Montag, 19. Dezember 2011

Eine gute Liebe

„Das ist Sie… . Das ist Er.“

Sie lacht.

„Gerne.“

Er trennt sich von einer anderen.

„Zusammen, bitte…. Stimmt so.“

Türschwelle.

„Zusammen, bitte…. Stimmt so.“

Guter Sex.

Frühstück.

SMS.

Ein Privatwitz.

Ein Mixtape

Sehr guter Sex.

Ein Gespräch.

Sehr viel, sehr guter Sex

Freunde.

Urlaub.

Guter Sex.

Streit / Der beste Sex, den man haben kann.

Eltern.

„Dort haben wir die Mülltonne angezündet“

Sehr guter Sex.

Guter Sex.

Pläne.

Gemeinsames Joggen.

Ein Gespräch.

Streit.

Ein Brief.

Das Ticken der inneren Uhr.

Entschluss.

Ein paar Tage mit Freunden wandern.

Guter Sex.

Schwangerschaft.

Ein Wochenende Paris.

Hochzeit.

Sehr guter Sex.

Beförderung.

Kinder.

Elternabend.

Kommunalpolitik.

Sex.

Urlaub mit der Freundin der Tochter.

Solider Sex.

Eine Beleidigung.

Eine weitere Beleidigung.

Fußballspiel des Sohnes.

Zweifel.

Ein Todesfall in der Familie.

Beruflicher Druck.

Sie hat eine Affäre, die sie verschweigt.

Unnötiger Sex.

Eine Beleidigung.

Ein paar Tage bei den Eltern.

Ein Brief.

Sehr guter Sex.

Streit.

Guter Sex.

Streit.

Ein Kaffee mit der Ex-Freundin, der mit einem Kuss endet. Er erzählt es.

Kälte.

Ein Brief.

Die Tochter bleibt sitzen.

Paartherapie.

Die Tochter macht ihr Abi.

Der Sohn heiratet seine Kindergartenliebe.

Guter Sex.

Jeder joggt für sich.

Neues Auto.

Er geht in den Puff, was er verschweigt.

Sie hat es im Gefühl, spricht aber nichts an.

Neuer Job.

Paartherapie.

Sehr guter Sex.

Der Sohn lässt sich wieder scheiden.

Die Tochter schließt ihr Studium ab.

Ein weiterer Todesfall.

Vermietung eines Zimmers an eine Austauschstudentin.

Eine Fehlgeburt.

Ein Familienstreit auf Opas rundem Geburtstag.

Gartenarbeit.

Sie nimmt eine neue Stelle an.

Kuchen.

Solider Sex.

Die Tochter heiratet ihren langjährigen Freund aus Studientagen.

Enkel.

Babysitten.

Neues Auto.

Kein Sex mehr.

Der Sohn kommt weiterhin häufig. Die Tochter nicht.

Kreuzfahrt.

Er stirbt an Krebs.

Sie verkauft das Haus.

Wöchentlicher Grabbesuch.

Alzheimer.

Die Tochter zieht mit den beiden Söhnen für 2 Wochen ein.

Die Tochter geht in die Paartherapie.

Der Sohn lässt sich nicht blicken.

Krankheit, Genesung.

Monatlicher Grabbesuch.

Altersheim.

Sie stirbt.

"Sie hatten sich wirklich gerne"

Die Kinder pflegen das Familiengrab ohne große Leidenschaft.


Mittwoch, 9. November 2011

Zu den Klängen in Kubricks "Shining" - Eine Assoziation

Beginn der Reihe: Seminarreste, mit denen man zu zufrieden ist, um sie verkommen zu lassen.

Am Anfang die Verheißung – und die verheißt nichts Gutes. Ein großes, auditives Unbehagen überzieht die ersten Minuten „The Shining“ von Stanley Kubrick. Der Zorn Gottes schallt aus den Wolken. Der Hubschrauber nähert sich dem Kleinwagen, die Straßen schlagen Furchen in den Wald und das Orchester lädt zum Abschlussball der Zivilisation. Kubrick kündigt alles an. Er wird alles einlösen. Er wird nichts einlösen.

Die lange Exposition nimmt sich Zeit, reiht Klänge auf die Kette, betont schicksalsgläubig: Ja, der Wahnsinn ist nah, gleich wird er zu sehen sein. Da hinten brandet die Sintflut, in dunkles Rot und tiefen Bass getaucht. Hinter der ersten Ecke klirrt es, dann grollt es von irgendwo her und wabern tut es immerzu. Die Schreibmaschine zittert, tritt schließlich um sich. Der Tennisball stampft auf, das Kettcar steckt das Labyrinth ab. Der Sound ist überlebensgroß. Real ist hier nichts mehr, kein Parkett kratzt so sehr, kein Teppich ist so dumpf, kein Wind so kraftvoll-konstant – und trotzdem bleibt alles verschreckend nah. Warum man dazu nicht auf Abstand gehen kann, bleibt ein Rätsel. Vielleicht weil Kubrick – vor allem im Klang – am Anfang das Chaos ankündigt und es somit, scheinbar, greifbar macht. Man ist willig es zu akzeptieren, zu vereinnahmen, doch diesen Reflex treibt Kubrick einem aus. Mit dem Becken. Mit dem Glockenspiel. Also mit der Peitsche. Du weißt nur, dass du nichts weißt.

Das Hotel, es wird ein Labyrinth bleiben. Wir finden nicht heraus. Die Musik, sie gibt zwar vor, verständlich zu sein, doch was sie uns mit jeder Minute erneut sagt, ist nur: Chaos regiert nicht, es herrscht. Der Mensch kann den Wald verlassen, aber der Wald nicht den Menschen. Kubricks Einführung ist nichts anderes als eine falsche Fährte, ein Spiel mit dem Zuschauer, der den arroganten Glauben besitzt, zu wissen, was da kommt. Er irrt. Und Angst entsteht immer aus Unwissenheit. Das eigentliche Chaos, zu dem das anfängliche Unbehagen heranwächst, es hat keine Logik. Dann wäre es kein Chaos, sondern nur die Abstraktion von Chaos, nicht mehr als eine Filmkonvention, eine Hörgewohnheit. Die Streicher werden nicht das Gleiche spielen. Der Beckenschlag wird bei der zweiten Texttafel nicht zu hören sein. Jedes Motiv hat seinen Platz aber nicht seine Wiederkehr. Nur eins ist gewiss: Alles wird mehr. Da ist der Film ganz klar. Das Klimpern wird zum Klirren. Das Wirren wird zur Wut. Das anfängliche Abklingen weicht einem dauerhaften Rumoren. Einer wechselhaften und damit beständigen Themenverschiebung. Laut, rauh, düster.

Wer die Zwillinge sind, erfährt man nicht. Wie es Jack aus dem Nahrungsraum schafft, bleibt ein Rätsel. Warum sollte der Sound da einer anderen Logik folgen als der eigenen. Ich bin das Chaos. Du hast mich nicht zu verstehen. Darin besteht meine Macht über dich, du winziges, weinerliches Stück Zuschauer!

Montag, 3. Oktober 2011

Meister der Schmerzen

Sport ist ein Spiegel der Gesellschaft. Der Blick in ihn kann erschaudern und trösten. Und solch eine Sicht kann Dinge erklären, oder zumindest voneinander abgrenzen. Der Versuch einer Bewusstwerdung.

Im Herbst 2003 sitzt Steve Bartman in einem Baseballstadion. Es ist der sechste Spiel der Best-of-7-Serie seiner "Chicago Cubs" gegen die "Florida Marlins". Die "Cubs", sowas wie das "Schalke 04" des amerikanischen Sports, ein gutmütig angehauchter Verein, dem ein Moment der Tragik immerzu anhaftet, nur ohne den pathetischen Überhang des Arbeitermilieus, sind seit 1903 ohne Titel. Die Amerikaner sprechen bei solchen Momenten immer gerne von Flüchen, die nicht zu brechen sind. Gewinnen die "Cubs", stehen sie erstmals seit Ewigkeiten im Finale um den Titel, die man in traditioniell-amerikanischer Bescheidenheit "World Series" nennt. Im achten von neun Innings steht es 3-0 für das Heimteam. Dann fliegt ein Ball ins Aus, in Richtung Bartman – und der alles umgebende Überzug, den man Zivilisation nennt, geht in Flammen auf.

Baseball ist ein langweiliger Sport. Unzählige Pausen zwischen wenig aufregenden Momenten - was ihn dann letztlich vom Football unterscheidet - machen das Spiel auch für seine Anhänger zur Nebensache. Baseballspiele besuchen Amerikaner vor allem wegen der gesellschaftlichen Teilhabe. Man isst im Stadion, liest, unterhält sich, es finden sogar erste Dates auf den Rängen statt. Der Sport besteht letztlich nur aus Statistiken, was es dem US-Bürger leicht macht, in gut und schlecht, gut und böse zu denken. Sowas wie unverdiente Sieger gibt es im Baseball nicht. Wenn im Baseball etwas historisches passiert, hat etwas gewöhnliches Jubiläum. Der 500. Homerum, der 1000. Sieg. Die Geschichten, die der Baseballsport schreibt, sind nichts anderes als Zahlen.

Steve Bartman mag diese Dinge, hat früher selbst Baseball gespielt. Er hat Kopfhörer auf, hört dem begeleitenden Radiokommentar zu, der im Normalfall nichts anderes macht, als die Dinge aufzulisten, die vor ihm auf dem Rasen vonstatten gehen. Ob ein Spieler trifft oder verzieht, wie schnell oder genau ein Pitcher wirft oder ob ein Verteidiger fängt.

In jenem achten Inning also fliegt ein Ball in Bartmans Richtung. Er sitzt in erster Reihe, direkt am Spielfeldrand. Der Verteidiger Alou versucht den Ball noch aus der Luft zu fangen und somit den Schläger ausscheiden zu lassen, wie einen verbrannten beim Brennball. Bartman macht das, was Zuschauer in diesem Moment machen: Er versucht den Ball zu fangen. Sich ein Souvenir zu sichern, vom Einzug ins Finale. Das wäre etwas wert. Bartman streckt sich, wie viele seiner Sitznachbarn auch. Er berührt den Ball und macht es für Alou unmöglich den Ball zu fangen. Alou ist sauer, flucht in Richtung Zuschauer, Bartman. Das Spiel geht weiter. Und es kommt, wie es kommen muss, damit es dramatisch wird. Anstatt auszuscheiden, trifft der Schläger Floridas den nächsten Wurf und seine Kollegen tun es ihm nach. Als das Inning nach den erforderlichen drei Outs beendet ist, führt Florida mit 8-3. Die Cubs verlieren und sie verlieren auch das nächste Spiel und scheiden aus.

