterverteidigung oder -mystifizierung. Nur soviel; der Junge war ein riesengroßes Arschloch und hat es nicht verdient, dass wir über ihn reden! Doch gleichzeitig möchte ich diesen Vorfall zu etwas machen, wozu auch jedes weitere vergleichbare Geschehniss taugt. Es taugt zum Indikator. Wofür? Für das Klima an deutschen Schulen, vielleicht sogar für den Zustand der (deutschen?) Gesellschaft. Wenn also Angela Merkel oder wer zur Hölle nach so etwas, wie auch schon beim letzten mal sagt, dass wir uns nicht mit solchen Tätern auseinandersetzen dürften, dass wir so etwas nicht verstehen dürften, dann tut man in diesem Moment vielen Menschen unrecht. Nicht diesem Wichser! Nein. Aber es ist ein einfacher Logikfehler, dass Wissen zu Nachahmung führt. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Verständnis und Rechtfertigung. Oder einfach gefragt: macht uns Guido Knopp alle zu Nazis? Nein, aber wem an dieser Stelle Unrecht getan wird, sind andere. Es sind alle die, die nicht zur Waffe gegriffen haben. Alle, die nicht im Kampfanzug durch den Flur gestreift sind. Alle, die nicht vor haben Menschen zu töten, obwohl es ihnen genauso geht wie diesem Tim. Und davon gibt es eine Menge! Der Grund dafür, dass es nicht mehr feige, verantwortungslose, schlicht schwache Hundesöhne wie Tim gibt ist nicht, dass es nur wenigen so dreckig geht wie ihm. Sondern, dass die meisten Menschen gut sind. Ihre "gut-sein" - ihre Tugend wenn man so will - besteht darin, dass sich eher selbst bestrafen für Mobbing und/oder nicht vorhandene Eltern- und Lehrer-Persönlichkeiten. Sie fressen sich bis zur Unkenntlichkeit voll, ritzen sich die Arme, saufen sich permanent ins Koma oder zerstören passiv wie aktiv sämtliche Möglichkeit auf zwischenmenschliche Beziehungen. Aber, sie greifen sich selbst an, nicht andere. Diese Menschen verdienen unsere Hilfe, ja sogar unser Verständnis und unsere Aufmerksamkeit. Diese Menschen haben ihre gesellschaftliche Chance noch nicht verspielt. Verstehen heißt somit in diesem Zusammenhang nicht ein möglichst lückenloses Profil des einen Täters zu erstellen, sondern vielmehr die Realisierung und Darstellung der Situation in deutschen Schulen, die Situation aller. Da wo diese Tim-Scheiße aufbricht und ihre Wurzel hat. Im Unterricht als auch in der Pause.
Doch es ist ein einfacher, psychisch wirksamer Schachzug diese Ereignisse von sich zu weisen. Es ist einfach zu sagen: „Ich muss so etwas nicht verstehen, dann kann diese Scheiße nicht an mich ran.“ Die gleiche Logik begegnet uns auch bei der derzeitigen Diskussion zum „Vorleser“, (oder früher bei „der Untergang“), welcher deswegen kritisiert wird, weil hier der Nazi menschlich wird. Eine Gymnasiallehrerin schreibt in einem Leserbrief an den Spiegel: „Mir war es unbegreiflich, dass diese Geschichte als „Auseinandersetzung mit dem Holocaust“ verstanden wurde. Auf die Frage was das Buch ihm vermittelt hatte antwortete ein Schüler von mir: `Dass die Aufseher im KZ auch nur Menschen waren`. Hier läuft etwas schief.“ Nein, Nazis hatten Sex?! Nazis hatten Gefühle?! Wie schrecklich. Bei dieser Dame endet die "Auseinandersetzung mit dem Holocaust" bei der stumpfen Verteufelung sämtlicher Gräueltaten.
Was ist der erste Satz, der immer fällt wenn wir das Foto dieses Tims auf Spiegel- oder Bild-Titel sehen?! „Der sieht so normal aus.“ oder „Von jemandem wie ihm hätte ich so was nicht erwartet.“, heißt es dann. Menschen, die schlimme Dinge tun, sind urplötzlich keine Menschen mehr. Oder zumindest keine von uns. Nein, es gibt nur Böse und Mensch. Der Nazi, der Amokläufer wird zum Tier. Man traut sich selbst in diesem Moment sehr wenig zu. Es ist einfach das Böse für böse zu erklären und es dabei zu belassen. Den Anti-Nazi-Button auf den Eastpack und gereinigt ist das Gewissen. „Das Böse totschweigen“, nennt das ein anderer Leserbrief zum selben Thema: „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.“. Eine weitere Auseinandersetzung wäre schädlich.
Doch wenn wir diesen Tim zum Tier machen, sind seine Empfindungen nicht mit all diejenigen Menschen vergleichbar, welche eben nicht austicken und nicht um sich schießen. Dann entsteht an dieser Stelle kein Bezug zu denjenigen, die diese Debatte und die daraus resultierenden Änderungen nötig und verdient hätten. Es findet für diese Leute keine Auseinandersetzung statt. Für diesen Hundesohn Tim hingegen wird demnächst jeden zweiten Tag ein weiterer psychologischer Bericht erstellt werden.