Das Stadion der Cubs, das nach einem Kaugummihersteller benannte "Wrigley-Field", gilt als Urstätte der Gemütlichkeit. Der Volksmund nennt es "The Friendly Confines". Aber nicht heute. Fox-Sports erkennt noch in der Live-Übertragung die epische Tragik dieses Moments und füllt fortan jede der Spielunterbrechungen mit Blicken auf Bartmans Gesicht. 40.000 Menschen und nochmals 10.000 vor den Toren sehen unablässig in das versteinerte Gesicht eines Mannes um die 30. Langsam rumort es. Es brodelt. Erste Beschimpfungen fliegen heran, dann immer mehr. Menschen kippen ihr Bier über Bartman, werfen Essen nach ihm. Bis schließlich das ganze Rund einstimmt: „Asshole.... Asshole.... Asshole.“ 40.000 Zeigefinger in Bartmans Richtung. Der sitzt immer noch da, hört immer noch Radio, wo man über ihn redet und guckt immer noch steif in Richtung Spielfeld. Es ist der vielleicht leerste Blick der jemals in Bildern dokumentiert wurde. Nach einem kurzen Moment dreht er sich zu seinem Sitznachbarn und fragt: „Glaubst du, ich habe etwas falsch gemacht?“ Er erhält keine ernstzunehmende Antwort. Dann sitzt er wieder da und wischt sich mit dem Ärmel seines Pullovers, auf dem das Logo der von ihm trainierten Jugendmannschaft zu sehen ist, Bier aus dem Gesicht. Wenig später erreicht eine Gruppe Security-Guards den Block. Sie begleiten Bartman hinaus, er hält sich seine Jacke vors Gesicht, wie ein Strafgefangener. „I kill you!“ rufen einige, ein anderer schreit: „Put a gun into your mouth and pull the trigger!“ Spießrutenlauf, in Urform. (http://www.youtube.com/watch?v=JoumAUfwnI8&feature=related) Die Guards schließen Bartman weg, ziehen ihm andere Sachen an, nehmen ihm die Cubs-Mütze ab und schaffen ihn aus Ermangelung einer Alternative ins Haus einer der Securitys. Dort ruft er seine Eltern an, sagt ihnen, dass es ihm gut geht. Wenig später wird er nach Hausegeschickt und verschwindet. Er wird nie ein Interview geben, noch Jahre später Autogrammwünsche für 25.000 Dollar ablehnen. Ein Verwandter wird im TV einen Entschuldigungsbrief vorlesen. Bartmanns Sitznachbar, dem der Ball letztlich in die Hände gerollt ist, verkauft diesen für 100.000 Dollar an ein Restaurant. An Halloween des gleichen Jahres geht man in ganz Chicago als "Bartman".

Am Jom Kippur, dem Tag der Sündenvergebung im Judentum, wird traditionell einem Ziegenbock durch einem Geistlichen die Hand aufgelegt. Anschließend wird er durchs Dorf getrieben, wo das anwesende Volk seine Sünden auf ihn abladen kann, mit denen das Tier anschließend aus dem Dorf oder über die Klippe gejagt wird. Vergleichbare Bräuche sind auch in anderen Religion zu finden.

Die Tradition des Sündenbocks ist ein wesentlicher, stabilisierender Grundpfeiler unserer sozialen Ordnung. Psychologe René Girard sagt, je zerrissener eine Gesellschaft ist, desto mehr braucht sie einen Sündenbock, der laut Elliot Aronson machtlos, unbeliebt und leicht identifizierbar sein muss. Bartman ist all das. Er ist Computer-Fachmann, Angestellter. Er trägt Rollkragen, 90er-Kopfhörer und Kassengestell. Er ist zu schwach, um sich zu wehren. Er ist Opfer.

Und vielleicht kann man den Stand einer Gesellschaft daran ablesen, wie sie mit ihren Opfern umgeht. Wie sehr eine Gesellschaft in Schachklub und Quarterback unterscheidet. Wie viel Mobbing es an Schulen gibt. Wieviel sie von Schicksal und von Fluch redet. Wie Medien Emotionen zeigen oder machen - und wieviel Geld sie damit verdienen. Wie sehr eine Gesellschaft im Stande ist, Optimismus zu leben oder (nur) zu predigen. Wie sie mit Niederlagen umgeht, mit den eigenen, fremden oder kollektiven.

Am 17. Juni 1994, am selben Tag, an dem OJ Simpson über eine von unzähligen Passanten gesäumte Autobahn fährt und dabei von so vielen Fernseh-Helikoptern begleitet wird, dass sich ihre Signale überlagern und es Störungen im heimischen Livebild gibt, steht ein Junge in den Straßen von New York. Konfetti regnete von den Dächern. Die heimischen "Rangers" haben nach langer Zeit die Eishockey-Meisterschaft gewonnen. Der Moderator hatte im Moment des Triumphes gerufen: "The curse is over!". Der Junge steht vor einem Manhattener Mikro und spricht: "Now, I can die happy!". Er sieht nicht älter als 12 Jahre aus.

Am 19. Mai 2001 verliert Schalke 04 in unfassbarer Dramatik die Meisterschaft. Als Anderson in Hamburg trifft, ruft Fritz von Thurn und Taxis, der auf Schalke moderiert: „Hoffentlich tut sich heute niemand etwas an“. Wenige Tage später gewinnt der "FC Bayern München" das Champions-League-Finale, das er 2 Jahren zuvor, in der „Mutter aller Niederlagen“ ("11 Freunde") gegen "Manchester United" verloren hatte. Damals hatte niemand von Schicksal oder Fluch geredet.

"Schalke 04" gewinnt einen Samstag später den DFB-Pokal in Berlin. Auf den Rängen, während des Spiels, hängt ein Transparent im Schalker Block. Und immer wenn ich über die USA und Deutschland rede oder denke, ganz gleich ob es um Psychologie, Vorurteile, Sport, Wirtschaft, Rassismus oder Politik geht. Ich will mich immer daran erinnern, wie Steve Bartman auf seinem Stuhl in Chicago sitzt und die Hölle über ihm aufbricht. Oder wie ein 11jähriger in ein Mikro spricht, und wie "Fox-News" über all das berichtet. Und demgegenüber, mit leicht-patriotischem aber vor allem erleichtertem Bewusstein, was damals auf dem Banner der Schalker Anhänger stand: „Alles wird gut“.

Sonntag, 2. Oktober 2011

Nihilismus als Chance

Heimat, Vergänglichkeit, Kunst, das gute Leben und ein wenig Filmspinnerei: Ein ganz, ganz, ganz grundsätzlicher Text

"Nichts gegen Masturbation, das ist Sex mit jemanden, den ich liebe." (W. Allen)


Heimat ist allein schon deswegen der schönste Ort der Welt, weil es der einzige Ort ist, an dem sich niemand über deine Heimat lustig macht. Und wenn es jemand tut, dann darf er das. Das ist wie die kleine Schwester, über dessen Kleidungsstil man sich in Gegenwart Gleichaltriger auslässt. Doch wehe, jemand mit dem man nicht die DNA teilt, bezeichnet sie als leichtes Mädchen. Dann Gnade ihm nicht mal mehr Gott. Der, so wird zu beweisen sein, ist eh ein faules Miststück, der nach sechs Tagen Arbeit auf Sonntagsausflug ist - bis heute.

Natürlich hat Heimat mit Familie zu tun. Mit Zugehörigkeit. Mit Sicherheit. Mit dieser unschätzbaren, unüberschätzbaren Fantasie – und in guten Fällen: Erfahrung, dass es einen Ort gibt, an dem du dich nicht beweisen musst. Wo man dich liebt. Nicht für die Dinge, die du tust oder lässt. Sondern einfach liebt. Weil du atmest. Natürlich streben wir danach, dieses Gefühl später zu imitieren. Da ist auch nichts Falsches dran. Wir suchen uns Menschen, die wie unsere Mütter riechen oder wie unsere Väter reden. Wir singen Lieder auf sie, auf diese Gerüche, diese Bräuche und Momente. Wir machen alles wie sie. Weil wir hoffen, dann wird alles gut, so wie früher. Ob und wie es früher so war, ist nicht mehr als ein Fun-Fact kognitiver, menschlicher Überlebensstrategien.

Wir singen Lieder auf die Vergangenheit, in dessen Unveränderbarkeit, dessen Unzerrstörbarkeit alles noch größer wird. Jedes Gefühl von Sicherheit, von Frieden kann in diesem Schutzraum der Selektion noch tiefere Wurzeln schlagen. Wir singen Lieder auf das Gewesene, weil es uns niemand nehmen kann. Unsere Eltern werden sterben, unsere kleinen Schwestern hören auf, niedlich zu sein, unsere Freunde haben besseres zu tun. Selbst unsere Liebe, die Liebe, die wir verschenken, vergeht. Das lernen wir, noch bevor wir die Schule verlassen. Wenn wir, die perfekten Wesen, als die wir uns jeder für sich und heimlich begreifen, schon nicht ewig lieben können, wer soll dies sonst vollbringen? Und ganz nebenbei: wer soll uns schon lieben, so perfekt wie wir meinen zu sein, so sehr halten wir es doch genauso mit Woody Allen: Mit der Liebe ist das wie mit den Clubs. Man möchte nie Einem angehören, der Leute wie einen selbst als Mitglied aufnimmt.

Doch irgendwann, aller Verklärung, aller Sicherheit zum Trotz, geht man. Zur Sparkasse oder nach Spandau, aber weg. Wahrscheinlich weil man sich nur vor einer Sache noch mehr fürchtet, als vor der Einsamkeit: Vor dem Tod. Und den überlistet man vermeintlich, halt nur mit Sex. Weswegen „Antichrist“ ja auch so ein perverser Film ist, weil er den Orgasmus in sein Gegenteil verkehrt. Weil er das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann, das Überleben des eigenen Kindes, mit dem größten, was der Mensch gegen seine Ängste tun kann, verbindet. Weil der Versuch, die eigene Sterblichkeit zu hintergehen, in der absoluten Gewissheit endet, sterblich zu sein. Was der Film dann damit macht, und wem er die Schuld an seiner eigens geschaffenen Hölle gibt, ist das Resultat einer depressiven Phase eines Regisseurs, der sich zu oft bewusste gemacht hat, Künstler zu sein.

Wenn selbst das eigene Kind stirbt, vor seinen, den eigenen Augen. Dann tut man es selbst erst Recht. Gewissheit ist das Schlimmste, was einem passieren kann. Deswegen sind Religionen ja auch so ungewiss. Und jeder, der so etwas erlebt und danach einigermaßen wieder auf die Beine kommt, hat meinen größten Respekt! Doch die Hoffnung, sie stirbt halt immer zuletzt, aber manchmal stirbt sie. Doch wir überwinden die Angst zu scheitern und ziehen in die Welt – und Gründen Familien.

Da fragt man sich manchmal wie das die Homosexuellen aushalten. Wie sie gar keine Möglichkeit zur Weitergabe des eigenen Lebens haben. Adaption, zumindest in meiner Vorstellung, ist da auch nicht mehr als Evolutions-Methadon. Vielleicht zieht es deswegen so viele Schwule zur Kunst. Weil es Menschen innewohnt, zu kreieren. Und wer sich selbst nicht nachbauen kann, der kompensiert das mit übrig gebliebenen Mitteln. Vielleicht zieht es deswegen alle Scheidungskinder in die Großstädte. Weil dort die Kunst ist. Oder vielleicht ist die Kunst auch immer dort, wo die Scheidungskinder sind. Auf jeden Fall sind es die schlechten Kindheiten, die zur Kunst streben. Es wollen die ihre Wurzeln und Ideen und Schmerzen besingen und besiegen, die überhaupt lernen mussten, dass sie Wurzeln, Ideen und Schmerzen haben. Weil sie unfähig sind, zu verklären.