Amokläufer sind Indikatoren. Sie zeigen, dass tausende, nicht ein paar wenige , dass tausende Jugendliche jeden Morgen lieber sonst was machen würden als zur Schule zu gehen. Tausende Kinder bleiben im harten Hierarchiekampf auf der Strecke. Ein Kampf, welcher aus einem Klima erwächst, voll Enge, Druck, Hässlichkeit, Schmerz und Kränkung. Bei diesem Tim ist einmal alles zusammen gekommen, vermutlich. Sonst würden wir nicht über ihn reden. Und all die jetzt aufkommenden Waffen- und Computerspielgesetze werden vielleicht die zukünftigen Fälle solchen Ausmaßes verhindern oder wenigstens minimieren. Aber was passiert mit all den Anderen? Mit denen, die noch die Stärke haben in solch einer Situation nicht den Egoismus zu entwickeln, andere hinzurichten. Aus plumpen, verachtungswürdigen, widerlichen Rachegelüsten. Doch die Maßnahmen werden sich auf den Bereich beschränken, welcher nichts kostet. Gute Worte, die Bildung eines Prüfungsausschusses und Verbote – aber auch nur wenn die zugehörige Lobby nicht zu stark ist. Olé! Der einzige Grund, warum Computerspiele verboten werden sollen und Waffen nicht, ist doch der, dass mit Waffen in Deutschland mehr Umsatz gemacht wird als mit PC-Spielen.
Und ja, richtig – der Ausweg aus dieser Scheiße ist recht schlicht aber deswegen auch nicht von der Hand zu weisen; Geld.
- Geld für Eltern, Kindergeld. Nicht für Akademiker, damit die mehr Kinder kriegen sollen, sondern für Arbeiterfamilien. Geld für die Eltern, welche mit den Kindern, die bereits da sind völlig, ich meine so richtig überfordert sind. Kindergeld sollte eine Hilfe zur Erziehung von Kindern sein, nicht ein weltfremder, bürokratischer Anreiz für ihre Zeugung. Aber kein Geld sollte einfach vergeben werden. Es sollte als ein Wert für eine Leistung stehen. Eine Leistung, die der Gesellschaft gut tut. Geld für Jugendzentren, zum Beispiel. Geld für öffentliche Einrichtungen. Wenn man sich fragt warum die Schweden so viele gute und weltweit erfolgreiche Bands haben, dann hat das seinen Ursprung in der Jugendkultur eben solcher (teuer erkauften) Zentren. Die haben „The Hives“, „The Sounds“ oder „Mando Diao“, alle über die Landesgrenzen gefeiert. (Von den Englischkenntnissen will ich hier gar nicht erst anfangen) ...und wir? - „Die Ärzte“ sind mit immer den selben drei Witzen schon sein 20 Jahren auf jedem Festival Headliner. Oder „Silbermond“:„Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit / In einer Welt, in der nichts sicher scheint.“. Naaaa toll! Es ist ein großes Gefühl zu erschaffen - mit anderen. Eine Band zu gründen, im Keller der Eltern oder eben mit bereit gestellten Instrumenten im Jugendzentrum Klänge erzeugen. Das befriedigt. Und lässt den nächsten Schultag vielleicht etwas besser überstehen?! Befragen wir Kurt Cobain dazu.
- Geld für Schulen. Geld für Psychologen für Schüler und Lehrer. Geld für Räumlichkeiten, funktionierenden Heizungen, nen neuen Anstrich im Flur, mal ne Pflanze oder auch Stühle, welche nicht schon mehrere Weltkriege überstanden haben. Eben alles was die Gemüts- und Aggressionslage nicht unter „Deine Mutter lutscht Schwänze in der Hölle“ sinken lässt. Geld für Bücher, Beamer, Filme, heile Tafeln, Mikroskope. Geld für Lehrer!
- Geld für Lehrer, verdammt! Mehr Lehrer in dann kleineren Klassen. Für bessere Lehrer, ihre (dann teure) Ausbildung zum Pädagogen, nicht zum stumpfen Mittelsmann zwischen Buch und Schüler. Wenn wir gute Lehrer möchten, müssen wir sie besser bezahlen. Viel besser! Sonst sagen sich alle so wie derzeit, die was auf dem Kasten haben, dass sie wo anders besser aufgehoben sind. Gehen „in die Wirtschaft“ oder eröffnen eine Praxis im Vorort. Die einzigen Persönlichkeiten in diesem Land stecken dann mit ihrer Leidenschaft für ihren Beruf – Achtung Wortspiel – nur noch ihre Patienten an. Im Gegenzug darf man dann mehr vom Lehrer erwarten. Viel mehr! Wie bereits erwähnt; Geld ist immer nur als Ausdruck für eine wertgeschätzte Leistung nützlich. Es darf also nach Leistung bezahlt werden. Das Gehalt sollte nicht an den Klassendurchschnitt gekoppelt sein, aber die nicht vorhandene Möglichkeit Lehrer zu kündigen lädt einen bestimmten Menschentypus nun mal ein diesen Job zu erlernen. A pro pos, eine längere, praktischere und schlicht; anspruchsvollere Ausbildung mit anspruchsvollerer Einstiegshöhe. Ein NC von 1, X auf alle Lehramtsfächer und 2 Wochen, was sag ich 4 Wochen benoteter Probeunterricht vor der ersten Vorlesung. Halleluja! Und das ganze gilt natürlich auch für Kindergärten, Unis und alle weiteren Bildungsinstitutionen. (Man sollte die Kindergärtnerinn eh endlich zum Akademikerberuf machen, wie in den meisten Industrienationen dieser Welt.) Welchen Job glaubt in Deutschland jeder Assi machen zu können? Welche Berufsgruppe ist unbeliebter als die des Politikers?! Den (Wohl-)Stand einer Gesellschaft erkennt man an dem Stand des Lehrers in ihr. Und wer wird in diesem Land Lehrer? Der, der nicht in Psychologie rein gekommen ist, macht Pädagogik. Der, der nicht Matheprofessor werden darf, wird Mathelehrer. Der halb-invalide Ex-Profi macht den Sportunterricht von der Bank aus und der gescheiterte Autor Deutsch. Und dann muss man sich nicht wundern, wenn es in diesem Land keine Lehrer-Persönlichkeiten, keine Überzeugungstäter mehr gibt. Lehrer, sind in Deutschland der personifizierte 2. Bildungsweg. Das wird schon an ihrer Kleidung deutlich. Sie schreit förmlich: "Schaut mich nicht an, ich bin gescheitert. Aber nur noch 22 Jahre bis zur Rente."
Natürlich gibt es Ausnahmen, wie meinen Sowi-Lehrer. Doch sie werden weniger. Stattdessen geht der Trend in die andere Richtung. Schule wird allgemein immer stärker der Wirtschaft und ihren Anforderungen unterstellt. Abi nach 12 Jahren. Ein Jahr gespart, ein Jahr mehr Sozialabgaben zahlen, ein Jahr weniger auf Staatskosten rumsitzen. Ein Jahr voller Auslandsaufenthalte, voller Möglichkeit für Projekte oder Themenwochen, voller Freiheit für die Unterrichtsgestaltung, voller Persönlichkeitsentwicklung. Und wenn wir bei PISA schlecht sind? Dann ändern wir nichts an Schulform oder -system, sondern setzen einfach die in den Untersuchungen abgefragten Fächer doppelt so häufig auf den Lehrplan. Natürlich zum Leid sämtlicher künstlerischer, gesellschaftlicher oder individueller Fächer. Deren nutzen mag zwar da sein, ist aber nicht messbar und daher unbedeutend. Das ist billigste Symptombekämpfung. Gegen schlechte Zahlen, für die Presse.
In NRW werden jetzt gelangweilte Rentner eingestellt. Sie sind billiger als Geschichtslehrer. Aber die Zahl der ausgefallenen Stunden im Jahresbericht kann dadurch nach unten korrigiert werden. Gegen die Schule, für die Presse. Dringend benötigte Ganztagsschulen werden nur eingeführt wenn die Eltern der Schüler, die Schule selber finanzieren. Womit sich nur denjenigen zu gute kommt, welche sie nicht (am stärksten) brauchen. Aber im Jahresbericht sind einige neue Ganztagsschulen vermerkt. … für die Presse. Ich wiederhole mich, ja. Das nennt sich Stilmittel. Eigentlich kosten Ganztagsschulen nämlich Geld.
Es ist also eine ganz einfache Formel. Nimmt man Geld für irgendetwas, fehlt es an anderer Stelle. Es ist also eine Frage der Präferenzen. Die Frage lautet nicht, was will ich für Bildung und Gemeinwesen ausgeben bzw. ob man das gut findet. Da könnte ich auch fragen, ob man den Weltfrieden begrüßen würde. Die frage lautet viel mehr: will ich dafür mehr ausgeben als für andere Dinge? Zahlen wir in Deutschland genug für dies oder jenes? Zuviel? Zuwenig? Was ist uns es wert? Ganz ehrlich. Denn natürlich würde eine (massive! Wirklich massive) Erhöhung der Bildungskosten von denen getragen, welche derzeit gut im Saft stehen und/oder zum Leiden anderer Staatszahlungen gehen.
Also, machen wir es einfach. Was willst du? Mehr Geld für dich, deine engste Umwelt, Familie. Oder einen Teil davon (muss ja nicht gleich alles sein) in die Gemeinschaftskasse, genannt Steuern, Sozialabgaben, Spenden, Lohnnebenkosten. Steuern! Ich könnte das alles noch schön ausmalen. Könnte irgendwie ökonomisch argumentieren. Dass das Geld wieder reinkommt im Wirtschaftskreislauf durch eine bessere Ausbildung, blabla. Oder, dass es ja auch durchaus im Interesse der Privilegierten ist, wenn ihre Kinder eine bessere Ausbildung genießen, in einer gemütlicheren Bildungsanstalt. Mobbing ist ja definitiv ein Problem der Gymnasien und Realschulen. Ich könnte Modelle zur Gegenfinanzierung vorstellen. Wir nehmen das Geld von den Bundeswehr-Kasernen und packen es in die Musikinstrumente oder Sporthallen, blabla. Ich könnte taiwanische, Violine-spielende Ökonomen zitieren, Querverweise hin und her wälzen, mit Fußnoten um mich schmeißen, mich verbiegen und winden. Nur um noch weiter Werbung für meine Ideen zu machen.