Vielleicht ist es eine der größten Glücksfälle des Menschen, wenn es ihm ungebrochen gelingt, seine Kindheit zu verklären, sie zu diesen Paradies auf Erden zu machen, wo niemand rein darf außer man selbst. Vielleicht müssen diejenigen, die keinen Eintritt in dieses gelobte Land haben, deswegen versuchen, sich anderorts ihre Welt zu bauen. Mit Gitarre, Stift, Pinsel, Kamera oder Stimme. Vielleicht ist Kunst das Methadon der Menschen, die irgendwo zwischen übergriffigen Großeltern, traurigen Eltern, mainstream-neurotischen Mitschülern und ungeteilten Interessen, ihr Urvertrauen verloren haben. Und jetzt kommt die traurige Wahrheit: Das Urvertrauen, es kommt nie wieder. Das Urvertrauen ist wie ein verpasster Zug. Klar, irgendwann kommt der nächste. Aber pünktlich wirst du nie wieder.

Und doch hoffen wir, dass der nächste Zug noch aufholt, einholt, überholt. Weil wir uns selbst trösten wollen, erfinden wir Jing-Jang-Logiken. Die machen aber nicht nur Hoffnung, sie schaffen auch Unmengen Enttäuschungspotenzial und nicht zuletzt: Druck. Wer in der Schule die Steine an den Kopf bekommt, will später mit Rosen beschmissen werden und tröstet sich mit der Lüge, dass jeder Stein die Rose wahrscheinlicher macht. Man tröstet sich mit der Lüge, dass das Leben gerecht ist. Und wenn wir merken, dass unsere eisern durchlebte Kindheit doch für nichts nütze war, weil "der Durchbruch" auf sich warten lässt, wem gibt man dann die Schuld? - Sich selbst. Dann wird aus dem Trost auch nur wieder Versagen. Schließlich hätte man mit dieser Vergangenheit nun wirklich genug Potenzial eine große, bedeutsame Persönlichkeit zu werden, wir Versager!

Es bleibt allen (uns) Opfern nur zu wünschen, dass sie es nicht persönlich nehmen, wenn Rosen und Medaillen ausbleiben. Denn darin liegt das Hauptbeweisstück für die Anklage, Gott neben dem Strafverteidiger, sein Massenmörder-Grinsen aufgesetzt: Das Leben ist ein Arschloch. Nicht weil es Leid gibt, sondern weil sich Leid und Glück nicht ausgleichen. Gott ist nicht tot, das wäre verständlich. Gott ist in Rente, ihm ist schon längst alles egal.

Die einzige Möglichkeit, die man hat, besteht darin, zu akzeptieren. Was nach Nihilismus klingt, führt in Wirklichkeit zu Stärke und Frieden, und den muss man machen. Mit sich. Aller Abgedroschenheit zum Trotz: Alles was du tust, tue für dich. Alles was du brauchst, nimm es dir! Aber erwarte kein Lob dafür, keine höhere, ausgleichende Kraft, keine Gerechtigkeit. Scheidungskinder haben die höchsten Scheidungsraten, weil sie ihr Urvertrauen in die Zuneigung verloren haben. Sie klammern, eifersüchteln, träumen und zweifeln, an Partnern, aber eigentlich nur sich selbst und der Welt. Ihre Tragik liegt nicht im zurückliegenden Unglück, sondern ihr Unglück steht dem Glück weiterhin im Weg, bis in alle Ewigkeit, Amen.

Also bleibt den Heimatlosen nur zu wünschen, dass sie akzeptieren, keine solche zu haben und man nicht automatisch zu einem guten Vater wird, nur weil der eigene scheiße war. Dass Mobbingopfer verstehen, dass sie auch in Zukunft anders sein werden, dies aber leider nicht immer zu Ruhm und Ehren führt. Dass man sich eingesteht zu weinen, aber aufhört zu hoffen, dass die vergossenen Tränen auf fruchtbaren Acker fallen.

Dass man ein Buch schreibt, dass man selbst lesen würde. Einen Film dreht, der die eigenen Bilder im Kopf wahr werden lässt. Ein Bild malt, das nur die eigenen Hände fertig bringen. Einen Menschen lieben, es ihm sagen, ohne das gleiche von ihr oder ihm zu verlangen. Ein Kind zeugen, das nichts mehr von einem verwirklichen muss. Das hat es doch schon! Es atmet. Dinge tun, weil man sie tun will, nicht weil sie etwas bewirken sollen, weil endlich Gerechtigkeit eintreten soll. Aber nochmal: Gott ist ein Arschloch, ein Misantroph, ein Zyniker, ein Hartzer, und alles was du tun kannst, ist ihn zu ignorieren. Er wird dich nicht erlösen. Niemand wird irgendwen erlösen. Du kannst dich erlösen, von der Hoffnung das Recht auf ein gutes Leben zu haben.

Montag, 19. September 2011

Flaschendrehen im September

Man findet seinen Frieden nicht. Man macht ihn.

Die Stadt ist verkatert. O'fuckt is. Selbst der Himmel hat Kopfschmerzen, es blitzt durch seine Wolken. Die Mehrheit hat sich selbst gefeiert. Das kann sie, weil sie sich keine Gedanken darüber macht, warum. Die Mehrheit. Einmal übertreiben, einmal über die Stränge schlagen, weil die Strenge sonst zur Last wird. Das selbstauferlegte Kreuz des sündenbehangenen Lebens, es drückt beständig in den Rücken, die restlichen 50 Wochen.

Auf dem Rücken der funktionalen Sportbekleidung prangt der Name des Fußballclubs, in dem man 15 Jahre Erinnerungen gesammelt habe. Die Jungs aus damaligen C-Jugend sind mittlerweile mit der Schule durch. Das Internet verrät, dass sie zufrieden sind. Manche scheinen es sogar verdient zu haben. Ich mache mir selbst immer Glauben, sie hätten damals – allen Frotzeleien und Schikanen zum Trotz – auch zu mir aufgeschaut. Dass etwas von mir geblieben ist. Dass ich Spuren hinterlassen habe. Dass die Liebe zum Spiel, meine Art das Spiel zu sehen, auch die ihrige geworden ist. Das wäre schön.

Ein BWL-Schnösel zieht vorbei. Eine gelangweilte Hausfrau summt und wirft die Arme von sich. Die Schwere-Reiter-Straße hat sich wieder die eigenen Wunden aufgekratzt. Der Asphalt blutet, der Regen wird zur Kochsalzlösung. Da schlurft es sich mit hängender Frisur und ausgedehnten Laufschuhen entlang und man wünscht dieser Stadt, mit innerem Lächeln, ein bisschen Unglück, ein bisschen Tragik, ein bisschen Zweifel. So ungefähr wie einer John Irving-Figur. Dann würden sie mir ähnlicher. Dann könnte ich in ihrer Mitte stehen. Doch Zweifel sind was für Minderheiten. Die Mehrheit hat immer sich selbst. Und mit fast ehrlichem Mitleid fragt die Holofernes, ob man wüsste, wie es ist, immer raus zu fallen. Aber nie weit genug, um irgendwo anzukommen. Da würde man jetzt gerne drüber nachdenken, aber die Seitenstiche drängeln sich dazwischen. Leichte Schmerzen, gesunde Schmerzen. Mögen sie nie abklingen.

Wie der Schmerz im Magen, das schwere Atmen nach dem Schlag, damals, an der Frittenbude. Der Minderwertigsmagnet mit Übergewicht und mindestens einem Freund zuviel. Was hab ich ihm die Fresse poliert. Was hab ich ihm die Nase eingedrückt. In Gedanken ging ich anschließend zu ihr, klingelte, hielt mir dramatisch die Stirn und sagte nur: "Du solltest den anderen erst sehen". Sie hätte mich herein gelassen. Einmal nicht Opfer gewesen. Einmal das weinerliche „bitte beachtet mich“ gegen das feldherrische „Seht mich an!“ getauscht. Gute Vorstellung. Gute 6 Stunden, gutes Aufwachen. Bis die Hübsche vom Nachbartisch plötzlich in der zweiten Stunde herüberspuckte, wie unfair ich doch gekämpft hätte. Zum Beweis lagen ein paar minderwertige Haare auf dem Tisch. Auf die nächsten Flaschendrehparties wurde ich - wie zuvor - nicht eingeladen.

Viel hat sich seither nicht geändert. Aus den Flaschen wurden Maßkrüge und im Kreis sitzen nicht mehr 6 sondern 6 Millionen. Die Worte sind etwas gewählter, die Ansichten etwas aufgebrochen. Erwachsenwerden ist auch nichts anderes, als sich seine Irrungen einzugestehen und - im guten Fall - zu akzeptieren. Freude nennt man nicht mehr die, mit der größten Spiele- sondern der größten Plattensammlung. Die Frauen sind selbstbewusster.

Ja, alter Zweifler, was willst du denn noch, fragt der Song aus der Deichmann-Werbung, irgendwo, wo keine Karrieristen mehr überholen. Wir haben „Songs, Sex, alles!“ Kettcar missverstehen, davonziehen. Mit erhöhter Schlagzahl. Schattenboxen mit der Seele. Und der Weg, der selbstredend, immer wieder und naturgemäß das Ziel bleibt, wird gesäumt: von der Kreativität, den Kommilitonen, den Menschen mit Meinung, den Freunden, der Hobbymannschaft, dem Stammlokal. Von dem Gedanken, dass aus Verweilen Bleiben wird. Von dem genauso beängstigenden wie tröstenden Gefühl, dass das Leben aus drei Akten besteht: Heimat, Verlassen der Heimat, Finden einer Heimat. Die Kunst ist, Akt zwei zu genießen und Akt drei zu meistern. Selbst wenn Akt eins nur aus ein paar Trainingseinheiten und einer Prügelei bestand.

Nichts fliegt einem zu. Keiner weiß das besser, als man selbst. Keiner darf einem das sagen, als man sich selbst. Und das ruft man hinaus, bis in die Zelte. Hier bin ich! Nicht ich bin hier mit euch, ihr Mehrheit, ihr seid hier mit mir. Gewöhnt euch dran! Ich bin eure neue Minderheit. Ihr habt mich nötig. Ich ziehe bei euch ein. Euren Fußballklub könnt ihr behalten, da brauche ich erstmal etwas Zeit für mich allein. Euren Karneval im Einheitskostüm, die Schleife, die primäre Geschlechtsfuge entlang, will ich euch nicht neiden. Euren Musikgeschmack wollen wir mal nicht so nennen.

Aber eure Spezi nehm ich und euren Alkohol, eure Joggingstrecken, euren Sinn für Hedonismus, euer Wetter und eure nicht-blonden Frauen.

Frage nicht, was dir deine Stadt bedeutet, frage, was du deiner Stadt bedeutest.

Mittwoch, 8. Juni 2011

Top 5 - Records (III)

... es hört nie auf ...

Top 5 - Über Sex kann man nicht reden, aber singen

Katy Perry - E.T.

Kante - Warmer Abend

MIA - Kreisel

Blink 182 - The Party Song

Britney Spears - If You Seek Amy



Top 5 - Hüpf Miststück, Hüpf!