Aber am Ende ist es eine gefühlte Wahrheit, die jeder in sich selbst finden muss. Die Frage, die sich jeder stellen sollte ist: Wie erreicht man in seinem Leben die höchstmögliche Zufriedenheit? Ich für meinen Teil glaube, dass Geld (auf der Bank oder im neuen Auto) nicht so wichtig ist. Dass es nur die am einfachsten erkennbar und sogar abzählbare Form von Zufriedenheit darstellt. Jedoch nicht die qualitativ hochwertigste. Aber mir mangelte es auch noch nie an Geld. Ich habe reiche Großeltern und bin Beamtenkind. Ich muss nicht mal arbeiten um mein Studium zu finanzieren. Sonst wäre das vielleicht anders. Eine Art hypothetische Mangelhypothese. Andererseits, Angela Merkel zum Beispiel - welche eine riesige Anzahl an Wähler repräsentiert, die ähnlich fühlen – hat genauso ihre Wahrheit gefunden. Sie, selbst ein Muster an Ausstrahlung, Rückgrat und Persönlichkeit, versteht sich sehr gut mit Bastian Schweinsteiger. Ich hingegen vermute, auch wenn ich damit wohl in der klaren Minderheit bin; wenn es uns egal, oder zumindest zu teuer ist immateriellen Reichtum, Persönlichkeitsentwicklung und all der Gleichen zu fördern und über die Indikatoren- und Symptombekämpfung hinaus zu gehen, werden wir über kurz oder lang alle dafür bezahlen. Einzelne in Baden-Württemberg vielleicht sogar mit ihrem Leben.

Dienstag, 3. März 2009

Eins noch

Ein Blog ist ein demokratiestabilisierender Grundpfeiler unserer Gesellschaftsordnung. Oder zumindet rechtschreibfehlerfreie Unterhaltung. Aber, wer das hier regelmäßig liest, sagt mir bitte wie er das Zeug findet. Auch gerne auf die 12. „Ja-Sager“machen nur eine Sommerferien lang Spaß. Also,... Feedback macht glücklich. Und dadurch gehe ich dann auch bestimmt zur nächsten Anti-Nazi-Demo im Jugendzentrum um die Ecke.

Jesus lebt! - in einer Kommune

Religion ist nur für die Menschen ein sensibles Thema, die keine Ahnung davon haben. Wer nicht über (seine) Religionen lacht, praktiziert sie nicht.

Das sich Glaubensgrundsätze aus ihren regionalen Gegebenheiten entwickelt haben ist nichts neues. Natürlich wird der Islam Schweinefleisch für falsch erklären und keine andere Religion. Kein anderes Fleisch ist bei Hitze anfälliger zu verderben als das vom Schwein. Und wo ist es wärmer als in dem arabischen Wüstengebieten. Natürlich entwickelt sich eine „Marschkultur“, in den europäisch, christlichen Religionsformen. In keiner Religion gehört das kollektive Wandern so zum traditionellen Inventar wie im Christentum. Ob Nubbelverbrennung, Karneval im allgemeinen, österliche Prozessionen oder der eigens für das christliche Beinevertreten kreierte Begriff „pilgern“, alles hat seinen Ursprung im kalten Europa. Wo man sich bewegen muss, um nicht zu erfrieren. Wo Bewegung aus evolutionärer Sicht keine Gefahr sondern eine Lebenshilfe darstellt. Was die Frage aufwirft ob das Wort „Glaubensgrundsatz“ das zutreffende ist. Diese spirituelle, sinnliche, naturgemäß übermenschliche Assoziation mit dem „Glauben“ verblasst schnell, wenn man sich vor Augen führt wie Religionen entstanden sind, wie wenig autonom sie sich entwickelt haben.
Es gibt keine Zufälle. Der Mensch erschafft sich seine Religion, seine Gebote mit dem für ihn effektivsten Nutzen. Kein Ritual ist vom Himmel gefallen, sondern der Mensch ist gewillt seine eigenen Bedürfnisse vor sich selbst zu rechtfertigen. Rituale (auch nicht religöse) sind Lebenshilfen. Sie helfen dem Menschen im Umgang mit dem Alltäglichen. Wo der Mensch sich selber eine Hilfestellung geben möchte, auf was er achtet und auf was nicht, ist das spannende, aufschlussreiche hierbei. Religion ist ein Spiegel der menschlichen Seele. Und wenn die Seele Frauen unterdrücken möchte oder gutes tun will; Religion und der Glaube an sie ist Begründung, Antrieb und Absicherung der eigenen Handlung. Selbst als ein schlichter Lebensmittelpunkt, in der Existenz um seiner Selbst willen, taugt der Glaube. Was anders wo vielleicht die Familie (oder auch der Fußball) übernimmt, kann auch durch die Gemeinde geleistet werden. Hier liegt vielleicht auch ein Ansatz zu erklären wieso so überdurchschnittliche viele Priester und Pastoren schwul sind (Oder etwa nicht?). Tausche Frau und Kind gehen Vater und Schäfchen. Das Subjekt braucht die Religion mal mehr, mal weniger. Aber nie braucht die Religion das Individuum.
Was aber wenn sich der Glaubensgrundsatz nicht nur aus einer gesellschaftlichen Umweltsituation heraus entwickelt, sondern wenn der Glaubensgrundsatz in die Gesellschaft wieder hinein spielt? Was wenn die zum eigenen Nutzen aufgestellten Regeln und Richtlinien auf Grund ihrer angestrebten Allgemeingültigkeit mehr Schaden anrichten als selbigen zu reduzieren?