Two Door Cinema Club - Eat This Up, It's Good For You

Muff Potter - Alles was ich brauch

The Wombats - 1996

Artic Monkeys - View From The Afternoon

Beatsteaks - I Don't Care As Long As You Sing



Top 5 - Liebe ist vergänglich, Kunst bleibt

Damien Rice - 9 Crimes

Kaiser Chiefs - Love Ain't A Competition (But I'm Winning)

Kettcar - 48 Stunden / Wir müssen das nicht tun

Mumford & Sons - I Gave You All

Juli - Wenn du lachst



Top 5 - In diesen Akkorden ist man weniger allein

Wir Sind Helden - The Geek

Aimee Mann - One

Billy Talent - Nothing To Lose

Karpatenhund - Wald

Death Cab For Cutie - Someday You Will Be Loved



Top 5 - Das Gewicht der Welt passt nicht mal in diese Songs

Joy Division - Transmission

Sum 41 - Pieces

Slut - The Day It Rained Forever

Billy Talent - Surrender

Coldplay - Amsterdam



Top 5 - verwirrt und auch noch glücklich

Cassisus - Toop Toop

The Vines - Ride

White Lies - Holy Ghost

The Ting Tings - That's Not My Name

Die Ärzte - Friedenspanzer



Top 5 - Bitte ziehen sie durch!

Taking Back Sunday - Error:Operator

Deichkind - Krawall und Remmidemmi

Royal Republic - Underwear

Rammstein - Mein Teil

Boysetsfire - Requiem

Montag, 6. Juni 2011

Top 5 - Records (II)

...und weiter geht die wilde Fahrt.


Top 5 – Vorglühmomente

Spider Murphy Gang – Skandal im Sperrbezirk

Fettes Brot – Bettina

Scooter - Hyper Hyper

Beyoncé – Single Ladies

Vengaboys – Boom Boom Boom


Top 5 – gute Songs von miesen Bands

Linkin Park – The Little Things Give You Away

Simple Plan – Take My Hand

Avril Lavigne – Sk8er Boi

Jet – Look What You've Done

Dashboard Confessional – Stolen


Top 5 – Songs fürs Snowboarden, fürs Laufband, fürs in Bewegung bleiben

Billy Talent – Perfect World

Frittenbude – Das ist Kunst (1000 Jahre)

Rammstein – Nadel

H-Blockx – Time Of My Life

Dredg – Uplifting News


Top 5 – Für den Sonnenuntergang

Paramore – The Only Exception

Olli Schulz – Schritt Für Schritt

Slut - Something To Die For

Oasis – Champagne Supernova

Death Cab For Cutie - Transatlanticism


Top 5 – Für den Sonnenaufgang

Phoenix – Love Is A Sunset (Part I)

Slut – Global Cut

Two Doors Cinema Club – Eat This Up, It's Good For You

Dredg – Matroshka (The Ornament)

Johnossi - Man Must Dance


Top 5 – Coversongs

Jeff Buckley – Halleluja

Jimmy Eat World – Firestarter

Vanilla Sky – Just Dance

Ryan Adams – Wonderwall

Aimee Mann - The Scientist


Top 5 – Songs, die einem das Leben erklären

Kettcar – Nachts

Death Cab For Cutie – Passenger Seat

Jimmy Eat World – A Praise Chorus

Editors – Munich

Tomte - Die Schönheit der Chance



Top 5 – Wenn Songs Häuser sind, sind das Wolkenkratzer

Jimmy Eat World – Get It Faster

Editors – Bricks And Mortar

Foo Fighters – Everlong (gerne auch in der Acoustic-Version)

Muse – Map Of The Problematique

Jimmy Eat World – Goodbye Sky Harbor


Top 5 – Jede Stadt hat den Soundtrack, den sie verdient

Interpol – NYC

Editors – In This Light And On This Evening

Peter Fox – Schwarz Zu Blau

Rammstein – Moskau

Jay-Z – Empire State Of Mind


Top5 - Records (I)

Es wird Zeit Nick Hornby zu ehren. Nicht nur mit dem Geist, der Art wie wir täglich unser Leben denken. Als wären wir seinen Figuren nachempfunden und nicht umgekehrt. Sondern mit der Tat. In der Top5-Tradition, dem High-fidelischen Gedanken unseren tiefen, ehrlichen Respekt entgegen bringen. Die Kategorie macht die Musik. Sammeln wir Empfindungen.


Top 5 – die traurigsten Lieder für betrunkene Stunden

Bosse – 3 Millionen

Death Cab For Cutie – What Sarah Said

Imogen Heap – Hide And Seek

Jimmy Eat World – Hear You Me

Editors – Well Worn Hand


Top 5 – Jugendsünden, für die man sich nicht schämt

Limp Bizkit – Take A Look Around

Blink 182 – The Party Song

Die Ärzte – Schunder Song (letztlich alles von den Ärzten)

Die Prinzen – Gabi und Klaus

Sum 41 – Fat Lip


Top 5 – Zurecht vergessene OneHit-Wonder mit zu unrecht vergessenen OneHits

Wamdue Project – King Of My Castle

Stars – Take Me To The Riot

Ian O'Brian-Docker – Totally Alright

Azzido Da Bass – Lonely By Your Side

Carpark North - Human


Top 5 – Bands, die alle mögen außer man selbst, die dann aber doch einen Hit hatten

Tocotronic – Hey Freaks

Bloc Party – This Modern Love

Blur – Song 2

Queens Of The Stoneage – Little Sister

Radiohead – Street Spirit


Top 5 – Wut ist gut

Billy Talent – Devil In The Midnight Mass

Rise Against – Worth Dying For

Three Days Grace – Riot

Rage Against The Machine – Killing In The Name Of

Sum 41 – We're All To Blame


Top 5 – Wir ersticken nicht an Coolness, die Coolness erstickt an uns

Oasis – Gas Panic

Royal Republic – We Are The Royal

Lexy & K-Paul – Vicious Love

Muse – Undisclosed Desires

Lostprophets – Last Train


Top 5 – Nur Du und die Autobahn

Editors - Bullets

The Sounds – Song With A Mission

The Naked And Famous – Young Blood

The Wombats – My First Wedding

Kyle Minogue – Get Outta My Way


Top 5 – Songs so gut, dass man eine Kategorie für sie erfinden muss

Mazzy Star - Fade Into You

Frittenbude – Bilder Mit Katze

Ellie Goulding – Starry Eyed

Faithless – Insomnia

Florence & The Machine – Cosmic Love


Sonntag, 5. Juni 2011

Alles kann, nichts muss

Was die Welt im Innersten zusammenhält: Death Cab For Cutie sind schon längst kein Geheimtipp mehr. Was sie aber nicht davon abhält, großartige Alben in die Welt zu entlassen.


Es ist Frühling. An allen Ecken und Enden sprießt und gedeiht es. Alles was war, ist vorbei. Alles was noch kommt, ist bedeutungslos. Ein dumpfer Beat schleicht, surrt, spinnt ein Netz aus verschlafener Erhabenheit. Ein schüchterner Riese erwacht. Er wischt sich den Sand aus den Augen, reckt sich, setzt etwas Kaffee auf. So hört sich „Home Is A Fire“ an. Der Auftakt zur neuen Death Cab For Cutie Platte "Codes & Keys". Ein Türöffner, mit dem man sich auf den sonnengefluteten Balkon setzen möchte. Das Müsli auf dem Schoß, die Haut noch etwas feucht aus der Dusche und den leichten Geruch des Deos in der Nase. „Plats, they will shift, houses will shake, fences will droop, will will awake, only to find, nothing's the same. “. Genau.

Zuletzt sind die vier Herren aus Bellingham, Washington zunehmend ins Zentrum des Pop-Kosmos gerückt. Die ersten Alben der Band sind ein Sammlertraum: experimentell, zerfranzt und reich gesät an ungebügelten Kostbarkeiten, die einladen, sie als seine eigene, ganz persönliche Entdeckung zu vereinnahmen. Nachdem einem gerichtlich geführten Scheidungskrieg mit dem Basis-Label "Barsuk" und dem „Transatlanticism“-Intermezzo beim „Grandhotel Van Cleef“ (2003), kam man ab 2005 beim Major „Atlantic“ unter. Eine Kooperation, die beiden Seiten gut getan hat. Death Cab For Cutie ist eine dieser Bands, die saubere Melodien schaffen kann, ohne dabei beliebig zu werden. Immer irgendwo zwischen Indie und Pop steht und sich gar nicht entscheiden will. Songe, die zu gleichen Teilen klassische Eingängigkeit entwickeln und elektronische oder Postrock-Experimente anbieten. Die letzten Alben stiegen in den USA und anderswo auf 1 und Songs der Band schafften es immer häufiger in jugendliche TV-Formate, deren Zielgruppe entweder mitten in der Pubertät steckt ("O.C. California") oder versucht, dieser zu entkommen ("How I Met Your Mother"). Sogar in die "Twilight"-Reihe hat es das eigens dafür produzierte „Meet Me On The Equinox“ geschafft. Und zu allem boulevardesken Überfluss hat Sänger, Texter und Charakterkopf Ben Gibbard die schnucklige Zoey Deschanel ( "(500) Days Of Summer") geheiratet. Auf schleichenden Sohlen sind "Death Cab For Cutie" so etwas wie Popstars geworden. Ein Zustand, der frustierten Internet-Usern meist böse aufstößt und auch diesmal Reaktionen zwischen Verwirrung und Entrüstung provozierte.

Doch darin liegt vielleicht das Geheimnis dieser Band. Das kann ihr alles nichts anhaben. Erfolg ist bei "Death Cab For Cutie", so scheint es, eher ein beiläufiges Moment als eine Karriereeigenschaft. Die Gruppe macht einfach Musik: selten formel, trotz großer Gesten weit vom Kitsch entfernt. Ehrlich, wie man so oft sagt, und nur selten meint. Ein Klangspektrum, von der Gitarre, mit denen man auf dem Fahrrad den sonnenbefleckten Hügel hinunter gleitet und dabei Kopf und Arme in den Windzug wirft. Bis zum Klaviergeschwader, das einem danieder streckt, in die Flut der Trauer wirft und nicht mehr ins Trockene lässt. Death Cab For Cutie kennen das Glück und den Schmerz – und bringen jeder Gefühlswelt ihre ganze, unendlich scheinende Tiefgründigkeit entgegen. Für jede Gemütslage die passende Partitur, die nun von „Codes & Keys“ nochmals ergänzt wird.

Der Sound dieser Platte erinnert nicht selten an eine übergroße Picknickdecke, mit der man in die Sonntagsstimmung aufbricht, und auf der sich alle Kostbarkeiten des Lebens ausbreiten lassen. Die Band hat eine leise Zufriedenheit für sich entdeckt. Der Volvo zuckelt die Landstraße entlang, die Kinder halten Mittagsschlaf, die Frau liest, während sie sich die Sonnenbrille richtet. Alles ist möglich, nichts ist nötig. Von solchen Momenten wimmelt es auf diesem Langspieler. Auch der Titeltrack schlägt, nun ja, schuppst in gleiche Kerbe. Umkreist seine leichten Streicher und findet in der eigenen Friedfertigkeit Halt. „Some Boys“ spricht Manchem die Fähigkeit zu Lieben ab, schließt aber unverzüglich wieder Frieden mit seinen Namensgebern. "Let it grow, let it grow, when there's a burning in your heart, don't be alarmed“ besänftigt die Vorabsingle „You Are A Tourist“ sich und andere. Das Schlagzeug zuckt erwartungsvoll-nervös und der Bass nickt dazu. Die Band, die früher vor allem mit präziser, großer Geste agierte, hat sich der sanften Zwischentöne angenommen. Das Dazwischen war bei Death Cab For Cutie schon immer anwesend, aber nie wurde ihm diese ungebrochene Aufmerksamkeit zuteil. Nicht überschwänglich aber mit jeder Menge Urvertrauen ausgestattet. Das große Überraschungsmoment dieses Albums dabei ist, dass der allumfassende Optimismus nur selten in Naivität oder Langeweile übergeht. Nur im etwas beliebigen Mittelteil bekommt die Gemütlichkeit einen einschläfernden Touch.

Doch Meister der Dramaturgie, die Death Cab For Cutie immer noch sind, ist das nicht anderes als ein Anlauf. Zum Ende der Platte wird der pathetische Ernstfall geprobt wird, der diesmal aber verhaltener ausfällt als auf vorherigen Alben. Deswegen aber nicht weniger bedeutsam ist. Nun sind es seichte Spielereien und konstante Soundgebilde, die einem Klimax hinterrücks aufs Kreuz legen. „St. Peter's Cathedral“ beginnt vorsichtig, verwirft aber zunehmend seine Schüchternheit und wiegt sich im eigenen Instrumenten-Kanon, der sich einem erst mit ein wenig Abstand wirklich erschließt. Auch der überraschend klein geratene Rausschmeißer „Stay Young, Go Dancing“ hüpft unbeschwert am Teich entlang und ruft der Welt zu „And when she sings, I hear a symphony“. Überall auf den gut 45 Minuten hallt der Gesang etwas mehr als sonst und es sitzen kleine elektronische Verzierungen im Geäst. Die Songs wirken, trotz Längen von bis zu 6 Minuten nie ausufernd, bleiben immer greifbar.

In den kleinen Freuden des Lebens scheinen Gibbard und Gefolgschaft ihr Glück gefunden zu haben. Am deutlichsten wird das am heimlichen Star des Albums: „Underneath The Sycamore“. Ein Stück, dass wohl am wenigsten auf vergangenen Death Cab-Platten aufgefallen wäre. Konventionell im Aufbau, wirft der Track die Arme von sich, läuft die Straße entlang und schreit in die Welt, was ihn berührt. Da kommt altes und neues der Band zusammen und es fühlt sich gut an. Gibbard selbst bringt dabei wie immer wundervoll auf den Punkt: „This is, where we find our peace. This is, where we are at least.“

Freitag, 3. Juni 2011

You say Mai-Tai, we say die!

Der Goldene Monaco 2011 war ein entspanntes Klassentreffen, eine überwältigende Party und sogar ein bisschen Lebensgefühl.

In München gibt es T-Shirts und Diskoreihen, die nennen sich: „So much not Berlin“. Irgendwie ein schwaches Bild. Wenn die „Weltstadt mit Herz“ und Wahlheimat Patrick Lidners sich selbst so klein macht, sich über jemand anderen als sich selbst definiert. Nur kleine Verlierer reden immer über die Anderen, hat Sir Alex Ferguson mal über ManCity gesagt.
„Wie ist München?“ ist die erste Frage nach dem Zug. Schön, sehr schön, unglaublich schön, fast zu schön, zu schön! So ungefähr, antworte ich. Doch Abends geht es weniger um mich als mehr um „die Anderen“. Eine Flasche Wein, eine Runde Wizzard, es laufen „Editors“. Gossip-Gespräche: wer mit wem, wer nicht mehr, „Was hat er gesagt?“. In einem Jahr passiert eine ganze Menge und niemand ist gestorben. Verbindende Feindbilder und Weißwein. Ein guter Abend.
Einen kurzen Schlaf später hat die Mensa auf. Das Beste was die Uni-Siegen zu bieten hat: der großartige Laucheintopf und die unglaublich großartige Bioquarkspeise, inklusive Wasser und soviel Zahnstochern wie man nur essen kann, 1.30€. Dafür gibt’s in München nicht mal nen Bier in der Happyhour.
Anschließend müssen die Damen zum Frisör, die Herren nochmal zu "H&M". Es wird Zeit. Das erste Bier schäumt gegen 15Uhr über. Man kommt zusammen. Jeder studiert jetzt irgendwo, ist auch egal. Dein Verein ist ja auch abgestiegen... aber was waren das für tolle 20 Minuten am letzten Spieltag, als Wolfsburg am Abgrund stand... . Hemden und Haare sitzen noch, der Vodka ist offen aber noch kühl. Moderat und modisch geht’s Richtung Siegerlandhalle. In Reihe 3 werden Schnäpse verteilt. Im Ausschnitt der blonden Dame zu meiner Rechten sind sie ins Rund gelangt. Noch vor dem ersten Einspieler wird gehoben. Stil ist, wenn man trotzdem kotzt. (Was keiner tun wird, nur so am Rande)
Die Show hat keine Kinderkrankheiten, sie ist eine Kinderkrankheit. Timing besteht nicht, die Musik ist nicht abgemischt, Mikros werden hinter der Bühne angelassen, mitten im Film wird die Leinwand für einen der miesen Sketsche zugemauert. Eine Art Film-Mario-Barth beklagt das Frauenbild Rosamunde Pilchers und das Dürr-sein von Bondgirls. Soso. Und Wasser ist nass. Selbst die Einspieler – die letzten Jahre immer kleine Perlen des selbstverliebten Dilettantismus – sind erschreckend lahm. Auch die Publikumsfilme wollen nicht recht unterhalten. Fremdschämen everywhere! Nach der Pause werden wenigstens die Gewinnerfilme ansprechend und es geht versöhnt in die Nacht.
Es ist voll! Für Monaco-Verhältnisse insbesondere. 1500, vielleicht 2000 Leute sind da. Die Beine sind frisch gewachst, die Kleider ein ganzes Jahr ungetragen, die herrlichen Düfte noch nicht von Schweiß und Pils überlagert. Man verliert sich und andere, trifft auf diese und jenen. Schmalltalk everywhere! Etwas vorsichtig ist noch alles und die lange Schlange am Wertmarkenverkauf verleitet zu dem Gedanken, die Tanke zu konsultieren. Doch mit dem Abend, mit der Lichtung der Gänge, mit dem Alkoholspiegel, mit dem Kennenlernen von neuen Masterstudenten dreht sich der Abend fast unbemerkt ins gelobt-wollige. Irgendwann geht alles von allein. Die Musik wird lauter, die Gespräche witziger, die Gesten mutiger. Überall läuft man plötzlich Menschen über den Weg, die man vergessen hatte, aber trotzdem gerne wieder sieht. Permanent! Kommilitonen, natürlich. Aber auch den Typen aus dem Filmprojekt im 2. Semester, die Süße aus dem Vollyballkurs, die einen damals abserviert hatte („Du meinst das nicht ernst!“), die Leute mit denen man Theater gespielt hat, den Lieblingsdozenten, den Hassdozenten, die Quirlige aus der Oberstadt, ehemalige Nachbarn, die Organisatoren aus dem unteren Semester oder die neue Mitbewohnerin von dem und dem. Es ist wundervoll. Mit jedem gelingen die Pointen, jeder hat Lust, ist bemüht aber nicht verkrampft. Jeder sieht gut aus. Vielleicht um Drei Uhr klemme ich die neue Masterstudentin unter die Arme und schleppe sie unter großem Gekreische auf die Tanzfläche. Dort ist mittlerweile auch das Orgateam angelangt, dass sich in einer Mischung aus Stolz, gelöster Anspannung und Müdigkeit in ein bescheuerten-Scheiß-mach-Delirium befördert hat. Etwas später massiere ich einer Dame die Füße und gegen halb Fünf stehe ich an Theke. Neben mir die Blondine, aus dessen Ausschnitt ich zuvor noch Klopfer ziehen durfte: „Was gibt’s?“ „Cocktail.“ Sie erhält ein buntes Etwas in einem Cosmoplitan-Glas, halb gefüllt. Sie ist genervt: „...aber nicht, wenn ich gewusst hätte, dass ich eine solche Pfütze bekommen würde!“ Ich bestelle mein Bier und wir suchen den Typen, der sie letztens mit „Einen wegstecken“ rumkriegen wollte, um ihm damit schlechte Wortspiele unterzujubeln.
Mit der aufgehenden Sonne kommt ein neuer Energieschub. Telefonnummern werden an immernoch schöne Frauen verteilt, die nie anrufen werden. Aber es fühlt sich gut an. Die Jagd ist das Ziel. Als die Musik mal wieder ins elektronische abdriftet, macht sich der Medien-Mob auf. Vor der Halle wird Frisbee gespielt, Männer liegen sich in den Armen und wissen nicht warum. Überhaupt nicht müde watschelt die dünnäugige Gruppe Richtung Stadtzentrum. Frauen laufen barfuß, Männer gucken, wen sie bis zur Wohnungstür bringen dürfen. Die Hemden sind längst offen. An der Weggabelung zur Oberstadt gibt es eine dieser Verabschiedungen, die ein unendlich charmanter Wind umweht. Als wenn man gerade das ganze Glück der beiläufigen Welt zwischen sich zusammen drückt. „Du bist eine von den Guten“ möchte man sagen und – dem Restalkohol sei dank – tut man es sogar. Hach!
Zu Hause gibt es noch etwas Rührei im Brötchen. Damit schläft es sich besser. Wer hat heute wen abgeschleppt, wer ist wie unfotogen? Der letzte Ritter des verlorenen Schatzes kehrt Heim. Völlig zerstört und seiner großspurigen Ankündigung „heute auf gar keinen Fall allein nach Haus zu gehen“ nicht folgend. In drei Stunden will er eigentlich zu „Rock Am Ring“.
Am nächsten Mittag steht die Sonne so hoch, wie sie es in Siegen selten tut. Ohne Kater sitzt man auf dem Balkon und hört Lokalradio. Was war das gestern? Da war Glück, ohne zu wissen oder sich daran zu erinnern, glücklich zu sein. Es war diese Zwischenwelt, von der man glaubt, sie nur im Suff betreten zu können. Dabei aber häufig vergisst, dass diese aus weit mehr besteht. Da waren Menschen, in dessen Mitte man stand, und nicht dabei. Bei denen einem nichts peinlich war und denen selbst nichts peinlich ist. Hier lag etwas unbekümmertes, etwas leichtes, etwas ehrliches zwischen den hedonistischen Momenten. Hier haben die Frauen Klasse ohne Anstrengung im Blick und die Männer behaupten nicht, endgültig zu wissen, was genau Stil sei. Der "Goldene Monaco 2011" war ein großartiges Klassentreffen. Aber ohne das Gefühl, den Anderen zeigen zu müssen, wie weit man es gebracht hat.
Also steht man mitten im Abend an der Theke und ärgert sich über einen mickrigen Cocktail, guckt auf sein Bier, das man hier nicht Helles nennt, und denkt sich mit glänzender Seele und nostalischem Blick: Siegen – so much not Munich!