An diesem Punkt – und das hat daher auch nichts mit einer übermenschlichen Existenzfrage zu tun – wird Religion kritisierbar. Und dies sowohl in praktischer als auch philosophischer Sicht. Zweifel kommen auf. Wie weit ist es von „das „wahre“ Leben fängt erst nach dem Leben an“, bis zu „Nach mir die Sinnflut“?! Da lässt sich kurz: „Sehr weit entfernt“, antworten und damit wäre die Diskussion beendet. Auch Fragen wie „Warum sehen Papst Benedikt XIVs Gesichtszüge so rein gar nicht danach so als, als ob er jahrzehntelang die Menschen geliebt hätte?“ sind mit einem einfachen „Ich finde er hat schon ein schönes Lächeln“ zu beenden. Oder die Sache mit den pädophilen Priestern ist leicht zu widerlegen. Sind ja nicht alle so. Trotz der Tatsache, dass die „Familienersatzlogik“ (s.o.) auch hier einen ersten monokausalen Ansatz liefern könnte. Könnte die dann extrem ausgelebte Kinderliebe nicht auch einer verdrängten Sehnsucht nach Stablität, Wurzeln, Familie eben, geschuldet sein?! Nur weil es einfach ist, muss es nicht falsch sein. Aber lassen wir Sigmund. Im Kern kann die Kirche diese Fragen nicht beantworten. Die unzulängliche Antwort lautet dann doch immer nur „Jesus“, mit dem ich persönlich kein Problem habe. Aber ausreichen tut diese Antwort immer nur für den der an ihn glaubt. Die Arbeit der ganzen Überzeugungstäter in den ganzen Einkaufspassagen deutscher Großstädte hat genau einen Satz: „Jesus lebt.“. Punkt. Ein Pappschild, ein Stock und jede Menge Ausdauer. Es geht dabei weder um die Art wie Jesus lebte, was sein Leben, sein Schaffen ausmachte oder was das für unser heutiges Leben bedeuten könnte. Es geht einzig und allein darum, die Leute davon zu überzeugen, dass Christen sich richtig entscheiden. Egal bei was. Egal wie sie sich entscheiden. Also geht es nur darum an Jesus zu glauben und damit Christ zu werden. „Wer Jesus hat, hat das Leben“, stand letzte Woche in der Einkauspassage. Alle müssen Christen sein. Ohne dabei zu fragen was ein Christen überhaupt ausmacht. „Jesus war gut – also ist es auch das Christentum.“. Dabei hat das Christentum etwas vom deutschen Beamtentum. Schaff die nicht sonderlich schwere Aufnahmeprüfung und du hast ausgesorgt, kannst von nun an machen was du willst. Und niemand wird dich hinterfragen. Du hast ja den richtigen Ausweis in der Tasche oder die richtige Kette um den Hals. Aber wer war Jesus denn?
Bei NOFX ziert Jesus weintrunken noch das CD-Cover: „Never trust a hippie“ steht darunter. Und genau das bringt mich zum Grab des Hundes mit dem Flöhen. Was ist der Unterschied zwischen eben jenem Hippie-tum wie ihn NOFX bei Jesus verwurzeln und dem 68er-Feindbild welches die christliche Rechte kultiviert und pflegt. Die, von Nixon angeführe ,„schweigende Mehrheit“ verachtete, brandmarkte den Hippie so lange, dass niemand der Kreuzritter bemerkte, dass die Teilnehmer dieses Experiments sich bereits selbst eingestanden hatten gescheitert zu sein. Mein Vater fährt seit kurzem Mercedes, Kombi – mit Erdgasmotor, versteht sich von selbst.
Lange, unkontrollierte Haare, Sandahlen, Drogen und Sätze wie „Habt euch lieb“. Alles, selbst die Drogen sind in der Bibel zwischen den Zeilen verankert. Aber sonst. „Seit nett zu einander.“ Oder „Gehe hin, nimm alles was du hast – und schenk es den Armen. Wenn dich einer auf die rechte … und so weiter“ Sätze die heute entweder von meiner viel zu sehr in der harten Realität angekommenen Generation belächelt werden oder von den selben Menschen auf dem Kirchbänken dieser Welt nickend gepriesen wird. Verpackung ist alles! Die Kirche, das Christentum ist Verpackung. Die Gebote sind eine Präambel, der Grundsatz der Hyporeal-Estate „verantwortungsbewusst zu handeln“. Ich habe kein Problem mit Verpackung, solange sie sich mit dem Inhalt deckt. Aber eine Verpackung als Begründung zu nehmen, dass das Geschenk darin ja gelungen sein muss, ist urchristliche Naivität.
Also, was macht das Christentum um seine Werte, seine Verpackung in die Welt zu tragen – außer diese Worte zu predigen?! Was macht das Christentum? Was machen die Religionen? An dieser Frage haben sich alle Gruppierungen messen zu lassen. Nicht an ihren aufgeschriebenen, wirren, vielzählig (fehl-)deutbaren und schlichtweg veralteten Grundsätzen oder ihren Logikketten, die es für unumgänglich machen Frauen bis zur Unkenntlichkeit zu verpacken. Eine Peinigungskultur, welche im tropischen Osten weit aus wirksamer ist als anderswo. Wo wir wieder bei den Nicht-Zufällen wären.