Montag, 9. Mai 2011

Phoenix aus der Masse

Jeden Sonntag gehst du in ein Stadion, jeden Sonntag gewinnst oder verlierst du – die Frage ist nur: kannst du gewinnen oder verlieren wie ein Mann. (Oliver Stone)


Es war einer dieser Mittwochabende, die davon lebten, dass sie terminlicher Fixpunkt des Tages waren. Meine Eintrittskarte potent unter die Windschutzscheibe geklemmt, ging es mit Mutters A2 Richtung Gelsenkirchen. Ein Auswärtsspiel, von denen es immer gerade so viele gab, dass man gerade noch so ohne völlig bescheuert zu sein, denken konnte, dass es beim nächsten Mal anders werden würde. Arminia lag kurz nach dem Seitenwechsel mit 3:0 zurück, ehe der beste aller schlechten Fußballer Marko Küntzel – nachdem ich diesen Blog genauso hätte benennen können – den Ehrentreffer zum 3:1 Endstand erzielte. Doch alldem wohnte ich nicht bei. Ich stand bei Rheda-Widenbrück auf der linken Spur, der Motor aus, die Füße an der Leitplanke balanciert, das Ohr am Radio. Vollsperrung. 30 Kilometer. Hörend fühlt man sich einer solchen Niederlage noch hilfloser ausgesetzt, als man es sonst schon ist. Wobei selbst ein belangloses Dahin-Verlieren im Drecksruhrgebiet seine romantischen Momente hat. Das Aufwärmen, das gegenseitige Begrüßen zwischen Mannschaft und Gästeblock hat im fremden Rund immer etwas würdevolles: da gehören zwei unter Millionen zusammen. Verbundenheit als Massenerlebnis. Als Bielefelder nimmt man fremden Städte nicht mit dem Breitschwert ein, sondern führt mit dem Skalpell Guerillakrieg. Die Waffen sind das in guten Zeiten grandios praktizierte Konterspiel (Delron Buckley, wow!) und neben dem Rasen die Selbstironie, die anderswo – vielleicht in München – so oft fehlt. „Kniet nieder, ihr Bauern, Arminia ist zu Gast!“ Gerade in den Bahnhöfen und Fußgängerzonen Berlins oder Hamburgs kam das immer gut. Wenn die Begleitpolizisten grinsten, war ich zufrieden.

Vor dem Anpfiff ist natürlich auch das Spiel noch nicht verloren. Hoffnung ist ein euphorischer Zustand. Und nirgends ist die Hoffnung größer als in der Liebe. Ich bin seid über 5 Jahren unüberzeugter Single: Da fällt einem noch stärker auf, was dieser Ausdruck eigentlich gedeutet. Es gab nur eine Situation, in der ich die paar Bezahlfußballer da unten und was sie repräsentierten mehr liebte als in den 30 Minuten vorm Anpfiff auf fremden Geläuf: nach dem Spiel. Dazwischen konnte ich alles was da unten rum lief richtig hassen. Richtig! All die Alibipässe, die halbherzigen Tacklings, die erbärmlichen Abschlüsse und die taktischen Grundprobleme, sie trieben mich an den Abgrund meiner Seele. Ich wünschte Schiedsrichter nach Ausschwitz (lautstark) oder überwarf mich in jedem zweiten Spiel mit meinem Vater. Ich hasste von ganzem Herzen. Aber nur bis zum Abpfiff. Nach dem Spiel gibt es eine zweite Erlebniswelt, die sich den meisten wohl noch schwerer erschließt, als was ich sonst hier beschreibe. Ich weiß noch, wie ich vor 10 Jahren für das Spiel in Bochum die Schule schwänzte, Lense an seinem Geburtstag zum 1:0 traf, Hain beim Stand von 2:0 einen Elfer und den dazugehörigen Nachschuss hielt und Diabang kurz vor Schluss einen ganz edlen Konter über The-One-And-Only-Ansgar-Brinkmann zum 3:0 abschloss. Und ich weiß, wie ich danach auf den Zaun kletterte, der Sitz- und Stehtribühne trennte, wie Trainer Möhlmann seine so speziell-verkrampfte Zwei-Fäuste-Geste machte und abschließend Tim Danneberg, der da sein erstes Bundesligaspiel auf der Bank verbrachte und mittlerweile leider nicht mehr im Verein ist, mit glänzenden Augen nicht wusste, was zu tun war (Denkt nicht, ich gucke sowas nach). Das war der einzige Auswärtssieg in einer ganzen Saison, die mit dem Abstieg endete. Man möchte gefühlsduseln, das Spiel und das Danach: es war es wert.

Und es gab diese Momente, nach der Niederlage. Wenn sich da zwei Gefallene respektieren, während 60 Tausend drumherum den Arbeitssieg gegen den Punktelieferanten aus der Provinz beklatschten. Da war ein kleines Heer Versagerkinder unter sich und feierte sein Dasein („Niemand erobert den Teutoburger Wald“). In der würdevollen Niederlage verstand ich immer die Besonderheit dieses Clubs. Im erhaben Versagen dieser Farben fand ich den Grund, warum ich sie mir umband. Ich weiß nicht, wer damit angefangen hat, ich oder Arminia, aber das ist meine Stärke: das aufrechte Untergehen! Bei Freunden, Bekannten, Frauen sowieso. Ich kann nicht viel, aber ich kann gut verlieren. Vielleicht hat mir dieser Klub das beigebracht, vielleicht passe wegen dieser Fähigkeit einfach gut zu ihm. Und ich wollte dabei sein, damals, auf Schalke. Ich wollte nicht auf der A2 stehen, eine Stunde nach Abpfiff bei McDonalds abfahren und die Niederlage mit mir selbst ausmachen. Ich wollte meine Arme Richtung Rasen recken, sie als Zeichen meiner Anerkennung dem Laufpersonal entgegen werfen. Meine tiefe, unendlich tiefe Loyalität ihn gegenüber und vor allem gegenüber dem, was sie repräsentieren wollte geteilt werden.

In Zeiten in denen ich nicht viel habe, habe ich immer noch die Gewissheit, dass ich darin sehr gut bin, nicht viel zu haben. Das ist der nie endende könnende Hoffnungsloop. Das ist Schönheit.

Jetzt ist die schlimmste Saison in der Geschichte dieses Sports endlich vorbei. Ein halbes Jahr habe ich meine Sorgen vor diesem Verein versteckt. Ich war trocken geweint und 600 Kilometer auf Sicherheitsabstand. Es gab keine Möglichkeit mehr erwartungsfroh zu einem Auswärtsspiel zu fahren und dabei nicht bescheuert zu sein. Das 0:0 in der Allianzarena, es war ein guter Nachmittag. Wie da nach Spielende ein paar 18jährige Abwehrspieler in schwarzweißblau mir durch das Gitter erlöste Blicke zugewarfen, wie ein paar Sitznachbarn mich schief anguckten, weil ich in einer kritischen Phase sehr, sehr, sehr lautstark bejubelte, dass Eilhoff einen Eckball abgefangen hatte; war zutiefst befriedigend. Da war ich wieder einer dieser Gallier-Nerds, die glaubten es mit dem gesamten Römerstaat aufzunehmen. Doch sonst war da wenig Asterix die letzte Zeit, sondern nur ein wenig Trauer, ein bisschen Wut und jede Menge Gleichgültigkeit. Ein Selbstschutz.

Doch mit dem heutigen Tag ist alles wieder da. Die mögliche Lizenz für die 3. Liga, der neue Trainer, der neue Sportmanager, die beide kompetenter und motivierter wirken, als alles, was die letzten 5 Jahre hier Gehaltsschecks abgeholt hat. Das fast volle Stadion beim letzten Heimspiel, dass von einer Stadt kündet, die noch nicht aufgegeben hat, die dies nie tun wird. Niemand erobert den Teutoburger Wald. Wir sind würdevolle, ehrfürchtige Hinterwäldler.

In ein paar Jahren wird dieser Verein wieder um den Aufstieg in die 2. Liga spielen, er wird Preußen Münster schlagen, er wird dies mit Spielern aus dem eigenen Nachwuchs tun, die nur deswegen gefördert werden konnten, weil man diese Scheiße seitdem Hain weg und Middendorp da war, durchgemacht hat. Statistisch gesehen, lebe ich noch über 50 Jahre. Irgendwann wird Arminia wieder Bundesliga spielen und irgendwann werde ich mit diesem Verein auch nochmal ein Pflichtspiel im Ausland sehen, so wie ich es mir mal mit 14 Jahren auf eine Lebens-To-Do-Liste geschrieben habe. Nirgends ist die Hoffnung größer als in der Liebe. Nirgends braucht man die Hoffnung mehr als in der Liebe.

Dienstag, 19. April 2011

Top 100

Kein Hitchcock, kein Godard, kein Truffaut, kein Bergman, kein Fassbinder, kein Allen, kein Polanski, kein Almodóvar, kein Lynch, kein Western, kaum Eastern, kein Horror, kaum Doku, kein Citizen Kane, kein Pate, keine Amélie, kein Pulp Fiction, kein Herr der Ringe, kein Harry Potter, kein Star Wars, kein Blade Runner, kein 2001, nicht mal Lubitsch, Lang oder Chaplin. Keine Frauen-Quote, kein Spanien, keine Objektivität. Dafür viel Politik, viel Krieg, viel Satire und ein Regisseur, dessen sämtliche Filme es geschafft haben. Eine Art Lebensgeschichte in Filmen.


100. An jedem verdammten Sonntag – Oliver Stone

99. Fargo – Coen-Brüder

98. Ocean's Eleven – Steven Soderbergh

97. Die Queen – Stephen Frears

96. Pi – Darren Aronofsky

95. Mary And Max – Adam Elliot

94. Casablanca – Michael Curtiz

93. City Of God – Fernando Meirelles

92. Monster Ag – Peter Doctor

91. Dogma – Kevin Smith

90. Drei – Tom Tykwer

89. Schräger als Fiktion – Marc Forster

88. No Country For Old Men – Coen Brüder

87. Imaginary Heroes – Dan Harris

86. Das Leben des David Gale – Alan Parker

85. Die üblichen Verdächtigen – Bryan Singer

84. Manche mögens heiß – Billy Wilder

83. Nach der Hochzeit – Susanne Bier

82. Stay – Marc Forster

81. Reservoir Dogs – Quentin Tarantino

80. GoodFellas – Martin Scorsese

79. Lucky #Slevin - Paul McGuigan

78. L'auberge espagnole – Cédric Klapisch

77. Zombieland – Ruben Fleischer

76. Brüno – Larry Charles

75. Bloody Sunday – Paul Greengrass

74. Die Reifeprüfung – Mike Nichols

73. One, Two, Three – Billy Wilder

72. Das Schweigen der Lämmer – Jonathan Demme

71. Team America – Trey Parker, Matt Stone

70. Bin Jip – Ki-duk Kim

69. Mon Oncle – Jacques Tati

68. The Deer Hunter – Michael Cimino

67. Alien – Ridley Scott

66. There Will Be Blood – Paul Thomas Anderson

65. 21 Gramm – Alejandro Gonzalez Inarrítu

64. Catch Me If You Can – Steven Spielberg

63. Urwerk Orange – Stanley Kubrick

62. Micmacs – Jean-Pierre Jeunet

61. Thankyou For Smoking – Jason Reitman

60. Jodaeiye Nader az Simin – Asghar Farhadi

59. Little Children – Todd Field

58. Casino Royal – Martin Campell

57. Bowling For Columbine – Michael Moore

56. The Fountain – Darren Aronofsky

55. Momento – Christopher Nolan

54. Taxi Driver – Martin Scorsese

53. The Wrestler – Darran Aronofsky

52. Funny Games – Michael Haneke

51. Einer Flog Übers Kuckucksnest – Milos Forman

50. Old Boy – Chan-wook Pak

49. Punch-Drunk-Love – Paul Thomas Anderson

48. Barry Lyndon – Stanley Kubrick

47. Der fantastische Mister Fox – Wes Anderson

46. Brazil – Terry Gilliam

45. Der freie Wille – Matthias Glasner

44. South Park – Der Film – Trey Parker, Matt Stone

43. Zeiten des Aufruhrs – Sam Mendes

42. Starship Troopers – Paul Verhoeven

41. Apocalypse Now – Francis Ford Coppola

40. Big Fish – Tim Burton

39. Sieben – David Fincher

38. Das Fest – Thomas Vinterberg

37. Bob Roberts – Tim Robbins

36. Das Bourne Ultimatum – Paul Greengrass

35. Control – Anton Corbijn

34. Donnie Darko – Richard Kelly

33. Lost In Translation – Sofia Coppola

32. Gomorrha – Matteo Garrone

31. Wag The Dog – Barry Levinson

30. Adaption – Spike Jonze

29. Gran Torino – Clint Eastwood

28. Dogville – Lars von Trier

27. Inglourious Basterds – Quentin Tarantino

26. Watchmen – Zack Synder

25. Der Schmale Grat – Terrence Malick

24. Die Ritter der Kokosnuss – Terry Gilliam, Terry Jones

23. Hautnah – Mike Nichols

22. München – Steven Spielberg

21. Into The Wild – Sean Penn

20. Black Swan – Darren Aronofsky

19. The Departed – Martin Scorsese

18. Fight Club – David Fincher

17. Auf der anderen Seite – Fatih Akin

16. Full Metal Jacket – Stanley Kubrick

15. American Beauty – Sam Mendes

14. Irreversiblé – Gaspar Noé

13. Rachels Hochzeit – Jonathan Demme

12. Waltz With Bashir – Ari Folmann

11. Dr. Seltsam oder wie ich lernte die Bombe zu lieben – Stanley Kubrick

10. Wall Street – Oliver Stone

09. Hard Candy – David Slade

08. Das Leben des Brian – Terry Jones

07. Magnolia – Paul Thomas Anderson

06. The Dark Knight - Christopher Nolan

05. Babel – Alejandro González Inarrítu

04. Das Apartment – Billy Wilder

03. Wo die wilden Kerle wohnen – Spike Jonze

02. Requiem For A Dream – Darren Aronofsky

01. Vergiss mein Nicht! - Michel Gondry

Freitag, 18. März 2011

Achronistisches Allerei

Mit Badelatschen und Ballettschuhen gegen in die Jahre gekommene Nazi-Windmühlen der Walt-Disney-Monarchie: Die Oscar-Verleihung 2011 war ein Schritt in die falsche Richtung.


Auf Grund von rechtlichen Problemen wird diese Abhandlung nun völlig verspätet veröffentlicht. Jedoch verbietet es mir meine Eitelkeit verbietet strikt, Dinge wegzuschmeißen.


Das Kino ist in den letzten fünfzig Jahren fast genauso oft für tot erklärt worden, wie man Schalke 04 zum Meisterfavoriten ernannte. Tatsächlich ist das Kino in dieser Zeitspanne aber auch genauso oft dahin geschieden, wie Schalke tatsächlich Meister geworden ist: nie. Doch der letzte Oscar-Sonntag war wieder so ein Tag, an denen die Fanfaren mehr nach Reqieum klangen und die After-Show-Parties mehr Leichenschmaus waren.

Die Show war die Show, theoretisch. „Hollywoods biggest night“, wie Moderatorin Anne Hathaway (28) die Oscar-Nacht routiniert eröffnete. Ihr Co-Moderator James Franco (32) stand derweil neben ihr und kniff die Augen zusammen. Wobei nicht ganz ersichtlich war, ob er nur versuchte den Telepromter zu entziffern oder das einfach seine Masche ist.

Die Dynamik des Duos ist damit aber schon vollends beschrieben. Franco, seines Zeichens Alleskönner in Hollywood, stand leicht ins Hohlkreuz gelehnt und lächelte freundlich-lausbübisch, insbesondere wenn Hathaway eines ihrer acht (!) Outfits präsentierte. Wobei sie sich die hässlicheren für den Schluss der Show aufbewahrt hatte. Auch wenn sowohl Franco (dieses Jahr nominiert:„127 Hours“) als auch Hathaway (2009 nominiert: „Rachels Hochzeit“) zuletzt bewiesen haben, dass sie alleine einen ganzen Film tragen können, die trägen Oscars konnten die Beiden nicht stemmen. Im Grunde würde das auch kein Problem darstellen. Es hat fast schon Tradition, dass die Oscar-Nacht eine steife, sich selbst viel zu wichtig nehmende Veranstaltung ist. Im selbstgeschaffenen, konsequenten Rhythmus aus schlechter Witz, Preis, Werbung, Preis, Werbung, schlechter Witz, Preis, Werbung, Preis, Träne, Werbung, Preis, Preis, Werbung, Preis gefangen. Erinnerungswerte speist der Abend immer nur aus seinem Anlass: den Filmen.

Doch damit diesmal weit gefehlt. Der Gewinner Film des Abends hieß erwartungsgemäß „The King's Speech“. Ein konventionelles, schön gespieltes Biederstück. Ein stotternder Monarch mit hohem Identifikationspotenzial für die Academymitglieder, dem Geld- und Kulturadel also. Doch was die Wahl von „The King's Speech“, insbesondere in den Edelkategorien original Drehbuch, Regie (!) und bester Film, so deplatziert macht, ist ihr Zeitgeist. Mit seiner altbackenen „Man muss nur an sich glauben“-Botschaft, der ungebrochenen, naiven Tugendhaftigkeit und der platten Verneigung vor einer Männerfreundschaft, wirkt der Film wie ein Relikt einer vergangenen Zeit. Eine Wiederauferstehung von Walt Disney persönlich. Doch steht der Film damit nicht an der Spitze einer nostalgischen, gar träumerischen Tendenz des amerikanischen Kinos, sondern im krassen Kontrast zu seinen Wiedersachern an diesem Abend.

„127 Hours“, sowie insbesondere „The Social Network“ oder „Black Swan“; sie alle wären ein passenderer Repräsentant des Kino-Jahres 2011 gewesen. „127 Hours“, im hektischen, ersten Drittel noch ein bisschen „Into The Wild“ auf Koks, erzählt zwar auch eine klassisches Überlebens- und Wandlungsgeschichte. Dies aber mit deutlich mehr Esprit, die der Film vor allem aus der Nachvollziehbarkeit und Realitätsnähe seiner jungen Figur zieht. Ein kleiner Film, der sich dessen bewusst ist.

„The Social Network“, sowas wie der Hauptwidersacher und Gewinner von adaptiertem Drehbuch-, Soundtrack- und Schnittoscar, ist dagegen komplexer. David Finchers Film erzählt nicht nur die Rise-And-Fall-Geschichte von Mark Zuckerberg, sondern porträtiert gleichzeitig auch die gesamte Generation des Facebook-Erfinders. Ein moderner Citizen Kane, nur noch in der Pubertät. Zuckerberg wird von Jesse Eisenberg dabei so unglaublich zerrissen und gerissen gezeichnet, dass man sich schon fragen muss, wieso das ganzjährige Tragen von Badelatschen – wie es Zuckerberg in „The Social Network“ tut – nicht auch schon als Behinderung durchgeht. Dann hätte Eisenberg gegen das britische Stottern von Colin Firth eine faire Chancen gehabt. Zumal Zuckerberg nicht mal gegen Nazis kämpft. Denen wirft Hollywood immer noch sehr gerne ihre Goldjungen entgegen. Kate Winslet kann eine Menge Lieder davon singen. Bei Fincher gibt es hingegen nur Elitestudenten, berauscht an sich und ihren rhetorischen Fähigkeiten, aber dennoch kommunikationsunfähig. Hohle Wesen. "The Social Network" erzählt von dem Menschen, der aus den Neurosen und Komplexen der ganzen Welt ein Millarden-Kapital geschlagen hat; selbst eine einzige Neurose.

Auch „Black Swan“ erzählt von der Ambivalenz heutigen Lebens. Vor dem Hintergrund des Schwanensee-Balletts zeigt Darren Aronofskys Genrehybrid die Primaballerina Nina Sayers, die für ihr Streben nach Perfektion einen äußerst hohen Preis zahlt. Aronofsky zeigt immer nur Leid und Erfolg im Miteinander. Glückstränen auf der Toilette und Selbstbefriedigung in Anwesenheit der Mutter. Der Regisseur, dessen Thema schon immer die ewig Getriebenen waren, führt den körperlichen und geistigen Zustand seiner Figur in ein Finale, welches seine größt-mögliche Tragik im größt-möglichen Moment des Triumphs entwickelt. In einem New York das nur noch aus dunklen Gängen, Toiletten und Umkleiden besteht. „Black Swan“ kann als gewaltiges, dramatisches Abbild der sich selbst immer unterordnenden Generation-Praktikum herhalten. Eine Gruppe von Branchenneulingen, die nur noch im Exzess bei sich sein kann, sich gegen eine elterlich auferlegte Selbstkontrolle nur noch mit Kontrollverlust zu wehren weiß. Mit einer nun Oscar gekrönten Natalie Portman als Repräsentantin dieser Generation. Eine Rolle, die die Harvard-Absolventin (Bachelor in Psychologie, Zuckerberg war ebenso in Harvard eingeschrieben) auch außerhalb der Leinwand einnimmt.

Alle diese Filme eint, dass sie den Geist einer neuen Zeit atmen. Ihre Inszenierungen sind verspielt, mutig bis progressiv. Ihre Hauptdarsteller sind mit begeisternder Tiefe gesegnet, ihre Figuren alle um die Dreißig und mit faszinierender Ambivalenz ausgestattet. Die gezeigten Lebenswelten sind komplex, ernstzunehmen, vielschichtig – und kommen ohne Nazis aus. Das alles lässt „The King's Speech“ nur noch achronistischer, noch belangloser erscheinen. Handwerklich solide, aber hoffnungslos uninteressiert an heutigen, gesellschaftlichen Zuständen. Wie eine Hoffnung auf die gute, alte Zeit wirkt das Versprechen, dass sich die Academy mit dieser Wahl selbst zu geben versucht. Das nur alles gut wird, wenn man alles so macht, wie immer. Wenn man die alten Geschichten mit neuen Gesichtern erzählt. So wie sein Moderatoren-Duo, das mit Abstand jüngste, das die Veranstaltung jemals hatte, denen aber auch nichts anderes einfiel als ihren unambitionierten Vorgängern.