Warum heißt die Partei, die meines Erachtens am wenigsten Nächstenliebe, so wie ich das Wort verstehe, verbreitet die christlich, demokratische Union?! Wo zum Henker ist Kardinal - „wir müssen die Plage der Schwulen ausschwitzen“ Meisner ein Menschenfischer? Warum nennt Peter Hahne sein Buch, welches die Rückkehr Gottes in die Politik fordert „Schluss mit Lustig“? Überall wird die von der Kirche so angestrebte Harmonie, das seelische Glück über den Humor erreicht. Nichts stärkt den Menschen nach der Liebe so sehr wie der Humor. Auch der über sich selbst. Die Gelassenheit der Selbstironie, die einende Wirkung einer guten Pointe, alles trägt zum Wohlsein des Menschen bei – ohne Kehrseite. Wenn etwas das Immunsystem des Menschen stärkt und somit auch aus evolutionärer Sicht durchaus zu begrüßen ist, dann sind es Sex und Witz. Beidem steht die Kirche nicht gut gegenüber, warum auch immer. Beim Sex wird das sogar ganz deutlich. Da wird nämlich nur der Spaßfaktor gestrichen. Die Sache selber darf weiter bestehen. Wäre aus evolutionärer Sicht aber nicht wirklich ratsam. Es gibt keine Zufälle.
Und an diesem Punkt ist die Frage nach den Gesichtszügen des Papstes weniger belanglos, als viel mehr die rhetorische Formulierung meiner Meinung zu diesem Thema.

Donnerstag, 12. Februar 2009

Der Große TuS

Für die Senner Bauern und die Operation Blau-Weiß.

Wir liegen mit einem Treffer hinten. Elfmeterschießen. Pokalspiel.
Einer unserer Schützen hatte das fabriziert, was wir im Training gerne mal mit dem kollektiven Ausruf „Field Goal!“ abwerteten. Dabei synchron die Arme gen Himmel recken - die dazugehörige Schiedsrichtergeste beim Football. Ein schönes, kleines und auch typisches Ritual.
Wir liegen mit einem Treffer hinten. Beim Landesligisten FC Türksport, welcher 3 Ligen über uns B-Ligisten spielt, hatten alle Schützen getroffen. Nach 90 Minuten hatte es 2:2 (1:0) gestanden, nach 120 Minuten genauso. In der 119. Minute hat unser Trainer nacheinander Daniel und Yannick vom Platz genommen. Nicht weil sie müde waren und nur enfternt aus taktischen Gründen. Sie standen zu diesem Zeitpunkt einfach am weitesten vom Wechselpunkt gegenüber entfernt. Angst fressen Seele auf - selbst in der Kreisliga B.
Ich bin letzter Schütze, muss also treffen. Der Torwart springt in die selbe Ecke, in die ich schieße. Dazu muss erwähnt werden, dass es sich bei ihm nicht um einen Torwart im klassischen Sinne handelt. Er ist einer der Feldspieler. Das einzige was ihn von seinen Mitspielern unterscheidet und damit zum Torwart befähigt ist sein Trikot, welches er vom eigentlichen Schlussmann erhalten hat. Dieser war – natürlich – des Feldes verwiesen worden.
Es ist ein grausamer Elfmeter! Ein Elfmeter, der alle meine fußballerischen Fähigkeiten mit denen ich mir hier „am Waldbad“ in den letzten 15 Jahren mehr Freunde als Feinde gemacht habe auf einen dramaturgisch zugespitzten Höhepunkt bringt. Wenn man bereit ist ihn als solchen zu erkennen. Ich war in allen Mannschaften die ich hier beim „großen TuS“, wie wir diesen Verein sicher nicht frei von unterbewusster Ironie nannten, durchlaufen habe, einer der konstant technisch schlechtesten Spieler. Gleichzeitig aber immer genauso konstant Stammspieler und nie länger von Trainern in Frage gestellt. Irgendwann fingen wir – neben mir gab es noch ein paar andere Spieler dieses Schlages – uns nur „Holzfuß“ zu nennen. Wir stoppten den Ball weiter als andere schießen können, aber wenn es hoch her ging waren wir immer mittendrin. „Ich wusste, dass du einer der Schützen sein würdest – Mut hattest du immer“, wird mir meine Mutter später auf dem Heimweg berichten und hat damit – was ich hier alles nicht ohne Stolz von mir gebe – wie immer Recht.
Es ist ein grausamer Elfmeter! Halb rechts, nicht stark geschossen, nicht mal richt flach. Der Torwart springt in die richtige Ecke – und landet auf dem Ball. Seine Hüpfte presst den Ball nach Außen weg. Er ist für einen kurzen Moment irritiert, wirrt umher. Er dreht sich um, sieht wie der nun leicht dahin rollende Ball Richtung Pfosten unterwegs ist. Er hechtet dem Ball hinterher. Doch dieser springt an den Innenposten und von dort hinter die Linie, wo ihn der Torwart schließlich aus dem Tor kratzt. Ich blicke zum Schiedsrichter, welcher auf Tor entscheidet. Es ist nicht minder als pervers.