Letztes Jahr gewann mit „The Hurt Locker“ der politische Film gegen das große Konserven-Kino, das kleine, tagesaktuelle Stück Zelluloid gegen das 300Millionen-Dollar-3D-Märchen. Es triumphierte erstmals mit Kathryn Bigelow eine Regisseurin und schlug damit, quasi als emanzipatorischen Bonus, ihren Exmann. Das trug viel Fortschritt in sich – und eben keine Nazis. Die Generation dieser Erneuerung, die „Generation 90“, wie sie das „Cahiers du cinéma“ nennt, hat es diesmal nicht geschafft, die Alteingesessen von ihrem Thron zu stoßen. Doch es hat schon bessere, wichtigere Filme über Freundschaft oder Selbstbewusstsein gegeben als „The King's Speech“. Mehr noch; es hat diese Filme schon gegeben!

Es wirkt wie das letzte Zucken einer vergangenen Filmwelt. Es gilt als erwartbar, dass in ein paar Jahren über die Verlierer dieses Abends mehr gesprochen wird, als den Gewinner. Das Kino ist tot. Lang lebe das Kino.


Dienstag, 1. März 2011

Der Krieg und die Schlacht


Ein paar Minuten waren vergangen.
„Ich möchte mit dir schlafen“, sagte er in einer zaghaft Stimmlage, die solch einer Direktheit fast zwangsläufig zugehörig ist. Sie guckte zunächst fragend, dann ablehnend.
„Warum?“
„Weil du schön bist.“
„Das sind viele.“
„Na und?“ war die Lautstärke seiner Stimme wieder auf einem normalen Level.
„Ich bin aber nicht viele!“
„Sagt auch niemand.“
„Du kannst doch nicht ernsthaft glauben, dass ich dazu 'ja' sage?“
„Hatte ich gehofft, klar.“ Er zuckte selbstbewusst aber auch irgendwie notgedrungen mit den Schultern. Der Krieg war verloren, aber nicht die Schlacht.
„Wenn du mit einer Frau schlafen möchtest, musst du ihr das nicht sagen, du musst es ihr zeigen“, schaute sie ihn sachlich an.
„Schwachsinn!“ Es schien, als wären beide von dieser Aussage überrascht. Doch je mehr er darüber nachdachte, desto mehr mochte er diese Verwirrung. Während ihre Augen nach einer Erklärung fragten.
„Frauen schlafen andauernd mit Männern, die reden, aber... “
„Klar tun sie das!“, fiel sie ihm ins Wort: „Was denn auch sonst?“
„Aber...“, setzte er neu an: „... mit Männern die nur reden, scheiße reden. Typen, die soviel berechnende Luftschlösser bauen, dass man gar nicht aus ihnen heraus kommt. Männer, die euch permanent einwickeln. Und nicht umgekehrt. Ihr Frauen habt eine solch übersteuerte, groteske Vorstellung von Romantik, dass ihr andauernd auf die Typen rein fallt, die euch nach Strich und Faden verarschen. Weil sie euch eine Projektionsfläche bieten, aber keinen Halt.“
„Du bist zynisch.“
„Hab ich mir nicht ausgesucht.“
Sie überlegte, schaute abschätzig, dann: „Du willst also sagen, dass Frauen Opfer ihrer Sehnsüchte werden?“
„Nein, aber Frauen bekämpfen ihre Sehnsüchte mit den falschen Medikamenten.“
„...und die Medikamente in dieser Metapher sind.... Männer?“
„Idioten, ja. Idiotische Typen.“
„Also alle Männer, die wissen, wie man Komplimente macht, sind Idioten?“
„Was habe ich dir eben gesagt?“
„Dass du mit mir schlafen willst.“
„Und warum?“
„Weil ich gut aussehen würde, wow!“, polterte sie befreit. Er begann, ihr Spaß zu machen.
„Die Frage impliziert doch schon eine Wertschätzung. Wenn ich jemanden frage, ob er mein Trauzeuge sein will, drückt das doch mehr Wertschätz aus, als jedes 'Du bist so ein guter Freund'.“
„Ja, weil du nicht jeden fragst.“
„Du denkst, ich frage jede?“
„Ja!“
Er senkte den Kopf, kratzte sich an der linken Schläfe und versuchte desillusioniert auszusehen.
„Ok, mag sein, dass du nicht jede fragst. Aber woher soll ich das wissen?“
„Woher weißt, dass irgendein Typ das ernst meint mit den 'schönen Augen'?“
„Weiß ich nicht. Manchmal glaube ich es, manchmal nicht. Augen sind nun mal persönlicher als jedes andere Körperteil. Sie sind der Schlüssel zu allem, irgendwie. Manchmal sagt jemand das nur so, manchmal hat er es verstanden.“
„Nein, du glaubst es immer! Nicht aus Dummheit, aber aus Naivität. Weil du es glauben willst. Und dann schläfst du mit ihm, zur Belohnung. Aber auch aus dieser Hoffnung heraus, die Hoffnung er könnte er ernst meinen, dich wirklich lieben, ist einfach zu stark.“
„Und was ist daran falsch, zu hoffen geliebt zu werden.“
„Gar nichts. Nur...“
Das wurde ihr zu persönlich: „...Vielleicht schlafe ich auch einfach nur mit jemandem, weil ich ihn attraktiv finde?“ Es war ein guter, neuer Gedanke.
„Und warum muss dann der 'Augen-Satz' überhaupt noch sein?“
„Weil ich lieber mit großem, als mit kleinem Ego aufwache.“
„Und dein Ego ist immer noch groß, wenn du morgens feststellst, dass du nur eine Nummer bist?“
„Wer hat überhaupt gesagt, dass ich dich anziehend finde?“
Die Frage traf ihn. Aber er überspielte es sehr gut, wie er fand, indem er es einfach überhörte. „Ich hab nur meine blöde Ehrlichkeit anzubieten. Ich möchte dich mit nach Hause nehmen. Und natürlich will ich das wegen deiner Augen, wegen deines Stils oder wie du dich gespielt empörst. ´Ich bin aber nicht viele!`“, machte er sie nach. Sie grinste.
„Jetzt spielst du das Spiel ja doch mit!“
„Und das gefällt dir.“
„Geht. … bist du sicher, dass du einfach nicht gut in diesem Spiel bist. Dass du einfach nicht flirten kannst und es deswegen als verlogen kenntzeichnen musst?!“
Er zuckte mit den Schultern: „Kann schon sein. Aber es ist verlogen. Das Spiel belohnt die Falschen. Es gewinnen die Arschlöcher.“
„Glücklich sind immer die Anderen, was?“
„Öfter als einem lieb ist.“
„Einem? Oder dir?“ Wieder war da ein neuer Gedanke. Wieder gefiel es ihr, so die Überhand zu behalten: „Ich glaube, was du nicht verstehst ist, dass dieses Spiel Spaß macht. Es hat kein Ziel. Und wenn, macht es keinen Spaß. Man spielt nicht für das Ergebnis, verstehst du?! Du spielst für das Ergebnis und gegen die Ärschlöcher oder wie du das nennst. Da kannst du nur verlieren.“
„Mh, ok.“, sagte er abwesend.
Sie schaute über seine Schulter: „Ich muss jetzt mal wieder rüber. “
„... nein! Keine dieser Sätze, bitte. Geh deine Wege, ok. Aber.... ach, … mh.... Scheiße! Schade, wirklich schade. Du hast wirklich schöne Augen.“
„Du Märtyrer!“, rief sie und hoffte, dass ihr Blick diese Worte als harmlos entlarvte.
Er blieb ernst: „Wirklich.“
„Ok, mh. Tja, danke.“ Es war der kälteste Moment an diesem Abend. Ihr Blick versuchte nichts mehr zu entlarven. Sie ging. Er blieb stehen, ging dann in eine andere Richtung. Er holte seine Jacke und ging zum Kiosk um die Ecke. Eine Whiskey-Cola-Dose im Arm setzte er sich vor der Eingangstür auf eine Bank. Er wusste selbst nicht wieso.

Eine gute Stunde später trat sie heraus, zusammen mit zwei Freundinnen, die er gar nicht wahr nahm. Sie sah ihn nicht. Er stand auf.
Sie hatte sich noch nicht einmal umgedreht, da rief er, ohne sich die Worte vorher zurecht gelegt zu haben: „Es gab in meinem Leben bisher vier Frauen, die ich das gefragt habe. Die Letzte vor über einem Jahr. Du warst die erste, die nicht sofort weg gerannt ist.“ Die Worte waren so pathetisch, dass es sie ohne Alkohol nicht gegeben hätte. Sie drehte sich um, während sie letzten Knöpfe ihres Mantels zusammen legte. Sie war nicht nur verwirrt darüber, ihn hier zu sehen, sondern auch, dass sie das freute. Auch wenn man ihr dies nicht ansah.
„Vielleicht kann ich nicht flirten“, fuhr er fort, während sie ihre Haare über den Kragen warf: „Kann ich wirklich nicht. Ich trage wenig Leichtigkeit in mir. Ich spiele nicht, stimmt. Aber das Ehrlichkeit, ich meine Komplimente-machende-Ehrlichkeit nicht belohnt wird. Das ist nicht nur fies. Das ist doch auch nicht in deinem Interesse. Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn Idioten wie ich mehr Sex hätten. Ich weiß, das klingt bitter, und Bitterkeit wird nie belohnt, aber es ist falsch, dass sie nicht belohnt wird! Es ist einfach nicht richtig.“ Es klang wirklich alles sehr bitter. Viel verbitterter als es ihm lieb war.
Fast gleichgültig, mit hängenden Schultern fuhr er nach kurzer, hoffentlich wirkungsvoller Pause fort: „Flirten? Ich kann das Wort nicht mal leiden. Ich sage doch auch nicht Clique oder...“
„ … ist gut!“ unterbrach sie ihn: „Komm, sei ruhig!“ Sie suchte nach einer Zigarette: „Du bist zurück gekommen. Du hast was zeigt.... das ist besser als alles was du sagst.“ Und da war auch wieder etwas in ihrem Gesicht, dass ihre Worte kommentieren wollte.
Er nahm die Hände aus der Jackentasche und versuchte etwas Konkretes in ihren großen, braunen Augen zu finden. Es wirkte wie ein Abschied und er tat das, was er immer in solchen Momenten der Unwissenheit tat; er wurde ironisch. „Darf ich dir ein Mixtape zusammen stellen?“ lachte er, als wäre es nicht sein eigener Witz gewesen. Sie tat so als würde ihr Lächeln nur ironisch sein.
„Um Gottes willen, nein! So jemand wie du, hört doch eh nur depressive Scheiße! “, sie genoss diesen Moment wie nur ganz wenige in letzter Zeit. Er nickte, immer noch hinter einem grinsenden Gesicht versteckt. „Aber wenn du willst, kannst noch mit zu mir kommen“, entglitt es ihr. Sie war betrunken.
Er erschrak. Als er sich gesammelt hatte: „Es sind wirklich deine Augen.“
„Halt's Maul!“
Er zahlte das Taxi.