Jubel bricht aus, die Spieler-Mütter lachen, die Spieler-Freundinnen kichern, streichen sich durchs Haar, Spieler-Frauen gibt es nicht, die Mitspieler grölen und ich pose den 200 Menschen, die sich heute hier eingefunden haben in bester „Droga-Cantona-gefühler-Stehkragen-Manier“ entgegen. Yannick schreit mich in einer Mischung aus Begeisterung und Verlachen an. Rodger Ehlers gibt alles direkt per Handy in die Lokalsport-Redaktion durch. Morgen wird mein Name in der Zeitung stehen. Als Spieler der einen der Elfmeter verwandelt hat. Dies wird niemand lesen, der nicht eh schon dabei gewesen ist. Und nur eine weitere handvoll Menschen in Bielefeld werden sich für das Ergebnis interessieren, nicht für meinen Namen. Auch nicht dafür dass ich in beiden Zeitungen auf dem Aufmacherfoto bin. Groß und in Farbe, hehe. Nicht weil ich gut bin, oder spielentscheidend war. Im Gegenteil, mein Gegenspieler, ein ehmaliger aserbeischanischer Nationalspieler, welcher die Ehre hatte einige Champions League-Spiele von auf der Bank von Dynamo Kiew zu verbringen, ist das gesuchte Objekt. Und doch; es fühlt sich gut an.
Es ist mein Moment! Es ist mein letztes Spiel bevor ich wegziehe. Mein letztes Spiel nach 15 Jahren. 15 Jahre, 3 bis 8mal die Woche voller verpasster Aufstiege, überraschender Aufstiege im Folgejahr, Abstiege, Klassenerhalte, Prügeleien auf dem Trainingsplatz, mit Urin gefüllte Trinkflaschen auf Mannschaftsfahrten, Spielabbrüchen, Luftpistolen aus Polen, guter und schlechter Spiele.
Gute Spiele, wie das Nachholspiel in Langenheide, welches nur deswegen stattfand, da der Schiedsrichter nach einen Elfmeter für Langenheide auf Abstoß entschieden hatte. Allerdings nur weil der Ball nicht im Tor war, sondern weil der Schütze seinen Anlauf verzögert hatte. Im Nachholspiel siegten wir durch ein Tor von Michael(!), der sonst so torungefährlich ist, dass dies sogar in einer StudiVZ-Gruppe seinen Ausdruck fand, in der 92. Minute 3:2. Das reguläre Spiel wäre mit 0:0 gewertet worden. Aber Langenheide, zu denen wir eine gesunde Hass-Liebe entwickelt hatten, hatte gegen die Regelkenntnis des Schiedsrichters "erfolgreich" Einspruch eingelegt.
Oder das 4:0 in der D-Jugend gegen den Ortsnachbarn aus Brackwede, in dem ich 2 Treffer vorbereitet und 2 selber erzielte. Eins davon aus 30Metern, Dropkick, in den Winkel. Ich machte die nächsten drei Jahre kein Tor mehr in einem Pflichtspiel. Oder die miesen Spiele, wie das 4:4 in Quelle, wo wir nach 4:0 Führung am Ende nur noch mit 7 Mann und ohne Trainer auf dem Platz standen. Der Rest war des Feldes verwiesen worden. Oder die skurrilen Spiele, wie das verlorene Aufstiegsspiel in der C-Jugend, nach dem wir alle weinend auf den Rasen saßen. Nicht weil wir wirklich traurig waren. Nur weil wir aus dem Fernsehen gelernt hatten, dass man nach großen Niederlagen das so zu tun hätte. Oder das eigentlich schlichte Liga Spiel gegen irgendwen als ich mich – wegen irgendetwas – beim Schiedsrichter beschwerte und mein Gegenspieler mich leicht genervt fragte ob das denn sein müsste und wie alt ich denn sei. Worauf ich nur antwortete: „7 Jahre – aber für deine Mutter reicht's schon.“. Bei der nächsten Ecke flogen die Ellenbogen in meine Richtung und ich fühle mich gut damit. Ein Dialog, sicher die Spitze, aber genauso wenig der einzige Teil dieses Eisbergs.
Ich fühlte mich gut beim „Großen TuS“, welcher mich jede Woche mit diesen Typen zusammen brachte, die einen Anschreien, wenn du den 5Meter-Pass nicht genau genug hin bekommst oder ihrer Meinung nach nicht nah genug am Mann bist. Die selben Typen, die dich in der C-Jugend ekelhaft ernst gemeint für deine Klamotten auslachten und deinen ersten und einzigen Filmriss miterlebten. Irgendwo im Osten hatte ich beschlossen, dass eine Mannschaftsfahrt kurz vor Polen der beste Ort sei um sich absichtlich abzuschießen. Nur um zu sehen, wie das so ist. Und während ich im Bad war und meinen Spielbild erzählte wie hübsch es doch sei, so hieß es jedenfalls noch ein bitteres halbes Jahr später beim Training, wechselten die letzten noch nicht völlig aus dem Leben geschiedenen meine Bettwäsche.
Die selben Typen, die dir unauffällig und anerkennend zu blinzelten wenn du den Assi-Mittelstürmer mit goldenen, neongelben oder -blauen Schuhen und Nike-Stirnband mit einer gut getimeten Grätsche auf die Aschebahn legt hattest. Oder die Typen mit denen du nach dem 2:1 in Peckeloh, nur noch mit Boxershorts am Leib, die Straße entlang zogst. Ein Lied in den inbrünstigen Kehlen: „Da war ein Mädchen – auf dem Fahrrad – und sie schrie: AUSWÄRTSSIEG! AUSWÄRTSSIEG!“. Beim Schlusspfiff standen nur noch 19 Spieler auf dem Platz, 10 Peckeloher, 9 von uns. Der Siegtreffer kam schon in Unterzahl durch einen dreist erschwalbten Elfmeter zustande. Olé!
Die besten Drogen produziert der Körper immer noch selbst. Besonders während du einen Ball den du locker mit der Innenseite ins Aus hättest klären können, voller Kalkül aus 6 Metern per Spannschuss in die Peckeloher Bank drescht. Traditionell voll mit Russen, die mir von diesem Moment an, an die Wäsche wollen. Ich schwadroniere halbstark auf Höhe der Mittellinie, sie sollten doch rüber kommen. Ich „würde mich hier das gesamte restliche Spiel nicht wegbewegen“ und Adrenalin ist besser als Heroin. Wie erwähnt, es gab auf dem Fußballplatz einige Gründe mich zu hassen. Auf dem Platz, und das ist die bittere Wahrheit, wurden wir alle, wurde ich zum „Jarolim“. Oder anders; wer mich noch nicht auf dem Fußballplatz erlebt hat, kennt mich nur halb.
Das Spiel ist beendet. Mein Treffer war nutzlos, da auch der letzte Türksport-Spieler verwandelte. Doch Melancholie kommt nicht auf. Zu gut war unser Spiel, zu hoch der Endorphinspiegel und zu leer mein Geist. Wer sich nach einer Niederlage so fühlt hat nichts zu bezweifeln. Wenige Minuten später sitzen wir barfuß vor der Umkleidekabine, einen Kasten Bier zwischen uns. Die Hälfte der Spieler raucht bereits wieder. Ich werde für meinen Elfer gleichzeitig verhöhnt und bejubelt und irgendwer macht Witze über irgend wen und wer anders macht Witze über irgendwen anders.
Ein britischer Jugendtrainer wurde einmal in einer 11Freunde-Ausgabe mit den Worten zitiert: „Der Fußball lehrte einen eine gesunde Mischung aus Demut und Arroganz.“. Manchmal ist England immer noch das Mutterland des Fußballs.
Ob ich lernte das Kollektiv zu schätzen, dass im Leben (und beim Fußball) immer der gewinnt, der es schafft Lockerheit und Ehrgeiz zu verbinden oder auch einfach dass Benni jeden weiteren Freitagabend bei Frauen auf der Couch pennt und nicht merkt, dass sie ihn nicht ran lassen werden. Vieles was ich lernte, lernte ich beim „Großen TuS“. Und Fußballspielen kann ich bis heute nicht so wirklich. Der „Große TuS“ war für mich das, was andere ihre Jugend nennen. Also dann – und jeglicher Pathos und Schmalz ist hier völlig legitim – Thanks for the memories!

Freitag, 23. Januar 2009

Versuch

Eigentlich ist dies hier nichts anderes als der Versuch sich zu öffnen. Es ist der Spagat sich soweit zu öffnen, dass es nicht peinlich wird. Für niemanden. Weder für alle die aufnehmen und damit unerhofft und unvorbereitet vereinnahmt und überfordert werden könnten. Noch für einen Selbst. Im - sicher etwas verkrampft daher kommenden - Versuch weder belang- noch hilflos zu wirken. Kein leichtes Unterfangen.
Allein diese blogg'sche Kommunikationsform hat gespaltene Züge. Der Außemwirkung, welche ein Musiklehrer einmal treffend mit dem Wort "Luftikus" beleidigte, entgegen. Das Ernste, das Tiefe in Augen, Block und Tastatur. Immer auf der Suche nach Hollywood. Nach dem einen Regenschauer, vor Sonnenaufgang. Der große, ehrliche Auftritt - schwere Atmung, prägnante, pathetische Worte und ein Gefühl von "Ich darf das jetzt mal!"
Dies ist der Versuch einen Weg zu finden zwischen Witz und es nicht auf diesen anzulegen. Zwischen dem Moment nach der miesen Pointe, die mit gesenktem Blick feststellt, erneut der Typ von Mensch zu sein, den jeder vergisst wenn er sich nicht aufdrängt. Und dem Moment nach der gelungenen Pointe. In der zwittrigen Erkenntnis, dass Selbstironie auch nichts anderes ist, als die Tapete in deinem Elfenbeinturm ist. Ungeachtet wie farbenfroh und wohl ausgesucht sie auch sein mag.
Dies ist nichts anderes, als der simple Versuch nicht zu reden, nicht den Nebenmann voll zutexten, nicht zu hampeln, nicht zu diskutieren, nichts zu zuspitzen, nicht zu nerven, nicht witzig zu sein und trotzdem da, trotzdem anwesend zu sein.
Ein Blogg, ein Kontrapunkt zu allem Typische. Ein etwas längeres, etwas ehrlicheres "Wie geht es dir?" als sonst. Ein Blogg, so selbstbezogen wie schlechter HipHop, geschrieben zwischen "Please stop missing me", dem dazugehörigen Bandshirt und dem langjährigen Wunsch es leben zu können. Ein Blogg nicht einsam zu sein, mit sich. Es ist - ganz einfach - der Versuch zu überleben.